Christian Scheib ist derzeit randvoll beschäftigt, er gestaltet nach wie vor eigene Sendungen im Zeit-Ton, oder erst am Freitag eine Ausgabe der Spielräume-Nachtausgabe über den britischen Musiker, Musikinnovator, -produzenten. -theoretiker und bildenden Künstler Brian Eno. So musste unser schon lange geplantes Gespräch für die mica-Website im letzten Moment noch einmal um einen Tag (same place, same time, same station) verschoben werden. Auf ihn wartend blätterte ich im Büro in einer beeindruckenden Partitur von Edgard Varèse (“Arcana”), die offenbar für Bertrand de Billy bereitlag, der das Rundfunkorchester im Sommer in Salzburg auch bei den gigantisch groß besetzten “Ameriques” des genannten Komponisten dirigieren wird. Das RSO Wien bildet damit einen wesentlichen Bestandteil eines für heuer bei den Festspielen von Markus Hinterhäuser geplanten Musikschwerpunktes, der auch eine wichtige Oper Luigi Nonos beinhaltet (Al gran sole carico d’amore, mit den Wiener Philharmonikern unter Ingo Metzmacher).
HR: Lieber Christian, erzählst du vielleicht gleich zu Beginn des Gesprächs ein bisschen was zu deiner Person, woher du stammst und wie du zur Musik kamst?
Du bist aus .
Christian Scheib: . Eferding, wo Johann Nepomuk David herkommt ..
. du hast Musik studiert, Flöte .
. die verschiedensten Musikstudien eigentlich, Musikwissenschaft, Konzertfach Blocklöte, genau, und auch Musikpädagogik. In Wien und auch in Berlin bei Helga de la Motte und hab’ dann abgeschlossen mit “Raum als musikalisch-ästhetische Kategorie”.
Du warst dann mehr oder weniger selbständig am Anfang, hast, glaube ich auch einmal in Prinzendorf bei Hermann Nitsch gespielt .
. die “Volksmusik” beim Nitsch, ja, aber nicht einmal, sondern jahrelang immer wieder. Auch bei Rene Clemencic habe ich als Folge des Studiums ab und zu im Ensemble mitgespielt und – aber, die freiberufliche Tätigkeit als vor allem an der Neuen Musik interessierter Journalist und beim Rundfunk ging dann im Lauf der achtziger Jahre los. Eh gleich bei Ö1 und parallel dazu beim “falter”. Und bei Ö1 bin ich dann einfach so ganz klassisch hineingewachsen.
Ich erinnere mich, du hast oft jede Gelegenheit beim Schopf ergriffen, oft auch englischsprachige Berühmtheiten bei einer Tournee interviewt .
(lacht). Genau. Mein allererster selbständiger Sendungsbeitrag war bei “Diagonal” damals über die “Pat Brothers” von Wolfgang Mitterer. [Anm.: mit Wolfgang Reisinger, Wolfgang Puschnig, Linda Sharrock, 1986; Autor der ,Stilbeschreibung’ Mitterers in der mica-KomponistInnen-Datenbank ist übrigens Christian Scheib]. 1992 wurde ich dann der “Producer” der auch von mir erfundenen Sendereihe mit dem Titel Zeit-Ton. 1995 kam zu diesem Rückgrat meiner Tätigkeit dazu, dass ich 1995 das “Musikprotokoll” übernommen habe – Solf Schäfer war mein Vorgänger [Anm.: aus Bremen kommend von 1991 bis 1994 Leiter der Musikabteilung des ORF in Graz, dann Direktor des Internationalen Musikinstituts Darmstadt].
Der neue Darmstadt -Leiter wird übrigens auch wieder Schäfer heißen. [Anm.: Thomas Schäfer, seit Beginn dieses Jahres Direktor in Darmstadt, war von 2000 bis Ende 2007 Dramaturg für die Musik der Gegenwart am Wiener Konzerthaus und betreute in dieser Funktion die Festivals “Wien Modern” und “Hörgänge” sowie die experimentelle Konzertreihe “generator”. Von 2003 bis 2006 hat er zudem die Salzburger Festspiele im Bereich der zeitgenössischen Musik beraten. Arbeitet derzeit – in Kooperation mit der Musik-Akademie Basel und der Paul Sacher Stiftung Basel – an einem Forschungsprojekt zur Musik von Roman Haubenstock-Ramati, plante eine neue Konzertreihe mit experimenteller Musik in Wien und ist der Münchner Biennale für neues Musiktheater als Berater verbunden].
