mica-Interview Ana Threat

Mit ihrer aktuellen Platte “Broken Heel Island” (Trash Rock Productions/Hoanzl) fabriziert Ana Threat (auch bekannt als Gitarristin/Sängerin des hochgelobten Wiener Garagenpunk-Duos The Happy Kids) eine dem abgründigen Wahnsinn freundlichst zugeneigte Tour de force in Sachen Trash-Rock’n’Roll, bei der sich Voodoobeschwörungen, Surf-Punk und präpsychedelische Exotica-Versatzstücke in schummrigen Beatnikkellern ein Stell-dich-ein geben. “Sympathischen Irrsinn” nannte das “Der Standard” und wirklich: Ana Threats auf den Grundprinzipien “Reduktion und Repetition” basierende Songs, die nur mit einer alten E-Gitarre und noch älteren analogen Rhythmusboxen zustande kommen, erzählen von jenen Parallelwelten des Rock’n’Roll in denen Psychosen mittels einer kruden Kombination aus Exotica, Narcotica und Erotica immer schon gerne gepflegt wurden. Aufgenommen natürlich in Mono und dabei alles andere als eine weitere Rock’n’Roll-“Retromanie” für nostalgische Oldie-Abende. Viel eher geht es der “1-Kid-Kombo” Ana Threat, die Live auch gerne mit Wrestling-Masken auftritt um die Suche nach dem vermeintlich “Anderen im Eigenen”, also dem Unbewussten und den geheimen Abgründen scheinbar harmloser Oldies. Dass all dies in der Stadt von Freund nun unter dem Signet “Vienna Exotica” praktiziert wird, mag dann auch kein Zufall mehr sein. Für mica – music austria führte Didi Neidhart mit Ana Threat ein Interview und sprach mit ihr u.a. über praktisch umgesetzte D.I.Y.-Ideologie, die produktive Kraft von Fehlern sowie Trash als Wissenschaft.

Ana Threat gibt es seit Sommer 2009 als Gitarristin/Sängerin des, zusammen mit Al Bird Dirt betriebenen Wiener Garagenpunk-Duos The Happy Kids. Wie würdest du Ana Threat von den Happy Kids unterscheiden? Musikalisch bewegt ihr euch ja auf ähnlichen Feldern.
Ana Threat ist in erster Linie ein Recording Artist, d.h., der Hauptspaß liegt darin, sich im Proberaum oder Schlafzimmer zu verschanzen und an einer Aufnahme zu tüfteln. Die Happy Kids nehmen zwar auch gern und viel auf (und das auch immer selber), aber bei diesem Projekt liegt ein viel größeres Gewicht auf den Live-Auftritten. Das liegt vielleicht daran, dass sich mit den Happy Kids live viel besser ein Fass aufmachen lässt, als mit Ana Threat alleine. Eine weitere Unterscheidung liegt in Geschwindigkeit. Die Happy Kids spielen viel schneller, schließlich soll getanzt werden. Bei Ana Threat hingegen ist alles viel langsamer angelegt. Da geht es weniger darum, jemanden zum Tanzen zu bringen, als die Audience zu hypnotisieren. Wenn die Happy Kids z.B. eher in Richtung Bo Diddley gehen, ist Ana Threat mehr Reverend Charlie Jackson.

Du bezeichnest dich selber als “1-Kid-Kombo”, der es um “exzessive Verstärkung” bei “gleichzeitigem Abkochen bis auf die Knochen” diverser “Themen und Tropen” geht. Was ist darunter konkret zu verstehen?

1-Kid-Kombo ist ein geborgter Begriff. Geprägt hat ihn Al Bird Dirt. Ich verwende die Formulierung gerne, weil es sich so vermeiden lässt, mein Geschlecht sofort und innerhalb einer heteronormativen Matrize verständlich auszuweisen. Ich habe so meine Probleme mit dem Ausdruck “One-Woman-Band”, zum Beispiel. Alternativ verwende ich noch “1-Grrrl-She-Freak-Combo”, wenn es gar nicht ohne Geschlecht geht: zumindest wird in dieser Bezeichnung das Exzessive, das Künstliche, das Übertriebene und auch das berühmte “Andere”, dass in einer Etikettierung von Musikschaffenden Personen als “Woman” sowieso immer mitschwingt, deutlich. “Abkochen” bedeutet nichts anderes, als mit reduzierten Mitteln –  nur vier Spuren auf der Bandmaschine zum Beispiel – aus einem Stück die intensiven Momente maximalst herauszuholen.

