mica-Interview mit Christof Dienz

Die traditionelle Tiroler Stubenmusik in ein neues modernes Gewand gehüllt, genau dies bieten Quadrat:sch auf ihrer im vergangenen November bei col legno erschienenen Doppel-CD „Stubenmusic“ ihren HörerInnen an. Was Christof Dienz und seine MitstreiterInnen Barbara Romen, Gunter Schneider und Alexandra Dienz (auf der zweiten CD erweitert sich das Quartett um Zeena Parkins und Herbert Pirker) abliefern, ist schlicht die hohe Kunst des anspruchsvollen Brückenschlagens. Vom Alten hin zum Modernen, von den traditionellen hin zu den zeitgenössischen Spielarten, vom ländlichen hin zum urbanen. Christof Dienz im Gespräch mit Michael Ternai.

Ich habe einmal gelesen, dass du sehr viel Wert darauf legst, dass deine Musik emotional  berührt, denn dass sie allzu kopflastig zu erklingt. Wie nahe glaubst du, hast du dich mit der neuen CD dem Ideal deiner musikalischen Vision angenähert?
Schwierige Frage. Ich glaube, es ist grundsätzlich so, dass ich nicht nur emotionale Musik schreiben will. Aber sagen wir so, es ist mir schon wichtig, ein gewisses Gleichgewicht zwischen Intellekt und Emotion herzustellen. In der Neuen Musik etwa hat der Intellekt nach meinem Geschmack sicher einen Überhang, eine größere Bedeutung. In dieser geht es für mich persönlich zu sehr theoretisch zu.  Bei Quadrat:sch verfolge ich hingegen einen anderen Weg. Ich versuche, den „Kopf“ etwas in den Hintergrund rücken zu lassen. Ich versuche der Improvisation mehr Freiraum zu eröffnen. Nicht in einem übergroßen Maße, aber doch. Daher sind auf der CD genauso ausgeschriebene und durchkomponierte Stücke zu finden, wie auch solche, die sich hauptsächlich über diesen Freiraum definieren. Man kann aber sagen, dass es beim Schreiben definitiv so ist, dass ich mich mehr gehen lasse und weniger einen theoretischen Unterbau von mir selbst einfordere. Wobei es dann zwangsläufig dann doch so ist, dass ich nach Zusammenhängen suche und über diese eine Form zu finden versuche.

Der zweite Teil der Doppel- CD hat einen wesentlich höheren improvisatorischen Anteil. Hier gehen die Stücke vor allem von Klängen aus, die von Klangobjekten, die von einem Tiroler Künstler gebaut worden sind, erzeugt werden. Der Sound etwa ganz am Anfang entstammt von einer Holzschüssel, in welcher ein Stein hin und her rollt. Auf diese Weise entsteht ein undefinierbarer, richtig archaischer Obertonsound. Und solcherart Klänge sind es, die den Sound auf der zweiten CD zum großen Teil mitbestimmen. Dazu will ich auch sagen, dass ich diesmal klanglich versucht habe, Tirol auf die Elemente Holz, Stein und Wasser, die zumindest meiner Meinung nach, dieses Land letztendlich definieren, zu reduzieren, was mir einen ideologiebefreiteren Ansatz ermöglichen sollte.

Warst du von der Tiroler Volksmusik eigentlich schon immer angetan? Woher rührt eigentlich deine Faszination zu dem Tiroler oder alpinen  Instrumentarium? Und die Begeisterung dafür, diese in die zeitgenössische Musik zu überführen?
Es ist eigentlich schon etwas komisch, weil ich in meiner Arbeit generell nicht wirklich einen Auftrag sehe, mich großartig mit der Volksmusik auseinanderzusetzen. Auf der anderen Seite aber tue ich es dann doch sehr viel. Bei den Knödeln war es eigentlich ähnlich. Und da hat es mich schon fast gestört, immer in diese „Neue Volksmusik“-Ecke gedrängt zu werden. Wiewohl  wir alle sehr davon profitiert haben. Dadurch, dass ich eines Tages begonnen habe, mich mit der Zither auseinanderzusetzen – und das aufgrund eines Kompositionsauftrages auch eher zufällig – , bin ich immer mehr in diesen Bereich vorgestoßen. Anfangs wollte ich ja mit einem Loop-Generator arbeiten, was aber nicht wirklich funktioniert hat. Ich beschloss also kurzerhand, das Instrument zu lernen. Und das führte dann ein weiteres Mal zu einem Aha-Erlebnis. Ich bin darauf gekommen, dass, wenn ich allem möglichst neutral, vorurteils- und ideologiefrei begegne, ich einen klaren und freien Blick auf die Dinge bekomme und dabei viel Neues für mich und auch für andere entdecken kann.

