Als “einflussreiche und formative Kraft im österreichische Musikleben” wurde Beat Furrer für den Heftschwerpunkt “Musikszene Österreich” in der Septembernummer des Schweizer Musikmagazins dissonanz portraitiert (die Ausgabe kann über mica – music austria bezogen werden). Beim Wien Modern-Opening mit dem Film&Musik-Projekt Free Radicals steht Furrer wieder einmal am Pult des von ihm 1985 gegründeten Klangforum Wien. Wir bringen aus diesem Anlass die Langfassung des von Heinz Rögl bereits im Sommer in Kritzendorf geführten Interviews.
In diesem Gespräch ging es nicht so sehr um die ästhetischen Positionen und das Werk des Komponisten, als vielmehr um Beat Furrers Einsatz für die Verankerung Neuer Musik in der österreichischen Szene und für die nachwachsende Komponistengeneration. Und naturgemäß natürlich viel um das Klangforum. Das bereits gut zwei Jahrzehnte währende Engagement des Komponisten, Dirigenten, Ensemblegründers und Kompositionslehrers zeigt System, ohne per se eines sein zu wollen.
Beat Furrer, geboren 1955 in Schaffhausen, der in Wien bei Roman Haubenstock-Ramati Komposition sowie bei Otmar Suitner Dirigieren studierte, hatte 1985 mit dem “Ensemble Société de l’Art Acoustique”, das zunächst auch von der Schweizer Stiftung Pro Helvetia maßgeblich unterstützt wurde, den Grundstein für eines der heute auch international wichtigsten und renommiertesten Ensembles für aktuelle zeitgenössische Musik gelegt: Das Klangforum Wien, dessen künstlerischer Leiter und Dirigent Furrer bis 1992 war und mit dem er bis heute eng verbunden ist, wurde für die Komponistenszene in Österreich von enormer Bedeutung auch als Experimentierfeld und “Labor”, nicht zuletzt als Auftraggeber. Nach seinem Ausscheiden als künstlerischer Leiter – Nachfolger wurde Peter Oswald, der Sylvain Cambreling als Ersten Gastdirigenten binden konnte – profitierte Furrer immer wieder auch selbst von seinem Ensemble: Das aufwändige und zukunftsweisende, 2005 in Donaueschingen uraufgeführte und dann auch an anderen Festivalorten – Wien, Venedig, Budapest, Paris – mehrfach erfolgreich nachgespielte Musik- und Hörtheater FAMA wäre ohne die finanzielle Beteiligung des Klangforum Wien und seinem jetzigen Intendanten Sven Hartberger in dieser Form möglicherweise nicht zustande gekommen. Die neueste Kooperation mit dem Klangforum gilt dem Projekt “Free Radicals”, zu dem Furrer eine eigene Komposition beisteuerte und bei dem er in zwei Kurzfilmen von Bady Minck auch als “Hauptdarsteller” fungiert.
Als Solistenensemble mit 24 fixen Mitgliedern, in dem die Musikerinnen und Musiker demokratische Mitsprache bei allen künstlerischen Entscheidungen – also auch bei der Auswahl von Komponisten und Werken – ausüben, trägt das Klangforum Wien den Gründergeist Beat Furrers bis heute weiter und konstituiert eine spezifische, professionelle wie auch emphatische Aufführungskultur zeitgenössischer Musik mit großer Bedeutung für die österreichische Szene und mit internationaler Ausstrahlung. Seit 1994 – zu diesem Zeitpunkt erreichte das Ensemble eine große Aufwertung durch erstmals substanziell zu nennende staatliche Förderungen – hat Furrer die Funktion eines Ehrenpräsidenten inne und betont auch, dass er sich seither in keiner Weise mehr in künstlerische oder organisatorische Belange einmische. Sein Verhältnis zum Klangforum, dem eine erkleckliche Anzahl von Mitstreitern der ersten Stunde immer noch angehört, blieb dennoch ein enges. Werke Furrers werden regelmäßig gespielt und er selbst ist auch als Dirigent immer wieder präsent. Dass das Ensemble nach ihm von Persönlichkeiten wie etwa Sylvain Cambreling, Hans Zender oder Peter Eötvös interpretatorisch weiter geprägt wurde, durch die es eine große Bandbreite des Repertoires erreicht hat, begrüßt er ausdrücklich.
