mica-Interview mit Cordula Bösze

Cordula Bösze zählt ohne Zweifel zu den umtriebigsten Persönlichkeiten der heimischen (Neuen) Musikszene. Im Fokus ihrer vielschichtigen Arbeiten steht im Besonderen die klangliche Erforschung ihres Instrumentes, der Querflöte. Als eine Art musikalischer Freigeist lässt sie sich zudem nicht alleine auf eine einzelne Kunstsparte reduzieren, vielmehr sind viele ihrer Projekte im interdisziplinären Kontext angesiedelt. Aktuell ist Cordula Bösze „Artist in Residence“ bei Musik aktuell in Niederösterreich. Das folgende Interview führte Nina Polaschegg.

Nina Polaschegg: Du hast zunächst „ganz normal“ klassisch Flöte studiert. Wie hast du die zeitgenössische Musik entdeckt?

Cordula Bösze:
Das ist eine lange Geschichte, aber ich kann sie auch kurz erzählen. Ich bin während meines Studiums gar nicht in Berührung mit Zeitgenössischem gekommen. Wir haben Musik aus dem 18. und 19. Jahrhundert gespielt; es war für mich eher so, dass nach Brahms nichts Vernünftiges mehr geschrieben worden wäre. Dann aber habe ich in der Stadtinitiative gearbeitet, gemeinsam mit Renald Deppe und Christian Muthspiel, die dort eine Konzertreihe mit dem Schwerpunkt auf zeitgenössischer Musik veranstalteten – und war sehr überrascht, wie viele lebende Komponisten es gibt! Der entscheidende Punkt jedoch war – ich gebe zu, da war ich schon 26 –, als wir in der Stadtinitiative eine Aufführung des Klavierkonzerts von John Cage gespielt haben. Das war im letzten Lebensjahr von John Cage, mit Manon-Liu Winter als Solistin. Als ich die Noten bekam, war sofort klar, dass dies eine sorgfältig ausgearbeitete Flötenstimme ist, in der Spieltechniken vorkommen, die ich nicht kannte, die aber so klar notiert sind, dass ich sofort wusste, wie das geht. Und in der Einleitung zu den Noten steht: „Dear musician, das ist das, was ich geschrieben habe, das biete ich dir an. Wenn du es spielst, überlege dir, ob große Noten laut oder lang sind (es gibt drei verschiedene Größen von Noten, Anm.), oder ob sie kurz und leise sein sollen. Das kannst du spielen, du kannst aber auch etwas anderes oder gar nichts spielen.“ Unglaublich! Welche Großzügigkeit. Da hatte ich nach all dem Training auf der Hochschule, bei dem es darauf ankam, möglichst genau die Anweisungen der Komponisten zu befolgen, plötzlich die Arbeit eines Komponisten vor mir, der sagt: Das kannst du machen, aber du kannst auch etwas aus dir heraus machen. Das hat mich davon überzeugt, dass Musik von lebenden Komponisten das Interessanteste ist, das passieren kann. Leider ist Cage noch im selben Jahr verstorben. Und ich habe gemerkt, ich muss schneller werden, um kennen zu lernen, was es alles gibt.

Du hast ja früher oft im RSO substituiert, gerade immer wieder auch bei zeitgenössischer Musik. War das gekoppelt mit deinen Entdeckungen des Zeitgenössischen?

Ja, das hat danach eigentlich rasch angeschlossen, dass ich im RSO alle Spiegel von Cerha mehrfach gespielt habe, Gruppen von Stockhausen. Da konnte ich einiges kennen lernen, auch an jungen österreichischen Komponisten. Es gab z. B. eine Uraufführung des Klavierkonzerts von Christoph Cech; Earle Brown ist gekommen und hat mit dem Orchester gearbeitet. Das waren sehr entscheidende Erlebnisse, um in die Musik hinein zu kommen, nicht nur als Zuhörerin, sondern auch zu erleben, wie so eine Aufführung vorbereitet wird und wie das ankommt. Ich finde es dieser Tage gerade lustig, dass 2011 bei Wien Modern die Spiegel von Cerha gespielt werden und die Pressemeldungen dazu derart lauten, als ob es das noch nie gegeben hätte! Bei den Salzburger Festspielen 1995, zu Cerhas 70. Geburtstag, sind die Leute in der Felsenreitschule aus der ersten Reihe regelrecht geflüchtet, weil das Stück so unglaublich laut ist. Es ist sicher eines der lautesten Orchesterstücke.

