mica-Interview Angélica Castelló

Nach Zwischenspielen in vielen anderen Ländern hat die gebürtige Mexikanerin Angélica Castelló mittlerweile Österreich als Mittelpunkt ihres Schaffens auserwählt. Im Interview spricht sie über ihr Leben als Musikerin und Komponistin fern jeglicher stilistischer Zwänge sowie die immer schwieriger werdende Auftrittssituation für Künstler abseits des Mainstreams. Das Interview führte Michael Masen.  
Kannst du ein wenig darüber erzählen, wie du zur Musik gekommen bist. Wie hast du damit begonnen, dich mit Musik auseinander zu setzen?

In Mexiko ist es nicht selbstverständlich, dass man in eine Musikschule gehen kann und dass man dort unterrichtet wird. Ich war auf einer ganz normalen öffentlichen Schule und hatte das Glück, dass unsere Direktorin ein wenig Zugang zur Musik hatte und wir daher dort Blockflöte spielen konnten. Hierzulande ist das ja ganz normal, aber in Mexiko ist es eher eine Ausnahme, dass so etwas möglich ist. Wir haben dann auch nicht wirklich Noten gelernt, sondern “über das Ohr gespielt”, wie z.B. mexikanische Lieder oder unsere Nationalhymne oder auch “An der schönen blauen Donau”, wobei ich erst viel später entdeckt habe, dass “El Danubio azul” kein mexikanisches Lied ist.

Gleichzeitig war ich dann noch sehr begeistert von Klassischer Musik, die auch meine Mutter sehr geliebt hat, obwohl wir das zu Hause nicht wirklich gehört haben. Ich habe dann immer selber mit dem Radio Kassetten aufgenommen und Collagen erstellt. Das waren für mich so in etwa die ersten Impulse, die ersten starken musikalischen Eindrücke.

Mit 14 Jahren habe ich schließlich beschlossen – nachdem ich den Film Amadeus gesehen hatte -, dass ich Musik machen will. Es war alles noch sehr unklar für mich, aber trotzdem bin ich zum Konservatorium gegangen und habe mich dort für ein Studium angemeldet.

Hast du damals schon auch gewusst, dass du vom Musik machen leben willst, oder wolltest du einfach nur mal das Instrument erlernen?

Absolut das zweitere. Ich hätte nie gedacht, dass ich davon einmal leben könnte und habe überhaupt erst sehr spät damit angefangen, mich mit solchen Möglichkeiten zu beschäftigen. Meine Eltern haben immer gemeint, vom Musik machen könne man nicht leben, aber mir war das immer egal. Ich habe dann auch immer irgendwelche Jobs gemacht, um zu überleben, unter anderem habe ich schon sehr früh mit dem Unterrichten angefangen, so mit 15 Jahren glaube ich. In diesem Sinne kann man also schon sagen, dass ich fast von Anfang an mit Musik Geld verdient habe, aber, wie erwähnt, habe ich auch ganz miese andere Jobs gemacht, in verschiedensten Ländern. Später dann, also bereits hier in Österreich, habe ich schon gut von Konzerten und verschiedenen anderen Projekten leben können.

Bevor du nach Österreich gekommen bist, warst du ja noch in vielen anderen Ländern unterwegs, wo du auch Musik studiert hast. Gibt es in den einzelnen Ländern unterschiedliche Herangehensweisen, wie (Klassische) Musik vermittelt wird, oder ist das im Großen und Ganzen überall gleich?

Nein, überhaupt nicht. In Mexiko läuft der Umgang mit Musik viel intuitiver ab und ein bisschen chaotisch und emotional. Zumindest habe ich das so wahrgenommen, wobei es in Mexiko sicher auch anders geht. Später in Kanada gab es so einen richtigen Universitätsbetrieb, also wo sehr viel Wert auf theoretische Grundlagen gelegt wurde. Das war eine ganz wichtige Zeit für mich, wo ich extrem viel über Musik im Allgemeinen, nicht nur über die Blockflöte, gelernt habe. Ich habe dort auch Orchester dirigiert, ein wenig Komposition geschnuppert und bin mit Elektroakustischer Musik in Berührung gekommen. Ich war auch fasziniert von der Romantischen Musik, obwohl mein Instrument da überhaupt nicht dazu gepasst hat. Generell war meine große Leidenschaft das 19. bzw. der Anfang des 20. Jahrhunderts. In Kanada war jedenfalls sehr viel möglich, weil es nicht so orthodox war.