Als Frau Dr. Tenner neue Musikchefin bei Ö1 wurde, wurde ich ihr Stellvertreter. Ja, und seit 2008 eben Musikchef, 2009 kam dann auch die Übernahme des RSO dazu.
Da bist seit der mica-Gründung in der Zeit, als du von Rudolf Scholten ernannter Musikkurator des Kunstministers gemeinsam mit Lothar Knessl warst, eine führende Person im Musikinformationszentrum gewesen.
Genau. Und durch die immer mehr sich ausweitende Tätigkeit im ORF musste ich die (ehrenamtliche) Präsidentschaft im mica eines Tages aufgeben. Man muss eine Aktivität manchmal auch beenden, damit etwas Neues weitergeht.
Kurz noch zum Musikprotokoll in Graz. Machst du das gerne wieder weiter?
Ja, aber es hat sich auch dort ein bisschen etwas geändert, weil gewisse Einzelprojekte beim Musikprotokoll macht im Moment allein Susanna Niedermayr. Es gibt bestimmte Programminseln, die ich delegiere, wo ich das Gefühl habe, dass sie sich da besser auskennt. So puzzlemäßig stellen wird das dann zu einem Musikprotokoll zusammen.
Kommen wir zum RSO Wien (über dessen Programm-Pressekonferenz für die nächste Saison wir bereits gesondert berichteten). Im Geleitwort von dir in der Presseinformation steht als “aktuelle Meldung” gleich am Beginn, das es “äußerst erfreulich” sei, dass auch das österreichische zeitgenössische Musikschaffen mit internationalen Ehrungen bedacht wird. Zwei von Ö1 bei der Tribune Internationale des Compositeurs in Paris eingereichte Kompositionen haben das Prädikat “Recommended Work” von der Jury verliehen bekommen. Eine Komposition von Eva Reiter ebenso wie Thomas Larchers Violinkonzert. Schöne Grüße an dich von Heikki Valsta vom Rostrum of Composers und Programmdirektor des Yleisradio in Finnland, der bei uns im mica zu Gast war . (siehe: Verwandte Artikel).
Das Larcher-Konzert, bereits vom RSO und der Solistin Isabelle Faust aufgeführte ORF-Auftragskomposition: Bertrand de Billy wandte sich bei diesem Konzert im Musikverein übrigens an das Publikum und warnte davor, “ausgegliedert” zu werden. Er erhielt Ovationen vom Publikum, auch besonders zusammen mit dem Orchester, das er aufstehen ließ. Du schreibst weiter: “Ganz in diesem Sinne wollen wir weiterhin Meilensteine im und für das österreichische Musikschaffen setzen, nicht nur in Österreich – hier sowohl im Konzertleben als auch medial und vor allem in Ö1- sondern eben auch auf internationalen Bühnen.” Wie schaut es denn im Moment wirklich aus? Bis 2010 ist de Billy noch Chefdirigent. Zur “Rettung des ORF” haben sich vor kurzem drei Initiativen vereinigt, mit Persönlichkeiten von attac bis zu Gerd Bacher, unter diesen auch eine eigene Initiative für das RSO (prominente Unterzeichner siehe Anhang 1).
Die privaten “Sponsoren”, die würden ja nichts übernehmen, die würden sich im Sinne des klassischen Marketing- und Sponsorenkonzeptes vielleicht einbinden lassen. Und: Abgesehen davon, dass man ein bisschen privates Geld sicher lukrieren kann, aber das ist kein substanzielles in Zeiten wie diesen. Natürlich wird dann immer auf die Politik verwiesen. Es müsste eben im Idealfall ein Zusammenspiel sein derer, die sozusagen machtpolitisch dafür zuständig sind – etwa das Medienstaatssekretariat, die sind ja Teil dieser Verantwortung. Auf einer nicht nur machthierarchisch, sondern auch kulturpolitisch gedachten Ebene ist es dann eben auch das Ministerium, das sich um Kunst in diesem Land kümmert, das sich irgendwann auch einmal zu Wort melden muss, eine Stellungnahme abgeben muss. Das sind die Kraftfaktoren.