Als Einflüsse nennst du immer wieder “1950s Novelty-Percussion und Exotica sowie 1960s Girl-Group-Verzweiflung”. Woher kommt die Liebe und Begeisterung für diese Genres?
Ana Threat ist vermutlich als kleines Kind in den 1950/60er-Faserschmeichlermusikkessel ihrer Mutter gefallen. Nein, ernsthaft. Mich haben schon immer die Abgründe fasziniert, die in einem Stück scheinbar harmlosen Oldies-Hitparadenpops à la “Eis Am Stiel” lauern können.

Ist deshalb auch Exotica ein so wichtiges Thema für dich? Hier geht es ja auch vor allem um das ausgestellte Ultrakünstliche diverser Fake-Paradise und die dadurch unterschwellig mittransportierten Themen (kurz Sex & Drugs, Prä-Psychedelic, etc.)?
Mich reizt die Konstruktion des “Exotica”-Raumes, in dem zugänglich ist, was in der Herstellung eines bürgerlichen Subjekts der Moderne verboten ist. Sei es nun Rausch oder Promiskuitäten – oder auch nur affektive Intensitäten oder Exzess. Die Projektion dieses Verbotenen auf das vermeintlich “unzivilisierte” Andere in vielen Exotika-Produktionen ist natürlich problematisch. Der Exotika-Raum, den ich als Ana Threat aufmache, bezieht sich deshalb dezidiert auf das “Andere” im Eigenen. Wenn man es psychoanalytisch ausdrücken möchte.

Du beschäftigst dich ja vor allem mit eher “älterer” Popmusik, die zu ihrer Entstehungszeit durchaus Mainstream war (etwa Exotica als spezielle Spielart von Easy Listening) und wogegen sich Rock’n’Roll u.a. ja auch positioniert hat. Wie entgehst du da den Aspekten “Nostalgie”, “Traditionspflege”, “Retromanie”?
Ja. Das verwirrt mich selbst immer wieder. Allerdings: es kommt hier auf den Kontext an. Exotica ist eben nicht mehr Mainstream, es ist Musik, die gealtert ist, und die verfremdend wirkt, wenn ich sie in einen aktuellen Kontext einspeise. Es geht also nicht darum, eine vergangene Situation eins zu eins wiederherzustellen, und eventuell auch der gloriösen Vergangenheit kollektiv, nachzutrauern, sondern darum, mit Zitaten Irritationen hervorzurufen. Und natürlich liegt der Reiz auch in der Kombinesch. Ich spiele ja kein Retro-Exotika-Set, am besten noch mit einer handzahmen Hula-Einlage, unkommentiert, und gehe dann nach Hause. Sondern ich mische ja Easy Listening mit Rock’n’Roll unter Einbeziehung von Politiken und Theorien, die ich in den 1990er und 2000ern gelernt habe – also poststrukturalistische Ideen, oder queer Theory.
An den beiden Genres – wenn man sie so bezeichnen möchte – Rock’n’Roll und Exotika interessieren mich deshalb meistens genau auch die Aspekte, die sie unpassend, unüblich, und in einem Mainstream-Kontext schwer verdaulich gemacht haben, oder aber immer noch machen. Im Easy Listening suche ich nach Momenten, in denen ein Stück den Witz oder die Novelty übertreibt und irgendwie übers Ziel schießt, so dass es gar nicht mehr easy ist, sondern befremdlich und bedrohlich. Und am Rock’n’Roll mag ich jene Momente, die von einer ganz eindeutigen Dringlichkeit sprechen, die sich aber eigentlich selbst nicht ganz ernst nehmen kann – Stücke, deren Lyrics nur aus der Zeile “You’re gone, I’m left” bestehen zum Beispiel, was dafür aber insgesamt fünfundzwanzig mal wiederholt wird. Und das mit einem hysterischen Hickup in der Stimme, die eher an einen gequälten Vogel erinnert als an einen urmännlichen Rockerboy. Man könnte die beiden Genres ja auch schablonenhaf tals zwei Seiten derselben Nachkriegs-Münze lesen: hier die Stabilisierung einer bürgerlichen Konsumgesellschaft im Kalten Krieg, dort ihre vermeintliche Aufrüttelung, und in beiden Fällen funktioniert die Trennung so aber nicht. Wenn sich die beiden Seiten dann in einer Nummer treffen, ist das wunderbar – man denke z.B. an “Nautiloid Reef” auf der “Concussion!”-Compilation auf Mr.Manicotti Records. An diesen Ort will Ana Threat hin.