Und Holland war dann schließlich, was die Blockflöte betrifft, die Alma Mater. Dort habe ich wirklich intensiv mit und für die Blockflöte gearbeitet, sehr streng und konzentriert. Da war ich dann auch schon stark in der Zeitgenössischen Musik drinnen. Sehr wichtig waren dort sowohl Komposition als auch Improvisation sowie das Arbeiten mit neuen Spieltechniken und verschiedenste Blockflötentypen. Das gab mir die Möglichkeit, kreativ zu sein in einer auf mich selbst bezogene Art und Weise. Diese Entwicklung hatte sich aber bereits in Kanada abgezeichnet. Ich war aber auch davor in Mexiko viel mit Komponisten unterwegs, wie etwa mit Mario Lavista, ein ganz wichtiger Komponist Mexikos, den ich sehr mag und der sehr inspirierend für mich war. Ich habe unter anderem auch seine Vorlesungen besucht. In Kanada hatte ich dann Kontakt mit und Unterricht bei Francis Dhomont, damals schon eine Legende der elektroakustischen Musik, sowie bei Lorraine Vaillancourt und dem Nouvel Ensemble Modern von Montreal, die an der Universität, wo ich damals gearbeitet hatte, sehr stark präsent waren.

Würdest du sagen, diese verschiedenen Einflüsse waren der Grund dafür, dass deine Musik heute so viele Stile vereint und so offen ist?

Sicher, ich bin mit vielen Stilen vertraut, eben durch die Begegnungen mit diesen weltoffenen Musikerpersönlichkeiten und all den anderen Komponistinnen und Komponisten, deren Stücke ich interpretiert habe bzw. die für mich Stücke komponiert haben. Ich selbst wollte ja lange Zeit nicht als Komponistin bezeichnet werden. Ich komme ja, wie schon gesagt, aus der Klassik und dort gibt es immer diese Hierarchien. Ich habe die Arbeit dieser Komponisten und Autoren immer sehr geschätzt, aber ich für mich selber habe ich immer gedacht, dass ich keine Komponistin wäre, weil ich eben keine spezielle Ausbildung habe. Ich habe mich lange Zeit schlicht und einfach als Blockflötistin verstanden.

Später habe ich dann aber schon zu Improvisieren begonnen und je mehr man improvisiert, desto mehr nähert man sich auch wieder einer Art Komposition an. Aber für diesen Schritt, sagen zu können, “ich bin Komponistin”, habe ich schon sehr lange gebraucht. Dabei hat vermutlich die Auffassung, die in den nordamerikanischen Ländern vorherrscht, nämlich was der Begriff zeitgenössische Komposition alles beinhalten kann – eine Auffassung, die ja viel offener als die europäische ist -, eine gewisse Rolle gespielt.

War die Entwicklung hin zur “richtigen” Komposition eine bewusste Entscheidung oder eher so eine Art fließender Übergang?

Das war auf jeden Fall ein fließender Übergang. Mein Opus 1, wo ich jetzt wirklich von mir behaupten kann, dass ich Komponistin im klassischen Sinne bin, ist noch ganz frisch, von Oktober 2009. Da habe ich für ein Saxofonquartett komponiert, für das Danubia Saxofon Quartett und sehr wichtig ist mir auch gewesen, dass ich da selbst nicht mitspiele. Das hat allerdings alles sehr lange gedauert. Bei mir passiert überhaupt alles immer sehr langsam und ich brauche ewig, um Dinge zu entwickeln.

Auf deiner Homepage hast du noch gemeint, nur für eigene Sachen komponieren zu wollen. Hat sich also diesbezüglich deine Meinung geändert?

