„[Meine] Musik ist eng mit meiner Persönlichkeit verknüpft“ – ALEKSANDRA BAJDE im mica-Interview

Die slowenische Komponistin und Musikerin ALEKSANDRA BAJDE lebt seit einigen Jahren in Österreich. Im Zuge ihres Studiums an der Bruckner Privatuniversität hat die ausgebildete Sängerin ihren Fokus auf zeitgenössische Komposition verlagert. Ein sehr persönlicher Zugang, das direkte Experimentieren mit unbekanntem Klangmaterial und das Zusammenführen von Komposition und Improvisation zeichnen ihr Werk aus. Welche Rolle die Intuition dabei spielt, wie ihr Arbeitsprozess konkret aussieht und wie schwierig es sein kann, die eigenen Kompositionen für andere Interpretinnen und Interpreten freizugeben, erklärt sie in einem Gespräch mit Shilla Strelka.  

Sie verfügen über eine breit gefächerte musikalische Ausbildung, sind als Komponistin, Sängerin und Musikerin aktiv. In Ihren Werken bringen sie zeitgenössische Komposition und Improvisation zusammen und treten selbst auch als Musikerin in den Fokus. Woher kam das Bedürfnis zu Komponieren? 

Aleksandra Bajde: Ich habe in Amsterdam Jazz studiert und hatte schon während meines Studiums das Bedürfnis meine Arrangements selbst zu schreiben. Mich selbst in die Musik einzubringen und mich darin auszudrücken, war immer schon ein wichtiger Aspekt meiner Arbeit. Also nicht nur als Sängerin aktiv zu sein, sondern meine eigene Musik zu machen. Nach meinem Studium meinten viele, dass meine Kompositionen sehr stark wären und ich dachte mir schließlich, es wäre spannend mehr Zeit zu investieren und mehr darüber zu erfahren.

„Eine gewisse Freiheit ist mir wichtig.“

Ich stand immer schon zwischen Improvisation und klassischer Musik und liebe beide dieser Welten – die Freiheit im Jazz, aber auch die Art wie klassische Musik sich bewegt. Im Jazz geht es nämlich sehr oft nur um Tonhöhe, Rhythmus und so weiter, während in der zeitgenössischen Musik der Klang selbst gründlich erkundet wird, was ich faszinierend finde. Es finden sich bei mir also Teile, die streng notiert sind und Teile, in denen improvisiert wird. Es ist eine strukturierte Improvisation und für mich auch nicht so wichtig, ob etwas eine Sekunde früher oder später passiert. Ich notiere nicht immer alles. Es gibt also diesen improvisatorischen Aspekt, bei dem vieles im Moment passiert. Es ist auch oft schwierig, alles auszuschreiben. Eine gewisse Freiheit ist mir wichtig.

 Haben Sie alternative Formen der Notation dafür gewählt?

Aleksandra Bajde: Ich habe Skizzen und notiere für mich, um zu verstehen, was kommt. Es gibt ein Skript für mich, aber für andere ist es schwierig. Da passiert es schon, dass ich Aufnahmen transkribiere.

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Ihre aktuellen Stücke laufen unter dem Titel “Self-Portraits in Imagined Places”. Wie der Name schon vorwegnimmt, offenbart sich hier ein sehr persönlichen Zugang. Sie selbst spielen bislang auch eine wichtige Rolle in der Umsetzung dieser Stücke. Ich kann mir vorstellen, dass es schwierig ist loszulassen und die Stücke von anderen interpretieren zu lassen.

Aleksandra Bajde: Ja. Es war für mich allerdings immer schon so, dass ich die Stücke für mich selbst schreiben wollte. Das ist der Ausgangspunkt – etwas zu schreiben, das auf mich passt. Weil ich weiß, wie meine Musik klingen soll – Gefühl, Timing, alles. Da ist es manchmal schwer loszulassen.

In dem Zusammenhang spielt auch die Stimme eine wichtige Rolle. Sie sind ausgebildete Sängerin, einige Ihrer Stücke erfordern aber auch die Bereitschaft sich experimenteller mit der Stimme auseinanderzusetzen als man es aus dem klassischen Gesang gewohnt wäre. Stellt das eine Schwierigkeit dar bzw. müssen Sie dafür selbst als Interpretin involviert sein?

