mica-Interview 16. KomponistInnenforum Mittersill

Seit 1996 gehört das auch heuer wieder von Wolfgang Seierl und Hannes Raffaseder initiierte “Internationale KomponistInnenforum Mittersill” zu den wichtigsten Begegnungsorten von MusikerInnen der Neuen Musik (was beim KoFoMi jedoch schon lange als sehr offener Begriff verhandelt wird). 2011 lautet das Forums-Motto schlicht und einfach “Musik?” und beschäftigt sich mit u.a. mit dem Paradox der Gleichzeitigkeit einer allgegenwärtigen Musikbeschallung bei gleichzeitigem Verschwinden von immer mehr Musik aus dem öffentlichen Diskurs. Darüber und über Neue Musik im allgemeinen unterhielt sich für mica Didi Neidhart mit Wolfgang Seierl.

Das Thema des diesjährigen, 16. KomponistInnenforum Mittersill lautet schlicht “Musik?”. Wieso ein Fragezeichen und kein Rufzeichen?

Nach den Erfahrungen und Ergebnissen im letzten Forum vor allem mit Bill Drummond und seiner Anweisung: “Stell Dir vor Du wachst auf und die Musik ist verschwunden…”, ist klar gewesen, dass wir heute unter Musik sehr Unterschiedliches verstehen. Was also (und wann) Musik ist, lässt sich nicht eindeutig beantworten, deshalb das Fragezeichen.

Beim heurigen Popfest in Wien gab es ja eine thematisch ähnliche Panel-Diskussion unter dem Motto “All Souled Out – Wozu noch Pop?”, wo die seit Jahren apostrophierte “Krise der Popmusik” eher als Resultat veränderter Verhältnisse zwischen Musik und Wirtschaft (Durchökonomisierung aller ästhetischer Aspekte), Musik und Rezeption (von Download bis hin zu Musik als quasi Anhängsel von Werbe-Events) sowie Musik und Kritik (Musikkritik als nur noch Verlautbarungsjournalismus auf Basis von Copy & Paste-Artikeln aus Promotexten und Wikipedia-Einträgen) diagnostiziert wurde. Wohingegen die Musik an sich, also ihre Gegenwart wie ihre Zukunft weniger pessimistisch betrachtet wurde. Würdest du das bezogen auf die “Ernste Musik” ähnlich sehen, oder geht es hierbei nicht eher grundsätzlich um den Stellenwert ästhetischer Produktionen in unserer Gesellschaft?

Es geht um beides. Ich sehe die Gegenwart der Musik nicht pessimistisch, möchte für diese Gegenwart aber auch die Begriffe geklärt sehen, die sich immer wieder verwirrend in den Weg stellen: ernst, neu, unterhaltend, volks-, kunst-, usw. Natürlich sind auch in dem Bereich, in dem wir vornehmlich arbeiten (im experimentellen Bereich), die Bedingungen und der Markt radikal anders geworden. Vieles hat sich verschoben, verlagert. Ich sehe durchaus auch die Gefahr, dass uns etwas Wesentliches abhanden kommt. Aber dafür machen wir diese Dinge ja, dass das nicht passieren wird.

In Text zum heuer zum 9. Mal stattfindenden Symposium heißt es: “Die Frage danach, was Musik ist, ist heute wohl nicht eindeutig zu beantworten. Ist sie die Allgegenwärtige und wie nie zuvor Konsumierte oder doch eher die sich dem Massenkonsum Entziehende und damit die, die in Gefahr ist, zu verschwinden?”
Gibt es nicht seit jeher eine Dialektik zwischen Allgegenwart und Verschwinden?

Ja natürlich. Nur heute drängt sich diese Frage besonders auf, weil die Allgegenwart der Musik noch nie zuvor so gegeben war wie eben jetzt.

Verschwindet die Musik nicht auch im “Massenkonsum”, wo sie zwar permanent verfügbar und zu hören ist, ihre ästhetische, soziale und politische Relevanz jedoch fast komplett verloren hat?

