mica-Interview mit Bernhard Fleischmann

Bernhard Fleischmann ist gelernter Pianist und Schlagzeuger. Der 1975 geborene Wiener spielte anfangs in diversen Indierockbands, in der zweiten Hälfte der Neunziger entdeckte er auch die Elektronik für sich. Fleischmann arbeitet vorwiegend als Solist, aber auch in unterschiedlichen Bandkonstellationen wie dem Duo 505 mit Herbert Weixelbaum oder dem Quintett The Year Of. Das Interview führte Gerhard Stöger. “Mit dem Herumdrehen hat sich ein neues Universum eröffnet”

Popmusik wird zu guten Teilen von musikalischen Autodidakten geprägt. Du bist gelernter Pianist und Schlagzeuger. Wie wichtig ist diese klassische Ausbildung für deine Arbeit?
Teilweise hört man es sicher, dass ich mit klassischer Musik vertraut bin. Ich schreibe die Stücke aber nicht am Papier, sondern entwerfe sie am Instrument selber und verlasse mich dabei eigentlich vollkommen aufs Gehör. Im Unterbewusstsein schlummern aber stets gewisse Abläufe aus der klassischen Musik. Für die Rhythmik gilt Ähnliches: Die Schlagzeug-Ausbildung hilft mir, verschiedene Rhythmen als solche wahrzunehmen, mit denen sich andere Menschen vielleicht schwer tun. Das kann ein ganz normaler verschobener Beat sein, der im Zusammenspiel mit einem zweiten einen geraden Beat ergibt, das kann aber auch ein Rauschen oder ein anderes Geräusch sein, das ich als Rhythmus erkenne.

Wann war für dich der Punkt erreicht, dass du nicht mehr nur Erlerntes nachspielen wolltest, sondern auch selbst kreativ tätig wurdest?
Am Klavier relativ bald. Ich habe als Achtjähriger mit dem Unterricht begonnen und bin beim Üben relativ bald von den Noten abgewichen. Es gab Stücke, wo mir einzelne Passagen so gut gefallen haben, dass ich sie zehnmal im Loop gespielt und aus diesem Loop heraus versucht habe, weiter zu spielen. Mit 13, 14 habe ich die ersten Sachen zu Hause am Klavier oder mit einem Synthesizer aufgenommen. Als Schlagzeuger hatte ich mit 14, 15 meine ersten Bands, die im Keller meiner Eltern für Unruhe gesorgt haben. Speziell bei der ersten Band war es so, dass ich beim Intro am Keyboard gesessen bin, dann sind Gitarren und Bass dazugekommen, ich bin zum Schlagzeug gegangen, und dann ist es losgegangen.

In deiner Jugend hast du ausschließlich Gitarrenmusik gemacht, oder?
Ich habe als Schlagzeuger in verschiedensten Bands gespielt; ein Keyboard gab es nur bei der allerersten. Die letzten Bands waren Sore und Speed Is Essential, wo wir die lauten, melodiösen Gitarren sehr forciert haben.

Was hat dich in der zweiten Hälfte der Neunziger nach all den Gitarrenjahren dazu gebracht, ins Elektronikfach zu wechseln?
Im Proberaum von Freunden habe ich eine Roland-MC505-Groovebox entdeckt, die mich sofort fasziniert hat. Vom Kellnern hatte ich ein bisschen Geld auf der Seite, und dann habe ich mir auch so eine Groovebox, ein kleines Mischpult und Kopfhörer gekauft und begonnen, die ersten Stücke zu basteln. Nicht, um damit einmal auf die Bühne zu gehen, sondern einfach wegen der Freude, mit einem anderen, neuen Instrument Musik zu machen. Mit dem Herumdrehen und Ausprobieren hat sich ein neues Universum eröffnet.

Die Neunziger nach Grunge waren popkonjunkturell keine gute Zeit für Gitarrenmusik, während die Elektronik boomte. Ohne Wissen um deinen Background könnte man es auch so interpretieren, dass du genau deshalb irgendwann beschlossen hast: “Weg mit den Gitarren und her mit den Elektronikkisten!”
Natürlich kann man das, aber es war nicht so. Zum einen habe ich nicht damit gerechnet, dass sich das außer mir je irgendwer anhören würde, zum anderen habe ich damals weiterhin in Bands gespielt. Ich habe mich immer schon als einen Musiker gesehen, der mit verschiedenen Mitteln die Musik macht, die ihm gefällt. Wenn mich Musik berührt, ist es mir auch nach wie vor egal, ob sie aus einer Gitarre oder aus einem anderen Instrument herauskommt. Für die Bands war aber wirklich alles ziemlich mühsam damals, daher habe ich die nachfolgende Entwicklung mit meinen Solosachen anfangs kaum glauben können. Dass man also plötzlich eingeladen wird, ein Konzert zu spielen und sich nicht ums Benzingeld streiten muss, sondern sogar eine Gage bekommt – das war schon alles sehr neu.