Aleksandra Bajde: Ja, ich glaube derzeit schon. Ich komponiere seit ein paar Jahren ernsthaft. Für mich ist das auch ein Experiment und ein Versuch zu sehen, welche Möglichkeiten es gibt oder auch nicht. Ich bin neugierig und interessiert an dem Prozess, weil ich wirklich versuche mit meiner Stimme zu arbeiten. Ich erfahre auch viel über mich selbst, wenn ich mich mit meiner Stimme auseinandersetze. Es gibt also unterschiedliche Dimensionen, auch sehr persönliche Seiten meiner Musik. Ich kann auf jeden Fall sagen, dass meine Musik eng mit meiner Persönlichkeit verknüpft ist. Das hat auch damit zu tun, dass mir die Bühne die Möglichkeit gibt, mich frei zu fühlen. Ich glaube aber, dass die Grenze – was bin ich und was porträtiere ich – unklar ist. Auch für mich. Das verhält sich wie das Ego zum Alter Ego.

Löst es sich während der Performance ein? Dass Sie sich näher bei sich selbst fühlen? Sie wissen zwar vorher, was Sie tun werden, aber verstehen im Moment der Umsetzung mehr darüber, warum sie das tun?

Aleksandra Bajde: Ja, genau! Manchmal oder auch retrospektiv, ja! Weil ich es dann anders verstehe (lacht).

Die Komposition „Luftschloss“ sieht eine sehr spezielle Anordnung vor und beinhaltet auch ein klangliches Experiment. Sie legen sich mit Schlauch, Gummihammer und Superball unter das Klavier. Gleichzeitig ist das Stück metaphorisch aufgeladen.

Ja, genau. Das stimmt.

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„Ich bin am Anfang oft sehr intuitiv“

Wie nähern Sie sich so einer Komposition an? Was hat Sie daran gereizt? 

Aleksandra Bajde: Ich wollte ein Stück schreiben, in dem jemand unter dem Klavier operiert. Das war meine erste Idee. Ich habe dafür mit dem Komponisten Emre Sihan Kaleli gearbeitet. Anfangs hat er gefragt, warum ich unter dem Klavier spielen will. Er hatte Zweifel. Dann habe ich mit Carola Bauckholt gesprochen, die meinte, sie hätte auch ein Stück für unter dem Klavier geschrieben. Die fand das also super. Und ich habe dann mit dem Superball unter dem Klavier viel ausprobiert. Auf dem Resonanzboden unter dem Klavier ergeben sich andere Resonanzen und Klänge. Das war für mich sehr spannend – auch die Frage, was kann ich unter dem Klavier überhaupt machen. So hat sich das geformt.

Ich bin am Anfang oft sehr intuitiv. Ich mache Aufnahmen, höre zu und denke dann nach, was ich ändern soll. Dann nehme ich wieder auf und höre es mir an. Es ist wirklich ein langwieriger Prozess. Manches davon improvisiere ich, manches komponiere ich. So entwickelt sich das. Aber ich denke mir manchmal, dass die erste Idee die beste ist. Weil sie intuitiv ist. Es ist wirklich eine Mischung.

„Die meisten Konzerte halten sich an eine Stilrichtung, aber für mich ist Diversität sehr wichtig.“

Dieses Mischungsverhältnis kommt auch zum Tragen, wenn Sie Stile in Verhältnis setzen. Das betrifft nicht nur das Zusammenführen von Improvisation und Komposition, sondern auch das Nebeineinanderstellen und Infiltrieren von Jazzelementen bis zu Pop- und Rocksongs, die sie integrieren. Sie bewegen sich vorurteilsfrei zwischen den verschiedenen musikalischen Sprachen. Wie schwierig ist es das im Kontext der zeitgenössischen Komposition?

Aleksandra Bajde: Ja, das war auch meine Frage. Soll ich das wirklich machen, Pop- und Rock-Balladen? Ich hatte Zweifel und war unsicher. Es ist natürlich viel harmonischer und nicht so schwer zugänglich wie zeitgenössische Musik. Ich habe damals meine Professoren gefragt, soll ich das wirklich machen? Und sie haben gesagt, dass das eine andere starke Qualität hätte. Man kann etwas Fühlen und das ist am Wichtigsten. Auch nach den Konzerten wurde mir klar, dass ich Leute wirklich emotional bewegen kann! Das war eine wichtige Erfahrung und da war es egal, ob Pop oder Rock dabei ist. Die meisten Konzerte halten sich an eine Stilrichtung, aber für mich ist Diversität sehr wichtig. Mir ist es wichtig, diese verschiedenen Zugänge zu zeigen und dass es melodische Teile gibt und dann wieder brutale, geräusch-basierte Parts. Ich habe diese Popsongs schon 2013 geschrieben und jetzt weiterentwickelt. Aber es kommt alles sehr natürlich. Ich starte nicht mit dem Vorhaben, einen Popsong zu schreiben.