Deine eigene Musik ist ja selten so laut. Du hast seit vielen Jahren eigene Spieltechniken erforscht und Konzepte entwickelt. Siehst du dich selbst auch als Komponistin?

Ich sehe mich selbst nicht als Komponistin, natürlich bin ich eingetragen bei der AKM, aber ich finde, komponieren ist schon noch ein weiterer Schritt als das, was ich tue. Ich überlege mir einen Ablauf, eine Form eines Stücks und versuche, das aufzuzeichnen und wiederholbar zu machen. Das kann man jetzt auch schon „zusammenlegen, componere“ nennen. Aber gerade seit ich intensiver auch mit Kindern komponiere, und das in Zusammenarbeit mit „richtigen“ Komponisten tue, sehe ich, was die alles können! Wie schnell sie z. B. etwas notieren können, Spieltechniken vieler Instrumente parat haben, ich lerne ständig! Gerade im Vergleich dazu bezeichne ich mich ungern als Komponistin. Ich bin eine Improvisatorin, die Konzepte macht für Stücke. Die Grenzen sind fließend, es kommt darauf an, was verlangt wird. Wenn wir vom RSO gesprochen haben: Es würde mich z. B. reizen, eine Miniatur für das RSO zu entwerfen. Da gab es ein paar lustige Konzepte, aber es sind auch Stücke von Komponierenden entstanden, die mit Instrumenten umgehen können, und diesen Anspruch hätte ich auch an mich.

Wie hast du dann zur Improvisation gefunden? Angeregt auch durch Stimm- und Atemausbildung? Oder durch Browns und andere Spielkonzepte?

Es sind mehrere Faktoren zusammengekommen. Einerseits natürlich die Konzept-Partituren, graphische Notationen und Stücke mit Improvisationsteilen. Dazu kommt, dass die Querflöte ja keinen besonders guten Stand bei den Komponierenden hat, wobei gerade im 20. Jahrhundert die Spieltechniken erweitert wurden und auch sehr viele gute Stücke entstanden sind. Mir hat aber die beschränkte Klanglichkeit zu schaffen gemacht. Die Flöte ist ein obertonarmes Instrument, hat wenig dynamische Möglichkeiten, im Geräuschbereich ist sie sehr leise und man muss sich mit Verstärkung beschäftigen. So gesehen hat mir die Atemerziehung sehr geholfen, ich habe fast drei Jahre lang mit Christa Schwertsik Atem-, Stimm- und Bewegungserziehung machen dürfen; das war das Schönste, was ich an der Musikhochschule gelernt habe! Da habe ich verstanden, wie Atmung funktioniert, wie man die Luft steuern kann und was sie für Farben hat. Doch dann ist etwas ganz Entscheidendes passiert. Es war im Jahr 2000 – natürlich Gomberg von Franz Hautzinger, der mit der Trompete über das Mikrophon geht und das Innere hörbar macht. Das erste Gomberg-Konzert habe ich in Wien gehört. Das war wieder so ein Erlebnis wie mit dem Cage-Klavierkonzert: Aha, da ist eine Welt, die ist aber spannend – und die hat mit einem Blasinstrument zu tun. Natürlich hat die Trompete eine ganz andere Dimension. Aber da hat mir der Franz sehr geholfen. Wir haben Miniaturmikrophone ausprobiert und ich habe begonnen, mich mit Tontechnik zu beschäftigen, damit ich dieses Innere, diese Farben der Luft hörbar machen kann. Von da war es nicht mehr weit zum ganz freien Improvisieren, weil auch das Klangmaterial ein anderes war. Ich habe lange Zeit vermieden, klare Flötentöne zu spielen, weil ich das Gefühl hatte, wenn ich nur einen Ton spiele, ist gleich das ganze Mozart-Konzert im Raum. Das habe ich zehn Jahre gemacht, mich primär geräuschhaft bewegt, und jetzt geht’s wieder. Diese Mozart-Belastung konnte ich abwerfen und mich wieder mit dem „normalen“ Klang der Flöte anfreunden.

