mica-Interview mit den Strottern

Strottern sind auf Altwienerisch Gauner oder Gelegenheitsarbeit Suchende. Es geht aber auch ehrenwerter: Klemens Lendl zum Beispiel singt und spielt Geige, David Müller spielt Gitarre und zusammen sind sie: Die Strottern. Mehr im von Martin Gansinger geführten Interview.

MG: “Kannst du kurz etwas über deinen Zugang zum Wienerlied erzählen – damit hast du sicher regelmäßig Erklärungsbedarf bei Veranstaltern…”
KL:
“Wenn du damit anfängst, in einem sehr traditionellen – und mit vielen, vor langer Zeit gefällten, Urteilen und Vorurteilen behafteten – Genre zu räubern, dann bist du einfach ständig im Vergleich. Und das ist ja auch keine Musik, in der jetzt unbedingt Innovation einen großen Stellenwert hat. Es geht eher um Tradition, da gibt es viele abgeschlossene Gebiete – und viele Menschen, die das auch sehr abgeschlossen sehen. Das hängt vielleicht auch mit unserer Generation zusammen, darüber denke ich nach, weil ich jetzt auch viel mit diesen JazzWerkstättern zu tun habe. Ich bin ja im Schnitt etwa zehn Jahre älter und bei mir – vor allem aber bei noch älteren Musikern – scheint dieses Schubladendenken noch viel mehr im Kopf drinnen zu sein, denke ich. Unsereins muss dann wohl viel mehr aktiv sein, um sich von diesen Kasterln zu befreien. Was mich an diesem JazzWerkstättern so fasziniert, ist, dass die einfach alles angreifen ohne sich irgendwas zu scheissen. Das ist wirklich eine ganz andere Generation. Diese Einstellung gab es bei uns einfach so noch nicht. Wir denken vielleicht viel mehr darüber nach, ob das jetzt reinpasst, in eine bestimmte Tradition und überprüft irgendwie, ob man sich wohl ja noch im richtigen Kasterln befindet, mit dem was man spielt. Das wird auch nicht wirklich von außen aufoktroyiert, sondern das wurde einfach so gelernt. Als ich zum Beispiel Geige gelernt hab’ vor etwa fünfzehn Jahren hab’ ich ganz einfach keinen Jazz-Geiger gefunden, der mir etwas beibringen konnte. Und mein Lehrer war Lichtjahre davon entfernt, sich da irgendwie dafür zu öffnen. Deswegen hab’ ich auch entschieden, meine Ausbildung zu beenden, weil mich das Klassische eben nicht interessiert hat und damit war ganz einfach Ende der Fahnenstange.”

MG: “Hat sich aus diesem Umstand heraus auch dein Geigespiel entwickelt?”
KL:
“Die Art, wie ich Geige spiele, entsteht ja auch aus einer Not heraus. Die ganzen Coltrane-Licks, die Klassik-Geige und die siebente Lage – das fehlt mir ja alles. Das hat aber zwei Gründe, ich halt’ den Ton einfach nicht aus, mag den Sound nicht, und stehe einfach auf den Tonumfang, den die Geige von Haus aus hat. Zum anderen fehlt mir das technische Können, obwohl mittlerweile hab’ ich beim Spielen einfach so viel gelernt, dass ich das eh wieder zusammenbringen würde. Aber wir machen eben einfach reduzierte Musik, in jeder Art. Ich mag mich nicht so anstrengen beim Musizieren. Leiwand ist wenn du wirklich unangestrengt gut spielst. Aber oft hat das fast mehr mit Konditionstraining als mit Musik zu tun.”

MG: “Eurer Musik hingegen hört man an, dass sie euch relativ mühelos von der Hand geht…”
KL:
“Wenn ich zum Beispiel daran denke, wie wir Lieder machen. Das geht alles ganz unaufgeregt, richtig einfach. Andererseits hat das natürlich viel mit Zeit zu tun. Das lerne ich auch aus unserer momentanen Lebenssituation. Zeit ist einfach DIE Ressource beim Musikmachen und ein richtiger Faktor. Texte zum Beispiel liegen bei uns einfach immer sehr lang. Dann lesen wir das wieder einmal und legen es wieder hin, lesen es noch einmal und noch einmal. Und wenn wir uns dann hinseten und damit anfangen, das zu vertonen, dann geht es meistens Ruck-Zuck. Eben deshalb, weil dieser Text dann schon lang gearbeitet hat in uns. Der Luxus ist eben, sich diese Zeit zu nehmen und die Sachen auch entsprechend abliegen zu lassen.”