Es gibt auch “Revolutionen”, die sich von der Straße aus entwickeln. Und es ist sicherlich heute vielleicht nicht mehr so einfach als in der Zeit, als es 1966/67 das legendäre Rundfunk-Volksbegehren gab, durch das der ORF unabhängiger und gleichzeitig stärker wurde. Aber es gibt die gemeinsamen Forderungen von Zeitungen, Wissenschaftlern bis hinüber zu Linken, Europäern oder “attac”-Globalisierungskritikern und natürlich des Solidaritätskomitees für das RSO, möglicherweise auch des Betriebsrates des Orchesters, der Gewerkschaften. Man hat sich auf drei prägnante Forderungen geeinigt: Ersetzung und Rückerstattung von Gebührenbefreiungen an den ORF, keinerlei politischen Parteieneinfluss mehr auf den ORF und: das RSO muss Bestandteil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bleiben, in einem parteiunabhängigen ORF auch weiter erhalten bleiben und ausreichend finanziert sein. Und als Musikliebhaber fügt man dem hinzu: Das RSO ist trotz alle der von dir beschriebenen Personal- und Budgetschwierigkeiten nicht nur auf dem Gebiet der Neuen Musik, dort natürlich besonders unverzichtbar, sondern auch als Opernorchester etwa im Theater an der Wien spielt es manchmal besser etwa Mozart als die Wiener Symphoniker. Das RSO Wien gehört zu einer Liga mit den besten Orchestern deutscher Rundfunkanstalten – etwa des SWR-Orchesters Baden-Baden und Freiburg oder des SWR Stuttgart, des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks in München. In dieser Liga spielt das RSO. Und was am ORF oft irritiert: Viel zu wenig Eigenwerbung für das Orchester des ORF, zu wenig Übertragungen etwa auch im Fernsehen von Aufführungen und Konzerten seines Orchesters!
Dem ist nicht hinzufügen, ich stimme mit dir überein. Das war jetzt halt keine “Frage” (lacht). Aber ich teile deinen Standpunkt weitgehend. Passt.
Du bist ja als verantwortlicher Manager auch befangener. Noch ein paar Anmerkungen von dir zum Saisonprogramm 2009/10?
Gerne, denn nur über politische Strukturen zu lesen, wird ja dann irgendeinmal “fad”, es geht ja eigentlich um die Musik. An diesem Jahresprogramm zu arbeiten war ja eigentlich schon Teil meines Jobs, als ich interimistischer RSO-Leiter war, als Frau Mag. Christiane Goller in Karenz ging. In Absprache mit unseren Partnern wollte ich im Einklang mit unserer Mission und unserem Selbstverständnis wieder viele Ur- und Erstaufführungen ansetzen [siehe Liste im RSO-Artikel]. Sogar mehr als in den letzten Jahren. Überschlagsmäßig ist das Programm zu 70 % 20. Jahrhundert im klassischen Sinn, 15 % Ur-(Erstaufführungen, auf der anderen geschichtlichen Seite ungefähr 15 Prozent aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Ich sage das auch deshalb, weil ich glaube, dass das einem Symphonieorchester mit unserem Auftrag den wir haben gut ansteht. Es wäre verkürzt, unsere Rolle auf ein Uraufführungsorchesters allein zu beschränken. Unser “Basislager” ist das 20. Jahrhundert, von dort aus gibt es Expeditionen in Gegenwart und Zukunft, aber wir betreuen auch unsere Wurzeln in der Vergangenheit. Es muss einfach nur die Richtung stimmen.
Das RSO spielt etwa auch Kurt Weill, es sollte auch mehr von Hanns Eisler, einem Wiener Komponisten und Schönbergschüler spielen .. Natürlich spielt es auch Beethoven, Haydn, Mahler, auch in der Oper Puccinis “Il tabarro” oder Britten.
