mica-Interview mit Alexander Kukelka (4 Gossip Operas)

Noch bis 13. Februar ist im Theater in der Drachengasse jeweils von Dienstag bis Samstag die sehens- und hörenswerte Musiktheaterproduktion “4 Gossip Operas” von Alexander Kukelka zu sehen. Von dem Wiener Komponisten,  der immer wieder durch Bühnen- und Filmmusiken, Musiktheater-, aber auch Ensemblewerke (zuletzt etwa “Czwernowitzer Skizzen”) aufhorchen ließ, stammt Komposition, Buch und Regie des eineinhalbstündigen Werks. Er fungiert auch selbst als Leiter und Klavierspieler des dreiköpfigen “Orchesters” und der drei Sängerschauspieler. Heinz Rögl sprach mit ihm in dessen Studio, Wien VII.

Die Premierenkritiken diverser Medien waren zu Recht begeistert. Wolfgang Huber-Lang schreibt nach der Premiere für die APA: “Das Sänger -Trio (Sopranistin Eva Maria Neubauer, Bariton Dieter Kschwendt-Michel und Tenor Christoph Sommersguter) schlägt sich in den ständig wechselnden Rollen ganz hervorragend, und so sind die im Auftrag der Drachengasse entstandenen und umgesetzten ,4 Gossip Operas’ als feine, eineinhalbstündige musikalische Unterhaltung nicht nur Besuchern, sondern auch anderen Theaterleitern ganz vorbehaltlos zu empfehlen. Die nächste Inszenierung darf sich dann auch ruhig mehr an den Sujets der Yellow Press orientieren: Skandal! Horror! Blut! Schweiß! Und Tränen!”.

V.P. in der Kronenzeitung: “Das Theater in der Drachengasse, bekannt für seine mutigen Uraufführungen, macht zurzeit der benachbarten Wiener Kammeroper Konkurrenz. Mit viel Ambition und Professionalität zeigt man vier sogenannte “Gossip Operas”, kurze Opernszenen, die auf Meldungen der internationalen Tratsch- und Klatschpresse basieren. Drei junge, hochprofessionelle Opernsänger und Schauspieler bilden am Anfang und in den Zwischenakten den Chor der Schweinegrippen-Hysteriker, blättern in Gratisblättern und folgen dann vier Sensationsmeldungen, die sie szenisch darstellen .”

Lauter echte Pressezitate der internationalen Tratsch- und Klatschpresse, die Kukelka im Lauf der Zeit immer wieder irgendwo ausgeschnitten hatte, wurden vom diesem als Einleitungschor (Prolog) , den drei Intermezzi und dem Epilog vertont und hernach gehen sie auf der schönen, kleinen, sparsam aber gut dekorierten Bühne dann richtig über die Szene, auch rezitativisch, melancholisch, melodiös, “trashig”, blutrünstig, showmäßig und – im besten Sinne opernhaft.

Im Teil I (“Je t’aime”) geht es – in Istanbul – um die abgöttische Liebe eines Liebeskranken zu einer Schaufensterpuppe, im  zweiten (“Sheridan”) um einen New Yorker Herzkranken, der mit dem transplantierten Herzen eines 24-jährigen Verunglückten plötzlich zum Maltalent wird, dann  wird in New Dehli ein moslemisches Ehepaar nach islamischem Recht geschieden, weil der Mann im Traum dreimal “Talaq” (Scheidung”) murmelte. Schließlich kündigt ein Geistesgestörter in der Justizanstalt Göllersdorf in Hinblick auf die Einlieferung eines brutalen Mörders an: “Wenn Josef F. hier ankommt, fresse ich ihn auf.” Ob er es tut, erfahren Sie nur, wenn Sie eine Vorstellung in de Drachengasse besuchen. Sehr empfehlenswert . (Mahlzeit!)

Allerdings schon vor dem Frühstück fand tags darauf das folgende Gespräch mit Alexander Kukelka statt – in dessen Komponierstudio in der Lerchenfelder Strasse.

