mica-Interview Dominik Uhl und Peter Balon (Noise Appeal)

Es war mit Sicherheit nicht die große Hoffnung, einmal ordentlich viel Geld scheffeln zu können, welche Dominik Uhl vor zehn Jahren dazu bewogen hat, mit einem eigenen Label an den Start zu gehen. Alleine die große Liebe zur Musik war ausschlaggebend dafür, dass er den Entschluss fasste, Noise Appeal Records zu gründen. Heute nach einer Dekade hat sich das Label hierzulande als eines der bedeutendsten in Sachen der Musik abseits des Mainstreams etabliert. Dominik Uhl und der dem Gründer seit zwei Jahren als Partner zur Seite stehende Peter Balon im Gespräch mit Michael Ternai.

Nun ist es ja heutzutage schon eher selten, dass ein Label auf eine zehnjährige Schaffensphase zurückblicken kann. Erfüllt die Tatsache, dass es Noise Appeal Records geschafft hat, sich über eine so lange Zeit zu etablieren, mit Stolz?

Dominik: Ja. Besonders bin ich auf das stolz, was wir alles auf die Beine gestellt haben. Aber gleichzeitig waren es auch sehr anstrengende zehn Jahre. Vor allem auch aus einer finanziell Sicht. Das ging schon sehr ins Selbstausbeuterische. Aber trotzdem, in Summe ist man schon sehr stolz. Besonders auf die letzten zwei, drei Jahre, in denen wirklich viel weitergegangen ist und sich einiges entwickelt hat. Auch das, was heuer noch auf uns zukommt, kann sich mehr  als sehen lassen. Wenn man sich all das vor Augen führt, geht man dann doch schon ein wenig mit erhobenem Kopf herum.

Habt ihr das Gefühl, dass Noise Appeal inzwischen zu einer Marke für gute Musik abseits des Mainstreams etabliert hat?

Dominik: Ich glaube schon. Das „Problem“, welches das Label vermeintlich hat, ist die musikalische Vielschichtigkeit, für die sie steht. Das stilistische Spektrum der Veröffentlichungen reicht ja von Punkrock bis hin zu verschiedensten Elektro-Dark-Pop-Sachen. Als außenstehender Musikfan tut man sich vielleicht etwas schwer, Noise Appeal mit einem bestimmten Stil zu assoziieren. Aber ich glaube, die Leute haben mittlerweise mitbekommen, dass der Qualitätslevel der Bands, die bei uns veröffentlichen, schon sehr hoch ist. Jeder, der eine Noise Appeal-Veröffentlichung kauft, der weiß, dass zumindest in Sachen Qualität das Produkt auf jeden Fall seinen Wert hat.

Weil du gerade die stilistische Breite angesprochen hast. War es eine bewusste Entscheidung, das Spektrum so offen zu halten?

Dominik: Wir stammen ja musikalisch ursprünglich und sind, ich zum Beispiel spiele aktuell auch  in einer Punkband, ja immer noch in der Hardcore-Punk und der DIY-Ecke unterwegs. Was wir zu Beginn im Sinn hatten, war ein etwas untypischeres Hardcore-Punk-Label. Deswegen haben wir ja Anfangs auch in diesem musikalischen Umfeld nach Bands Ausschau gehalten. Mit der Zeit hat sich das Label aber von diesem Grundgedanken doch mehr und mehr wegentwickelt, was daran liegt, dass ich mich selbst über die Jahre auch für andere Sachen begonnen haben zu interessieren. Meine privaten musikalischen Vorlieben haben sich, wie bei vielen anderen, eben auch erweitert. Man kann also vielleicht sagen, dass die gitarrenorientierte Musik in gewisser Weise die alles zusammenhaltende Spange des Labels darstellt.

Peter: Wenn man sich nur die ersten drei, musikalisch doch unterschiedlichen Releases des Labels anschaut, Fresnel, Once Tasted Life und United Movement, sieht man, dass die Ausrichtung des Labels, vielleicht auch unbewusst, schon von Beginn an stilistisch doch sehr offen ausgerichtet war. Was aber, auch aufgrund Dominiks Backround, daran, dass Noise Appeal dann doch noch einige Zeit als reines Hardcore-Label wahrgenommen wurde nicht viel geändert hat. Obwohl es das eigentlich nie war.