Ja, die Homepage habe ich schon länger nicht mehr aktualisiert, was ebenfalls meiner Langsamkeit entspricht. Damals wollte ich noch ausschließlich für mich selbst komponieren, ich habe das “Ego-Composer” genannt, aber mittlerweile hatten mich die Leute vom Saxofonquartett gefragt, ob ich was für sie machen will und ich habe zugesagt. Das war auch eine ganz schön stressige und anstrengende Arbeit, aber letztendlich hat alles gut funktioniert und ich bin sehr glücklich mit dem Ergebnis, ebenso wie die Leute, für die ich komponiert habe.

 
Hattest du betreffend diese Komposition irgendwelche Vorgaben, oder wurde dir komplett freie Hand gelassen?

Es war Gott sei dank alles mir überlassen, alles total frei. Es musste nur in das Programm rein passen und das war es auch schon. Natürlich wollte ich aber das außergewöhnliche Instrumentarium des Quartetts berücksichtigen, wie beispielsweise Basssaxophon oder Sopranino. Aber gerade  das hat mich eben auch angesprochen und ich selbst mag ja auch sehr diese tiefen Töne – je tiefer desto besser. Andererseits bin ich ja durch meine Arbeit als Musiklehrerin auch schon ein bisschen geschädigt. Ich höre diese hohen Pfeiftöne stundenlang in der Woche, ich habe die schon verinnerlicht und dann muss ich sie halt auch wieder raus lassen.

Hast du auch vor, für Instrumente zu komponieren, die du selbst nicht spielen kannst?

Das war jetzt eh auch schon so bei der Komposition für das Quartett. Saxofon ist das einzige Instrument noch dazu, das ich immer gehasst habe. Ich habe das gar nicht so analysiert, warum das so war, aber ich glaube, einfach aufgrund seiner Klangästhetik, wie man sie aus dem Pop- und Easy Jazz-Bereich kennt. In den letzten Jahren habe ich aber so wunderbare Saxofonisten aus der experimentellen Szene wie z.B. John Butcher oder Christine Sehnaoui getroffen, die fantastische Dinge mit diesem Instrument machen und mich sehr inspiriert haben. Ich möchte jetzt jedenfalls weiter für andere Instrumente komponieren. Aber nicht zu oft, weil es immer noch sehr harte Arbeit ist.

Hast du irgendwelche Wunschvorstellungen für die nächste Komposition?

Ich möchte unbedingt einmal ein Streichquartett komponieren. Das werde ich sicher einmal machen, vielleicht sogar als nächstes. Im Moment will ich aber das Saxofonquartett gut aufnehmen. Bei dem gab es auch viele elektronische Klänge und davon möchte ich gerne ein ganzes Projekt machen, bzw. eine CD-Aufnahme mit diesem Stück und dieses um weitere Kompositionen erweitern. Ich arbeite ja generell viel mit elektronischen Klängen und Field Recordings und diese möchte ich dafür einsetzen, die Komposition ein wenig zu erweitern und der CD eine ganz spezielle Atmosphäre zu verleihen.

Neben den Kompositionen improvisierst du ja auch viel, wie ich gesehen habe, beispielsweise zu Theaterstücken, Filmen oder Lesungen. Bereitest du dich darauf in irgendeiner Weise vor, oder machst du das wirklich alles völlig spontan?

Das kommt ganz auf das Projekt an, mit wem man zusammen spielt und wo das statt findet. Wenn ich die jeweiligen Mitspieler gut kenne und alles passt, dann kann ich auch auf den Moment hin loslassen und das funktioniert wunderbar. In den meisten Fällen werde ich aber so nervös, dass ich lieber etwas vorbereite. Gerade bei Filmen oder größeren Sachen muss man das aber ohnehin machen. Filme etwa schaue ich mir gut an und überlege, ob ich das eher plakativ angehe, malerisch oder total abstrakt. Und alles, was mit Theater und Tanz zu tun hat, muss man sowieso fix planen, weil sonst alles total durcheinander kommt.

Mit welchen Musikerinnen und Musikern hast du in den letzen Jahren zusammengearbeitet?  