Dein Debütalbum “Pop Loops For Breakfast” hat 1998 auf Anhieb weit mehr Resonanz hervorgerufen, als all die vorangegangene Gitarrenmusik. Wie erklärst du dir das?
Wirklich erklären kann ich es nicht. Ich habe beim Herumschrauben damals überhaupt nicht an Musik gedacht. Diese absolute Freiheit war ein irrsinnig schönes Gefühl. Zum einen, dass man sich mit keinen Bandmitgliedern über die Stücke streiten muss, zum anderen die Freude an diesem neuen Gerät und den Möglichkeiten, die einem da gegeben werden. Ich habe die Sachen aus dem Bauch heraus gemacht und war selber überrascht, dass die Rezeption so positiv und umfangreich war, weil ich das davor überhaupt nicht kannte. Die Unterschiede waren für mich zwar im Stil vorhanden, aber von den Melodien her war es für mich nicht so weit weg von der Gitarre.

 

 

Deine Hüsker-Dü-beeinflussten Bands standen bei aller Melancholie aber doch für laute, vom Punk hergeleitete Musik, während du elektronisch ungleich ruhigere Töne angeschlagen hast.
Natürlich war es ruhiger, aber ich bin mir sicher, dass Stücke von mir, die auf der Groovebox entworfen wurden, ohne Elektronik auch in einem Bandformat funktionieren.

Kommt bei dir nach wie vor so viel aus dem Bauch?
Eigentlich schon, wobei ich inzwischen stärker darüber nachdenke, worin Gefahren der Wiederholung liegen. Ich habe erst relativ spät den Laptop mit auf die Bühne genommen. Die Möglichkeiten der Groovebox waren zu diesem Zeitpunkt einfach ausgereizt und ich wollte wieder mit dem Klavier dazuspielen oder etwas sampeln, während die ersten drei CDs ausschließlich auf der Groovebox entstanden sind.

Wie sieht dein Kerninstrumentarium heute aus?
Eigentlich steht die Groovebox immer noch im Zentrum. Fünfzig Prozent der letzten Platte sind darauf entstanden, der Rest hat sich aufgeteilt auf Klavier und Gitarre. Irgendwie komme ich immer wieder darauf zurück; obwohl der Computer inzwischen auch sehr wichtig ist, ist sie immer noch das Herzstück.

Du hast mit “Pop Loops For Breakfast” mehr oder weniger ein Genre definiert: Nämlich melancholische, Pop-affine elektronische Musik, die im Wohnzimmer ganz gut aufgehoben ist. Wie beurteilst du das rückblickend?
Ich hatte von elektronischer Musik anfangs nicht den leisesten Tau. Als ich einem Freund meine ersten Stücke vorgespielt hatte, meinte der, dass es ihn an Console erinnern würde – die ich aber überhaupt nicht kannte. Ich habe mir das gekauft, fand’s super und habe in der Folge erst gemerkt, dass es schon ein ganzes Universum an Musik in dieser Richtung gibt. Deshalb würde ich mich nicht als Initiator sehen. Aber es ehrt und schmeichelt einen natürlich zu hören, dass man da etwas mitbegründet hätte.

Welche Stückzahlen verkaufst du im Schnitt von deinen Soloalben?
Bei mir ist das anders als bei Acts, die anfangs irrsinnig viel verkaufen, in der Folge aber gar nichts mehr. In der Sprache der Plattenlabels bin ich eher ein “Long Seller”; im Schnitt liegen die Verkaufszahlen bei sechs- bis siebentausend Stück.

In welcher Größenordnung finden Konzerte statt, gerade international?
Das ist ganz unterschiedlich und kann zwischen fünfzig und – bei einem Festival – auch einmal 1.500 liegen. Im normalen Clubkontext sind es meist zwischen hundert und zweihundert Leute.