Dominik: Aber letztlich ist es uns doch gelungen, unser Profil zu schärfen. Und daraus ergibt sich auch, dass manche Sachen eben keinen Sinn machen. Zum Beispiel höre ich privat sehr gerne Metal, kann mir aber nur schwer vorstellen eine Metalband über unser Label herauszubringen. Ich kann einer solchen Band nicht weiterhelfen, genauso wenig wie diese dem Label weiterhelfen kann. Ich kenne, in diesem Fall, eben die Szene, den Markt nicht gut genug und wüsste daher nicht, wo ich genau ansetzen sollte.

Daher sind wir, glaube ich, in dem Segment, irgendwo zwischen Noiserock und ein wenig Experimentell ganz gut aufgehoben.

Wie wohl fühlt man sich eigentlich so abseits des Mainstreams?


Dominik:
(Lacht) Grundsätzlich hätte sich kein Problem damit, einige Platten mehr zu verkaufen und dass sich die Verkaufszahlen ein wenig jenen des Mainstreams annähern. Aber musikalisch? Wir arbeiten gerade für 2013 an einem Signing mit einem Künstler, den ich persönlich musikalisch schon dorthin verorten würde. Wobei, das was ich als Mainstream bezeichne, fällt unter die Kategorie FM4.

Wie sehen eigentlich die Kriterien aus, nach denen ihr eine Band auswählt?

Dominik: Bei mir ist es ein Bauchgefühl. Gemessen an den bisherigen positiven Reaktionen seitens der Musikkritiker und Fans liege ich eigentlich auch immer ganz richtig. Es ist vielen anderen Bands gegenüber jetzt vielleicht ein wenig gemein, aber wenn ich ein Demo zugeschickt bekomme, reichen mir die ersten 30 Sekunden aus, um zu wissen, ob jemand zu uns passt oder nicht. Das heißt aber nicht, dass ich, auch wenn ich die Band nicht als eine für Noise Appeal geeignete sehe, dann schon abschalte. Die Musik kann doch auch schon sehr gut sein, nur eben sind wir eben nicht wirklich der richtige Ansprechpartner. So etwas ist mir erst kürzlich passiert, als mich eine unglaublich gute Grindcore Band aus Seattle angeschrieben haben. Nur, wie ich eben schon erwähnt habe, fehlt mir in einem solchen Fall der Zugang.

Ein zweiter entscheidender Punkt ist, dass ich mich mit den Leuten einfach verstehen will. Das heißt, dass ich muss mich mit den Leuten persönlich treffen. Bei den 27 aus Boston war es einfach. Die habe ich auf der Tour kennengelernt und daher war der persönliche Kontakt auch schon da.

Wenn ich dagegen irgendwie das Gefühl habe, dass es menschlich nicht harmoniert, dann nehme ich, auch wenn es musikalisch passen würde, eben von einer Zusammenarbeit Abstand. Ich sehe eine Veröffentlichung nämlich auch als Gemeinschaftding, als ein Projekt, an dem Band und Label gemeinsam auf ein Ziel hinarbeiten. Und wenn man sich nicht sympathisch ist, dann wird es eben schwer.

Ich muss aber auch dazu sagen, dass wir selber eher weniger offensiv nach einer Band suchen. Entweder man ist auf einem Konzert und entdeckt eine Band, die einem wirklich vom Hocker haut, dann spricht man sie natürlich an, oder wir entdecken diese unter den vielen Demos, die wir zugeschickt bekommen.

Peter: Bezeichnend für mich ist, dass auch Leute an uns herantreten, die Angebote von weit größeren Labels haben. Einfach aus dem Grund, weil wir ihnen sympathisch sind. Wie eben der von Dominik vorher erwähnte Künstler, mit dem wir gerade Gespräche führen. Darüber hinaus ist auch bemerkenswert, dass Dominik, die ganze Sache ganz ohne große Förderungen durchbringt.

