Der international renommierte Regisseur wurde für die “Tosca”-Neuproduktion (Puccini), auf Deutsch gesungen, vom Volksoperndirektor Robert Meyer, der mit ihm auch als Schauspieler arbeitete, gewonnen. In Erinnerung an die Wiener Arbeiten (einst als Co-Direktor Claus Peymanns) bleiben etwa “Arturo Ui” (mit Franz Morak), “Die Minderleister” von Peter Turrini, “An der Donau” von Herbert Achternbusch, aber auch Mussorgkijs “Chowanschtschina” an der Staatsoper (mit Abbado 1989), “Das Mädchen mit den Schwefelhölzern” von Helmut Lachenmann bei den Wiener Festwochen im vergangenen Jahr. Das Interview führte Heinz Rögl bereits zu Beginn der Probenarbeit.
HR: Ich kenne Ihre Inszenierung der “Tosca” nicht, wie sie 2001 für das Opernhaus Frankfurt entstanden ist und die in verschiedenen Besetzungen dort immer wieder angesetzt dem Vernehmen nach ein großer Erfolg war. Hat die Tosca, die Sie jetzt in Wien machen, damit etwas zu tun?
Alfred Kirchner: Ich habe in Frankfurt am Main einen Puccini-Zyklus gemacht mit Manon Lescaut, La Bohème und Tosca. Bohème und Tosca werden jedes Jahr wiederaufgenommen und wurden jetzt an die 80 Vorstellungen gespielt, ebenfalls “Die Zauberflöte, die bereits ca. 100 Mal gespielt wurde. Wieweit die Frankfurter Produktion mit Wien in Verbindung zu bringen ist, kann ich nicht sagen.
. das Interessante ist ja, dass die Volksoper in guter Tradition “Tosca” auf Deutsch spielen lässt!
Das heißt natürlich, dass die Sänger-Schauspieler das extrem gut auf Deutsch lernen und proben müssen, was sie hier an der Volksoper leidenschaftlich und mit großer Freude auch tun. Trotzdem hat Tosca eine Wahnsinnsschwierigkeit, dass sie nämlich zu den oft gespielten Meisterwerken europäischer Kultur gehört. Aber diese Meisterwerke haben eben die Gefahr des Abgenudelten und der Klischees, die immer weitergegeben werden. Man kann mit einer guten Besetzung Tosca immer erfolgreich machen. Aber was Puccini wollte, ein neues Theater basierend auf psychologischen und veristischen Vorstellungen, untermauert mit dutzenden akribischen Regieanweisungen, – das hat man bei Tosca-Produktionen nicht immer gesehen. Toscanini dirigierte zu meiner Begeisterung “La Bohème” genau auf die szenische, d. h. situative Wahrheit hin und kommt ohne jegliche beschönigende Schmonzette aus.
Es gibt ja den berühmten Spruch, der wahrscheinlich wahr ist: “Puccini lässt niemals warten.” Dennoch passiert in der TOSCA so ziemlich alles, was sich tun kann, es geht um Leidenschaft und Wahnsinn, aber es gibt nie einen Stillstand.
… ein rasendes Nebeneinanderher von neuen musikalischen Einfällen auf den Flügeln der Leidenschaft und Hysterie, und je weniger Opernklischee und je mehr Musikdrama, umso näher kommt man den ingeniösen Absichten des Komponisten und dessen Autoren.
Ann-Marie Backlund, die Sängerin der Hauptrolle, sagte mir, sie wolle den Menschen Tosca darstellen, nicht als abgehobene Diva, als Star.
Dargestellt sein sollte sie als Mensch mit all seinen vom Komponisten vorgegebenen sensibelsten Details. Von der Figur her ist sie jedoch eine extreme Diva. Und sollte dies auch für Scarpia gelten, könnte das ein Grund sein, wieso sie ihn letztendlich ersticht. Aus verzweifelter Not, aber auch, weil sie keine andere Diva neben sich dulden will. Die Sänger müssen schalten wie Schauspieler, es dürfte kein Wort geben, das nicht vom Wissen um die Situation erfüllt ist. Deshalb ist die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten [Josep Caballé-Domenech] sogar noch wichtiger als ohnehin, weil die deutsche Sprache für viele Sänger auch Neuland ist. Die Beherrschung der Situation und gleichzeitig der deutschen Sprache könnte dann modernes Theater sein.
Es geht in Tosca ja um Ereignisse vor einem Kriegshintergrund.
Verfolgung, Folter, Angst in sexuellem Kontext, erotische Obsessionen. Insofern ist das natürlich ein Stoff, der ins gesellschaftliche Zentrum getroffen hat und das immer noch tut. Er ist sozusagen ins Zeitgenössische hinüber geschrieben. Ich meine, dass der Kriegszustand, diese ewige Besetzung (Königin Maria Carolina, die Tochter von Maria Theresia und Schwester Marie-Antoinettes ist in ständiger Auseinandersetzung mit Napoleon) die Menschen dafür prädestiniert, die Aggressionen auch ins Private zu tragen. Daraus formt Puccini einen der genialsten Aktschlüsse der Operngeschichte. Während das Volk in der Kirche in religiöser Obsession das Te Deum singt, lebt Scarpia seine erotischen aus und Puccini führt diese Szene durch hörbare Kanonenschüsse zur emotionalen Explosion.