Von dort geht diese Gefahr ja aus. Die Musik wird nie aus den Verkaufsregalen und Downloadshops verschwinden, vielmehr verschwindet die Rezeptionsfähigkeit und das Bewusstsein bei den KonsumentInnen. Wenn für alle alles (alles Aufgenommene, d.h., “recorded ,music” als übergreifende Kategorie) gleich klingt, wie das Drummond für sich festgestellt hat und zwar in dem Sinn, dass auch hier das Medium zur Botschaft wird und nicht mehr die über die damit transportierte Musik, dann ist das möglicherweise ein Verlust…

Verzieht Musik, die sich dem Massenkonsum entzieht nicht eher vermehrt in Richtung all jener special interesst Blogsphären, die sich im Internet auftun, um dort wieder aufzutauchen? Etwa bei Blogs, die wie selbstverständlich obskuren Easy Listening-Pop, Neue Musik, elektronische Avantgarden und Free Jazz miteinander verknüpfen und so auch Kontexte wie Zugänge erweitern.

Das ist natürlich auch ein Aspekt des Verschwindens, dass die Musik dort verschwindet, wo man sie erwarten würde, aber eben ganz woanders wieder zum Vorschein kommt. Damit ist sie ja für viele doch in einer gewissen Weise verschwunden, zumindest eine Zeit lang.

In der Symposiums-Ankündigung heißt es weiter: “Die ‘Neue Musik’ ist zwar weit gehend etabliert, das aber in ihrer ihr eigenen Unangepasstheit.”
Kann “Etablierung” überhaupt ein Ziel sein? Welche ökonomischen, ästhetischen, gesellschaftspolitischen Aspekte spielen hier mit rein?

Seit sich die neue Musik mit großem “N” schreibt, was ein bewusster Akt einer Art Marketing eines gewissen Herrn Bekker war, ist Neue Musik ein Label, ein Brand, eine Marke und zielt somit auch auf das entsprechende Ansehen und den Stellenwert am Markt. Wenn Schönberg damals von der Vorherrschaft der deutschen Musik gesprochen hat, ging es genau um dieses Etablieren einer Marke – also um Macht.
Das ist heute nicht viel anders. Obwohl es schon lange nicht mehr um Vormachtstellungen geht, geht es noch immer darum – etwa bei Festivals wie Wien Modern – mit Programmen und Vermittlungskonzepten das “Neue” zu etablieren, zu verkaufen.

Ist diese “Unangepasstheit” der “Neuen Musik” mittlerweile nicht auch zu einem Klischee bzw. im schlimmsten Fall zu einen Dogma geworden? Gibt es eine Art amtlicher Unangepasstheit vergleichbar dem Motto “Harder, Faster, Louder” in der Rockmusik?

Natürlich ist das inzwischen ein Klischee, aber geschichtlich gesprochen ein sehr hoher, fast nur auf einer spirituellen Ebene verstehbarer Anspruch. Die “amtliche Unangepasstheit” hat sich manchmal so dargestellt, dass es immer wieder geheißen hat, spiel was du willst, ganz frei, C-Dur ist aber verboten usw. Das gibt es eigentlich heute nicht mehr oder immer weniger.

Geht es nicht auch darum, welchen Preis man zu zahlen bereit ist, um vom Mainstream mehr akzeptiert und respektiert zu werden? Wir wissen ja, dass der Mainstream Randständigem und Minoritärem nur unter den Bedingungen (und den damit verbundenen Abstrichen), die er diktiert überhaupt Zutritt in die Mitte der Gesellschaft erlaubt.

Es ist klar, dass auch die VertreterInnen einer Minderheit ebenso nach Erfolg und Akzeptanz verlangen wie die, die dem Mainstream angehören. Davon zeugt auch Weberns Ausspruch, dass seine Melodien irgendwann einmal jeder Briefträger vor sich hin pfeifen wird. Das war natürlich naiv. Heute ist es vielen Musikschaffenden klar, dass sie in einer Nische arbeiten, aus der sie nie herauskommen werden. Vielleicht auch gar nicht wollen. Ja, es gibt auch die, die das gar nicht anstreben und sogar ablehnen.