Du bist also über die Klangforschung zum freien Improvisieren gekommen?

Eindeutig, ich bin über die Klangforschung zum Improvisieren gekommen, weil gerade bei einem Blasinstrument der Atem die Musik strukturiert. Es sind bestimmte Bögen, die man spielen kann. Man muss sich überlegen, wie man über eine längere Strecke kommt, der Atem ist damit auch formgebend. Der nächste Schritt war dann die Welt der Elektronik als Erweiterung der Flöte. Wobei ich nie selbst die Elektronik bedienen wollte, weil mir das Spielenergie wegnimmt. Ich habe mir Partner gesucht, mit denen ich das hören konnte, was ich gesucht habe. Das war am Anfang Josef Novotny, mit dem ich sehr viel experimentieren und suchen konnte, und dann Klaus Hollinetz, mit dem ich 2003 ein Stück gemacht habe, das dann immer weiter gewachsen ist: Vissage. Und mit dem ich in diesem Jahr beginnen werde, ein neues Stück für Bassflöte und Elektronik zu machen.

Der Atem gibt Struktur vor oder begrenzt. Aber es ist ja nicht nur der Atem, gerade wenn du mit Elektronik spielst. Welche Bedeutungen hat Form und Strukturgebung in deiner Musik, die ja anfangs sehr flächig war?

Als ich angefangen habe mit den Mikrophonen zu arbeiten, haben mich primär die Farben der Luft interessiert. Damit war ich so beschäftigt, das war vielleicht zum Zuhören gar nicht so spannend, aber für mich war die Untersuchung dieser Klanglichkeit wichtig. Danach ging es darum, die dynamischen Ausdrucksmöglichkeiten zu verbessern. Es ist eine schwierige Frage mit der Form. Ich kann einen Zustand spielen, ein Stück ohne Anfang und Ende, das nicht von hier nach dort führt; das hat mich lange Zeit sehr beschäftigt, dass man eben nicht immer vom Fleck weggehen muss, sondern die Lupe auf etwas legt, das gerade ist. Und so konzentriert wie möglich dranbleibt. Da ist mir natürlich nach Gomberg die Dachte Musik von Hautzinger, Stangl, Malfatti und Gunther Schneider sehr entgegengekommen, die fast nichts gespielt haben, mit ungeheurer Konzentration auf das Wenige. Dann steigt man schon wieder mehr in kompositorisches Denken ein und sucht nach Ausdrucksmitteln, die komplexer sind oder nach komplizierteren Strukturen, die der Zuhörer nicht sofort wahrnimmt. Ich muss gestehen, dass mir jetzt auch eine gewisse Form von Virtuosität im Geräuschbereich Spaß macht, etwas, was ich durch die Untersuchungen an der Flöte sehr zu schätzen gelernt habe: Virtuosität im Sinne von Beweglichkeit. Die Flöte ist ein sehr bewegliches Instrument, sowohl bei den Tönen als auch bei den Geräuschen. Man kann sehr rasch wechseln. Formgebung ist eine sehr spannende Sache, weil man natürlich, das kennen alle Improvisator/innen, sehr leicht in Muster verfällt, wenn man auf der Bühne ist. Um das zu vermeiden, muss man sich vieles überlegen – und so entstehen u. a. Konzepte.

Die ja nicht mehr nur Zustandsbeschreibungen sind, sondern sich auch von einem Zustand zum nächsten entwickeln können.