 

 

Heinz Rögl: Die letzte Produktion ist eine ausgewachsene “Oper”. In der Komponistendatenbank finden sich von Ihnen aber vor allem bis Mitte der neunziger Jahre Musiken für Theaterstücke und Filme, auch sehr viel zu Johann Nestroy. Sie sind Vizepräsident des ÖKB und leiten neben Ihrer Tätigkeit als Lehrender für Filmmusik (Musikuniversität) auch immer wieder Arbeitskreise für U-Musik. Wie würden Sie sich kategorisieren, als U- oder als E-Musiker?

Alexander Kukelka: Die Unterscheidung entspricht ja nicht ganz den lebendigen Tatsachen. Aufgrund der Abrechnungsmodalitäten in der AKM und anderer Institutionen und Traditionen hat man sich entschieden U und E zutrennen, das trifft ästhetisch oft nur bedingt zu. Dieser Oper ist E-Musik, aber ich bin auch ein Filmkomponist, unterrichte an der Film-Akademie. Ich kein “Kommerzler”, sonst könnten wir uns ja etwa in einem kleinen Haus in der Toskana treffen .. Aber wenn man sich etwa musikalisch um ein Filmsujet bemüht, ist das für viele traditionell etwas, was abseits der absoluten Musik verstanden wird. Ich halte es da mit Ennio Morricone, der sagte, es gibt “musica assoluta”, eine Musik die aus sich selbst heraus entsteht, wo man sich auch einem musikalischen Experiment widmet und ganz eigene Wege geht, und das andere ist eine Musik, wo man sich um eine Geschichte, ein Sujet bemüht.

.  angewandte Musik, auch Gebrauchsmusik .

Das gibt’s auch. Hanns Eisler hat gesagt “ich hoffe dass meine Musik von gutem Gebrauch ist”.

Und Hanns Eisler ist einer der besten österreichischen Komponisten.

Ich sehe mich ich auch in dieser Tradition, etwa in meinen Bühne- oder Schauspielmusiken. Man hat mir schon öfter die Weill- oder Eisler-Medaille umgehängt. Was ich eher vermeide, ist zu sagen, ich muss jetzt in dem und dem Stil schreiben. Es gibt in der letzten Oper auch Parodien, Karikaturen, ich glaube, dass ich in verschiedenen Stilen schreiben kann. Das ist ja kein Singspiel mit Schauspielern, die Singstimmen sind obligat geführt. Aber man kann etwa versuchen, eine traumhafte muslimische Welt erstehen zu lassen, genauso wie ich einen Showmaster mit einem perfekten Show-Auftritt hinkriegen wollte. Aber das sind Spassettln, die auch schon ein  Mozart betrieben hat.

Bevor wir noch einmal genauer auf die Oper zurückkommen, wollte ich noch ergänzend zur Ihrer Person fragen:  Sie haben sehr viel Theatermusiken zu Nestroy-Stücken komponiert .

Also, ich habe am selben Tag wie der Nestroy Geburtstag, darauf bin ich aber erst spät draufgekommen . Ich habe Nestroy auch ein Musiktheater gewidmet, das war kein Stück von ihm (Anm.: “Ich möcht’ mich wieder einmal mit mir selbst zusammenhetzen. Ein Musiktheater in Nestroyscher Manier”, 2001).  Sondern da geht’s um seine Träume und Phantasien. Das ist eine Oper für Schauspieler gewesen. Mit dem Neuen Wiener MusikTheater haben wir über den imaginären Bill Gates was gemacht, oder zuletzt “Die Reise nach Alt-Mamajestie”, da geht es um die Bukowina, und aus dem sind dann die Czernowitzer Elegien der Gramola hervorgegangen, die ich für die Vienna Clarinet Connection geschrieben habe. Ich beschäftige mich mit einer Geschichte, lese viel dazu. Ich glaube, dass beim heutigen Publikum die Vermittlungsebene wichtig ist – dass man die hineinlässt in die Geschichte.