Zur Neuen Musik heißt es weiter: “Obwohl längst in die Programme der Opernhäuser und großen Festivals eingeführt, ist sie doch nur einer relativen Minderheit wirklich zugänglich.”
Ist “Zugänglichkeit”/”Unzugänglichkeit” nicht ein Kriterium, dass auf jede Musik, auf jedes Genre zutrifft? Hat nicht jede Musik ihre mitunter sehr strengen TürsteherInnen? Schwingt hier nicht immer auch der Wunsch mit qua eigener Zugänglichkeit zu einem vermeintlich Unzugänglichen Teil einer ästhetisch privilegierten Elite sein zu wollen?

Das ist wie ein Filter, der schon von vorn herein die “Falschen” vor der Tür stehen lässt. So wie Gulda in einem seiner Bach-Konzerte, in denen er kurzfristig eine Änderung bekannt gegeben hatte, woraufhin viele erbost den Saal verließen und er daraufhin sagte: “Jetzt sind die Arschlöcher draußen, jetzt kann ich Bach spielen…”. Natürlich ist die Neue Musik elitär, der Zugang zu ihr verlangt Bildung. Die Neue Musik hat sich mit dieser Schwelle, die sie auch sehr stilisiert und auf der sie beharrt hat, selbst geschadet. Die Neue Musik kommt ja aus einer bürgerlichen Elite, war nie volksnah, wollte das auch nie sein. Heute brauchen wir sicher ein neues Verständnis von Musikverstehen als es noch Adorno anzubieten hatte und das noch immer wirkt.

Wie sehr ist diese “Unzugänglichkeit” deiner Meinung nach selbst gemacht bzw. ein Vermittlungsproblem (vor allem Seitens der Medien)?

Die Unzugänglichkeit ist Methode, sie ist gewollt, wie ein Code, der die, die nicht im Besitz des Codes sind, ausschließt. Das ist wie die Sprache in der Medizin. Heute, wo versucht wird, Neue Musik zu vermitteln, wird oft übersehen, dass das eigentlich ein Widerspruch ist. Die Medien kennen sich da noch weniger aus. Viele Vermittlungsversuche zerstören eher das, was ursprüngliche Intention war. Man müsste ganze soziale Umfelder mit vermitteln, was natürlich nicht möglich ist.

Ein Ziel des Symposiums lautet wie folgt: “Im Kontext des heutigen Wertewandels und der technischen, medialen und gesellschaftlichen zum Teil radikalen Veränderungen gilt es, in Hinblick auf offensichtlich hinfällige Grenzziehungen zwischen den musikalischen Genres, aber auch bezüglich der Veränderung unserer Hör- bzw. Musikkonsumgewohnheiten, Kategorisierungen wie ‘Ernste Musik’, ‘Unterhaltungsmusik’, ‘Popmusik’ und ‘Neue Musik’ zu hinterfragen.”
So emanzipatorisch das Auflösen von Genregrenzen auch klingen mag – haben wir es nicht eher mit “hinfälligen Grenzziehungen” aus rein ökonomischen und weniger aus ästhetischen Gründen zu tun? Also um ein längst verworfen geglaubtes postmodernes Anything Goes, dass sich scheinbar überall – als Resteverwertung, Backkatalog-Reissues, Fusion, Remix und Mash Up – durchgesetzt hat?

Ich glaube, dass viele Begriffe zwar schon obsolet sind, aber noch immer wirken, solange wir sie im Alltag noch gebrauchen. Wie etwas der Begriff “Neue Musik” eben auch heute noch dieses Elitäre, von dem wir gesprochen haben, verkörpert. Viele junge Musikschaffende, die heute unter dem Titel Neue Musik auftreten oder arbeiten, haben aber eine ganz andere Haltung. Der Begriff schafft aber trotzdem noch Atmosphäre, Hintergrund usw. der behindert. Gerade in der Hochkultur wirken solche Dinge lange, wie auch Denkmäler, Gebäude usw. Sie stehen da und sind Statements, wirken auf uns, solange man sie nicht abreißt.