Die Entwicklungen oder auch Wiederholungen beinhalten können. Denn die Wiederholung ist ja schon ein wichtiges Prinzip in der Musik, weil es auch für die Zuhörer wichtig ist, wenn sie etwas nach dem ersten Hören durch Wiederholungen weiter verarbeiten können. Wiederholungen habe ich früher immer vermieden. Das hat sich geändert, gerade auch aufgrund meiner Arbeit mit den Kindern. Die kommen mit kleinen Ideen, dann noch eine und noch eine … und dann merkt man, komponieren ist kein Zusammenhängen von vielen Ideen, sondern eine Form entsteht anders. Und ich kann jetzt auch wieder mit Wiederholungen arbeiten oder mit Kontrasten. Das beeinflusst meine Arbeit schon sehr.

Zu den Kindern. Du machst ja diverse Kinder- und Jugendprojekte, u. a. im Technischen Museum, unterrichtest seit langer Zeit an der Musikschule in Tulln, gibst Sommerkurse beim Jeunesse-Orchester, hast also sehr viel Erfahrung im Instrumentalunterricht, und hast noch dazu eine Komponierwerkstatt gegründet. Und es ist ganz erstaunlich, denn es sind recht junge Kinder, die mit deiner und eurer Unterstützung entdecken und komponieren.

Ja, ich habe zusammen mit dem Fagottisten Christoph Wichert anlässlich des Mozartjahres 2006 an der Musikschule Tulln eine Komponierwerkstatt gegründet. Wir haben lange überlegt, wie wir das machen wollen. Diese gründlichen Überlegungen möchte ich betonen, weil es inzwischen sehr modern ist, mit Kindern zu arbeiten, und weil da auch viele unüberlegte Projekte passieren. Wir haben es strukturiert mit einer Einführung, in der man darüber spricht, was denn alles Komposition ist und wie man sich die Arbeit von Komponisten vorstellen kann. Nach dieser Einführung, zu der jeder kommen kann, gibt es dann die Möglichkeit, dass sich Schüler anmelden. Wir hatten gleich im ersten Jahr zwölf Anmeldungen, im zweiten 19, seither läuft die Komponierwerkstatt, ohne dass wir groß dafür Werbung machen. Am Anfang haben sich viele größere Jugendliche für die Komponierwerkstatt interessiert, kamen mit Fragen, die schon in Richtung Tonsatz und Formenlehre gehen, die haben mittlerweile die Schule verlassen, weil sie studieren. Jetzt sind es viele junge Schüler – die beiden Jüngsten sind sieben –, die ihr Instrument erstaunlich gut in der Hand haben. Das hat Wolfgang Suppan, der auch mitarbeitet, bestätigt, dass er ganz überrascht ist, mit welcher Sicherheit sie mit ihrem Instrument umgehen. Das ist wirklich eine Arbeit, die mir sehr viel Spaß macht. Natürlich auch, weil die Kinder sehr unmittelbar sind. In der gemeinsamen Arbeit ist es nicht so, dass ich viel vorgebe. Es gibt ein paar Methoden, um etwas anzuregen. Dann kommen Vorschläge, die nach ihren Möglichkeiten der Verwendung abgeklopft werden. Ich bestehe darauf, dass die Kinder es selber aufschreiben, denn sie sollen ja nicht nur in der Schule komponieren, sondern, wenn sie zu Hause Einfälle haben, auch die Möglichkeit haben, sie zu notieren. Das heißt nicht, dass sie Notenschlüssel etc. lernen müssen, denn bei Jüngeren helfen wir uns mit Zeichnungen. Voriges Jahr hat eine 10-jährige Cellistin ein Stück gemacht, The Blue Panther, das war graphisch notiert. Sie hat das Stück beim Wettbewerb „Prima la Musica“ vorgespielt und mir nachher erzählt, die Jury hätte mitgelesen: Sie hat gesehen hat, dass die mit dem Finger entlangfahren sind und genau wussten, wo sie gerade war. Anhand dieser Zeichnung ist ein wiederholbares Stück entstanden.

Stilistisch: Welche Vorbedingungen gibt es, was bringen die Kinder mit?