Ich arbeite eigentlich sehr kontinuierlich an und in mehren Projekten. Da wäre zuerst einmal das Ensemble Low Frequency Orchestra, dann das Trio Los Autodisparadores mit Katharina Klement und Thomas Grill, weiters das Duo cilantro mit Billy Roisz und das Duo frufru mit Maya Osojnik und schließlich, zusammen mit den beiden, Katharina Klement und mir das Quartett subshrubs. Obwohl in all diesen Formationen Improvisation eine große Rolle spielt, würde ich dennoch sagen, dass es in diesen Konstellationen und dass es in dieser Musik um klare Konzepte und strenggebaute Formen geht. Bei Live-Vertonungen von Stummfilmen habe ich immer wieder die Gelegenheit, mit Olga Neuwirth, Dieb13 oder Burkhard Stangl zusammenzuarbeiten. Als Interpretin wiederum habe ich die Ehre gehabt, mit Komponistinnen und Komponisten wie Hilda Paredes, Katharina Klement, Daniel de la Cuesta oder Mario Lavista u.a. zusammenzuarbeiten.

Noch mal zurück zum Komponieren. Du hast vorher erwähnt, dass du alles sehr langsam angehst. Setzt du dir dann auch eine bestimmte Deadline, zu der alles fertig sein soll?

Ja, bis jetzt habe ich immer so gearbeitet, weil ich das einfach auch brauche, einen Termin zu haben, zu dem ich fertig sein muss. Letztes Jahr hatte ich viele Projekte, ich habe viel gespielt und auch noch in der Musikschule unterrichtet. Das war schon so viel, dass es nicht wirklich gut für mich war. Heuer habe ich Gott sei Dank weniger zu tun, dafür ein paar Projekte, die ein wenig weiter in der Zukunft liegen.

Dann gibt es aber auch noch ein anderes Projekt, gemeinsam mit den Schriftstellerinnen Sabine Scholl und Lydia Mischkulnig. Die haben die fünfbändige “Böhmische Bibel” geschrieben, wobei der fünfte Band gemeinsam mit einer CD veröffentlicht werden soll, für die ich die Musik mache.

Generell ist es bei mir so, dass ich nicht ständig irgendetwas schreibe, sondern ich mache mir hin und wieder Notizen, dann denke ich wieder nach und lasse mich inspirieren. Das dauert bei mir alles eigentlich ziemlich lange. Gerade habe ich aber auch wieder eine Deadline für einen Solo-Release von mir, der bald auf einem polnischen Label für elektronische Musik erscheinen wird.

Würdest du dir wünschen, weniger Sachen gleichzeitig machen zu müssen, sofern das finanziell möglich wäre?

Absolut. So gern ich es auch mache, ich würde auf jeden Fall vermutlich weniger Unterrichten, dafür durchgehender, konzentrierter an meinen Stücken und Veröffentlichungen arbeiten. Sicher liebe ich es, Konzerte zu spielen, aber wenn sie geballt auftreten, tut es mir nicht gut. Auf der anderen Seite bin ich aber auch immer neidisch, wenn jemand viel spielen kann. Das ist in gewisser Weise ein Widerspruch. Heuer ist es bei mir vergleichsweise aber eh sehr ruhig, weil ich mich wenig darum gekümmert habe. Das ist ja auch so eine Sache, wenn du viel spielen willst, dann musst du dich viel und ständig darum kümmern. Dieser Job ist sehr anstrengend und teilweise auch ziemlich undankbar. Wenn man da selbst nicht drin steckt, kann man sich gar nicht vorstellen, wie viel Arbeit das ist. Und dann kommt ja auch noch die Musik selbst dazu.

Heuer hatte ich mehr stille Arbeit. Da war das Komponieren für das Saxofonquartett und jetzt kommt dann eben dieses angesprochen Buch plus CD mit meiner Musik raus. In der Öffentlichkeit nimmt man das alles ja erst viel später wahr, während man selbst bereits die ganze Zeit daran arbeitet.

 
Aber das Spielen zugunsten des Komponierens aufzugeben, ist für dich nie in Frage gekommen?