Manche, viele, hören Oper lieber in der Originalsprache. Das schon wieder neue “Alte” ist, dass man in der Volksoper wieder auf Deutsch spielt?
Woran ich mich gerne erinnere, dass ich in meinen Anfängen mit Michael Gielen die “Jenufa” von Janácek auf Deutsch machte, wo jeder sagte, dessen Nuancen kommen nur in der tschechischen Sprachmelodie ganz zum Ausdruck. Es war jedenfalls dann trotzdem ein Supererfolg. Wenn Laca am Ende des 1. Aktes plötzlich hört “Laca du hast es getan! Mit Absicht, mit Absicht”, hat das Publikum es eben verstanden und gejubelt. Es ist mir halt gelungen, die Geschichte schlagend auf Deutsch zu erzählen. Ich erinnere mich auch gut an Günter Rennert, der der Übersetzer unserer Tosca ist und mich oft in Stuttgart besuchte. Ich habe mit ihm viel auch über Tosca gesprochen und in dem Text im Lauf der Jahre behutsame Verbesserungen gemacht. Es gibt für Tosca nicht so viele Sänger, die auf Deutsch zur Verfügung stehen, denn wenn sie berühmt sind, ist es bequemer auf Italienisch zu singen, wogegen man sich mit deutsch sehr viel zusätzliche Arbeit einhandelt. Überhaupt wenn sie in New York oder sonst wo an berühmten Plätzen so viel mehr verdienen.
Das Wiener Publikum hat aber auch große Erwartungen durch seine Erlebnisse, zum Beispiel durch Erich Kunz, der jahrzehntelang die Rolle des servilen Mesners auskostete.
… und solche Erwartungen machen die Arbeit eines heutigen Regisseurs auch irgendwie zu einem Himmelfahrtskommando. Ich möchte halt, dass man merkt, dass der Mesner in einer Tour gegen die Voltairianer schimpft, gegen jedes liberale Verhalten. Er ist also ein Reaktionär. Ich hab zwar nichts dagegen, dass man auch einmal über ihn lacht. Man darf aber nicht vergessen, dass auch die Geschwister Scholl durch einen Hausmeister zu Tode gekommen sind, weil der die Universität zugeschlossen hat, damit die nicht wieder rauskommen. Das sind ganz reaktionäre Rädchen, je nachdem, wie das System ist. Dieses heutzutage zu übersehen, fände ich unvertretbar, fast eine Unverschämtheit. Wir haben solche Leute in unserer Zeit genug erlebt, wie Puccini sie gefühlsmäßig vorausgesehen hat.
Muss man das eigentlich unbedingt original vor dem Hintergrund der napoleonischen Kriege spielen? Was braucht man für eine moderne Umsetzung?
Puccini hat das Inferno des heraufkommenden Jahrhunderts vorausgesehen und das können wir nicht historisch nachbilden. Wir brauchen für die moderne Umsetzung: Das Spiel. Den Raum (Karl Kneidl), der das Spiel mit allen seinen Differenziertheiten in extremster Weise ermöglicht. Es muss Raum für die Phantasie des Zuschauers bleiben, er soll aber – wenn das möglich ist – auch eine Oper als Theaterspiel erleben können. Das ist mir herzlich wichtig. Letzten Endes waren die großen Theaterdramatiker, eben auch Wagner, Theatermenschen. Wenn die beiden Liebenden so verzweifelt, körperlich nervlich und seelisch angegriffen, durch Mord und Folter zutiefst erschüttert, trotzdem wie Kinder spielend an einen guten Ausgang glauben, dann möchte ich mit dem Publikum das düstere, leidenschaftliche, qualvolle S P I E L sehen, von dem Puccini sprach und der zudem noch den Leuten auf die Nerven gehen wollte.
“Jetzt wollen wir grausam sein”, sagte Puccini. Ich darf als damaliger Stehplatzgeher Ihnen auch noch sagen, dass ich damals in jeder Vorstellung der 1989 von Ihnen mit Claudio Abbado an der Staatsoper herausgebrachten “Chowanschtschnina” gewesen bin, das war eine der wirklich tollen, unvergesslichen Leistungen der Wiener Staatsoper dieser Jahre.
Aber jetzt wollen wir, wenn auch mit geringeren Mitteln, eine Tosca machen, von der ich hoffe, dass sie ebenfalls im Gedächtnis der Wiener bleiben wird.
VOLKSOPER
Giacomo Puccini
Tosca ; So., 12. 10., 19.00 Uhr
Regie: Alfred Kirchner Dirigent: Josep Caballé-Domenech, Bühne: Karl Kneidl
Mit Ann-Marie Backlund (Tosca), János Bándi (Cavaradossi), Morten Frank Larsen (Scarpia), Martin Winkler (Mesner)
Weitere Vorstellungen: Mi., 15., Do. 23., So., 26., Mi. 29. 10..