Die Kinder bringen erst einmal mit, was sie aus dem Instrumentalunterricht kennen. Das hängt vom Unterricht ab. Mein Anspruch ist schon, wenn sich das nur in einem Terzen- und Quintenbereich bewegt, zu erweitern, auch Beispiele vorzuspielen, ihnen zu zeigen, wenn’s die Kinder nicht selber finden: Schau mal, man könnte auch so und so und wie gefällt dir das und das. Präparierungen oder andere Spielweisen. Da ist es erstaunlich, wie schnell Kinder die Qualität von Klang, diese Unmittelbarkeit, erkennen. Bei jungen Menschen ist meist eine Offenheit da. Das Schwierige sind manchmal die Eltern, die etwas erstaunt sind, was man da für Lärm erzeugen kann. Das ist dann auch ein Teil der Vermittlungsarbeit, mit den Eltern das zu besprechen, zu zeigen, was das kann oder warum das so klingt. Wenn’s die Kinder dann selbst gespielt und gemacht haben, das ist schon eine spezielle Art der Vermittlung, weil die Eltern das viel eher akzeptieren können. Das war ja auch schon bei Klangnetze so, dass die Kinder im Konzert den Eltern erklärt haben, warum das so ist und so sein muss. Die Kinder haben viel weniger Barrieren, wenn sie einmal etwas hören, das nicht durch Septakkorde etc. strukturiert ist.

Arbeitest du viel mit Assoziationen, mit bildhaften Vergleichen?

Ganz verschieden. Eher ungern. Weil es sehr viel Aktion erzeugt, die nicht unbedingt musikalisch ist. Wobei kleinere Kinder schon immer wieder selbst mit Bildern kommen. Wenn es ein nebeliger Tag ist und es taucht die Fee im Hintergrund auf, ist’s auch okay, solange es klanglich gut umgesetzt werden kann. Aber von meiner Seite versuche ich es eher zu vermeiden und staune immer wieder, wie jung man sein kann. Ich habe eine 10-jährige Flötistin betreut, die hat ganz abstrakt gearbeitet. Da ist ein musikalisches Material gesucht worden, das bearbeitet worden ist. Die Mutter hat dann daraus eine Geschichte gemacht – das kann man dann auch nicht verhindern. Im Grunde haben wir Töne aus ihrem Namen genommen und in Reihenfolge und Rhythmus gebracht. Es war schon so viel zum Arbeiten da, eine Stunde verfliegt wie nichts. Dann sitzt ein Kind da mit roten Wangen und schaut mich zwischendurch an und sagt: „Das ist klass!“ Ich sage dann immer: Ja, für mich auch!“ Es ist ein Abenteuer, ich weiß auch nicht, was in der Stunde passiert. Man muss auch aushalten, dass es Phasen gibt, wo nichts passiert.

Das ist ja auch ein ganz wichtiger Punkt. Man überfordert eben weder Kinder noch Erwachsene mit abstraktem Denken und Arbeiten und zeigt, dass ästhetisches Denken nicht nur vermittelbar, sondern auf diesem Wege auch erfahrbar und findbar ist.

Ich habe ein Problem mit dieser traditionellen Musikpädagogik und auch dieser traditionellen Musikvermittlung, die überall eine Geschichte hineinlegt und Bilder braucht. Ich kann den Fokus auf das Hören legen. Ich kann beim Hören auch Bilder verwenden, es hilft sicher in manchen Situationen, gerade auch in der Probenarbeit. Aber im Erfinden von Musik, im Finden einer Qualität eines Klanges oder einer Form brauche ich das nicht. Das ist in der elektronischen Musik ja auch so. Die Elektronik erzeugt dauernd Bilder; es war im Steirischen Herbst schon vor zehn Jahren das „Bilderverbot“ Thema, trotzdem kommt doch oft die Beschreibung „Ach, die Wassertropfen“. Soll doch, wenn schon, jeder sein eigenes Bild haben dürfen.