Dominik: Was bei mir noch dazu kommt ist, dass es immer auch einen Konnex zu mir und meiner Jugend gibt. Reflector war eine solche Band. Die habe ich, als ich mich vor zwölf, dreizehn Jahren noch in der Hardcore-Punk-Szene herumgetrieben habe, live gesehen und war sofort von ihnen angetan. Und zehn Jahre später bekomme ich ein Demo-Tape mit der Frage von ihnen zugeschickt, ob ich nicht vielleicht die Platte rausbringen will. Da denkt man sich natürlich, was für ein eigenartiger Zufall. Über Reflector, die mit den Striggles befreundet waren, bekomme ich dann eine Anfrage von Robert Lepenik, der einst bei Fetish 69 gespielt hat und von denen ich ein riesengroßer Fan war, ob ich nicht die Platte seiner neuen Band rausbringen will.

Ebenso HP Zinker, von denen ich ebenfalls seit Ewigkeiten ein großer Fan bin. Ich habe 1991 beim großen Bruder meines besten Freundes einmal eine HP Zinker Platte gehört und seitdem habe ich jedes Jahr mindestens eine Woche lang HP Zinker gehört. Die Band hat mich einfach nicht mehr losgelassen. Irgendwann hab ich mir dann einmal gesagt, wenn Noise Appeal dann einmal zehn Jahre alt wird, dann möchte ich mich selbst beschenken und irgendetwas mit HP Zinker an Land ziehen. Irgendwann ist dann auch die Idee, eine Art Single Box mit verschiedenen Extras zu gestalten, entstanden, woraufhin ich  Hans Platzgumer angeschrieben habe. Und ihm hat die Idee auch sofort gefallen. Zwei Wochen später sitze ich mit ihm in Wien auf einem Bier zusammen und mache mit ihm das Ding aus. Das ist schon etwa sehr besonderes.

Das sind auch die Sachen, die ich anfangs erwähnt habe, die, die einen dann doch stolz machen. Dass man mit den Jugendhelden plötzlich per du ist und schon das eine oder andere Mal mit ihren ordentlich durchfeiert.

Inwieweit, glaubst du, sprechen eure Band vor allem Liebhaber von „Nischenmusik“ an?

Dominik: Ich glaube schon, dass unsere Bands viele Leute ansprechen, die eben schon nach der etwas „anderen“ Musik suchen, die fokussiert auf eine solche sind und sich intensiv mit ihr beschäftigen. Was aber hinzukommt ist, dass man eine Band auch live sehen muss. Wie eben die Striggles, die einen extrem hohen Qualitätsstandard besitzen und deren Platten auch wirklich gut sind, ihre Musik  aber dieses letzte Fünkchen Energie erst live freisetzt. Dann nämlich, wenn man die Band auf der Bühne sieht, ihr Auftreten, ihre Optik, ihre Show, die in manchen Momenten auch schon einmal für Gänsehaut sorgt. Ich glaube, wen man so etwas erlebt, kauft man sich auch die Platte.

Wenn ich Musik wie diese dagegen nur auf Platte höre, glaube ich, muss man schon ein Musik-Nerd sein, um die wirkliche Qualität zu erkennen.

Peter: Ich glaube, die Bands auf Noise-Appeal sind genau solche, mit denen man sich beschäftigen muss. Weil sie sich eben vom großen Rest abheben und nicht in eine einzelne Schublade hineinzustecken sind.

Aber genau diesen kann man doch als eine Art Alleinstellungsmerkmal begreifen, oder?

Dominik: Auf jeden Fall. Ich glaube auch, dass ein solches Standing ein Fluch und ein Segen zugleich ist. Der Fluch ist, dass du ein jedes Ding einzeln bearbeiten muss. Ohne jetzt andere Labels schlecht reden zu wollen, aber die meisten stehen für einen gewissen Sound und eine gewisse Ästethik, womit diese das Produkt auch etwas einfacher verkaufen können. Zudem wissen die Vertriebe, wo man ein solches Produkt stilistisch einordnen kann. Bei Noise Appeal ist es so, dass es dann doch schwer ist, jemandem der an Sex Jams interessiert ist auch eine Reflector LP zu verkaufen.

Der Segen dagegen ist, dass man eben aufgrund dieser Breite unique ist. Man hebt sich von anderen Labels ab, was in gewisser Weise dann auch ein „Selling Point“ sein kann. Um aber einmal an diesen Punkt zu gelangen, ist es schon auch notwendig, zum Beispiel einmal auch in Showcase Festivals, wie etwa Waves Vienna, hineinzukommen, oder wie im vergangenen Jahr mit Hella Comet einen Act beim Popfest Wien zu haben. Das sind dann die Konzerte, die einen Sinn ergeben. Hella Comet haben im Ost Klub gespielt und am nächsten Tag sind zehn Bestellungen für deren LP eingetrudelt, die es sonst wohl nicht gegeben hätte.