Sind das ausschließlich Clubs, oder auch einmal Popbühnen oder gar Kunsträume?
Kunsträume eher selten, obwohl das auch vorkommt. Normalerweise kleinere Clubs der Größenordnung Rhiz oder B72. Wahnsinnig schön war das Konzert beim “Primavera”-Festival in Barcelona. Da habe ich um Mitternacht als erster in einer Disco gespielt, während draußen auf den Bühnen Franz Ferdinand, die Pixies und andere Kaliber aufgetreten sind. Ich habe mit einer leeren Disco gerechnet, bin im Endeffekt aber fast nicht zur Bühne gekommen, weil es so voll war.

Wie lebt es sich als freischaffender Musiker in Wien?
Immer ungewiss, weil man nicht weiß, wie das nächste halbe Jahr aussehen wird. Einmal pro Woche arbeite ich aus Liebhaberei zu Büchern und zum Geschäft auch in einer kleinen Buchhandlung. Ich habe nach der Matura Germanistik studiert, weil man seinen Eltern mit 18 nur schwer glaubhaft machen kann, dass man jetzt als Musiker lebt. Irgendwie geht es sich aber immer aus. Wohl auch deshalb, weil ich relativ viele verschiedene Projekte habe, viel spiele, viel auflege, Filmmusiken mache und so weiter. Wien ist super, um so zu leben.

Warum?
Weil es Orte gibt, wo man sich sehr angenehm über Musik austauschen und sich anhören kann, was die andere machen; dabei aber trotzdem genug Platz bleibt, sein eigenes Ding durchzuziehen ohne das Gefühl zu haben, am Schoß anderer zu sitzen. Gleichzeitig ist Wien klein genug, dass man wahrgenommen wird und nicht in der Masse hunderter Musiker untergeht, die auch so etwas machen.

Als du mit elektronischer Musik begonnen hast, wirkte der große Boom um die Wiener Szene noch nach. Wie schätzt du die Entwicklung seitdem ein?
Ich habe die Szene immer sehr viel zerstreuter wahrgenommen, als sie nach außen hin oft dargestellt wurde. Ende der Neunziger wollten viele auf den Kruder-&-Dorfmeister-Hype aufspringen; daneben gab es aber auch diverse Labels, die schon viel länger elektronische Musik im weitesten Sinne veröffentlicht haben. Ich würde mich selber nicht als Teil einer gewissen Szene definieren. Ich lebe hier, aber es gibt kein “Markenzeichen Wien”. Sonst habe ich das Gefühl, dass sich über die Jahre herauskristallisiert hat, wer wirklich einen langen Atem hat und weitermacht. Erstaunlicherweise sind in den letzten Jahren auch wieder viele spannende neue Labels wie Mosz oder Karate Joe entstanden. Da tut sich wieder mehr, und es fängt auch an, sich zu öffnen.

 

 

Ein “Früher war alles besser” wird man von dir also nicht zu hören bekommen?
Nein. Es hat immer aufregende Musik gegeben, ebenso Musik, die mich nicht angesprochen hat. Die Aufregung rund um den Laptop auf der Bühne ist klarerweise abgeebbt, was aber nichts daran ändert, dass aus Laptops nach wie vor großartige Musik rauskommt – schrottige ebenso. Die Gitarre als Instrument steht schon ewig auf der Bühne, und die wird ungleich weniger hinterfragt. Wahrscheinlich erwartet man vom elektronischen Musiker immer eine radikale Veränderung, weil er doch mit einem innovativen Instrument werkt und deshalb innovativ sein muss. Aber wenn ich etwas verändere, dann mach ich das, weil mir selber fad wird und ich möchte, dass es anders klingt.

Deine Bandkollegen bei The Year Of kennt man vor allem aus Jazz-, Improvisations- oder sogar E-Musik-Zusammenhängen. Wie ist das bei dir selbst: Läuft deine Musik immer unter “Pop”?
Zum größten Teil wahrscheinlich schon, wobei ich merke, dass es oft dazwischen liegt. Für die Improv-E-Ecke ist sie viel zu zugänglich, während für die Poprichtung der Gesang oder die große Performance auf der Bühne fehlt. Im Großen und Ganzen kann man aber natürlich schon von Popmusik sprechen.

