Eine Zeit lang hat MATTHIAS FORENBACHER in den U.S.A., in Kanada und in Italien als Musiker gelebt. Mit Jürgen Plank hat er darüber gesprochen, wie diese Lebensphase sein Musikmachen geprägt hat. Heuer erscheint FORENBACHERS neues Album „Protocole“ und der Musiker erzählt, wieso es ein Lied von Franz Schubert enthält und warum er einen Song nach der französischen Politikerin Marine Le Pen benannt hat. Außerdem fasziniert FORENBACHER das Stück „Ein Hund kam in die Küche“, mit dem er sich auf seinem Album „dogs“ aus dem Jahr 2021 auseinandergesetzt hat.
Deine neue Veröffentlichung versammelt einige Lieder von früheren Platten. Ich sehe und höre sie als Best-Of-Platte. Wieso hast du dich dazu entschlossen?
Matthias Forenbacher: Das ist eine Best-Of-Platte, auf jeden Fall. Das Label Pumpkin Records ist mit der Idee gekommen, eine Platte auf Vinyl zu veröffentlichen, bisher waren die Alben immer auf CD; und ich wollte eine Art Rückblick zusammenstellen. So habe ich versucht, eine Auswahl aus den letzten 15 Jahren zu finden. Einerseits Nummern, die ich mag und andererseits welche, die das Publikum gerne hat. Zwei Tracks sind noch nie auf einem Album erschienen: der „Cradle Song“ und das ganz neue „Marine Le Pen“.
Das erste Lied am Album heißt „Walden Pond“, verweist es auf das Buch „Walden“ von Henry David Thoreau?
Matthias Forenbacher: Ja, ich habe in den 1990er-Jahren eine Zeit lang in den U.S.A. gelebt, in der Nähe von Boston, genauer gesagt, in Concord, Massachusetts. Das war nicht weit entfernt von dem Haus, in dem Henry Thoreau sein Werk „Walden“ verfasst hatte, am Walden Pond. Diese Jahre an der amerikanischen Ostküste waren eine sehr prägende Zeit für mich, nicht nur musikalisch und künstlerisch. Die Melodie von „Walden Pond” ist mir dann zwei, drei Jahre danach eingefallen und nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Der Text ist erst viel später, kurz vor den Aufnahmen, in Kanada entstanden. Das Lied bezieht sich ganz stark auf die damalige Zeit in Amerika, auf meine persönlichen Erinnerungen an die Ostküste, verwoben mit Schemen einer kleinen erzählten Geschichte zweier Menschen mit Hoffnungen, Träumen und Entbehrungen.
Thoreau hat sich für rund 2 Jahre in eine Blockhütte zurückgezogen, nachgedacht und das Buch „Walden“ geschrieben. Wie hat dich sein Werk geprägt und was reflektierst du in deinem Lied?
Matthias Forenbacher: Ich bin jetzt kein Fan von ihm, aber mich hat dieser Rückzug interessiert. Auf Distanz zu gehen. Rückzug und Distanz waren bei meinem Album „Live Vest“, auf dem sich „Walden Pond“ befindet, jedenfalls ein Thema. Als ich in Boston und dann ein Jahrzehnt später in Kanada lebte, habe ich das immer auch ein bisschen als Rückzug und zugleich als ständiges Unterwegssein erlebt. Rund um Thoreau besteht natürlich auch ein Mythos. Er wurde schon zum Teil von Menschen aus der Gegend versorgt und war nicht ganz so autark, wie er das selbst dargestellt hat. Auch das war bei ihm interessant, dieser Mythos.
Das Lied „Walden Pond“ reflektiert auch die Clinton-Zeit in den 1990er-Jahren, in der die Mittelschicht noch einigermaßen gut zurechtkam und gewisse Ungebundenheit im Denken hatte. Das ist jetzt kaum mehr möglich und dieses Thema kommt in diesem Lied in einigen Zeilen ansatzweise vor.
„IN KANADA HABE ICH AUCH GEMERKT, WIE WICHTIG SONGTEXTE SEIN KÖNNEN“
Wie hat diese Lebensphase in Nordamerika dein Musikmachen geprägt?