MG: “Dazu kommt dann eine sehr reduzierte Klangästhetik, welche die Stimmungen der Texte recht schnörkellos einfängt…”
KL:
“Bei Liedermachern und Songwritern taugen mir einfach die klaren Linien, das Reduzierte. So wie wir unsere Lieder machen hat auch viel damit zu tun, dass wir von der Popmusik kommen. Da geht es eben darum, in den ersten dreißig Sekunden alles zu sagen. Was uns ja nie gelungen ist (lacht). Aber wir haben eben nie die Motivation, jetzt einen Akkord zusätzlich einzubauen, nur weil sich das jetzt irgendwie ausgehen würde. Mir geht es eben darum, ein bestimmtes Gefühl herauszuarbeiten in einem Song, da muss auch gar nicht viel mehr gesagt werden. Schön ist, wenn man nicht geblendet wird von Technik, sowohl als Hörer als auch als Musiker.”

MG: “Ihr verwendet für eure Musik die Bezeichnung Lieder aus Wien – um euch bewusst vor dem Begriff Wienerlied abzugrenzen, nehme ich an. Trotzdem bezieht ihr euch sehr stark auf diese Tradition…”
KL:
“Wenn man es schafft, frei zu denken, dann ist das natürlich Wienerlied, was wir machen. Weil das sind Lieder, die in Wien entstehen, viel mehr ist es nicht. Wir kennen natürlich die Tradition, und wir spielen auch die traditionellen Lieder – und die Tradition hat natürlich Einfluss auf das, was wir machen. Aber wir machen eben, was wir wollen. Ich bekomme zum Beispiel schon hin und wieder zu hören, dass ich ganz falsch Geige spiele und dass das nichts mit der Wiener Geige zu tun hat. Das ist aber ganz einfach deshalb so, weil ich die Wiener Geige – wenn man das denn so nennen will – ganz einfach fürchterlich grauslich finde, mir gefällt das einfach nicht.”

MG: “Trotzdem hört man aus eurer Musik heraus, dass ihr einen sehr respektvollen Umgang mit diesem Genre pflegt. Sind das auch ganz persönliche Verknüpfungen zu dieser Musiktradition, die da mitspielen?”
KL:
“Es wundert mich schon selber, wie sehr mich so etwas beschäftigt. Weil es dann eben schon wieder um die Beschäftigung mit diesem Genre geht. Das ist auch ein unheimlicher Reichtum, in den du da hineingreifen kannst, und ich merke sehr wohl auch, wie schön und angenehm das ist, dass das eben wirklich mein Becken ist, aus dem ich komme, mein natürliches Umfeld. Ich muss mir nicht aus dem Jazz alles zusammensuchen, wo ich mir denke, was hat das mit mir überhaupt zu tun. Das gehört wirklich mir, aus dem ich da schöpfe, das ist meins. Ich kann mir herausnehmen, was ich will, und was mir nicht gefällt, lasse ich bleiben. Was beim Wienerlied toll ist, ist dass da einfach schon so viel drinnen steckt. Wenn ich jetzt nur alpine Musik als Hintergrund hätte, dann wäre das viel begrenzter, scheint mir. Ich denke schon, dass die Wiener Musik extrem reichhaltig ist, weil das eben so ein Melting-Pot ist, immer war. Oder damals auf jeden Fall, jetzt wieder wird oder geworden ist. Und ich denke, da gibt es nicht viel Musik auf dieser Welt, wo du auf so einen reichhaltigen Boden zurückgreifen kannst. Wenn ich mir Danzer-Lieder anhöre, denke ich mir auch oft, wo ist da jetzt der Unterschied? Das ist halt musikalisch nicht in dieser Tradition, aber vom textlichen her dann wieder schon, bei den frühen Sachen zumindest.”