Nein, ich brauche die Bühne. Dort bin ich immer am glücklichsten. Ich liebe es, aufzutreten und mit anderen Leuten zu spielen. Das Komponieren ist erst später dazu gekommen, aber der Hauptwunsch meines Lebens war es immer, auf der Bühne zu stehen und zu performen.

Kannst du die Sachen, die du auf der Bühne machst, überhaupt in einer zufriedenstellenden Form auf Tonträger bannen? Dort fallen ja die meisten Elemente einer Live-Performance weg.

Ich glaube, das sind zwei ganz verschiedene Sachen. Ich mache auch deshalb so wenige Aufnahmen, weil eine CD zu machen einfach ein irrsinniger Aufwand ist und viel Geld kostet. In unserem Bereich verdient man so wenig, dass es sich fast nicht auszahlt. Da müsste der Genuss schon riesig sein, dass ich das mache, aber diesen Genuss habe ich beim Aufnehmen noch nicht entdeckt. Die zwei CDs, die ich bisher gemacht habe, sind beide live aufgenommen und sehr schön geworden und ich bin auch sehr stolz darauf.

Generell ist es aber so, dass Aufnahmen zu machen weniger mit spielen zu tun hat, sondern eher vergleichbar ist mit dem Schreiben eines Buches oder dem Malen eines Bildes. Ich glaube, wenn ich so weiter arbeite wie bisher, wird es nie möglich sein, die Musik, die ich extra für Aufnahmen mache, live aufzuführen. Es sei denn, man würde sie entsprechend anders adaptieren.

Kannst du einen kleinen Überblick über deine aktuellen Projekte geben?

Da gibt es viele Dinge. Nächstes Jahr werden wahrscheinlich einige CDs von mir erscheinen. Darunter auch dieser bereits erwähnte Release auf dem polnischen Label. Die veröffentlichen Sachen auf Kassette, nicht auf CD, was mich sehr anspricht. Ich arbeite in der Elektronik auch immer mit so alten Medien, mit Radio, mit Kassetten, mit Plattenspielern und generell mit alten oder sogar kaputten Geräten.

Dann wird es wahrscheinlich im Jahr 2010 zwei Veröffentlichungen mit dem Low Frequency Orchestra geben, eine DVD in Zusammenarbeit mit dem bildenden Künstler Robert Lettner und eine CD mit Wolfgang Mitterer. Weiters eben diese Böhmische Bibel, für die ich gerade noch am Komponieren bin und ein paar Beiträge für CD-Samplers. Beispielsweise erscheint nächstes Jahr die klingt.org-Compilation anlässlich des zehnjährigen Bestehens der von Dieb13 betreuten Plattform klingt.org. Dafür wird es auch in Wien und Wels eine Feier mit Orchester geben, dem klingt.orgestra, bei dem ich ebenfalls mitwirke. Damit treten wir auch beim kommenden Donaufestival in Krems auf.

Darüber hinaus fahre ich im kommenden März für ein Duo-Projekt gemeinsam mit Burkhard Stangl nach Mexiko, denn wir haben eine Einladung zum Radar-Festival erhalten. In die Vorbereitung hierfür fließt ebenfalls viel Zeit und Arbeit, auch deshalb, weil mir Mexiko so wichtig ist. Ich werde dort auch unterrichten, dieses Mal in Form von Workshops.

Es gibt also immer viele verschiedene Projekte, zu denen auch immer neue hinzu kommen. Im Hinterkopf habe ich beispielsweisegerade ein Projekt mit mexikanischen Liebesliedern, vermischt mit abstrakten Klängen und Zeitgenössischer Musik. Und dann gibt es noch die Kirche, Neue Musik in St. Ruprecht.

Dafür bist du ja als Kuratorin tätig. Kannst du darüber ein wenig erzählen?

In St. Ruprecht mache ich die Reihe für Neue Musik als Kuratorin jetzt seit 2004 und das ist etwas, das mir wirklich sehr am Herzen liegt. Die jeweils aktuellen Termine sowie alle sonstigen Informationen zu den Veranstaltungen kann man auf der Homepage abfragen.

