„Mein Popo ist echt porn“ – JULIAN HRUZA (MARASKINO) im mica-Interview

Die nach der polarisierenden Cocktailkirsche benannte Figur MARASKINO ist das musikalisch-performative Alter Ego von JULIAN HRUZA aka MELODY MARASKINO, BERNHARD HAMMER aka ROY HAPPY und CHRISTOPH SZTRAKATI aka KARTELLO SKARLATTI – und der Name ist Programm. Kürzlich erschien das Album „Happy End“ (Jhruza Records), das in Form von vier Grundstimmungen strukturiert ist: Gusto, Irritation, Unsinn und schließlich das klassische Happy End. Der Sound bewegt sich hier zwischen „New Age Auto Tune Pop“, „Funky Electro Indie Dance“, „Halftime 303 Electro“, „Lo-Fi Piano Ballade“ und „Cloud Spoken Opera Words“. Einfacher gesagt: Das neu etablierte Genre heißt „Contemporary Porn Pop“. Ada Karlbauer sprach mit Julian Hruza über Deformationen von sprachlich leeren Redewendungen, die Absage an eine rosa/blaue Kindererziehung, das Verhältnis zwischen „Find ich ekelhaft“ und „Find ich geil“ sowie über ein mögliches Happy End in den gerne beschworenen „Zeiten wie diesen“.

„Ich bin deine Machete durch den Dschungel, deine Schaumkrone auf einem kühlen Pils. Ich bin dein Zahnstocher an langweiligen Tagen, ich bin dein Notstromaggregat. Ich bin dein allerdreckigster Gedanke, dein Aspirin nach der gestrigen Nacht …“, heißt es im Song „Lovesong für Inge“. Das beschreibt schon ansatzweise die verschiedenen Seins-Formen der Figur MARASKINO. Wie ist das Alter Ego entstanden?

MARASKINO: Die Erschaffung des Alter Ego war für mich wichtig, um von etwas Neuem, etwas Unbenutztem starten zu können. Ohne Grenzen, Einschränkungen oder Erwartungen. Sommer 17 bis Sommer 18 habe ich geschrieben und Demos gemacht. Als Produzenten konnte ich Bernhard Hammer, Martin Schiske und Sebastian „Zebo“ Adam dafür gewinnen. Ich erinnere mich noch an die erste gemeinsame Listening-Session, bei der wir Song für Song durchgingen und jeder seine Sound- und Charakter-Visionen zu den Liedern fantasierte. Vieles der ersten beiden Kapitel haben wir kurz darauf in verschiedenen Konstellationen aufgenommen. So wie das ganze Ding durch alle Menschen, die mitgemacht haben, gewachsen ist, so ist auch die Figur MARASKINO immer mehr gewachsen. Ich hoffe, sie verliert nie die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln oder zu verändern, und behält dieses wabbelige, wohlige, witzige, schöne Gefühl, das sie in mir auslöst. Vorfreude – so würde ich das Gefühl am ehesten beschreiben.

„Der Cocktail ist das Wunderland und die Kirsche der Glücksbringer.“

MARASKINO ist nach der klebrig-süßen und ein bisschen ekelhaften Cocktailkirsche benannt, die bekanntlich zum Zwecke der Garnierung eingesetzt wird. Ist der Name Programm?

MARASKINO: Der Name ist insofern Programm, als dass die Cocktailkirsche definitiv polarisiert: „Find ich ekelhaft“ vs. „Find ich geil.“ Oder ein anderer Vergleich könnte sein: Der Cocktail ist das Wunderland und die Kirsche der Glücksbringer. Ich glaube aber, dass es ein Zufall ist, dass die Maraska-Kirsche die erste war, die auf diese Art und Weise entstellt wurde. Eigentlich ein schöner Zufall.

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Mit Zeilen wie „Ich hab mir das Karma verrissen“ und „Hab ich das Narrenkastel ordentlich gewischt?“ werden sprachliche Klischees und leere Redewendungen durch leichte Deformationen zu reflexiven, aber stets humoristischen Denkräumen.

MARASKINO: Irritation oder etwas Unfassbares ist meistens Auslöser und Anstoß. Der Grund, kreativ werden zu müssen, kommt für mich meistens daher, dass es irgendwo spießt oder etwas nicht greifbar ist. Mit sprachlich leeren Redewendungen bin ich aufgewachsen, darum waren diese schon immer ein spannender Spielplatz für gedankliche Auseinandersetzungen. Eigentlich liefert alles Material. Es ist immer nur eine Frage, wie es betrachtet wird oder ob es irgendwo ein Defizit gibt, das behandelt werden will.

Das Album „Happy End“ ist das finale vierte Kapitel der Erzählung und vereint „Kapitel 1: Gusto“, „Kapitel 2: Irritation“, „Kapitel 3: Unsinn“ zu einer zusammenhängenden Erzählung auf zwei Vinylplatten.