Seit 1992 hat Furrer an der Musikuniversität in Graz eine Professur für Komposition inne, seit 2006 ist er auch als Gastprofessor auch an der MDH Frankfurt tätig. Ein “schulenbildender” Lehrer, der stilistische und ästhetische Doktrinen weitergibt und seine Studenten auf handwerkliche Standards einschwört, will Furrer in diesen Funktionen natürlich nicht sein. Viel mehr geht es ihm um die Vermittlung von einer Art lauterem kompositorischen Denken, um die Hilfestellung dabei, dass junge Komponistinnen und Komponisten die ihnen je eigenen Ausdrucksbedürfnisse und -fähigkeiten entdecken können und dabei eigene Wege gehen. Diese Wege – konsequent beschritten – werden, ist Furrer überzeugt, stets und zwangsläufig Wege ins Neue und Offene sein müssen, allerdings niemals durch ein aufgepfropftes Struktur- und Modelldenken gefunden werden können. Das Sprechen über Musik, das sprachliche Artikulieren dessen, was ein Komponist ausdrücken will – das oft auch in einem Kaffeehaugespräch sich entfalten könne – ist für Furrer dabei in dialektischem Sinn ein wichtiges Vehikel.
Schon vor einigen Jahren hat Beat Furrer gemeinsam mit dem Geiger Ernst Kovacic in Graz auf Vereinsbasis den seit 2005 nunmehr biennal abgehaltenen außeruniversitären Kompositions- und Instrumental-Workshop “Impuls” eingerichtet, eine Ensemble-Akademie, in der renommierte Dozenten internationaler Spitzenensembles (neben dem Klangforum Wien auch vom Ensemble Modern, vom Ensemble intercontemporain u. a.) in Instrumentalklassen die Workshopteilnehmer in den Spieltechniken, aber auch den geistigen Voraussetzungen der Interpretation zeitgenössischer Musik unterweisen.
Beat Furrers Engagement für den Nachwuchs und für die Verankerung Neuer Musik in der österreichischen Szene zeigt also durchaus System, ohne per se eines zu sein.
In Wien fehlte der in den achtziger Jahren der Anschluss an die internationalen Entwicklungen. Man konnte aktuelle Musik wichtiger Komponisten kaum in Aufführungen hören. Blenden wir zurück in die Anfänge des Klangforums, was waren die wichtigsten Motive und Ziele zu Beginn?
Beat Furrer: Das waren Komponisten wie Nono, Xenakis, Scelsi, Feldman, Lachenmann, die zu dieser Zeit kaum gespielt wurden. Das war eine Notwendigkeit, da sich das Ensemble die reihe in der Zeit doch ganz anders orientiert hatte, wiewohl Friedrich Cerha mit den Aufführungen der reihe schon sehr viel vorbereitet hatte. Ich hörte unter ihm Konzerte mit Varèse oder Webern. Aber insgesamt war das in Wien eher eine erstickende Atmosphäre. Die hat sich erst mit dem 1988 von Claudio Abbado ins Leben gerufenen Festival Wien Modern allmählich verändert, da wurde etwas längst Fälliges aufgebrochen. Verglichen mit damals hat sich die heutige Situation wirklich total zum Positiven verändert, durchaus auch im Vergleich mit anderen europäischen Städten. Für das Klangforum selbst war anfänglich auch das große Engagement von Roman Haubenstock-Ramati sehr wichtig.
Gab es am Anfang vonseiten der Schweizer Stiftung Pro Helvetia Auflagen, Schweizer Komponisten aufzuführen?
Beat Furrer: In sehr lockerer Weise gab es diesen Wunsch, aber die Auflagen waren sehr großzügig. Wir haben neben den bekannten Schweizer Komponisten wie Klaus Huber oder Heinz Holliger auch junge Schweizer gespielt, etwa auch Michael Jarrell. Wir konnten völlig unabhängig unsere Programme gestalten, generell auch außerhalb nationaler Eingrenzungen, die ja eher kontraproduktiv sind.
Rückblickend befanden sich unter den Musikern des Klangforums der ersten Stunde ja etliche Komponisten, was von Anfang an zu einer starken Durchdringung von Komposition und Interpretation führte. Hatte die rasche Qualitätssteigerung der Wiedergaben und Interpretationen nicht auch direkte Auswirkungen auf eine neue Komponistengeneration, die Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre auf den Plan trat und vorwiegend eben auch vom Klangforum (ur)aufgeführt wurde?
Beat Furrer: Man sieht das heute noch daran, dass sehr viele Komponisten, die in Wien leben, miteinander guten Kontakt haben. Das ist schon eine sehr fruchtbare Atmosphäre. Das wäre möglicherweise ohne das Klangforum nicht in dieser Weise gelaufen.