Genau. Und wenn es irgendwie geht, sollten Programme nicht nur eine Sammlung sein, sondern immer auch einen dramaturgischen Gedanken beinhalten. Bei den Salzburger Festspielen gibt es im Varèse-Schwerpunkt in einem Konzert mit uns “Amériques”. Man weiß, das Richard Strauss ein Bewunderer und auch Förderer des jungen Varèse war [Anm.: Strauss förderte Varèse, indem er 1910 der Orchesterkomposition “Bourgogne” des französischen Komponisten, später einer der wichtigsten US-amerikanischen Komponisten (geb. 1883, + 1965), zur ersten öffentlichen Aufführung verhalf]. Varése, Busoni-Schüler in Berlin, bewunderte seinerseits durchaus die Symphonischen Dichtungen von Strauss, was liegt näher als eine solche anzusetzen, in diesem Fall den “Zarathustra”. Strauss beauftragte seinerseits Schönberg mit den Fünf Orchesterstücken op. 16, an denen der irrsinnig lang gearbeitet hat. In Salzburg war auch Hinterhäuser für die Auswahl maßgeblich, auch bei den Programmen in Musikverein und Konzerthaus eben die Partnerhäuser, man kann ja nicht im luftleeren Raum programmieren.
.. und es gab auch viele kleinere Projekte wie die “Klangnetze” in den Schulen oder auch die Komponistenseminare, die wir machten.
Reden wir am Schluss noch über Ö1. Abgesehen vom “Zeit-Ton” (gerade gestern hast du wieder einen selbst moderiert mit neuer Musik von Wolfgang Rihm), ist es so, dass man auf Ö1 wieder mehr Sendungen mit Jazz & improvisierter Musik, elektronischer und digitaler Musik, “World-Music” hören kann. Kannst du kurz umreißen, wohin das nach deiner Ansicht gehen sollte?
Naja, im internationalen Vergleich mit anderen Sendern – wenn ich die höre, auch auf Internet und so oder mit Kollegen von dort spreche, merke ich, dass wir immer noch ein extrem anspruchsvolles und die Zuhörer herausforderndes Programm spielen. Sowohl in der Literatur, wie auch in der Musik wie auch im Feature. Wir bemühen uns, diesen Level an Herausforderung und Intensität zu bewahren und sind wirklich stolz drauf, dass wir eine Anzahl von Hörern haben, von denen andere Kultursender immer nur träumen.
Meine liebe Freundin Andrea Zschunke hat mir schon vor Jahren erzählt, bei Radio Bremen, wo sie seit zehn Jahren Musikchefin ist, wurden irrsinnig viele Leute gekündigt. Und sie darf nicht einmal mehr eine ganze Mahler-Symphonie spielen, weil das “zu lang” ist und nichts ins Format einer Sendung passe.
Das ist ja genau dieses Selbstverständnis von Ö1, dass es Sendeplätze geben muss wie eine Matinee oder ein 19.30-Uhr-Konzert, wo natürlich ein Stück als Ganzes und auch das Konzert als Ganzes zu hören ist, das ist die Basis. Ich bin der Ansicht, natürlich verändert sich im Lauf der Jahre und Jahrzehnte die Gesellschaft, es gibt mittlerweile viele Generationen, möglicherweise alle Generationen, die Ö1 hören und die schlicht und einfach nicht in der Hegemonie der Klassik aufgewachsen sind, für die Miles Davis genauso selbstverständlich gewesen ist wie das was man Weltmusik nennt, oder alles das, was man als Pop oder “Ambient” bezeichnet. Natürlich versuchen wir ein Programm zu entwickeln, das an diesem Puls bleibt und sich nicht auf Positionen von früher zurückzieht. Da gibt es das Pasticcio, bei dem morgens oft viele verschiedene Stile und Richtungen aufblitzen, auch wenn es im Grunde genommen eine Sendung des “klassischen Repertoire” ist. Oder morgen mach’ ich mit meinem Kollegen Peter Waldenberger von 22 bis 2 Uhr früh eine Sendung über die Kunstfigur Brian Eno, bei der auch Gäste zu Wort kommen. Eno ist innerhalb der Popwelt ein schillernder, exzentrischer und sehr intellektueller Mensch. Das ist aber genau das, worum sich Ö1 kümmern muss, denn dafür gibt’s keine Sendeplätze.
Und die Welt der sechziger Jahre, die es damals für Ö3 gab, gibt’s so heute nicht mehr.
Genau. Das ist die Polarität. Wir spielen das Luxuriöseste, das es an Orchestermusik gibt, live aus dem Musikverein mit den Philharmonikern oder wem auch immer und haben gleichzeitig ein Bewusstsein darüber, dass etwa so eine Popfigur wie Brian Eno genauso zentral ist. Genau in so einer Spannbreite muss das Programm sein – und daran arbeite ich halt.