MARASKINO: Bei „Gusto“ geht es um das Gustieren, die Lust, das Verlangen und die Hingabe.  Hier werden Erinnerungen und Fantasien vermischt und es wird in ihnen gebadet. Bei „Irritation“ werden Grenzen ausgetestet und hinterfragt. Es konfrontiert sich mit dem Versagen und der daraus resultierenden Erkenntnis, etwas verändern zu müssen. „Unsinn“: Was wenn das Allheilmittel gegen alles Übel der Unsinn ist? Was wenn ihn die richtigen in die Hände bekommen? Wie wunderschön bunt würde unsere Welt funkeln. „Happy End“ ist die totale Auflösung. Ich finde, jeder Song zieht einem immer Richtung Ende. Ein Spaziergang über den Regenbogen, rauf auf die große Wolke, dann Sprung in den Ozean, auftauchen in einem aufblasbaren Planschbecken mit einem Drink in der Hand. Die To-dos werden unwichtig und verblassen im aufsteigenden Dampf. Ja, und der Kaktus. Alle schwärmen immer noch von ihm und er wiederum von den Bienen.

Maraskino (c) Wolfgang Bohusch
Maraskino (c) Wolfgang Bohusch

MARASKINO wird als eine Projektionsfläche beschrieben, als eine Figur und als musikalisches „Wunderland“, in dem alles erlaubt ist und jegliche Grenzen zusammengefallen sind. Wieviel Ernst liegt unter der klebrigen Garnierung?

MARASKINO: Es ist mir bzw. uns ein Anliegen, Menschen zusammenzubringen und sie nicht gegeneinander aufzustacheln. Und wenn ein Platz da ist, an dem sich alle wohlfühlen, an dem sie sein können, wer sie sein wollen, und ausleben können, wonach ihnen ist, dann werden auf einmal – aus einem Selbstverständnis heraus – alle viel mehr aufeinander achten und einander respektieren.

Für MARASKINO hat sich die Besetzung auch passende Namen überlegt. Du nennst dich Melody Maraskino, Bernhard Hammer Roy Happy und Christoph Sztrakati Kartello Skarlatti. Wie wesentlich ist der performative Aspekt für die visuelle Inszenierung und den Live-Kontext?

MARASKINO: Sehen und Hören decken wir bei unseren Konzerten bereits ab. Ein bisschen Spüren ist im Bass-Bereich auch dabei. Schön wäre, wenn uns das Publikum noch schmecken, riechen und fühlen könnte. Aber so weit sind wir noch nicht. Da haben wir noch ein schönes Stück Arbeit vor uns.

Warum ist MARASKINO eigentlich so porn?

MARASKINO: Mein Popo ist echt porn. Viel Arbeit so ein Popo. Eine kleine Wertanlage. Um nur eines zu nennen.

Maraskino (c) Wolfgang Bohusch
Maraskino (c) Wolfgang Bohusch

„Rosa/blaue Erziehung prägt die Kinderzimmer und unsere Sprache.“

Netzstrumpfhosen, Badeanzüge, High Heels und Glitzer-Leggings. Gängige Attribute des Hypermaskulinen werden bei MARASKINO komplett zunichtegemacht, Geschlechterstereotypen gibt es nicht.

MARASKINO: Stereotype gibt es in der Realität viel zu viele. Viel zu konservativ ist alles in unserer Gesellschaft. Rosa/blaue Erziehung prägt die Kinderzimmer und unsere Sprache. Ich weiß nicht, ob wir es richtig machen, aber wir wollen Möglichkeiten sichtbar machen und damit möglichst viele mitnehmen.

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Auf dem Album finden sich vornehmend weibliche Features mit Mascha, Ankathie Koi, Lulu Schmidt und Jessica aus America. Wie kam es zu diesen Kooperationen?

MARASKINO: Der erste Auftritt bzw. der erste Release unter dem Namen MARASKINO war mit dem Song „Hurricane“ für Ankathie Koi. Als wir gemeinsam März 2018 in Mexiko an jeweils unseren Alben gearbeitet hatten, war es irgendwie logisch, dass wir für „Happy End“ ein Featuring machen. Lulu Schmidt habe ich über Bettina Pammer kennengelernt. Die meinte: „Ihr passt‘s sicher super zam.“ Dem war auch so [grinst; Anm.]. Mascha habe ich 2019 in Mödling beim Stadtfestival STURM UND KLANG gesehen und war gleich hin und weg von ihrer witzig-intelligenten Performance. Und Jessica aus America ist immer und überall dabei, Inspiration, Muse, Gegenpol, kritisches Auge. Ohne sie wäre MARASKINO wohl nicht MARASKINO geworden.

Maraskino (c) Daniel Willinger
Maraskino (c) Daniel Willinger

„Der Stillstand ist gar nicht so das Ding. Eher das, was nach dem Stillstand kommt.“

„Wo bleibt mein Happy End, wenn ich am End verpenn?“ In den so gerne bezeichneten „Zeiten wie diesen“ ist das titelgebende Happy End nur mehr als ferner Schatten in einer verlorenen Zukunft zu erkennen. Wie geht MARASKINO mit der Gegenwart im Stillstand um?

MARASKINO: Der Stillstand ist gar nicht so das Ding. Eher das, was nach dem Stillstand kommt. Einfach weitermachen und alles so lassen? Veränderung braucht Zeit. Schritt für Schritt. Und dann scheint es manchmal so, als ob Errungenschaften, für die andere so hart gekämpft haben, einfach wieder verloren gehen würden. Es braucht kluge, emphatische Köpfe mit Charisma und Idealen. Wenn ich an alles, was möglich ist, auf einmal denke, bin ich total überfordert. Aber es ölt das Getriebe. Wenn ich mir kleine Teile davon rausnehme, wirken diese auf einmal schaffbar und möglich.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Ada Karlbauer

Links:
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