„Mein Motto ist, jede Stimme zählt“ – ANITA BIEBL im mica-Interview

ANITA BIEBL gehört zu jenen Musikerinnen, bei deren vielseitigen Aktivitäten es schon einmal vorkommen kann, den Kopf zu verlieren. Angefangen beim CHOR D’ACCORD über einen Jodelkurs inklusive „Jodeldiplom“ und Workshops im ROCKHOUSE bis hin zu Filmmusiken und zum Projekt SNITAL SOLO reicht das Spektrum der vom Chiemsee stammenden, mittlerweile aus der Salzburger Musikszene jedoch nicht mehr wegzudenkenden Sängerin und Multinstrumentalistin. Didi Neidhart sprach mit ANITA BIEBL über Kneipentouren, Sound-Painting, „Yodeling“ sowie Singen und Chöre an sich.

Wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, Chöre zu initiieren, wo alle, die mitmachen wollen, das auch können?

Anita Biebl: Das war mir immer schon wichtig! Ich stand schon als Kind jeden Abend im Garten und habe mit den Gästekindern unserer Pension am Chiemsee gesungen und Lieder erfunden. Mein Motto ist: Jede Stimme zählt! Es macht mir große Freude, alle in ihrem Potenzial stärken zu können. In einem Chor, wie ich ihn gestalte, gibt es viel Raum dafür.

Was ist das Spezielle am Chor d’accord?

Anita Biebl: Mit dem Chor d’accord habe ich Ende 2014 als Erste in Österreich damit begonnen, Sound-Painting als Dirigiersprache zu verwenden und zu entwickeln. Dadurch kann ich mit dem Chor, ohne Noten zu gebrauchen, aus dem Moment heraus komponieren.

Bild Soundpainting
Soundpainting (c) Robfish

Was ist konkret unter Sound-Painting zu verstehen?

Anita Biebl: Sound-Painting ist eine visuelle Dirigiersprache für Live-Kompositionen in Form von Körpergesten. Im künstlerischen wie auch im Ausbildungsbereich bietet Sound-Painting die Möglichkeit, Kreativität, Achtsamkeit und Spontaneität zu fördern. Innerhalb kurzer Zeit gelingt es, die jeweiligen Potenziale der Teilnehmenden zu fördern und diese in Form einer Live-Komposition zu präsentieren.

Wie entsteht das Repertoire der Lieder, die ihr mit dem Chor d’accord dann intoniert? Gibt es da spezielle Vorlieben oder Konzepte, wie beispielsweise „Nur Indie-Hits der 90er“ oder so?

Anita Biebl: Das Repertoire besteht aus Liedern, die wir seit 2015 gemeinsam entwickeln. Lieder aus verschiedenen Ländern, Cover-Songs sowie Lieder aus Echtzeitkompositionen mithilfe von Sound-Painting und Circle Singing. Immer wieder gibt es neue Themen, von denen wir uns gemeinsam inspirieren lassen und aus denen wir Neues entwickeln.

Mit dem Chor gibt es ja auch immer wieder Kneipentouren. Wie hat man sich so eine Tour vorzustellen?

Anita Biebl: Für die Kneipentouren habe ich immer ca. zwei Cover-Songs im Gepäck. Der Text wird auf eine Leinwand projiziert und als Verstärkung gibt es eine musikalische Live-Begleitung mit Gitarre und Congas. Zuerst gibt es für alle in der Kneipe ein kurzes Warm-up durch Beatboxing-Motive, die ich durch den Raum in Gruppen verteile. Daraus entsteht dann ein kurzer Circle-Song zum Warmwerden der Stimme. Die Cover-Songs werden angestimmt, indem ich die Hauptstimme vorsinge und beim Nachsingenlassen direkt in die weiteren Stimmen gehe. Alles immer step by step. Was dann doch verblüffend schnell harmonisch wird. Zwischendurch kann es auch mal eine Sound-Painting-Einlage oder ein Liedvortrag vom Chor d’accord geben. Damit das Ganze dann immer wie ein großes Chor-Orchester wirken kann, arrangiere ich Begleitstimmen und rhythmische Loops mit Body-Percussion und Vokalpercussion. So können alle ihren jeweiligen Part finden, um beim ganzen Werk mit Freude dabei zu sein.

Bild Chor d'accord Salzburg
Chor d’accord Salzburg (c) Harald Gaukel

„Wir sensibilisieren uns dafür, wie facettenreich die Stimme als Instrument verschiedener Sounds eingesetzt werden kann.“ 

Neben dem Singen gibt es beim Chor d’accord auch Rhythmusübungen mit Beatboxing, Vokal- und Body-Percussion. Wie wichtig sind solche Ergänzungen neben dem Singen an sich?

Anita Biebl: Sie sind sehr wichtig! Durch all diese Techniken trainieren die Teilnehmenden Rhythmus, Atmung, Stimme und Bewegung. Wir sensibilisieren uns dafür, wie facettenreich die Stimme als Instrument verschiedener Sounds eingesetzt werden kann.

Auf deiner Homepage findet sich jetzt auch der Chor Gschroa. Wodurch unterscheidet sich dieser vom Chor d’accord?