In “Mystery Train. Der Traum von Amerika in den Liedern der Rockmusik” (1975) schreibt der us-amerikanische Rockkritiker Greil Marcus von der Wichtigkeit, sich von “Grenzen zu befreien”, um “dann etwas über den Wert dieser Grenzen zu erfahren.”
Geht es daher nicht eher um Differenzen und Widersprüche, die nicht aufzulösen (oder zu fusionieren) sind (etwa weil dahinter unterschiedliche Vorstellungen von Subjektkonstruktionen stecken), die jedoch produktiv genutzt werden können? Wären nicht eher hier die (Nicht-)Orte ästhetischer Transformationen und Transgressionen zu finden? Also in diesem ominösen “Dazwischen”, das immer wieder gerne versucht wird zu erreichen.

Unsere KoFoMi-Einladungspolitik zielt auf Differenzen und Widersprüche. Wir erwarten uns keine eindeutigen Antworten und Ergebnisse, sondern so etwas wie eine Art kybernetische Unruhe. Wenn es darum geht, auch Begriffe zu hinterfragen, dann gerade deswegen, weil Begriffe eindeutig und festgelegt sind und uns somit auch festhalten. Das Interessante ist ja das Zusammenkommen der Gegensätze, ohne dass eine Position sich der anderen anpasst oder unterordnet. Das Kommunizieren jenseits von eingefahrenen Kategorien.

Wie verhält sich die immer grenzenloser agierende Welt der Musik zu einer Realpolitik die wieder vermehrt auf den Slogan “Grenzen dicht!” setzt?

Ich glaube, dass KünsterInnen sich heute wieder mehr positionieren müssen, um nicht in eine Schein- oder Gegenwelt zu rutschen. Vielfach hat dieses “Grenzen dicht!” auch schon künstlerische Projekte behindert. Die Kunst wird aber auch von der Politik benutzt, um Offenheit zu demonstrieren und dabei hinterrücks eben das Gegenteil zu leben.

Stichwort “Yellow Lounge”. Hier wird ja – seit dem Frühjahr 2011 auch in Salzburg – der Versuch unternommen “Neue Musik” (aber auch Klassik, Jazz und Pop) in der Art Clubbing-Atmosphäre (inklusive DJs) einem breiteren Publikum schmackhaft zu machen. Kann so etwas überhaupt funktionieren, oder ist das eher nur gut gemeint? Auch das KoFoMi präsentiert ja seit Jahren Ernste Musik, Electronic und DJ-Culture in unterschiedlichsten Kontexten und Konstellationen.

Für mich ist das eine jener Alibi-Aktionen, die eigentlich auf etwas ganz anderes abzielen, als sie vorgeben. Die Yellow Lounge ist eine Marketing-Strategie der Konzert- bzw. Plattenindustrie. Da geht es gar nicht um Neue Musik, auch nicht um Vermittlung von Neuer Musik. Wenn das KoFoMi diese Kontexte mischt, dann nicht aus einem Geschäftsmodell heraus, sondern im Sinn der oben genannten kybernetischen Unruhe.

Diesmal gibt es mit Daniela Tagger und Florian Gruber zwei  junge Kunstschaffende mit lokalem Bezug als GastkuratorInnen. Wie kam es dazu und was waren/sind ihre Aufgaben heuer?

Hannes Raffaseder und ich gehören einer gewissen Generation an. Wenn wir das KoFoMi jung, beweglich und aktuell halten wollen, müssen wir auch jüngere Köpfe in die Planung und Gestaltung miteinbeziehen. Diesen Versuch haben wir heuer unternommen. Daniela Tager und Florian Gruber haben beide schon KoFoMi-Erfahrung, kennen also das Forum und vor allem aber auch die Region. Sie bringen Ideen ein, wie wir die (jungen) Menschen vor Ort besser erreichen können. Ihre Aufgaben waren zunächst, unsere Konzepte und Programmideen kritisch zu hinterfragen, aber auch Vorschläge bzw. Ideen für neue Programmschienen einzubringen. Sie haben vor allem einen Fokus auf Videokunst und Musik sowie Kunst im öffentlichen Raum eingebracht, der insofern spannend ist, als er die Frage nach der Musik in einen anderen, größeren Kontext stellt.

Danke für das Gespräch.

16. KomponistInnenforum Mittersill „Musik?“ 
. bis 17. September 2011

 

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