MG: “Welchen Stellenwert hat der Text in eurer Musik und wie gehst du dabei mit den inhaltlichen und formalen Traditionen des Genres um?”
KL:
“Ich merke bei mir, wie ich immer noch lerne, mit der Sprache umzugehen. Das ist überhaupt nicht einfach. Eben weil das eine Sprache ist, die dir so nahe ist und du jedes Wort zehnmal auf die Waagschale legst. Wir haben ja früher auch Popmusik gemacht und englische Lieder gesungen. Da kannst du wirklich alles sagen, das ist völlig wurscht. Da ist jeder Satz schon irgendwo einmal vorgekommen in der Popmusik und dann sagst du ihn halt auch und reihst das beliebig aneinander. Das ist deshalb so einfach, weil eine riesige Distanz zu dieser Sprache da ist, da kannst du dich leicht verstecken. Aber in der eigenen Sprache – und zwar in der ganz eigenen, weil es ja auch noch Mundart ist – wird es sehr viel enger. Deshalb hab’ ich auch noch nicht viele Lieder geschrieben. Und ich hab’ auch viele wieder fallen gelassen, weil es sich eben nicht ausgeht für mich. Oder auch was die Inhalte angeht. Über Wiener Sehenswürdigkeiten zu singen ist halt nicht sehr attraktiv für mich. Noch dazu, wenn ich in Wien bin. Im Ausland ist das wieder etwas anderes, wenn ich die Leute damit zum Weinen bringen kann, dann mache ich das schon gern, weil ich weiß, dass es da wieder um etwas anderes geht. Aber wenn ich hier in Wien sitze und über den Stephansdom singe ist das für mich völlig bescheuert. Das ist aber auch sicher eine Generationssache. Für mich hat es Österreich immer gegeben, ist das einfach selbstverständlich. Wenn ich irgendwann Österreich nicht gehabt hätte, würde ich natürlich auch mit einer ganz anderen Motivation darüber singen. Aber ich wüsste eben nicht, warum ausgerechnet ich das machen sollte. Ich glaube, dass wir beim Text einfach sehr kritisch sind. Deshalb finden wir auch bei den alten Wienerliedern nicht viele, die uns gefallen. Wir wollen eben nichts singen, das uns nicht berührt, das nichts mit uns zu tun hat oder das wir für Folklore halten.”

MG: “Wie viele Berührungspunkte hat eure Musik deiner Einschätzung nach mit der Wiener Musik, die streng traditionellen Elemente halten sich bei euch ja doch eher im Hintergrund…”
KL:
“Unsere neue CD, die gerade entsteht, ist sicher noch einmal weiter weg von der Wiener Musik. Und bei der letzten haben sich auch schon viele gefragt, ob das jetzt noch Wienerlied ist. Auf jeden Fall ist es so, dass sich das Publikum des Wienerliedes für uns interessiert. Aber eben nicht nur das, und das ist natürlich noch schöner. Deswegen freut es mich zum Beispiel sehr, in der JazzWerkstatt zu spielen. Da interessiert mich schon auch sehr dieses junge Publikum, das ist immer spannend. Denen dann alte Wienerlieder vorzusingen und zu sehen, dass ihnen das taugt, das freut mich irrsinnig.”

MG: “Ihr seid mit eurem Programm auch viel im Ausland unterwegs – gibt es da keine Schwierigkeiten, den Leuten die Inhalte eurer Lieder auseinanderzusetzen?”
KL:
“Das ist überhaupt unser großes Glück, wenn wir einmal irgendwo sind, haben wir noch nie ein Problem gehabt. Außer natürlich, wenn du gegen zehn Kaffeemaschinen und japanische Reisegruppen anspielen musst. Aber selbst wenn du im Ausland bist und nur englischsprachiges Publikum hast, kannst du mit Moderation alles ganz gut vermitteln. Weil es eben wirklich spannende Lieder sind, die wir auch sorgfältig auswählen. Das Problem ist nur, dass das Wienerlied halt sehr vorbelastet ist. Und da sind wir jetzt wieder beim Selbstschutz – Lieder aus Wien. Wenn irgendwo Wienerlied draufsteht, hast du ein Problem. In gewissen Zirkeln. Wenn du im Westen mit Wienerlied daherkommst, musst du wirklich jeden einzeln übereugen und den Leuten die Angst nehmen, gerade den Jungen. Auch bei den älteren natürlich. Entweder du spielst gegen den Hans Moser an, den alle schon hundertmal gehört haben und wieder und wieder hören wollen, oder du spielt an gegen dieses Musikantenstadl-Wienerlied, das eben viele Junge abschreckt, weil die da nur den Heinz Conrads im Schädel haben. So oder so ist es schwer, das unterzubringen. Abgesehen von verschiedenen Veranstaltern, die sich eben genau dafür interessieren.”