Das österreichische “Biotop” und seine Komponisten hatte durchaus eine sehr radikal-innovative Ausprägung – in der Verweigerung von allzu Glattem. Bestimmte Strömungen der seichteren Art – Stichworte “Neue Einfachheit”, “Minimalismus” – waren hier nicht so stark wie in manchen anderen Ländern. Man machte keine populistischen Konzessionen, ging nicht auf Hörerfang. Wie fand man dennoch Akzeptanz beim Publikum?
Beat Furrer: Dass das Klangforum Wien überlebt hat und heute noch blüht, lag vielleicht auch daran, dass bei aller Konservativität des Publikums in Wien es eben auch einen Teil des Publikums gab, der zumindest Respekt vor Neuer Musik hatte. Und heute kann man generell nicht mehr sagen, das Publikum in Wien sei konservativ. Der erste Schritt war der: Das Klangforum spielte in Museen für moderne Kunst [Anm.: Palais Liechtenstein, Secession, u.a mit Ausstellungen von Nitsch oder Kocherscheidt als Kulisse] – sehr schöne Ereignisse, die nicht nur ein Musikpublikum, sondern auch Interessenten für neue Kunst anzogen. Dieses neue Publikum spürte die totale Identifikation der Musiker, das Engagement. Der nächste Schritt war dann der Zyklus im Konzerthaus. Peter Oswald, der als mein Nachfolger neben der Geschäftsführung auch die künstlerische Leitung übernahm, hat hier Immenses geleistet und vor ihr aber auch Primavera Gruber, die es eigentlich war, die unsere demokratische Vereinsstruktur entwickelt hat, das erste Büro suchte. Mir war auch immer klar, dass es keine gute Ausgangsposition für ein Ensemble wäre, wenn es von einem einzelnen Komponisten oder einem Dirigenten, oder überhaupt nur einer Person, dominiert wird.
Das Pariser Ensemble intercontemporain wurde doch auch von einem Einzelnen dominiert – Pierre Boulez.
Beat Furrer: Ja, aber dadurch unterscheidet sich das Klangforum Wien eben ganz zentral vom Ensemble intercontemporain. Bei uns wurde ein ästhetischer Diskurs unter den Musikern in Gang gebracht. Dass die Musiker über die Komponisten, über die Programme sprechen konnten, war ein langer, manchmal auch mühseliger Prozess. Mir war aber klar, dass das für dieses Ensemble der einzige Weg ist, wobei klar ist dass nicht alle sich in gleicher Weise einbringen können oder auch wollen. Es wäre ohne Mitsprache auch gar nicht gegangen, da das Klangforum Wien ja nicht wie das Ensemble intercontemporain von Anfang an auf gesicherten Beinen stand. Dann waren da natürlich auch Dirigentenpersönlichkeiten wie Hans Zender, Sylvain Cambreling, Peter Eötvös, die das Spektrum erweiterten.
Das Ensemble als Rückgrat heutigen Komponierens
Hat sich die zunehmende Souveränität und Virtuosität des Ensembles auch auf dein eigens Komponieren ausgewirkt, im Sinne dessen, dass man darauf vertrauen konnte, dass die Musiker sehr komplexe und differenzierte Klangvorstellungen in deinem Kopf auch tatsächlich nachvollziehen und realisieren können?
Beat Furrer: Das ist genau das: Meine kompositorische Arbeit und auch die der meisten anderen Komponisten wird heute von dem Austausch mit Ensembles getragen. Sie sind das Rückgrat unserer Arbeit. Hier erhalten wir Antworten, können Erfahrungen machen, finden optimale Probenbedingungen vor. Wir haben eine viel engere Bindung an die Ensembles als etwa an die Orchester und ich denke, dass sich das in den letzten Jahren immer noch mehr in diese Richtung entwickelt hat. Orchesterproduktionen sind immer schwieriger – es ist eine Riesenarbeit ein Orchesterstück zu schreiben, es gibt immer weniger Proben. Da kann man von den Orchestermusikern keine adäquaten Resultate erwarten, wiewohl die Orchester generell besser geworden sind als sie früher waren, manche sind sogar hervorragend. Aber es ist nun einmal nicht möglich, in eineinhalb Proben eine Musik wirklich hörend zu verstehen – allein wegen der zunächst zu lösenden technischen Schwierigkeiten – während ein Ensemble wie das Klangforum von Anfang an beginnt, Musik zu machen. Wenn ich mich an die ersten Proben von FAMA erinnere: nach zweieinhalb Proben war das Stück schon so da, dass man musikalisch arbeiten konnte. Ich halte es daher für eine Notwendigkeit, all diese Ensembles – nicht nur das Klangforum Wien – auch alle die in anderen Ländern tätigen so zu unterstützen, dass sie finanziell überleben können.