Abschlussfrage, denn wie es mit dem RSO mit welchem Szenario weitergeht, wissen wir alle noch nicht: Hast du im Gesamtzusammenhang ORF inklusive Ö3, FM4, TV und so weiter bei Ö1 (inklusive der auch sehr guten Informationsabteilung mit den Nachrichten und Journalen) ein besseres Gefühl? Dass alle anderen anerkennen was für ein tolles Programm es eigentlich ist?
Das ist – in aller Problemlage die diese Welt und Zeit uns bietet – die grandioseste, einfachste und positivste Antwort, die’s gibt: Weder innerhalb von Ö1 gibt es Schwierigkeiten untereinander, noch gibt es auch nur den geringsten Ansatz einer ernsthaften Infragestellung oder auch nur Kritik. Ö1 ist in seiner Gesamtheit ein so grandioses Produkt, das glücklicherweise auch geschätzt wird.
Letzte Frage: Was kann Ö1 für junge, aufstrebende Künstlerinnen und Künstler (Musiker, Interpreten, Verleger) tun, die noch in der zweiten Reihe stehen, damit sie bekannter werden? Andrea Rauter vom Londoner Kulturforum schrieb uns, das mica solle versuchen zu helfen, gemeinsam mit Gerald Resch einen Saal in Wien zu bekommen, damit junge in London lebende MusikerInnen aus Österreich mit solchen aus Großbritannien gemeinsam gastieren können?
Unser aller Ressourcen sind bekanntlich begrenzt. Vielleicht sollte man das was man ohnedies tut besser verknüpfen. Und nicht ständig immer neue Projekte erfinden. Wir versuchen zum Beispiel im “Zeit-Ton” einstündige Portraits von Komponistinnen und Komponisten zu machen, die auch noch nicht so avanciert sind. Wir könnten vielleicht immer wenn es so eine Sendung gibt das noch enger mit der mica-Homepage verknüpfen. Ihr könntet Kurzfassungen veröffentlichen. Aber selbst das ist jetzt keine neue Idee, wir haben das immer wieder schon praktiziert; man könnte es wieder aktiver werden lassen.
Wir machen laufend zumindest die “Zeit-Ton”-Ankündigungen als Radio-Tip. Lieber Christian, danke für das Gespräch.
ANHANG 1:
Lothar Knessl: Musikalische Wechselbäder
[Aus 95/96 HEFT 1 LEITLINIEN (erschienen Wien, Oktober 1993) Hg: BÜRO 95/96 – ARGE Millennium (Redaktion: Werner Korn, Wolfgang Reiter, Heinz Rögl, Kurt Stocker)]Aus dem Inhalt:
Büro 95/96:
50 Jahre 2. Republik – 1000 Jahre Ostarrîchi
Leitlinien eines Projekts
Außer Gewöhnlichem
Genese eines Projekts – Zusammenfassung eines längeren Gedankenspiels
von Andrea Zschunke und Hanna Krause
Gesprächsrunde (vom BÜRO 95/96 eingeladen): Barbara Coudenhove-Kalergi, Maria Fekter, Bernd Marin, Wolfgang Petritsch, Sonja Puntscher-Riekmann, Christian Reder, Georg Schöllhammer, Willi Sieber, Ernst Strouhal, Armin Thurnher und Manfred Wagner.
Fragestellungen: Nachdenken über Stärken und Schwächen, Identität, Demokratie, Vielfalt, Moderne, Mobilität-Innovation-Weltoffenheit, Querdenken, Ein Fest?
Im Gespräch:
Erhard Busek
Rudolf Scholten
(Interview: Andy Kaltenbrunner,
auch: Heinz Rögl (Busek), Werner Korn (Scholten))
Thesen über Oesterreich
Barbara Coudenhove-Kalergi
Anton Pelinka
Armin Thurnher
Umfrage
1. Was gefällt?
Welche positiven Unternehmungen prägten verschiedene gesellschaftliche Bereiche der Zweiten Republik
2. Was stört?
Welche Maßnahmen sind nötig, um Strukturen auf diesen Gebieten konstruktiv zu verändern und neue Entwicklungen zu ermöglichen?
3. Was fehlt?
Welche wichtigen Projekte wurden nicht realisiert?