Matthias Forenbacher: Sehr stark. Ich war damals in den U.S.A sehr froh über meine ersten Auftritte, eben in Concord regelmäßig in einem alten Hotel spielen zu können. Ich habe damals auch viel in U-Bahnstationen gespielt und dabei einiges gelernt, etwa wie man bei einem fremden Publikum Interesse weckt. Wie man es dazu bringt, zuzuhören und wie sehr man selber dafür verantwortlich sein kann, dies erreichen zu können: wenn man müde ist, merkt das das Publikum natürlich und geht weiter. Wenn man Kraft hat, kann diese sehr schnell aufs Publikum überspringen und plötzlich bleiben Menschen trotz Großstadthektik stehen und hören genau zu. Diese besondere Kraft habe ich in der amerikanischen Musik überhaupt immer sehr stark verspürt. Vor kurzem habe ich beispielsweise hier in Österreich den Gitarristen Marc Ribot live gehört bzw. gesehen. Sofort hat mich seine Spielweise und musikalische Direktheit an all das erinnert. Das hat mich auch bei Musikern wie Tom Waits, Bruce Springsteen oder Neil Young von Anfang an fasziniert und ich habe es dann am Kontinent, in Amerika und Kanada, immer wieder auf eine solch nachvollziehbare positive Weise vorgefunden. Auch die hohe Professionalität im Musikgeschäft und der Wille, etwas zu bewegen, waren und sind für mich sehr prägnant gewesen. Der ständige Austausch mit anderen Musiker:innen und Künstler:innen, das Reden über Musik, über Songs, über das Songschreiben und Musikmachen, über das Üben und Besserwerden an seinem Instrument. Alleine die Bedeutung, die man diesen Themen und dieser Tätigkeit beimisst, die Instrumente, auf die man stößt! Und natürlich die Entfernung von zu Hause und von Bekanntem, das Land, der Kontinent, die Weite, die Sprache, das alles hat seine Spuren hinterlassen. In Kanada habe ich auch gemerkt, wie wichtig Songtexte sein können. Und wie viel Freude es machen kann, ständig daran zu arbeiten und auch seine eigene musikalische Handschrift weiterzuentwickeln.
Der eben erwähnte Neil Young stammt aus Kanada, dort hast du auch eine Zeitlang als Musiker gelebt. Wie war deine Zeit dort?
Matthias Forenbacher: In Kanada war das nochmal ein großer Schritt vorwärts. Ich habe dort viele Konzerte gespielt, viel geübt und geprobt, viel an Kollegialität, aber auch an Härte, an Herzlichkeit, an Ernsthaftigkeit und Professionalität erlebt. Mir hat vor allem gut gefallen, dass ich mich in Kanada, insbesondere im Westen, speziell im Musikerumfeld, immer zu Hause, nie fremd gefühlt habe. Das riesige Land, die Prärie, die Wildnis und die Stadt, die viele Musik und dennoch das Fremde, Neue, Weite.
Wie hast du in Kanada als Musiker Fuß fassen können, erinnerst du dich an eine Geschichte dazu?
Matthias Forenbacher: Ich hatte in Edmonton bereits nach dem zweiten Auftritt ein Management, das gut funktioniert hat. Der Manager hat mich nach einem Solo-Auftritt angesprochen, kam einige Wochen später zu einem Konzert, bei dem ich dann mit meiner Band gespielt habe und hat danach gleich vorgeschlagen, einige Konzerte zu organisieren. Und das hat super funktioniert. Aber es gab auch genug Härten. So konnte es vorkommen, dass man beispielsweise einmal zwanzig Stunden oder mehr mit dem Greyhound-Bus zu einem Konzert fährt, immer nur sitzend, ohne sich ausstrecken zu können und danach, unmittelbar nach dem Auftritt, wieder zwanzig Stunden zurück. Bei Regen oder Schnee, trotz Fieber oder Husten!
Neben Americana lebst du eine experimentellere Musikseite aus, etwa mit den Singles „Poem on a Junkyard“ und „Heimatmusik“.