Quadrat:sch – Glachter by mica

Du sagst, dass du selbst möglichst neutral an die Sache herangehst. Gibt der Titel „Stubenmusic“ aber in gewisser Weise nicht schon eine bestimmte Richtung vor. Man assoziiert mit diesem Wort ja sofort etwas Spezielles. Steckt hinter dem Titel etwas Bedeutsameres?

Bei Quadrat:sch sind vor allem zwei Aspekte bestimmend. Zum einen versuche ich dem Instrumentarium, welches für die traditionelle Stubenmusik verwendet worden ist, sehr wertfrei und offen zu begegnen. Ich suche eine neue Annäherung sowie neue Klangmöglichkeiten. Zum anderen versuche ich aber auch der traditionellen und zum Teil konservativen Stubenmusik im generellen neutral gegenüberzustehen, um aus dieser für mich persönlich so viel wie möglich herauszuholen. Klar, es gibt die „Volkmusikpolizei“, die furchtbar engstirnig ist und von solchen Ansätzen nichts wissen will. Aber es gibt aber natürlich auch jene, die Stubenmusik machen, die wahnsinning berührend ist und ganz viel von dem hat, was Musik meiner Meinung nach ausmacht. Ich versuche eben halt da Grenzen aufzubrechen. Wiewohl man schon sagen muss, dass es einen Konservativismus auf beiden Seiten gibt. Es gibt die Intoleranz auf Seiten der Spießer, und jene auf der der Nicht-Spießer. Die der Spießer den Nicht-Spießern gegenüber und umgekehrt. Und das ist beides sehr problematisch. Und vielleicht ist der Titel „Stubenmusic“ deswegen auch ein wenig provokant, weil er eben viele Interpretationsmöglichkeiten offen lässt.

Wo liegt für dich die größere Herausforderung. Ein Stück Musik wie für Quadrat:sch zu erschaffen, oder einen Kompositionsauftrag zu erfüllen.
Da muss man unterscheiden. Erstens sind zum Beispiel auf der aktuellen CD im ersten Teil nicht alle Stücke von mir. Und zweitens handelt es sich immer um eher kürzere Stücke mit kurzen Bögen. Und das ist grundsätzlich leichter zu machen, als ein fünfzehnminütiges Stück zu komponieren. Auf der zweiten CD ist überhaupt nur ein einziges etwa vierzigminütiges Stücke zu finden. Da ist es dann schon etwas anders. Wobei besonders in diesem der improvisatorische Anteil ein sehr hoher ist. Da habe ich eben nicht jede einzelne Noten hinschreiben, sondern eher das große Ganze im Auge behalten müssen. Und wenn ich dann auf der anderen Seite für ein Orchester, wie etwa für das Tiroler Symphonieorchester, ein Konzert zu komponieren habe, ist es klarerweise ein viel mehr an Arbeit. Da muss man jede Note hinschreiben für einen Apparat mit vielen, vielen Stimmen. Das ist schon mehr Aufwand. Das braucht man schon einen längeren Atem. Ein Quadrat:sch Stück komponiere ich mitunter an einem Nachmittag.