MG: “Welche Erfahrungen habt ihr mit einem jüngeren Publikum und wie vertreibt ihr dessen Heinz Conrads-Assoziationen?”
KL:
“Wir waren vor kurzem in Zwettl, wo wir für die Jeunesse ein Programm für erste und zweite Klasse Volksschule gemacht haben. Da hat man sowieso mit keiner Art von Musik ein Problem, weil die in dem Alter eh für alles offen sind. Und dann sitzt du plötzlich – weil du nicht so aufgepasst hast bei den ausgemachten Konzerten – vor 300 Jugendlichen zwischen Vierzehn und Achtzehn – also der gesamten Oberstufe eines Gymnasiums. Da schluckst du natürlich einmal und denkst nur, was machst du jetzt. Wir haben dann einfach ein normales Konzert gespielt und das war einfach eine Offenbarung, wie positiv das aufgenommen wurde. Dabei ist uns auch bewusst geworden, wie subversiv diese Wienerlieder eigentlich sind. Da geht es eben um Revolution. Beim Kollegium Kalksburg ist das natürlich immer ein Thema, bei uns aber nicht unbedingt. Du merkst dann aber auch bei Liedern, die das nicht so auf den Fahnen haben, was da für eine Kraft drinnensteckt. Und damit kriegst du dann halt auch Sechzehnjährige. Das ist schon spannend. Dabei wird auch viele Qualitäten dieser Musik deutlich, die man so bewusst eigentlich gar nicht wahr nimmt. Wenn ich zum Beispiel in Deutschland spiele, wo sie diesen Schmäh natürlich nicht verstehen, wird plötzlich klar, wie poetisch diese Texte eigentlich sind. Wir haben es ja eh nicht wirklich auf diesen vordergründigen Schmäh abgesehen, das spannende ist eben diese Schaukel, wenn du den Zuhörer einmal zum Lachen und einmal zum Weinen bewegen kannst. Aber diese Lacher fallen halt auf einmal weg, wenn du irgendwo in Deutschland spielst. Das wird dann alles viel poetischer und auch die eigene poetische Seite fliesst vielmehr ein.”

MG: “Ihr spielt ja in den unterschiedlichsten Kontexten, von Wean Hean bis hin zum Jazfestival Saalfelden, was sehr für die Nachvollziehbarkeit dieser Musik spricht…”
KL:
“Wir sitzen ja wirklich zwischen allen Stühlen. Wir kratzen die Jazz-Veranstalter ein bisserl an, wir kratzen die World Music-Veranstalter ein bisserl an, gehen ein Stück Richtung Volksmusik oder auch das klassische, bürgerliche Kleinkunst-Publikum. Manchmal spielen wir an einem Tag beim Siebzigsten Geburtstag vom Ex-ÖBB-Lokführer oder Jägermeister und am nächsten Tag für die Frau Doktor-Doktor im Deml. Also wirklich am anderen Ende von Wien. Und beide sind aber berührt von der Musik, reden mit dir nachher auf einer sehr tiefen Ebene, weil eben Musik idealerweise diese Schichten aufbricht und du auf einer anderen Ebene reden kannst. Da fällt mir auch nicht viel Musik ein, mit der das geht. Wenn du Jazz machst, hast du immer irgendwie die selben Leute im Publikum, bei der Klassik genauso. Beim Pop genau dasselbe. Wir haben wirklich Leute von zwölf bis neunzig, die sich über diese Musik freuen. Vom ganz bürgerlichen Publikum bis um Sommerfest von der KPÖ. Wir machen aber nichts politisches mehr, weil wir da auch schon unheimlich eingefahren sind. Aber das ist halt einfach ein unglaubliches Spektrum, das wir da abdecken. Da merkt man, dass diese Musik eben schon viele Jahre und Jahrhunderte da ist und die Leute berührt.”

MG: “Woran liegt das deiner Meinung nach?”
KL:
“Die Musik hat einfach eine Kraft. Das funktioniert auch für Leute, die die Sprache nicht verstehen. Es ist immer wieder schön, zu sehen, wie sehr man sich auf die Musik verlassen kann. Ich meine, wir sind jetzt sicher keine Spezialisten für Wiener Musik. Die Gesetze der Wiener Musik, die streifen wir nur. Walter Soyka und Karl Stirner aum Beispiel, die haben richtig Ahnung davon. Aber da geht es eben wieder nur um die Musik, die haben keine Texte dabei. Uns geht es vielmehr um unsere eigenen Lieder. Auch um andere Lieder, aber eben um Lieder. Und um die Kommunikation über Lieder. Und eben weniger um musikalische Traditionen und musikalische Spielweisen.”

 

 

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