In deinem Textbeitrag “Geisterstunden-ChaChaCha” zum heurigen Linzer “Stop!Spot!”-Festival (erschienen in “skug – Journal für Musik”, Nr. 88) schreibst du über die Gespenster der Popkultur, die uns immer noch heimsuchen. Aktuell benannt wird dieses Phänomen als “Hauntologic”- bzw. “Hypnagogic”-Pop und ist Teil der “Retromania”-Deabtte. Was bzw. wer sind deine Gespenster/Geister und wie gehst du mit ihnen um?
Für mich ist es sehr schwierig, das zu konkret zu benennen, ohne lächerlich zu klingen. Bei Gespenstern geht es ja oft auch viel um die eigenen Fantasien zu verschiedenen historischen Zusammenhängen. Ich sammle halt Platten, um dem zu begegnen. Und spiele Stücke, die mir nicht mehr aus dem Kopf gehen, wieder und wieder, bis es sich richtig anfühlt. Also eh eine sehr übliche Art, mit Gespenstern zu arbeiten: ich singe ihnen eine Art Messe, sozusagen.

Im selben Text schreibst du: “Wir fordern und praktizieren im Umgang mit Gespenstern: Diebstahl, Befrechung, Imitation, Übertreibung, Geschlechtsverkehr, Kannibalismus, Beatmesse (überkonfessionell).” Das erinnert auch etwas an die Manifeste von Ja, Panik!, die die Entwendung von Fremdmaterial ja auch der Idee eines nur aus sich selbst heraus schaffenden autonomen AutorInnen-Subjekts gegenüberstellen. Ist das klassische KünstlerInnen-Modell für dich passé? Wenn ja, wieso? Wo liegen beim klassischen Modell die Probleme – der Hund – begraben?
“Geisterstunden-ChaChaCha” hab ich weniger mit Ja, Panik am Schirm verfasst, als mit Wild Billy Childish. Was mir selbst zutiefst zuwider ist, ist dieses Musiker_innentum, das sich durch einen großen Teil der (Rock)Musik fräst: je besser jemand sein/ihr Instrument im Griff hat, desto wertvoller ist zwangsläufig sein/ihr Schaffen. Und desto besser darf man das dann finden. Mir ist nicht einsichtig, warum jahrelange Fingerdomptiererei am Instrument jemanden zu einer interessanteren “Musikerin” machen soll, als jahrelange Beschäftigung mit der Materie als Hörerin, Sammlerin, Liebhaberin. Solche Ansätze sind mir zu körperbeherrschungsorientiert. Drei Griffe reichen. Manchmal auch nur ein richtig schönes Echo-Feedback
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Konzeptuell bedienst du dich hauptsächlich der Mittel der Reduktion und Repetition. Eine Gitarre, eine alte Rhythmusbox reichen. Hat das mit der von dir geliebten Musik zu tun, die ja auch eher minimal und “primitiv” gestrickt ist, oder hat dich die Beschäftigung mit Reduktion und Repetition quasi zu dieser Musik geführt?
Beides trifft zu.

Wie wählst du deine Songs aus?
Nach Appetit?