Standpunkte
auf diese 3 Fragen zu
LITERATUR (Robert Menasse)
MEDIENSITUATION (Günter Traxler)
MODERNE (Manfred Wagner)
MUSIK (Lothar Knessl)
ÖKOLOGIE (Kurt Bayer)
THEATER (Hubsi Kramar)
TOURISMUS (Kurt Luger)
Musikalische
Wechselbäder
Trotz heimischer Provinzialität gelang österreichischen Komponisten und Ensembles Neuer Musik die Vernetzung mit internationalen Entwicklungen der Musik des 20.Jahrhunderts.
von Lothar Knessl
Im gewendeten Kleid gelang es eingesessenen Kräfte nach 1945, zuvor Praktiziertes weiterzuführen. Wie leicht läßt sich doch Musik, ohne sie zu verändern, von politischen Ideologien säubern! Nichts wiederzuerwecken und daran anzuknüpfen, was sich zwischen 1910 und 1930 als weltweit ausstrahlende, tragfähige Entwicklung erwiesen hatte, war emsiges Bemühen jener Kräfte Man ließ sie gewähren, allzu lange. Ein erstes, gravierendes Versäumnis, nachfolgende auslösend, hauptsächlich im so sensiblen didaktischen Feld, wodurch die Wege zur Neuen Musik weitgehend verstellt blieben und vielfach immer noch sind.
Es gab auch andere: Karl Schiske zum Beispiel. Er öffnete jungen Komponisten Augen und Ohren, vermittelte ihnen die Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik und damit eine Fülle innovativer Ideen. Einzelne fanden allein dorthin: Friedrich Cerha, Roman Haubenstock-Ramati, György Ligeti. Was sie als individuelle Ernte heimbrachten, wirkte sich fruchtbar aus: etwa die äußerst wichtige Gründung des Ensembles “die reihe”, oder das “musikprotokoll” in Graz. All das brachte die Vernetzung Österreichs mit den internationalen Entwicklungen der Musik des 20. Jahrhunderts.
Ligetis Ernte heimzubringen, scheiterte kläglich. Es war – wie heute ersichtlich – ein geradezu katastrophales Versäumnis, ihn an die Musikhochschule nach Hamburg ziehen zu lassen, statt ihn an Wien zu binden. Der fatale Hang zum bequemen Mittelmaß ist hierzulande kaum ausrottbar.
Dennoch pflanzte sich der horizonterweiternde Impuls des Neuen merklich fort. Herausgegriffene Beispiele:
– Die “reihe”-Konzerte, vielleicht im Keim vorbereitet durch Egon Seefehlners Arbeit im Wiener Konzerthaus und durch jene von Karl Halusa und Herbert Häfner im Rundfunk;
– An der Entwicklungsspitze stehende Kompositionen , etwa Cerhas überragender “Spiegel”-Zyklus;
– Die Lehrtätigkeit Haubenstock-Ramatis und Cerhas, deren Schüler – wie Beat Furrer und Karlheinz Essl – Gegenbeispiele gefälliger Rückbezüge liefern;
– Neuerdings der Anlauf, ein österreichisches Ensemble (“Klangforum Wien”) zu institutionalisieren, das sich hauptberuflich und auf möglichst hohem Interpretenstandard ausschließlich der Neuen Musik des 20. Jahrhunderts widmet, denn nur so kann das entsprechende Schaffen österreichischer Komponisten effektiv ins Ausland getragen werden.
Hiefür, und für jedwede mediale Aufbereitung profilierter österreichischer Gegenwartsmusik fehlt immer noch der strukturelle Unterbau: ein Musik- Informationszentrum – wie die in den meisten europäischen Ländern zum Teil schon längst existierenden – international durch kompatible Datenbanken zusammengeschlossen.
Musikland Österreich? Wo bleibt die überfällige Vermittlung zeitgenössischen Musikschaffens in den Schulen, wo die hiefür erforderliche Grundausbildung der Lehrer, wo dessen sinnvoll gesicherte Verankerung im Unterrichtsplan? Wo bleibt das Musikzentrum, das erst die Voraussetzung böte, im Kreis der europäischen Nationen eingegliedert zu sein? Bleiben wir hinter den sieben Bergen, nur weil im ängstlichen Gewohnheitsbeharren fragwürdige Vorschriften mehr gelten als jene auch von Österreich erbrachten kulturellen Leistungen, die das unumgängliche Fundament kommender Musik bilden?