Matthias Forenbacher: Genau. Es gibt Zeiten, in denen ich hauptsächlich in diese Richtung Musik machen möchte. Wenn ich beispielsweise in einer fremden Stadt bin, gehe ich gerne in Museen und sauge moderne Kunst auf, abstrakte Kunst, nur mit Linien, Punkten, Formen, Farben oder abstrakten Motiven. Das fasziniert mich und das ist bei der Musik ganz ähnlich. Oder ich schaue auf Häuser und Gebäude und ihre Details, die ich in ihren Unauffälligkeiten oft extrem interessant finde. Dazu gehen mir fast immer einzelne Töne oder Klänge durch den Kopf; meist E-Gitarrenklänge, aber auch andere Instrumente, Trommeln und manchmal auch spezielle elektronische Sounds.
Und du hast – so scheint mir – ein Faible für Blasmusik, für Blaskapellen. Die gibt es ja nicht nur in Österreich, sondern auch am Balkan, im Süden der U.S.A. und in Mexiko.
Matthias Forenbacher: Das ist auf jeden Fall ein Faible von mir. In Mexiko und im amerikanischen Süden gibt es einiges, das mich sehr bewegt und die Blasmusik am Balkan ist ein Wahnsinn, auch in Richtung Bulgarien gehend und noch weiter östlicher. Und natürlich die Blaskapellen in Italien. Auch wenn meine Lieder immer wieder stark von nordamerikanischen Einflüssen geprägt sind, hat speziell traditionelle Musik, insbesondere die südeuropäische Volksmusik, große Bedeutung für mein musikalisches Denken und Schreiben. Häufig entstehen da Songs, die keine klaren Strophe- und Refrainstrukturen enthalten, dafür Wiederholungen und repetitive Elemente, die betont werden oder Monotonien, aus denen auch immer wieder ausgebrochen wird. Es ist jedoch nicht nur die Blasmusik, die ich so schätze, sondern auch das Akkordeon und diese archaischen, süditalienischen Melodien und Harmonien und mehrstimmigen Gesänge. Bei der italienischen Blasmusik finde ich zudem so mitreißend, dass ein wenig vorlaut gespielt wird, nicht immer ganz korrekt, oft ziemlich „gezogen“, manchmal etwas undiszipliniert oder frech oder jemand prescht ein wenig vor oder hinkt nach. Das fällt mir auch bei Gesängen häufig auf. Diese musikalische Ästhetik, in Verbindung mit einem – eigentlich aus dem italienischen Film kommenden – Neorealismus beschäftigt mich seit langem schon sehr in meiner Arbeit.
„ICH BIN ZUM BEISPIEL AUF DEN APENNIN GEFAHREN UND IN EIN PAAR DÖRFER IN DER EMILIA ROMAGNA UND HABE DORT AUFGENOMMEN“
Apropos Italien, du hast ja für einige Lieder field recordings in Italien gemacht.
Matthias Forenbacher: Genau. Ich bin zum Beispiel auf den Apennin gefahren und in ein paar Dörfer in der Emilia Romagna und habe dort aufgenommen. Einige dieser Aufnahmen haben wir dann in einem Studio in der Nähe von Bologna vollendet, da wollte ich auch die Blaskapelle dabeihaben, die auf den beiden Alben „Le Monde Diplomatique“ und „La Nuova Collezione – Roma, Paris, Tokyo, New York“ vorkommt.
Von dir gibt es ein Instrumental-Album mit dem Titel „dogs“, auf dem du dich mit dem Lied „Ein Hund kam in die Küche“ auseinandersetzt. Was fasziniert dich an diesem Lied?