Neben Cover-Versionen (“Sleep Walk”, “I Can Give You Only Give You Everything”, “Ya Ha Ba Be”) gibt es bei Ana Threat auch eigene Stücke, die jedoch wie Patchworks aus Versatzstücken aus dem “Incredibly Strange Music”-Songbook klingen. Entstehen solche Songs bei dir ähnlich wie bei anderen, die solche Mash-Ups halt mit Computern machen?
Keine Ahnung, wie Computer-Mashups entstehen. Im Prinzip vermutlich ähnlich, also: ja? Die Technik an sich ist ja keine aufregende, sondern eh nur basteln, wie man es schon im Kindergarten lernt: eine Kastanie und vier Streichhölzer sind ein Reh. Ich bastle halt auf einen bewusst reduzierten Level. Und Software als Musikinstrument interessiert mich weniger, weil ich einfach gerne mit einem von vorne herein sehr beschränktem Werkzeugkoffer arbeite. Alte, analoge Kasteln können halt z.B. nur eine bestimmte Anzahl von Presets dudeln, und ich spiele auf der Gitarre mehr oder weniger auch immer nur dasselbe. Diese Dinge auf eine Art zu verbasteln, dass nicht jede Nummer gleich klingt, dass einer bei meinen Alben oder meinen Live-Shows trotzdem nicht das Gesicht einschläft, ist die Herausforderung, auf die ich stehe.

Was bedeutete für dich in diesem Zusammenhang Begriffe wie „Innovation“ und “Fortschritt”?

Was “Fortschritt” betrifft, bin ich eher vorsichtig. “Fortschritt” als Imperativ lässt oft sehr wenig Platz auf den Seiten und zwischen den Stühlen. Und “Innovation” klingt mir auch zu sehr nach EU-FP7-Projektantragsjargon.

Geht es dabei nicht auch immer wieder um die faszinierenden Aspekte all jener produktiver Missverständnisse, die Popkultur per se ausmachen?
Bestimmt. Für mich zumindest. Wenn man so will, ergibt sich auch bei Ana Threat “Innovation” durch Fehler (Text falsch verstanden / bei der Aufnahme versungen), mangelnde Skills (Gitarrenriff zu kompliziert), oder limitiertes Equipment (meine alte Acteone-FR3-Rhythmusbox spielt keine Presets mit Breaks). Mich erleichtert das, weil ich es als eine eher un-faschistische Interpretation von “Fortschritt” empfinde.

Auch deine aktuelle Platte “Broken Heel Island” (Trash Rock Productions) gibt es nur auf Vinyl und als Download. Wieso nicht auch auf CD?
Das ist einfach eine Vorliebe fürs Material. CDs finde ich tendenziell sehr hässlich, und auch nicht angenehm anzugreifen. Artwork sieht meines Erachtens im 7″-, 10″ oder 12″-Format viel besser aus, als im CD-Quadrat in so einem furchtbaren Crystal-Case. Auch auflegen mit CDs macht mir sehr viel weniger Spaß, als mit Platten. Ein bisschen Angeberei schwingt sicher auch immer mit dabei.

Du sagst selber, dass du nicht die grössten Skills hast, was Gitarrenspiel, Aufnahmetechnik und Produktion betrifft, machst aber dennoch alles selber. Ist das einfach praktisch umgesetzte D.I.Y.-Ideologie, oder steckt da bei dir noch mehr dahinter?
Hauptsächlich ist es “praktisch umgesetzte DIY-Ideologie”, wie du es bezeichnest – schließlich hat ein wesentlicher Teil meiner musikalischen Sozialisation ja auch im Anarcho-Punk-Umfeld stattgefunden. Außerdem kann ich das, was ich umsetzen möchte, wirklich am einfachsten selbst machen – auf einer praktischen, ganz unideologischen Ebene. Es ist erfahrungsgemäß ein Riesenaufwand, einer professionellen Tonperson zu erklären, dass es tatsächlich so klingen soll, wie es klingt – bei den Happy Kids wie bei Ana Threat. Ich habe da einfach kein passendes Vokabular. Da ist es einfacher und auch zeitökonomischer, es gleich selbst zu machen. In diesem Zusammenhang ist ja auch die “Ana Threat-Strickliesl” entstanden, die Angela Lehner entworfen hat.Dogma ist es allerdings auch keines. Was ich wirklich nicht auf die Schnelle lernen kann, und wozu mir auch die Produktionsmittel fehlen, gebe ich gerne ab. Für das Mastering der letzten Produktionen zum Beispiel haben sowohl die Happy Kids als auch Ana Threat mit Chris Janka in seinem crazy Kellerstudio mit seiner tollen Studer-Tonbandmaschine zusammengearbeitet – mit wie ich finde sehr zufriedenstellenden Resultaten. Und lustig war es auch.