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„[D]ie Erlaubnis, dass etwas in einem Moment passieren kann […]“

Warum ist es Ihnen wichtig, diese Momente der Unmittelbarkeit in ihre Kompositionen zu integrieren?

Aleksandra Bajde: Ich finde es reizvoll, wenn das Stück nicht immer gleich klingt – diese Freiheit, dass es sich das Stück ändern kann und es mehr Spielraum gibt. Aber das ist nicht immer so.

In der Improvisation zeigt sich die Schönheit des Momenthaften. Manchmal denkt man sich dann wow, manchmal auch nicht. Es gibt dieses Risiko. In der Komposition ist sehr viel konstruiert und nachgedacht worden, und diese Spontaneität wird meistens unterdrückt. Deshalb ist mir die Kombination, die Erlaubnis, dass etwas in einem Moment passieren kann, wichtig. Manchmal passieren wunderschöne Dinge! Deswegen ist es für mich auch entscheidend, mit wem ich arbeite. Dass Musiker mich verstehen und wissen, was ich möchte.

clearobscure aka Bajde I Kaleli (c) Archiv

Mit Emire Sinan Kaleli sind Sie im duo clearobscure aktiv. Ich habe das Gefühl, dass die Kompositionen dafür sehr dialogisch aufgebaut sind.

Aleksandra Bajde: Ja (lacht), die sind sehr dialogisch aufgebaut.

Aber das heißt, Sie entwickeln die Stücke gemeinsam?

Aleksandra Bajde: Ja, wir entwickeln sie oft zusammen. Das ist für mich sehr spannend. Für ihn ist es oft schwer, weil ihm das Improvisieren als Komponist nicht leicht fällt. Am Anfang sind wir oft aneinander geraten, weil es für ihn schwierig ist, anders zu arbeiten und frei zu spielen. Dafür musste er lernen, anders zu denken. Aber jetzt ist Emire froh, dass er diese Erfahrung gemacht hat – nicht nur zu denken, sondern auch den Klang unmittelbar zu fühlen. Für mich ist es sehr wichtig, konkret mit dem Sound, dem Material selbst zu arbeiten. und nicht zuerst zu denken. Ich muss Klänge ausprobieren, anstatt lange zu überlegen, wie das dann klingen wird. Wenn ich nur denke und notiere, schreibe ich andere Musik. Das war wirklich interessant zu beobachten: wenn ich Musik schreibe, ohne sie selbst auszuprobieren, klingt sie anders. Darüber hinaus sind meine musikalischen Gedanken sehr stark mit meiner Stimme verbunden. Also, ich habe das Gefühl das die Kompositionen, die mich als Performerin involvieren, etwas authentischer geworden sind.

„[M]eine musikalischen Gedanken [sind] sehr stark mit meiner Stimme verbunden“

Spielt der Körper auch eine Rolle in Ihren Kompositionen?

Aleksandra Bajde: Ja, mittlerweile auch bewusster. Ich habe gerade ein neues Stück geschrieben – „Ave Maria“, das im Porgy&Bess das erste Mal zu hören sein wird. Dazu wollte ich den lateinischen Text verwenden. Er hat für mich nicht nur diese religiöse Bedeutung, sondern betrifft mich auch als Frau. Für dieses Stück habe ich mich bewusst gefragt, wie ich Klang und Körper verbinden kann.

Für welche Besetzung ist das Stück geschrieben?

Aleksandra Bajde: Bassklarinette, Cello, Violine und ich singe und erzeuge einige Klänge auf dem Flügel, aber keine wirklichen Töne. Es ist sehr reduziert und fragil, sehr repetitiv und vielleicht sogar rituell. Ganz anders als andere Stücke von mir.

Ihr Stil ist generell eher reduziert.

Aleksandra Bajde: Ja, genau! (lacht) Für mich ist es wichtig, Spannung bzw. die Auflösung der Spannung  mit möglichst wenigen Mitteln zu erzeugen. Vielleicht hängt das auch mit mir als Person zusammen, dass ich manchmal finde, dass weniger mehr ist.

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Die Sphäre des Imaginären und Symbolischen interessiert Sie auch. Sie reflektieren in Ihrem Werk auf Konzepte aus Psychologie und Soziologie?