Wieso hast du dich entschieden, nur auf Vinyl zu veröffentlichen?

Dominik: Ich glaube, die letzte CD, die wir herausgebracht haben, war eine von Reflector. Und das auch nur auf Drängen der Band, die unbedingt eine haben wollten. Ich habe davor aber auch schon das Striggles Debütalbum als CD und Vinyl herausgebracht und gesehen, dass der Verkauf der CD einfach sehr weit hinter dem des Vinyls gelegen ist. Im Endeffekt ist da sehr viel Geld verloren gegangen. Dennoch ließen sich die Jungs von Reflector nicht umstimmen und so haben wir eben das Ding gemeinsam mit zwei anderen Labels, was den Verlust letztlich dann doch in Grenzen gehalten hat, als CD herausgebracht. Aber es ist eben genau das eingetreten, was ich befürchtet habe. Die CDs haben sich nicht wirklich verkauft. Die Schallplatte hingegen schon.

Das war dann eben dieser Moment, in welchem ich mich entschieden habe, keine CDs mehr, so sehr sich die Band eine solche auch noch so wünscht, zu machen. Wir lassen den Bands aber freie Hand. Wenn sie unbedingt eine machen wollen, können sie sich dafür ein anderes Label suchen oder eine solche auch selbst machen, wobei ich ihnen natürlich in Sachen Vertrieb usw. helfe. Aber als Katalognummer auf dem Label als Release möchte ich eine CD eigentlich nicht mehr haben.

So verhält es sich auch bei dem neuen Sex Jams Album, das als CD bei Siluh Records und als Vinyl bei Noise Appeal erscheinen wird.

Kann man sagen, dass du, trotz der energieraubenden Arbeit, immer noch mit derselben Freude dabei bist? Welche Ambitionen hast du noch für die Zukunft?

Dominik: Also, ich glaube, ich bin jetzt sogar mit mehr Freude dabei als noch am Anfang. Einfach deswegen, weil die ersten fünf, sechs Jahre quasi Lehrjahre waren. Man hat viel entdecken und  bestimmte Erfahrungen machen müssen. Mit dem Peter ist alles schließlich dann noch strukturierter und professioneller geworden. Im Grunde genommen ist das Label jetzt dort, wo ich es eigentlich schon am Beginn vor zehn Jahren sehen wollte. Ich hätte es gerne genauso gestartet, wie wir es jetzt betreiben.

Meine Ambitionen? Ich will auf jeden Fall, mit dem Label nie aufhören. Es soll und wird immer bestehen, solange es mich in irgendeiner Form gibt. Natürlich hoffe ich auch, dass irgendwann doch einmal etwas passiert, dass eine Band so richtig durchstartet, was in Folge eine noch professionellere Labelarbeit zulassen würde. Dazu muss ich sagen, dass ich meinen Brotberuf, ich bin Grafikdesigner, sehr gerne habe, aber ebenso ich würde schon gerne würde ich dieses größere Hobby einmal auch zu meinem Hauptberuf machen.  Allerdings weiß ich sehr wohl, dass, wenn man diese Arbeit beruflich macht, sich eigentlich automatisch den Zwängen aussetzt. Man müsste sich dann eben den Markmechanismen und Strömungen unterwerfen, was auch nicht wirklich erstrebenswert ist. Ich würde mich freuen, wenn es einfach so weiterläuft, was gleichzeitig auch bedeuten würde, dass die Schulden, die das Label hat, irgendwann einmal getilgt sein werden.

Dieses Jahr setzen wir schon bewusst viel auf eine Karte. Wir lehnen uns arbeitstechnisch und finanziell weit raus, sind aber guter Hoffnung, dass die kommenden Veröffentlichungen gut laufen werden. Ende 2013 setzt man sich eben zusammen, analysiert und schaut, in welche Richtung es dann weitergehen wird.

Danke für das Gespräch.

Fotos: Günther Blauensteiner

 

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Noise Appeal Records