Sollten etwa in Österreich nicht auch noch weitere Ensembles gefördert und aufgebaut werden?
Beat Furrer: Das war letzten Endes eine kulturpolitische Entscheidung, dass man um 1994/95 das Klangforum sehr stark aufgewertet und entsprechend dotiert hat. Man sieht heute etwa in Berlin, dass dort eine solche Entscheidung für ein Ensemble gefehlt hat. Es gibt in Berlin eine Menge von Ensembles, aber eigentlich nur eines mit vergleichbarem internationalen Standard, das ist das KNM (Kammerensemble Neue Musik Berlin). Die werden aber bei weitem nicht so unterstützt wie etwa das Klangforum, die leben allein von ihren Projekten und das ist einfach unheimlich mühsam. In Berlin kann kein Ensemble von Neuer Musik leben. Auch in anderen Ländern gibt es diese Probleme, wenn ich an diverse Versuche denke, aus Orchestermusikern ein Spezialensemble zu formen, das dann wieder nicht hauptberuflich spielt. Das Ensemble Opera Nova Zürich besteht gewiss aus ganz hervorragenden Musikern, aber ein Ensemble für zeitgenössische Musik sollte mehr sein als ein Haufen hervorragender Musiker. Das ist vielleicht nicht allen bewusst. Und einen solchen Austausch zwischen einem Ensemble und den Komponisten wie den in Österreich möglichen gibt es in vielen anderen europäischen Ländern einfach nicht. In Italien etwa, wo es immer schon und auch derzeit hervorragende Komponisten gibt, ist die Situation im Moment furchtbar trostlos – Orchester werden abgeschafft und spielen kaum Neues, es gibt keine Ensembles. Wenn da nicht in Bälde etwas geschieht, dann wird der kreative Prozess bald völlig ausgehöhlt werden. Vor fünfzehn Jahren war das meiner Erinnerung nach noch ganz anderes. Zu Zeiten Nonos gab es noch Spezialensembles, Festivals und Aufführungen, landauf, landab.
Betätigst du dich als Dirigent auch noch in der Schweiz?
Beat Furrer: Ich arbeite in Genf viel mit dem Ensemble Contrechamps, einem Ensemble, das sogar älter als das Klangforum Wien ist. Es wurde 1980 gegründet und es unterscheidet sich von diesem auch durchaus. Das ist ja auch das Schöne, dass es regional unterschiedliche Klangkulturen und -traditionen gibt. Das fällt dann eben nicht in die Kategorie Konkurrenz, wenn es so unterschiedliche Ensembles gibt, sondern das ergänzt sich.
Du bist heute im Klangforum Wien Ehrenmitglied oder sogar Ehrenvorsitzender, hast aber auf Programmgestaltung und -auswahl keinerlei Einfluss?
Beat Furrer: Das Verhältnis ist sicher ein sehr enges, aber ich kann und will mich nicht in organisatorische Belange einmischen. Das ist seit 1994 nicht mehr der Fall.
Der Lehrer: Komponieren – mehr als nur Perfektionierung des Eigenen
Seit 1992 bist du Professor für Komposition in Graz, wie fasst du diese Aufgabe seither auf?
Beat Furrer: Zunächst war ich ja gar nicht sicher, ob ich mich für die Stelle bewerben sollte, Roman Haubenstock-Ramati hat mir damals sehr dazu geraten. Je länger ich das mache, desto wichtiger wurde es für mich und ich denke auch allgemein viel über die Vermittlung nach. Das Unterrichten ist ja auch eine Art des Austausches, zunehmend mit Jüngeren, der Altersabstand hat sich vergrößert – anfänglich waren es ja fast Gleichaltrige, die zu mir kamen. Die Impulse von den ganz Jungen, die Aufrechterhaltung der Diskussion mit ihnen sind mir sehr wichtig geworden.
Du definierst das also als alles andere als eine hierarchische Einweg-Beziehung?
Beat Furrer: Ja, sonst würde ich das, glaube ich, gar nicht machen wollen.
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