Du hast gerade die zweite CD angesprochen. Geht man an so ein Stück mit einer ganz bestimmten Vorstellung heran, in welche Richtung etwa der Sound gehen soll, oder lässt man sich überraschen?
Nein, ich gehe schon mit einem Grundsoundgedanken an die Sache heran. Schon die Klangkörper, die Verwendung finden, sowie die instrumentale Besetzung geben in gewisser Weise eine bestimmte Richtung vor. Eine Stubenmusik-Besetzung hat ein gewisses Klangbild, welches man auf verschiedene Art und Wese auszureizen versucht. Allerdings ist es umso schöner, wenn man dann doch überrascht wird. Das ist dann eigentlich das Tolle und Spannende. Besonders attraktiv für mich als Komponist ist die Möglichkeit, sich Freiräume schaffen zu können.

Du hast ja in deiner Karriere ja auch schon sehr viel mit der Elektronik herumexperimentiert. Überraschend ist, dass auf der neuen CD der Anteil  elektronischer Klänge praktisch null ist.
Stimmt. Alles ist rein akustisch. Es gibt keine Effektgeräte, keinen Looper oder ähnliches. Alle Klänge sind handgemacht. Bei mir geht es immer so in Wellen. Mal hat man Lust mehr zu produzieren,  Klänge am Computer neu zu definieren und dann hat man wieder wahnsinnig Lust darauf einfach zu einem Instrument hinzugreifen. Bei meinem Zither-Solo-Projekt etwa habe ich inzwischen schon einen recht großen technischen Aufwand, sodass es dann schon einmal richtig befreiend ist, alleine nur das Instrument vor sich liegen zu haben. Und ein weiterer Aspekt, warum ich diesmal ganz auf die Elektronik verzichtet habe, ist die große Qualität der Stubenmusik, sie „menschelt“.

Wie bist du eigentlich selbst musikalisch sozialisiert worden. Welchen Anteil hat die Stubenmusik in deiner Jugend eingenommen und wie hast du sie für dich wiederentdeckt?
Mein Vater hat viele Jahre in einer traditionellen Volksmusikgruppe gespielt. Und immer wenn er mit seinen Kollegen für die Proben zu uns nach Hause gekommen ist, war das für mich ein jedes Mal ein Festtag, weil ich die ganze Zeit dabei gesessen bin und gelauscht habe. Das hat mir einfach irrsinnig viel gegeben. Ich selber habe aber dann eine ganz andere Richtung eingeschlagen. Ich bin ja ein klassisch ausgebildeter Musiker. Ich habe an der Hochschule, die mittlerweile die Universität ist, Fagott studiert und spielte drei Jahre im Bühnenorchester der Wiener Staatsoper. Man kann also schon sagen, dass ich bis jetzt die meiste Zeit meines Lebens klassische Musik betrieben habe. Durch meine Tätigkeit bei den Knödeln hat sich aber vieles zu verselbstständigen begonnen. Ich war unter anderem noch mit dem Fagott viel in der Schweizer Improszene unterwegs. Aber erst durch die Zither hat sich bei mir unglaublich viel in Bezug auf die Möglichkeiten Musik zu machen aufgetan. Ich habe ja immer schon eine Sehnsucht gehabt, aus diesem klassischen Betrieb hinauszukommen, weil dieser mir immer schon etwas zu eng war. Und ja, mit der Zither hat sich für mich eine neue Welt eröffnet. Heute spiele ich ja nur noch selten Fagott und bin dadurch inzwischen eigentlich ganz raus aus dem klassischen Kontext.

Wo verortest du dich als Musiker selbst.
Eigentlich im improvisierten Jazzbereich. Dort fühle ich mich am wohlsten. Frei zu improvisieren ist für mich der größtmögliche Spaß.

Du bist ja jemand, der seine Fühler auch anderswohin ausstreckt. Was motiviert dich, deinen Platz vor allem zwischen den Stühlen zu suchen?
Das hat viel mit meiner Geschichte zu tun. Als junger Mensch war ich ja eher in der Punkszene daheim, weil ich gerade dort gehofft habe, mein Ideal der totalen Toleranz zu finden. Gestoßen bin ich aber auf das Gegenteil, auf die totale Intoleranz. Die Punkszene war meiner Meinung nach ungefähr gleich faschistoid wie die Skinhead-Szene, nur eben auf der anderen Seite. Ich habe ja in den ersten Jahren des alten Flex in Wien auch mitgearbeitet und bin dort auf eine irrsinnige Enge gestoßen. Ich habe gemeinsam mit einer Kollegin selber verschiedenste genreübergreifende Sachen veranstaltet, immer aus dem Bedürfnis heraus, Offenheit zu finden. Ich habe hierzu versucht, meine alten Mitschüler zu reaktivieren, um ebenso „Knödel-mäßig“ Musik zu machen. Ich habe dann erkennen müssen, dass meine ganzen alten katholisch geprägten Mitschüler, die viel offeneren Menschen sind, als die harten Punks. Und das war für mich eine ganz wichtige Erkenntnis.