Zur Information hier auch: Interview mit der Sängerin der Tosca.
Tosca hat die junge Sopranistin Ann-Marie Backlund auch 2003 bei einer Wiederaufnahme in Frankfurt gesungen, und vorher schon in Göteborg. Die Rolle kommt für sie an der Volksoper zum ersten Mal auf Deutsch – “am Anfang zwar ungewohnt, aber für mich irgendwo auch einfacher, weil ich Deutsch besser verstehe als Italienisch.”
Die Probenarbeit begann für sie zuerst mit der Scarpia-Szene: “Der 2.Akt ist sehr hart für Körper und Seele. Ich finde diese Inszenierung passt zu mir, es geht um Menschen, nicht um große Oper.” Sie glaubt zu verstehen, was Alfred Kirchner jeweils meint. Bei der Frankfurter Tosca (wo sie auch einmal in einer Wiederaufnahme sang) hatte sie keinen Kontakt mit dem Regisseur selbst, sondern mit einem von Kirchners Assistenten. Mit dem ungarischen Tenor Janos Bándi hatte sie in der ersten Woche der Proben Anfang September “noch nicht so viel” zu tun, fand ihn aber sehr nett. Und bei Scarpia Morten Frank Larsen (mit dem sie sich in der Freizeit auch gut auf Schwedisch unterhalten kann) hat Backlund das Gefühl, gut proben zu können. “Er ist stark! Ich hab’ das Gefühl, wir haben dieselbe Art des Spielens, wir sind beide sehr eingestellt auf die Regie und fangen sofort an mit den Vorgaben.” Von Kirchner gäbe es immer gleich eine Reaktion, “er sagt sofort, was er will und was er nicht mag”.
Ann-Marie Backlund, aus dem Norden Schwedens stammend, verbrachte nach dem Studienabschluss ihre ersten 2, 3 beruflichen Jahre in Göteborg und Schweden – von Anfang an auch mit Puccini-Partien. In Frankfurt war sie dann fünf Jahre lang bis 2007 fix im Ensemble, derzeit “kann sie frei entscheiden. Ich habe aber kein ,Loch’, sondern viel zu tun.” In Schweden ist sie mit einem Liederabend unterwegs, nächste Spielzeit singt sie in einer neuen, modernen Oper über Goya in Göteborg gleich zwei Frauen der Titelfigur. In Barcelona und demnächst in Santiago de Chile sang sie Chrysothemis in Elektra. Auch in ihrem Liederrepertoire ist einiges von Richard Strauss, auch von Brahms und Sibelius. Ob sie daheim in Schweden auch Volkslieder singt? – “Nicht immer, aber manchmal auch, weil ich ein Bauernmädchen bin. Ich bin aus Helsingland im Norden Schwedens, wo ich jetzt auch wieder wohne. Dort treffe ich in jedem Sommer Freunde, auch Geiger, und wir singen zusammen.”
Man plaudert auch noch ein wenig über Schweden und plötzlich komme ich auf einen (schonungslos gesellschaftsaufklärerischen) schwedischen Krimi zu sprechen, dessen annähernd 700 Seiten im Taschenbuchformat ich diesen Sommer in 3-4 Tagen geradezu verschlungen habe und von dem ich hörte, er sei in Schweden ein Bestseller geworden, der die Leute, die ihn lesen sogar von der Arbeit abhält (Werbung: “Vergessen Sie alles, was Sie sich vorgenommen haben” oder “Ein Thriller mit sehr hohem Suchtfaktor”). Ich fragte Ann-Marie Backlund also, ob sie Stieg Larssons “Verblendung” kenne und sie schaute mich einen Augenblick verständnislos und fragend an, bis mir der (bessere) Originaltitel auf Schwedisch einfiel: “Män som hatar kvinnor”. Backlunds Gesicht hellt sich augenblicklich begeistert auf: “Na klar, das”. Und das Meiste, fast alles vom Larsson las sie, erzählt sie mir.
Der zweite, selbständige Teil dieser Trilogie, die der 1954 geborene Stieg Larsson, zuvor auch schon anerkannter Journalist, Magazin-Herausgeber und als einer der weltweit führenden Experten für Rechtsextremismus und Neonazismus geltend, noch komplett schrieb, bevor er 2004 an einem Herzinfarkt früh starb, heißt dann auf Deutsch übrigens “Verdammnis” (schwedisch, wenn man es wissen mag: “Flickan som lekte med elden”), den dritten gibt es auch schon (aber noch nicht im Taschenbuch) – im Heyne-Verlag. Und das ist jetzt wohl zu einer mica-Empfehlung an die Leser geworden, sich das zu Gemüte zu führen, wenn man’s noch nicht tat!
Heinz Rögl
Foto Alfred Kirchner © Marcus Schlaf (Merkur Online)
Fotos Tosca-Neuinszenierung © Wiener Volksoper
https://www.musicaustria.at/musicaustria/liste-aller-bei-mica-erschienenen-interviews