Normalerweise findet Musik im experimentellen Bereich ja eher im Konzerthaus (aber viel zu selten!), wo nicht jeder hingeht, oder aber in Lokalen statt, wo eher das Trinken und Partymachen im Vordergrund steht. Darum habe ich nach einem Raum gesucht, wo man einfach nur dasitzt und zuhören kann. In der Kirche machen wir einmal im Monat Konzerte, wobei ich da nicht selbst mitspiele, sondern bloß als Kuratorin tätig bin. Wir versuchen bei der Programmierung, eine Balance zwischen Wiener bzw. österreichischen und internationalen Künstlern zu finden. Im Dezember gibt es jetzt ein Konzert mit der Grand Dame des Kontrabasses Joëlle Léandre, worüber wir sehr glücklich sind. Dieses Mal ist eine Französin dran und es ist uns eine große Ehre, dass sie kommt und solo in der Kirche auftritt.

Das wird jedenfalls ein unglaubliches Konzert werden, das mir auch sehr wichtig ist, weil, wie man auch gerade an wien modern sieht, es im Bereich der zeitgenössischen Musik momentan ziemlich katastrophal aussieht.

Inwiefern?

Ich habe das Gefühl, dass die Neue Musik zunehmend ins Abseits gedrängt wird. Es wird von den Geldgebern und Konzerthäusern immer mehr eine bestimmte Quote verlangt. Nach deren Vorstellungen müssten so viele Leute kommen wie zu einem Popkonzert und dementsprechend die ganze Veranstaltung auch so aufgezogen werden. Es geht da einfach viel zu viel in den Mainstream. Ich liebe Rockmusik, pop und sonstiges und habe da auch überhaupt nichts dagegen, aber es ist halt eine ganz andere Art von Musik.

Es wird immer verlangt, dass man cooler sein muss, fescher und attraktiv für viele Leute. Ich weiß nicht, ob jetzt wegen der Finanzkrise alle Panik bekommen, aber es ist es eher ein Gefühl da, dass Neue Musik immer weniger Unterstützung erfährt, und mittlerweile ist es eher eine Tatsache. Weil nicht genügend Leute zu den Konzerten kommen, wird das Geld weggestrichen. Viele Räume müssen zusperren und die Leute sind nicht mehr so motiviert. Das ist nicht nur meine Einschätzung, ich rede darüber ja auch mit vielen Kolleginnen und Kollegen, die zum selben Schluss kommen. Deshalb ist es für mich so wichtig, mit den Veranstaltungen in der Kirche weiter zu machen.

Es gibt so viele Künstler, die alle spielen wollen, was sich aber nicht ausgeht. Ich bekomme ja auch nicht so viel Geld und wird’s schlimmer und schlimmer. Umso wichtiger ist es, dass es weiter solche Orte gibt. Klingt.org ist jetzt nicht direkt ein Auftrittsort, aber eine Plattform, die dies alles unterstützt, was auch extrem wichtig ist.

Ich finde einfach, dass “Quote” als alleiniger Barometer der Kunst etwas unheimlich perverses ist. Es tötet die Kunst und eine Gesellschaft ohne Kunst ist auch eine tote Gesellschaft.

Du hast gerade erwähnt, dass es mehr Künstler gibt, als du dort auftreten lassen kannst. Nach welchen Kriterien wählst du da aus?

Das ist der härteste Job. Als ich damit angefangen habe, habe ich es nicht ahnen können. Gott sei dank bin ich aber nicht alleine. Bei der Programmierung sind wir zu viert und jeder gibt seine Meinung ab, was mir sehr wichtig ist. Wir machen das alle ehrenamtlich, vielmehr investiere ich oft sogar noch viel Geld, weshalb es auch möglich ist, darauf zu bestehen, dass wir dort veranstalten, was wir für wichtig, notwendig und passend erachten. Was das letztendlich ist, kann man aber nicht rational oder objektiv erklären. Ich zwinge mich manchmal aber auch dazu, etwas zu programmieren, das ich persönlich nicht so mag, weil vielleicht der Künstler so beeindruckend ist oder was auch immer. Teilweise ist das schief gelaufen, aber manchmal war das auch sehr schön.