Matthias Forenbacher: Wieder diese einfache, „neorealistische“ Veranlassung, das immer wiederkehrende Element, das Endlosmotiv in Verbindung mit Vergänglichkeit, die dem Ganzen ja innewohnt. Das alles wollte ich sowohl auflösen als auch brechen. Und von Beginn an wusste ich, das Lied soll nicht gesungen sein und schon gar nicht in deutscher Sprache. Das ist ja ursprünglich eine alte italienische Volksweise. Soweit man das weiß, stammt es aus der Region um Neapel und hat sich auch bei uns in anderer Form durchgesetzt. Ich wollte es jedenfalls experimentell angehen, manchmal kommt die Grundmelodie ein bisschen stärker vor, manchmal zerreiße oder dekonstruiere ich sie sehr und manchmal kommen nur mehr ein paar einzelne Töne der Melodie vor. Ursprünglich war die Auseinandersetzung mit diesem Lied für ein Kunstprojekt angedacht, mit drei Versionen. Aber ich hatte dann so viele Versionen, die mir so gut gefallen haben, dass ich schlussendlich ein kleines künstlerisches Album daraus machen wollte.
Deine Interpretation von Franz Schuberts „Wiegenlied“, genannt „Cradle Song“, ist auf dem Sampler „Schubert is not dead“ erschienen und jetzt auch auf deiner neuen Platte enthalten. Wie hast du dich den Schubert-Liedern angenähert?
Matthias Forenbacher: Der Auftrag war, ein Schubert-Lied für den Sampler zu „covern“. Schubert hat mir immer gefallen, er hat viel Moll drinnen und ich habe lange nach Stücken gesucht, bei denen ich mich wohl fühle, wenn ich mit ihnen arbeite. Damit eine neue Version von mir nicht aufgesetzt oder künstlich klingt. Vor zwei Jahren hatte ich etwa eine Anfrage, mich mit Gustav Mahler auseinanderzusetzen, aber da habe ich mich nicht sofort hinausgesehen, das hätte nur gekünstelt und platt geklungen. Bei Schubert war mir jedoch relativ schnell klar, dass ich da einen Zugang finden könnte, auch weil er verspielte Ansätze verwendet. Mit meiner Band The Bisons in Kanada habe ich dann sozusagen eine Prärie-Fassung vom Wiegenlied gemacht.
Ein Lied auf deinem neuen Album trägt den Titel „Marine Le Pen“, ist das gleichsam deine politische Seite?
Matthias Forenbacher: Es kommen bei mir immer wieder politische oder gesellschaftsbezogene Andeutungen vor. Nie in eine einzelne Richtung weisend, sondern eher betrachtend und manchmal dokumentierend. Dieser Bereich, auch das mediale, interessiert mich einfach künstlerisch. Wenn man ganz genau hinhört: bei einigen Liedern der Alben „Le Monde Diplomatique“ und „La Nuova Collezione“ gibt es sogar relativ deutliche Verweise. Bei „Marine Le Pen“ hat es mir gefallen, sie als abstrakte Figur zu sehen, ohne zu werten, ob sie jetzt rechts oder links ist. Oder böse oder gut. Ich sehe sie eher als symbolhafte Figur. Es hat mich fasziniert, anhand einer solchen in das post-industrielle Zeitalter hinein zu blicken. Le Pens Wähler:innen kommen ja vielfach aus dem industrialisierten Norden Frankreichs. Deren Unzufriedenheit kanalisiert sich zu ihr hin. Wie viele Politiker:innen erscheint sie fast wie eine Kunstfigur und ich habe sie in meinem Lied in eine völlig andere Richtung gebracht, der Refrain fragt: Was ist hier passiert? Was hat sie Arges gesehen? Im Lied geht sie nach Amerika, um in einem Musical-Film zu spielen. Ich habe hier auch einige – von außen gesehen – falsche Töne eingebaut, um einen Bruch zu erzeugen. Um das Stahlwerk, die Industrie, die Fabrik, die Medien in die Erzählung der akustischen Gitarre hineinklingen zu lassen.
Herzlichen Dank für das Interview.
Jürgen Plank
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Matthias Forenbacher live
24.5.2023, Musilhaus, Klagenfurt, 19:30h
03.6.2023, Schlosstenne, Wies, 20h, gemeinsam mit Thalija
16.6.2023, Cafe Korb, gemeinsam mit Herber Lacina, Wien, 20h
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Pumpkin Records