Ich hoffe, die letzte Oper ist raffiniert gebaut, das gelang dadurch, dass ich auch das Libretto selbst geschrieben habe, nicht weil ich mich als Literat fühle, sondern weil ich ganz einfach ein Buch brauche, das funktionieren kann. Ich habe ja plastische musikdramatische Vorstellungen, und dann braucht es halt auch Humor und Witz. Ich habe über den Chet Baker ein Stück gemacht, das war ein Riesenerfolg, da war auch die ganze Jazzgemeinde da. Ich habe halt auch Jazz studiert, mich im Musical-Genre umgetan, bin aber kein Popmusiker. Aber es hat mich sehr geehrt, dass mich die U-Musiker für den Arbeitskreis U-Musik im ÖKB gewählt haben, die haben vier-, fünfmal angefragt, dann hat auch meine Frau gesagt, das machst, und ich habe mir gedacht, das möchte ich tun, das interessiert mich. Die machen auch Gebrauchsmusik, an sich ist ja sogar jede Kirchenmusik eine ,Gebrauchsmusik’ und in früheren Jahrhunderten waren Musiker im Sold bei Hof oder bei der Kirche und waren alle “Gebrauchsmusiker”. Erst zur Zeit der Säkularisierungen und der napoleonischen Umwälzungen usw. entsteht .

. die bürgerliche Musikkultur .

und der fast zynische Witz, wenn ein Musiker wo ,ausseg’haut’ worden ist, dann wird er eben dann ein Genie.

Und über die Komponisten und den Chef der Gebrauchsmusik- Firma Strauß Johann & Co sagt dann der Brahms “Leider nicht von mir .”

Ja, das hat sich weiter verzweigt, ist dann im 20. Jahrhundert wieder alles anders geworden. Jedenfalls: Ich liebe es, mich so wie zu Haydns Zeit hinsetzen zu können und einfach zu produzieren. Aus. Das ist jetzt meine siebente Oper von diesem Umfang gewesen, ich habe davor Opern für Schauspieler geschrieben. Dann war da “Onyx-Hotel” (2006)  in Erlangen, daraus habe ich übrigens Stellen fürs Vorsingen beim Casting für ,4Gossip-Operas’ verwendet. Das war ja durchaus wieder so eine Gesamtkunstwerk-Idee. Und wenn es Häuser gibt, die mir vertrauen und mir auch die Fähigkeit der produktionstechnischen Durchführung zutrauen, dann mache ich das.

Die Gossip-Operas haben eine erstaunlich lange Laufzeit (5 x die Woche noch bis 13. Februar). Wenn man bedenkt, dass manche Neuproduktionen von Uraufführungen bloß zwei- bis viermal aufgeführt werden können. Es war auch die Vorstellung, ich der ich gestern war, echt gut besucht.

In der Drachengasse war es bei früheren Produktionen oft proppenvoll, ich weiß auch nicht, warum der Jänner heuer ein bisschen müde anläuft, bis es sich herumspricht. Ich bin sehr gerne in der Drachengasse – ein Haus, das sich in letzter Zeit sehr der jungen Theaterkultur annimmt. Ich kenne kaum Leute, die Musik so lieben wie Theaterleute.

Sie haben schon erwähnt, dass Sie ein ,Casting’ für die Sänger gemacht haben, da haben sich wirklich .

. 120 haben sich beworben. Es gibt tolle Leute, die zu haben sind. Nicht, weil das keine Arbeit ist, sondern es hat sich jetzt schon entwickelt, dass “Neue Oper” für Sänger etwas Interessantes darstellt.

 

 

Waren Sie mit Buch und Musik schon komplett fertig, als Sie zum Casting übergegangen sind?