Du bist in unterschiedlichen personellen Zusammenhängen tätig und arbeitest auch mit verschiedenen musikalischen Sprachen – nicht zuletzt spielt du seit einiger Zeit auch wieder in einer Gitarrenband. Was zeichnet die jeweils unterschiedlichen Sprachen aus, und worin liegen Vor- und Nachteile der Solo- bzw. Bandarbeit?
Der Vorteil völliger Freiheit bei der Soloarbeit ist gleichzeitig auch eine Gefahr. Im Allgemeinen tendiere ich dazu, Stücke relativ schnell für fertig zu erklären. Darüber bin ich sehr froh, etwa, wenn ich Leute sehe, die jahrelang an einem Stück arbeiten. Ich bin aber auch dankbar, wenn ich rechtzeitig auf gewisse Schwächen hingewiesen werde. Bei The Year Of waren die meisten Stücke von mir auf der Groovebox entworfen, und wir haben sie dann im Proberaum ausgearbeitet. Vielfach ist die Elektronik dabei komplett rausgefallen, wobei es spannend war, wie andere das gleiche Stücke hören, wo sie Akzente setzen, welche Melodie sie in den Vordergrund stellen. In diesem Prozess war es schön zu sehen, wie ein Stück plötzlich eine andere Kontur annimmt. Beim Duo mit dem Herbert haben wir eine Art blindes Verständnis. Da wird eigentlich kaum etwas geredet, weil uns beiden klar ist, wie das zu klingen hat.

Du machst auch Remixe. Nach welchen Kriterien gehst du da vor?
Wenn mich das Ausgangsmaterial nicht berührt, habe ich keinen Wunsch, dem irgendein Leben einzuhauchen. Ich arbeite lieber mit Stücken, die ich im Original mag.

Bei der Band Your Gorgeous Self sitzt du wieder am Indierock-Schlagzeug. Fühlt sich das nicht irgendwie nostalgisch an?
Nur, wenn wir alte Stücke spielen. Sonst fühlt es sich wie bei jedem anderen Konzert an: Ich bin auf der Bühne, spiele Musik, die mir gefällt, und habe meinen Spaß dabei.

Gibt es bei der Vielfalt deines Werkes ein Element, das jedenfalls immer drin steckt?
Ja, Melodien. Die sind wahrscheinlich immer drin, wenn ich mit dabei bin. Für mich persönlich ist der Spaß an der Musik der rote Faden, aber das ist wahrscheinlich nicht hörbar.

Hast du keine Angst, die Hörer mit der Vielfalt deiner Musik zu überfordern?
Nein, das sind einfach die verschiedenen Ausdrucksweisen, die ich schätze und gerne nutze. Wer mich musikalisch kennt, weiß schon damit umzugehen.

Wie sah deine eigene Hörersozialisation aus?
Am Anfang stand wie bei jedem Jugendlichen die Radio-Hitparade, wo es in den Achtzigern halt den klassischen Synthiepop gab. Gewisse Stücke wie “Dancing With Tears In My Eyes” von Ultravox haben mir die Gänsehaut aufgezogen. Später kamen die Gitarren; “Bug” von Dinosaur Jr. war und ist eine Wahnsinnsplatte für mich. Und dann habe ich Stück für Stück andere Sachen aus der Richtung kennen gelernt; “Spiderland” von Slint ist beispielsweise nach wie vor eines meiner Lieblingsalben. Elektronische Sachen sind mir dann eher empfohlen worden, weil ich anfangs überhaupt keine Ahnung hatte. Autechre etwa oder Aphex Twin.

Eine letzte Frage noch: Ein Antriebsgrund, eine Band zu gründen, war für Buben stets, sich für Mädchen interessanter zu machen. Du kennst sowohl die Arbeit mit der Gitarrenband als auch das elektronische Soloschaffen. Gibt es so etwas wie ein unterschiedliches Verhalten oder Aufkommen potenzieller Groupies in den verschiedenen Bereichen?
Ich glaube, das liegt generell mehr an der Bühne an sich als am Instrument. Oft reichen auch Plattenspieler dafür. Es ist ganz egal, ob dort ein Mann oder eine Frau steht: Wenn du in einen Club kommst und dort sind fünfzig Personen, so werden sich diese fünfzig Personen im Laufe des Abends zumindest einmal den oder die DJ ansehen. Die Tatsache, dass da jemand steht und etwas macht, macht diese Person automatisch interessanter als den Menschen am Nebentisch, der vielleicht fünfzehnmal sympathischer ist. Es ist einfach die Tatsache, irgendwo exponiert zu stehen.