Quadrat:sch – Knochentanz by mica

Wie sieht es in diesem Punkt in der zeitgenössischen Musik aus? Ist dieses Denken auch in dieser Szene verbreitet?

Massiv. Dort herrscht ein massives Elitedenken. Von vielen Leuten der Neuen Musik wird der Pop immer als eine Art „Untermusik“ abgeschaselt. Das sind alles Sachen, die ich erstens nicht nachvollziehen kann, zweitens nicht verstehe und drittens auch nicht akzeptiere. Ich glaube auch, dass die „Vielleicht-Krise“ der Neuen Musik sehr stark damit zusammenhängt, dass sich viele nicht trauen, über den Tellerrand hinaus zu blicken, sie sich nicht darauf einlassen wollen, einmal mit so viel Energie zu arbeiten, wie es im Pop eben passiert. Für die so genannte Avantgarde muss es doch inspirierend sein, neue Advanced Popmusik zu hören. In Wirklichkeit sind die beiden Lager ja gar nicht so weit auseinander. Etwa im Klangsuchen. Das ist doch das, um was es in der Neuen Musik geht Und das ist im Pop doch gar nicht anders. ABBA ist doch auch wegen ihrem Sound so berühmt geworden. Das muss man als Neutöner doch einmal wahrnehmen. Man sollte anerkennen, dass diese Band musikgeschichtlich mindestens ebenso viel geleistet hat, wie Stockhausen und seine Haberer.

Aber ist es nicht doch die jüngere Generation, die hier vielleicht einen Wechsel vollzieht.
Ja, eh. Ganz extrem ist das Brandt Brauer Frick Ensemble aus Berlin. Die machen so Techno mit akustischen Instrumenten, und das so richtig gut. Es gibt mittlerweile schon eine Vielzahl von Ensembles und Komponisten, Bernhard Lang etwa oder Johannes Maria Staub, die mit dem festgefahrenen Denken dann doch brechen. Es weicht sich eh auf.

Hättest du eigentlich ein Problem damit, wenn jemand Quadrat:sch oder der neuen CD das Etikett „moderne österreichische Volkmusik“ umhängen würde.
Naja, das ist immer die Diskrepanz, mit der ich eigentlich seit den Knödeln zu kämpfen habe. Dass meine Musik aus der Volkmusik kommend quasi gleich etwas Österreichisches, Regionales hat und man deswegen in so ein komische Eck gedrängt wird, wo es dann gleich problematisch wird. Wo auf einmal mit Begriffen wie „Heimat“ und Patriotismus“ jongliert wird. Das sind alles Sachen, die mich überhaupt nicht interessieren. Ich bin ja auch nicht stolz darauf Österreicher zu sein. Ich lege auch keinen Wert darauf, dass jeder weiß, dass ich aus Tirol komme. Das ist mir alles total egal und ist mir im besten Fall unsympathisch. Aber dennoch hat die Musik dann doch viele Aspekte, die ich anziehend finde. Den Klang oder diese bestimme Art zu spielen, das finde ich persönlich sehr spannend. Und es macht dich selbst eben auch speziell. Wenn ich jetzt auf ein Jazzklavier-Trio mache, bin ich halt nur einer aus Tausenden. Aber nein, ich habe kein Interesse daran, dass jemand herkommt und sagt, ich würde „Neue Volksmusik“ machen. Volkmusik muss nicht neu sein, sondern Volkmusik muss nur frei. Man muss sie nicht neu erfinden.

Danke für das Interview.

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