Wenn wir von Musikvermittlung sprechen: Ich meine das Erfahren und selber Tun – und das beinhaltet auch ein Scheitern. Das muss man sich trauen. Da habe ich viel von den Klangnetzen gelernt. Das waren viele, viele Diskussionen mit Burkhard Stangl und Hans Schneider. Wir wussten ja auch nicht den goldenen Weg. Ich schreibe auch immer wieder Artikel über Musikvermittlung oder halte Vorträge. Es war ein Symposium in Krems zur Vermittlung, da musste ich mich abgrenzen. Dieses Konzept, ein Teilchen aus einer Komposition nehmen und das dann mit unseren Mitteln nachzubauen, damit wir das, wenn wir ins Konzert gehen, wieder erkennen – das meine ich nicht. Ich meine ein selbständiges kreatives Tun, das dazu anregt, wahrzunehmen, was ist, wenn ich dann in ein Konzert gehe. Ob ich das dann erkenne oder nicht. Das ist viel sinnvoller, wenn wir Zuhörende dazu bringen wollen, dass sie Verständnis entwickeln. Und um es erfahrbar zu machen, muss man es selber machen dürfen und selber spüren, was das kann. Und da kann was Vernünftiges rauskommen oder nicht, es geht um den Prozess.

Etwas ganz anderes ist das Salonorchester, das du vor Jahren gegründet hast und nun kürzlich mit einem wunderbaren H.-C.-Artmann-Abend wieder reaktiviert hast. Wie hängt dies mit deinem Interesse an zeitgenössischer Musik zusammen – oder auch nicht?

Das Salonorchester kommt schon aus meiner Geschichte. Ich habe während des Studiums sehr viel Walzer gespielt, um Geld zu verdienen, und habe auf diese Art und Weise auch die Welt kennen lernen dürfen. In der Zeit habe ich sehr viel Wiener Salonmusik gespielt, die ganze Musik der Strauß-Familie etc. Das Salonorchester an sich ist eine sehr bewegliche Besetzung, die den Anlässen angepasst worden ist. Ich habe Mitte der 90er Jahre eine Grundbesetzung genommen: zwei Geigen, Cello, Kontrabass, Flöte, Klarinette und Klavier, das ist so eine Salonmusikbesetzung, die man in Kaffeehäusern findet. Und dann wollte ich wissen, was heutige Komponisten mit dieser Besetzung und ihrer Geschichte anfangen können. Gewünscht waren kurze Stücke, Miniaturen. Wir wollten wissen, wie Komponisten in Österreich jetzt mit diesem Thema umgehen. Wir hatten nichts zu bieten. Und doch sind 29 Miniaturen in meinem Postkasten gelandet! Tolle Stücke, die konnten wir gar nicht in einem Konzert aufführen. Mitte der Nullerjahre war die Luft heraus, denn ich habe nach wie vor keinen Probenraum für eine große Besetzung mit Klavier. Der H.-C.-Artmann-Abend war eine gute Gelegenheit, das Salonorchester wieder zu aktivieren und die Lieder von Fritz Keil erneut einzustudieren. Durch die lange Zusammenarbeit ist es so, dass wir mit Neuer Musik gerne arbeiten, dass wir endlich aber auch gerne in Richtung Improvisation gehen. Das ist etwas, das anscheinend bei den Musikerinnen, die mich umgeben, derselbe Prozess ist, nämlich dass man mit Kompositionen beginnt und dann doch neugierig wird und über die Interpretation graphischer Partituren zur freieren Arbeit kommt. Das sind jetzt die neuen Ziele mit dem Ensemble, hoffentlich im eigenen Probenraum!

Nachsatz: Cordula Boesze ist in diesem Jahr (2011) übrigens auch „Artist in Residence“ bei Musik aktuell in Niederösterreich. Das von ihr in Zusammenarbeit mit den Veranstaltern vor Ort ausgewählte Programm ist zu finden auf der Homepage http://www.musikfabrik.at/.

Foto 2: Wladimir Fried
Foto 3: Johanna Corazza

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Cordula Bösze