Mit was für einem Equipment arbeitest du eigentlich?

Ich verwende zur Zeit hauptsächlich analoge Rhythmuskasteln aus den späten 60ern und frühen 70ern, billige Amps, eine Vierspruchmaschine, Kopfhörer als Mikrofone, Glöckchen, Rasseln, Ketten und Schlüssel – und alles, was Saiten hat. Auf den aktuellen Aufnahmen vor allem Gitarre, in Zukunft werden Bass, Lapsteel und Zither stärker zum tragen kommen.

Deine Live-Shows haben ja auch ein durchaus markantes performatives Element. Es sind nicht einfach Live-Konzerte. Du trägst Wrestling-Masken, Kostüme, etc. Wie wichtig sind diese Inszenierungen neben der Musik für dich?
Ana Threat als Live-Act ist etwas anderes als Ana Threat, the recording artist. Live trete ich gerne mit Unterstützung befreundeter Musiker_innen auf; früher z.B. öfter mit den Gore Gore Boys als Backing Band, aktuell vor allem mit Rita Rumble an den zweiten Vocals und Maracas. Und ja, die Inszenierung ist sehr wichtig. Wie gesagt, möchte ich nicht unkommentierten Retro-Zirkus vorführen, und da sind Masken und Kostüme als zusätzliche Elemente der Verfremdung sehr praktisch. Darüber hinaus bringt so eine Wrestling-Maske einen ordentlichen Schub in Richtung Hässlichkeit – und auch Lächerlichkeit – mit sich, und man kann sich und seinen Act gleich viel weniger wichtig nehmen. Das schubst die Shows oft in eine interessante Richtung, weil niemand von mir erwartet, dass ich da jetzt das “authentische” Indie-Prinzesschen gebe. Ich bin lieber ein bisschen grotesk.

Du sprichst im Zusammenhang mit deiner Musik (und der der Happy Kids) von “Vienna Exotica”. Was ist darunter zu verstehen und welche Bands würdest du noch dazu zählen?
“Vienna Exotica” bedeutet für mich nichts anderes als eine kontext- und gegenwartsbewußte Auseinandersetzung mit musikalischen Archiven – Blues, Novelty, Beat, Punk, Schlager, Easy Listening, Rockabilly, Gospel, Riot Grrrl Rock, No Wave, Post-Punk, Noise, Rock N Roll – unter Einbeziehung von aktueller Kulturtheorie und lokalen Partystrukturen, und immer gekoppelt mit der Suche nach dem Absurden, dem Überflüssigen, und dem, das keine vorgefertigte Szene (inklusive hipper Uniform mit sofortigem Wiedererkennungswert) in dieser Stadt hat. Deshalb “Exotica” in dem Sinn, dass es ein gewisses “Anderes” darstellt, das eine breite Projektionsfläche für Fantasien der Überschreitung bietet. Einstweilen ist das Etikett, sofern man es als solches verstehen will, noch ein sehr persönliches – soll heißen, mir würden, was Bands betrifft, spontan nur die Happy Kids und Ana Threat einfallen. Was DJs betrifft, machen Patricio Salgado und Patrick Rampelotto vom Zirkus Maximus auch Vienna Exotica. Finde ich.