 
Mit der Zeit merkt man auch, was am besten in die Kirche rein passt. Am Anfang haben wir da alles programmiert, Rock, Punk, Elektronische Konzerte, komponierte Musik, experimentelles Zeugs und Improvisationen. Mittlerweile hat sich aber heraus gestellt, dass kleine akustische Sachen vom Klang her am besten funktionieren. Für elektronische Musik ist die Kirche allerdings oft weniger geeignet.

Teilweise habe ich es auch geschafft, Kollegen und junge Künstler aus anderen Ländern hierher zu bringen, im Zuge dessen es dann zu Begegnungen mit österreichischen Künstlern gekommen ist. Nächstes Jahr etwa, kuratiere ich gemeinsam mit Susanna Niedermayr und Christina Nemec ein größeres Projekt: Mexiko feiert 100 Jahre Revolution und 200 Jahre Unabhängigkeit. Hierzu möchte ich ein Festival in Österreich machen, mit mexikanischen Künstlern, die gemeinsam mit österreichischen Künstlern spielen. Ich möchte einfach, dass es mehr Begegnungen gibt und nicht bloß jeder für sich in seinem eigenen Häuschen bleibt. In Mexiko ist momentan im Bereich Neue Musik, Elektronik und Improvisation sehr viel los und ein gegenseitiger Austausch könnte allen Beteiligten immens viel bringen.

Sicher, durch die Globalisierung und das Internet ist eh alles ein wenig mehr zusammen gerückt, aber es geht eben nach wie vor nichts über das gemeinsame auf der Bühne Stehen. Als Vorgeschmack zu diesem Festival kommen bereits im Dezember die zwei Mexikaner Mario da Vega und Enrico Montero nach Wien, mit denen Burkhard Stangl und ich im Rhiz und in der Grazer Postgarage auftreten werden.

Du hast vorher angesprochen, dass die Situation hier merkbar schlechter wird. Was würdest du dir sowohl seitens der Gesellschaft als auch der Politik wünschen, um wieder ein verstärktes Interesse an Musik zu schaffen und diese zu fördern?

Ich kenne mich wirtschaftlich nicht so gut aus und kann deshalb nicht so gut beurteilen, wie schlimm die Krise jetzt wirklich ist. Wenn die Leute tatsächlich wenig Geld haben, muss man eben solidarisch bleiben. Ich bin auch nicht der Typ zu sagen, die Leute sollen mehr zu Konzerten kommen oder mehr Geld für Kunst ausgeben. Jeder muss für sich selber wissen, was er geben kann: Zeit, Worte, Geld, usw. Man muss einfach die Fühler ausgestreckt lassen, aufmerksam sein, um eine mögliche Katastrophe zu vermeiden.

Ich finde es halt ein bisschen schade, dass die Leute immer nur am Mainstream interessiert sind. Andererseits ist das vielleicht auch bloß eine Kunstbewegung, die ich nur nicht verstehe.

Ich kann nicht sagen, was man generell besser machen könnte. Ich leiste meinen Teil eben mit den Veranstaltungen in der Kirche und beim Unterricht meiner Schüler. Vielleicht ist das gerade auch eine Periode, wo jeder sehr individualistisch denkt, was sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich bringt.

Du arbeitest ja auch schon lange Zeit mit Kindern. Kannst du da im Zeitvergleich Verschlechterungen hinsichtlich des Interesses an Musik feststellen, oder dass generell weniger Talent vorhanden ist?

Die Kinder sind natürlich immer dieselben. Nur durch unsere chaotische Gesellschaft werden diese eben auch chaotisch und bieten so ein gnadenloses Spiegelbild der Erwachsenen. Allerdings ist es immer noch möglich, unter all diesem Chaosin in einen Menschen, ein Kind, zu finden, das voller Kreativität und Neugierde steckt – man muss sich nur die Mühe machen, unter diese Oberfläche zu dringen. Manchmal ist das leicht, manchmal dauert es ein wenig länger, aber es ist fast immer möglich.

Vielen Dank fürs Interview.

Fotos: Armin Bardel

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