Nein. Das ist eben das “Problem” – unter Anführungszeichen – eines Sprechtheaters. Bei der Oper ist ein Jahr vorher das Meiste da und geplant. Wenn man so einen (schlechten) Ruf hat wie ich, kommt man schnell zu einem Auftrag und die Vorauszeiten sind enger. Aber das Konzept stand, ich hatte mir über 1200 Seiten gestische Partitur gemacht, wo ich das ganze auch dramaturgisch gestaltet und ausgearbeitet habe, über den Sommer und im Herbst. Aber für das Ganze konnte ich nur ein halbes Jahr veranschlagen, was also doch ziemlich g’schwind ist. Allein schon die 300 Seiten Partitur in den Computer tippen für den Druck, das sind Nächte, da sitzt man . Man muss die Kräfte bündeln, klar geht das manchmal an die Substanz von einem selbst und der anderen, aber das ist wie eine Filmproduktion, wie das Aufarbeiten eines Filmplots. Ich konnte das szenenweise fertigstellen und für die jeweilige Probe reichen, und das hat dann alles zusammengepasst.

(AK zeigt mir die gesammelten  Zeitungsausschnitte inklusive der 4 zu Geschichten umfunktionierten Episoden) . Der Prolog und die Intermezzi der von mir so genannten Schweinegrippe-Hysteriker sind ausschließlich Originalzitate aus diesen Zeitungsausschnitten. Diesen ganzen Wortmüll der Sensationspresse galt es mal auf einen Fleck bringen, damit den Leuten einmal bewusst wird, welchem Druck sie sich aussetzen, wenn sie diesen Müll tagtäglich in sich hineinschlingen. . Das hat natürlich eine gewisse Komik, weil ich diese Sachen auf eine bestimmte Weise miteinander verschraubt habe. War ja nicht so leicht, kein Vers, nicht gereimt, Lauftext, Schlagzeile . In welcher Oper findet sich schon einmal so ein vertonter Text: “Wenn ein Virus in einen Körper gelangt, dringt es in eine Zelle ein und zwingt sie neue Virusse zu produzieren .” Das klingt dann so (singt es vor).

Was mir an den Texten der Geschichten auch gut gefallen hat, dass er oft ein witziges Kolorit hineinbrachte, z. B. Tonfall und Ausdrucksweise der jüdischen Eltern des verunglückten Malers in New York ., der Tenor des in die Kaufhauspuppe Verliebten darf auch einmal sehr schmachtend werden .

. und am Ende – eigentlich ist der “Kannibale” ja kein schlechter Mensch – frisst sich das Ganze, nach der Showmaster-Einlage, fest und kommt zu einer Art Stillstand. Ja, ich formuliere alles gern Cartoon-haft, ich liebe Film, ich habe hier allein 3000 DVDs stehen. Im Film ist immer auch Musik, sogar im Stummfilm. Ich arbeite im Text vielleicht auch mit Zitaten, musikalisch weniger, da zitiere ich kein Motiv, da ist es eher so, dass ich eine Stimmung zitiere oder etwas davon anklingen lasse. Ich glaube, dass man damit auch heute noch umgehen kann, besonders im Musiktheater. Oper ist ja auch eine Art Film. Das Wagnersche Gesamtkunstwerk am Ende des 19. Jahrhundert rüttelt an den Türen des Films, das lebt schon irgendwie weiter. Die Leute wollen das auditive und das visuelle Element zusammengesetzt sehen, so wie im Leben. Das Hören als Fühlen begleitet das Schauen. Ich gebe zu, mich interessiert das Experiment an sich nicht so sehr, allenfalls im Rahmen eines Sujets.

Das muss ja nicht sein. An Sie wird vielleicht auch das Klangforum Wien nicht als ersten herantreten, für sie was zu komponieren.

Wer weiß? Aber die haben ja auch ihr eigenes Programm.  Wir haben nächste Woche im ÖKB einen Workshop, weil wir auch junge Komponisten provozieren und unterstützen wollen, ja müssen. Der Nachwuchs an Talenten in Österreich muss gefördert werden. Da mach ich gemeinsam mit Christian Ofenbauer einen Workshop. Und ich meine, wir sind in Manchem ziemlich konträr glaube ich.