Aleksandra Bajde: Ja genau. Ich beschäftige mich schon länger mit Soziologie und sehe Philosophen wie Michel Foucault als Inspiration. Aber ich reflektiere auf vieles in meiner Musik und habe viele Einflüsse. Ich beobachte meine Umgebung sehr genau und versuche verschiedene Perspektiven einzunehmen. Deshalb finde ich Inspiration in den soziologischen, psychologischen und philosophischen Theorien und Konzepten. Das kann ich gut mit meiner Beobachtung der Gegenwart und Gesellschaft kurzschließen. Auch um zu vermeiden, dass es immer nur um mich geht und um zu verstehen, wie die Menschen, die Gesellschaft und menschlische Zusammenhänge in Beziehung stehen.  Ich möchte auch ein Doktorat in Musiksoziologie anfangen.

“Self Portrait with Sylvia“ ist Teil des Konzertprogramms “Fantastic Women“, das zehn internationale Komponistinnen involviert, die jeweils ein Stück beigetragen haben. Das Programm wird nun und u.a. bei den Operadagen in Rotterdam aufgeführt. Im Text dazu wird nach “the women’s tone” gefragt. Wie stehen Sie zu diesem Ansatz?

Aleksandra Bajde: Das war auch für mich schwierig, aber ich habe auch eine Chance darin gesehen, persönlicher zu werden. Für „Self Portrait with Sylvia“ habe ich Fragmente eines Gedichts von Sylvia Plath genommen. In ihren Gedichten drückt sie deutlich ein Gefühl der Entfremdung und Selbstzerstörung aus, das eng mit ihren persönlichen Erfahrungen und auch der Situation von Frauen in Amerika der Mitte des 20. Jahrhunderts verbunden ist. Für sie war  das Leben als Dichterin, (Ehe-)Frau und Mutter sehr schwer. Das wollte ich porträtieren. Das Ende ist leider sehr tragisch, weil sie im Alter von 30 Jahren Selbstmord begangen hat, aber die Poesie spricht zu mir. Deshalb heißt das Stück auch „Self-Portrait with Sylvia“.

„Es ist einfach eine andere Erfahrung, wenn jemand anderes die Stücke spielt.“

Aleksandra Bajde (c) Bajde Archiv

Das Stück wurde bereits von anderen Musikerinnen interpretiert. Wie hat sich das angefühlt?

Aleksandra Bajde: Ja, das ist schwierig. Weil bei mir Nuancen und Kleinigkeiten eine wichtige Rolle spielen. Die Sängerin in den Niederlanden war klassisch ausgebildet und ihr Auftritt sehr performativ und theatralisch. In meinem Kopf sollte das aber dezent und fragil sein. Es ist nicht leicht. Es ist einfach eine andere Erfahrung, wenn nicht ich die Stücke spiele. Ich kann nicht sagen, dass es schlecht gewesen wäre, es war einfach ganz anders – weit weg von meiner Vorstellung.

Sind Sie eigentlich wegen Ihres Studiums nach Österreich gekommen?

Aleksandra Bajde: Nein, bin ich nicht. Ich habe meinen Master für Europäische und Internationale Studien in Frankreich abgeschlossen und hatte ein Burnout. So bin ich zur Überzeugung gekommen, dass ich in meinem Leben weiterhin Musik machen muss. Mein Interesse für Wien – insbesondere für Wien 1900 – hat bereits während meines Bachelorstudiums in Amsterdam angefangen. Wie war das mit Freud, mit Weininger, Kokoschka, Schiele, Alma und Gustav Mahler, Schönberg, Gerstl? Wie hat dieser Kreis funktioniert, der Psychologie, Philosophie, Künste und Musik vereint hat?  Das fand ich faszinierend. Für mich spielt auch die Bildende Kunst eine wichtige Rolle.  Damit habe ich mich auch in meinen Studien stark auseinandergesetzt. Ich wollte einfach nach Wien, um hier zu leben.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Shilla Strelka

Termin:
18. März 2019 – PORTRAIT CONCERT: Self-Portraits in Imagined Places at Strenge Kammer in Porgy & Bess in Vienna (AT)
20. März 2019 | duo clearobscure at Leipziger Buchmesse (DE)
24. März 2019 | Self-Portrait with Sylvia in the framework of the project Fantastic Women at De Pont in Tilburg (NL)
18. Mai 2019 | Self-Portrait with Sylvia in the framework of the project Fantastic Women at Operadagen Rotterdam (NL)
22. Mai 2019 | PORTRAIT CONCERT: duo clearobscure at Alte Schmiede in Vienna (AT)

Links:
Aleksandra Bajde (Website)
Aleksandra Bajde / clearobscure (Soundcloud)