Was ist die “Vergangenheit” (der Popkultur) für dich? Ein Steinbruch, ein Kanon, etwas gewesenes, ein Rückspiegel in den geblickt werden muss, bevor überholt wird?
Die Vergangenheit betrachte ich als Archiv. Mit gut erforschten genauso wie mit eher staubigeren Ecken. Gute historische Arbeit beginnt oft mit Archivrecherche. Allerdings reicht es hier auch nicht, einfach Dokumente zu sammeln, sondern ich muss die auch kritisch kommentieren, in den Kontext meiner Fragestellung integrieren, hinterfragen, durch Theorien auf den Kopf stellen. Ana Threat hat einen wissenschaftlichen Zugang zur musikalischen Vergangenheit in dem Sinne, dass ich das für mich interessante Archivmaterial durch den Theoriewolf drehe. Nur dass das Ergebnis halt kein Text ist, in dem ich verdaue, was ich gefunden habe, sondern eine Platte oder eine Livesituation.

Hast du Vorbilder & wenn ja welche & warum?
Sicher. Viele. Alle wenig originell und vorhersehbar, wie das so mit “Vorbildern” so ist: Die Horror-Rockabilly-Legende Jack Starr wegen seiner Monstermasken, die Silver Jews für das beste Songwriting der Welt, die Cramps und Miriam Linna und Billy Miller von Norton Records wegen ihrer Recherchen zu und dem Wiederauflegen von absurder Musik. Und Holly Golightly, als Ex-Headcoatee, das auf ihren Solo-Aufnahmen immer wieder eigenwillig ganze Bands domptiert.

Deine Musik könnte auch “Trash” genannt werden. Jetzt hat dieser Begriff aber durch Formate wie “Trash-TV” mittlerweile einen eher schalen Beigeschmack bekommen, wo halt alles “Was so schlecht, dass es schon wieder gut ist” reingehauen wird. Ist “Trash” für dich noch eine nutzbare Option?
“Trash” als Label ist für mich natürlich interessant, und Al Bird Dirt und ich verwenden es ja z.B. auch bewusst als Etikett, für die Musik die wir machen, und auch für unser Vinyllabel Trash Rock Productions. “Trash” bedeutet mir für allerdings nicht unbedingt nur zwingend schlechten Geschmack, sondern eher etwas, das irgendwie kaputt ist, und dass gerade niemand so recht haben will. Das vereinnahmen die Happy Kids, das nimmt Trash Rock Productions für sich in Anspruch, das behauptet Ana Threat für ihre Produktionen. Besonders Ana Threat verstehe ich ja auch dezidiert als Outsider-Act, mit dem sich keine großen Sachen in Sachen Popularität reißen lassen. Aber das ist auch genau der Platz, an dem ich mich mit diesem Act am wohlsten fühle. Wahrscheinlich aus verdrehtem Snobismus und analer Renitenz.

Neben der Musik widmest du dich ja derzeit der Erforschung von populären und wissenschaftlichen Diskursen zum Thema (Amateur-)Pornographie. Wie bist du zu diesem Thema gekommen? Ist das auch Teil der “Vienna Exotica”? Was sind dabei deine theoretischen Ausgangspunkte?
Ich betrachte mich hier als einen Teil einer aktuellen kulturtheoretischen Perspektive, die versucht, Pornografie als Massenphänomen jenseits einer Dichotomie von Schaden und Nutzen zu beforschen. Also Post-Sex-Wars. Mich interessieren zur Zeit vor allem der Einsatz von affektiven Elementen – Marker von Häuslichkeit und Intimität zum Beispiel – in mainstream-orientierten Amateurproduktionen, die über das Internet disseminiert werden. Vienna Exotica ist diese Beschäftigung eher nicht – es ist Lohnarbeit. Was sich die beiden Aktivitäten teilen ist, dass ich in beiden Belangen oft auf dieselben theoretischen Grundlagen zurückgreife.

Wie wichtig ist der Sound bei deiner Musik? All das (Band)Rauschen, Verstärkerbrummen und Rhythmus-Box-Knacksen?
Diese Elemente stehen vor allem bei meiner Recording-Arbeit extrem im Vordergrund. Ich betrachte auch den Raumsound und diese Nebengeräusche als Instrumente, auf denen ich die Stimmung eines Stücks rauf- und runterorgeln kann.

Gibt es auch “aktuelle” Musik, die dir gefällt, dich inspiriert?

Aber ich mache doch aktuelle Musik!

Danke für das Interview.