Das kann ja nur gut sein.

Natürlich. Ich versuche eben zu erklären, wie sie am Stoff dranbleiben, wie man dramaturgisch Sprache und Text aufeinander beziehen kann, während Ofenbauer .

. vor 10-15 Jahren riesige Opern komponierte, die bis heute nicht aufgeführt worden sind.

Jaja. Er ist ein fabelhafter Kerl, unglaublich konzentriert auf sein Ding,  ich bin auf meine Weise ähnlich. Aber er sagt halt, ja, ich habe noch nie einen C-Dur-Akkord geschrieben. Ich schon – wenn es sich ergibt natürlich. Meine Oper ist halt freitonal,  ist eine schwebende Tonalität, ich habe auch immer wieder (ohne Vorzeichen zu machen) tonale Formeln. Gerade im Suggestiven, Opernhaften, muss man mit archaischen Mitteln arbeiten, das sind oft auch ganz simple Dinge, da pulsiert oft nur ein Bass, ich mache da keinen Unterschied. – Ich habe gerade Ligetis “Mysteries of the Macabre” hier liegen – das ist zeitgenössische Musik, aber wie plastisch das gemacht ist und wie witzig das von ihm mit dem Text gelöst ist!

Vielleicht reden wir abschließend noch über die Funktion des Österreichischen Komponistenbundes und die Vertretung und Selbstorganisation  österreichischer Künstler und Musiker. Es gibt leider, oder aber auch gottseidank, unterschiedliche Körperschaften und Institutionen – ÖGZM, IGNM, SKE-Fonds, mica, regionale Zusammenschlüsse von Komponisten .

Wir machen ja auch “lauschergreifend live”. Generell haben wir im ÖKB um die 500 Mitglieder, das ist schon eine Menge, und es sind nicht alle erfasst. Der ÖKB  hat auch eine 100jährige Geschichte mitzuschleppen, aber man muss sich auch für neue Strömungen aufmachen und für alle ein Forum bieten… Wir sind da weitgefasst, von ausgesprochen avantgardistischer, auch verwissenschaftlichter Arbeit bis zum Musikus, der seine Labels macht, vom Pop, Film über Medien. Wir wollen Netzwerke anbieten, in denen sich ein jeder Komponist wieder finden kann. Es gibt auch einen niederösterreichischen Komponistenbund, da bin ich nicht mehr dabei .

 

 

… es gibt ja auch Doppelmitgliedschaften.

Natürlich. Wir sind auch bei der MID-Europe dabeigewesen, wo Blasmusik in durchaus Mahlerschen Dimensionen aufgeführt wurde, das ist unglaublich was da abgeht. Wir stiften da auch Wettbewerbe und Preise, machen uns stark für Förderungen – wir sind selbst ja kein Förderinstitut. Das nächste bei der MIDEurope ist ein Symphonic Winds Project, 1010. Da schicken 17-jährige dicke Partituren ein, das ist ein enormes Niveau. Und jetzt bei diesem Streichquartett-Workshop wird es auch Kompositionen von Jungen gaben, wir sind auch beim Gustav Mahler-Wettbewerb federführend, geben Stellungnahmen zur ORF-Quote ab: Überall wo der Komponist als Einzelgänger, was er ja sein muss, vertreten sein sollte, versuchen wir präsent zu sein.

Der ÖKB war ja auch – wie das hier federführende mica – beteiligt an der Parlamentarischen Enquete 2008. Glauben Sie, dass da etwas weitergegangen ist?

Absolut. Und wir sind ja auch Europa. Ich will das nicht nationalistisch fassen – aber es ist schon so, dass in Österreich bezüglich Musik ein spezieller “Ton” herrscht. Es gibt hier eine ganz besondere Musikkultur, auch in den Orchestern, die ich manchmal im Ausland vermisst habe. Die Ausbildung ist wunderbar, die Leute sind musikalisch und technisch hervorragend, die spielen nicht das was dasteht nur so hin, die sind es gewohnt, zu musizieren, zwischen den Zeilen zu lesen.

Stimmt schon. Und es gibt etwa in Wien, Graz, zunehmend in Salzburg auch ein Publikum für die Neue Musik. Woran es in Österreich fehlt, ist musikalische Elementar- und Allgemeinbildung, schulische, auch in den Musikschulen.

Ich unterrichte an der Musikuni, es gibt schon unglaubliche Möglichkeiten, dass man seine Arbeit als Komponist auch umgesetzt bekommt. Anderseits hängt die “Last der Geschichte” über allem, man muss sich auch emanzipieren. Wenn man Brahms oder Bach hört, kriegt man Komplexe, haben zu meiner Zeit noch manche Lehrer gesagt aber ich hab mir gesagt, des mach i so wie der Brahms. Dass ich kein Brahms bin oder werden kann, ist schon klar, aber ich bin ein Kukelka. Ich habe ausschließlich vom Komponieren gelebt und viele Aufträge bekommen.

Jetzt bin ich noch einmal neugierig. Sie sind 1963 in Klement geboren, wo ist das?

(Lacht). Ein kleiner Ort in Niederösterreich, im Weinviertel. Meine Eltern waren in den sechziger Jahren so eine Art frühe Aussteiger, aber nicht in der Art der alternativen Hippiekultur, sondern im intellektuellen und künstlerischen Bereich. Orgelbauer wie der Romano Zöls haben sich in Frankenau niedergelassen, der hat dort ein altes Wirthaus gehabt, meine Eltern eben in Klement eine alte Schule. Der Nitsch hat sich das Schloss in Prinzendorf gekauft. Die Eltern sind dort ein paar Jahre in dem alten Renaissance- Gehäuse geblieben, das war natürlich teilweise höchst mühsam – meine Mutter hat dort Zwillinge bekommen, Brunnen war im Hof. Dann sind sie zurück nach Wien, aber bald sind wir wieder aufs Land gezogen, übrigens in einen Ort, wo auch die Christl Stürmer lebt und wo ich manchmal hinfahre. Aber ich fühle mich als Wiener Komponist.

Sie haben eine Kindheit und Jugend genossen, wo Sie viel lernen konnten.

Mein Vater war Restaurator für alte Tasteninstrumente des 16. Jahrhunderts und hat auch an der Musikhochschule unterrichtet, er gehört von seiner Denkweise her zur Harnoncourt- und Clemencic-Generation.

Herr Kukelka, Herzlichen Dank für das Interview.

Und jetzt sind wir per du!

Gerne.

Nächstes Projekt: Alexander Kukelka, “Werdet Vorübergehende” (Arbeitstitel). Oratorium “nach dem Thomas-Evangelium”, konterkariert “mit zeithistorischen Anklagen, die der Mensch heute führen müsste”; Bariton, Alt, Vienna Clarinet Connection.

Projekte und CDs mit: Neue Wiener Konzertschrammeln, Vienna Clarinet Connection. Erschienen bzw. erscheinen bei Gramola.

4 GOSSIP OPERAS
Von Alexander Kukelka
Uraufführung
Auftragswerk Theater Drachengasse
Komposition/Buch/Regie: Alexander Kukelka
Bühn/Kostüm: Maria Theresia Bartl
Dramaturgie: Kathrin Kukelka-Lebisch
Es spielen und singen:
Dieter Kschwendt-Michel
Eva Maria Neubauer
Es musizieren:

Wolfgang Kronberger
Alexander Kukelka
Reter Uhler

Fotos: drachengasse.at

Theater Drachengasse
11. Jänner – 13. Februar 2010
Di-Sa um 20 UHR
Kartenbestellung: 01/5131444 oder karten@drachengasse.at

 

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