Anita Biebl: Der Chor Gschroa ist eine Fusion aus einem Workshop-Format, das ich im „Ladenbergen“ alle vierzehn Tage in Bergen, Bayern, anbiete. Vorher hatte ich getrennt einen Jodel-Workshop und einen Sing-Treff angeboten. Nachdem immer mehr Teilnehmende regelmäßig kamen, habe ich dem Ganzen einen neuen Namen gegeben. Es ist eine Mischung aus Jodeln, Cover-Songs und Circle Singing. Jede und jeder kann jederzeit einsteigen.

„Das Gemeinschaftsgefühl steht sicher an oberster Stelle.“

Chöre wie Chor d’accord und auch Kneipenchöre gibt es jetzt ja schon seit einiger Zeit. Was fasziniert Menschen daran? Ist es die relative einfache Art, Musik machen zu können – es braucht keine extra Instrumente –, oder ist es das Gemeinschaftsgefühl, welches in einer Gesellschaft wie der heutigen mit all den Ich-AGs und Ego-Selbstoptimiererinnen und -Selbstoptimierern ja eher total auf der Strecke bleibt?

Anita Biebl: Das Gemeinschaftsgefühl steht sicher an oberster Stelle. Es ist schon ein enorm gutes Gefühl, in einem Chor zu stehen, wo jede und jeder mit ihrem bzw. seinem Part zum Ganzen beiträgt. Harmonie und Rhythmus verbinden uns Menschen schon seit jeher. Mit dem persönlichsten Instrument, das wir haben, gemeinsam etwas mit Freude zu schaffen, stärkt unsere Persönlichkeit und unser Miteinander.

Neben dem Chor d’accord kann man bei dir aber auch noch Jodeln lernen. Wie kam es zu dieser Idee, solch einen Kurs anzubieten?

Anita Biebl: Als ich damals vor fünfzehn Jahren in meiner Bachelorarbeit „Singen ohne Worte“ auch das Jodeln untersucht habe, war mir noch nicht klar, dass ich heute so gut damit unterwegs bin. Für mich war es zwar praktisch interessant, aber es fühlte sich an wie eine alte, verstaubte Schublade. Vor zwölf Jahren wurde ich vereinzelt angefragt, einen Jodel-Workshop zu machen. Dadurch habe ich gemerkt, dass es mir Spaß macht, das Jodeln für verschiedenste Gruppen greifbar aufzubereiten. Ich habe die Welt des Jodelns immer mehr entdeckt und komponiere zusätzlich eigene Jodler, die das ganze Jodel-Sammelsurium erfrischend beleben. Jodeln ist wieder zum Trend geworden. Viele Menschengruppen interessieren sich für diese Lebenskultur, die einen sehr ursprünglichen menschlichen Kern hat. Seien es Einzelne, die regelmäßig jodeln wollen, oder ganze Firmengruppen, die das als Teambuilding-Förderung gerne buchen. Es ist die Freude und Neugierde daran, die eigene Stimme auf eine ungewöhnliche, aber doch vertraute Weise zu gebrauchen!

Bild Anita Biebl Jodelworkshop
Anita Biebl Jodelworkshop (c) Anita Biedl

„Jodeln war quasi die erste SMS die wir senden konnten.“

In seinem 2019 erschienenen Buch „Jodelmania. Von den Alpen nach Amerika und darüber hinaus“ geht der Autor und Musikfan Christoph Wagner ja u. a. dem Begriff des Jodelns nach und findet dabei in einem Reisebericht aus 1810 die Definition „unartikuliertes Singen aus der Gurgel“. Wie würdest du Jodeln definieren? Immerhin sagst du ja auch: „Jodeln kann jeder.“

Anita Biebl: Das Buch ist super! Es entlarvt viele Entwicklungen und Ansätze auf sehr anschauliche Weise. Darin steht auch, dass das Wort „jodeln“ ursprünglich dem Laut „io“ zu vernehmen ist. Das „i“ steht für die Kopfstimme und das „o“ für die Bruststimme. Jodeln war quasi die erste SMS, die wir senden konnten. Erst durch das Singen ohne Worte entsteht der ganze Spielraum für die vollkommene Entfaltung der eigenen Stimmkraft.
Diesen Zugang können alle finden, wenn der Wille und der Mut stärker sind als das ständige Hinterfragen, ob etwas richtig oder falsch ist. Manche treffen zuerst den „Text“ besser, andere die Töne. Alles schwingt sich ein und wird „jodelhafter“. Je mehr man es tut, desto mehr jodelt es heraus! Das Tolle ist: Der Kopf wird frei und all unsere emotionalen Zugänge können fließen. Es ist ein Sprung ins kalte Wasser, ein Verlassen der Komfortzone, eine Achterbahn durch Höhen und Tiefen. Auf jeden Fall eine Aktivität, die viele Sinne öffnet und glücklich macht.

In den 1920er- und 1930er-Jahren gab es in den USA einen regelrechten Boom an Platten mit „Cowboy Yodeling“, deren Spuren sich bis in den frühen Rockabilly der mittleren 1950er nachverfolgen lassen. Mittlerweile scheint das Jodeln trotz seiner quasi universellen Verständlichkeit jedoch fast nur noch im alpinen Raum – zwischen Volksmusik, Volkstümlichem und neuer Volksmusik – gepflegt zu werden. Ist Jodeln international gesehen also – wieder – eine alpine Skurrilität?

Bild Anita Biebl
Anita Biebl (c) Foto Flausen

Anita Biebl: Geschichtlich betrachtet hat eindeutig das Jodeln aus dem Alpenraum, vor allem in den USA, die meisten Spuren und neuen Entwicklungen hinterlassen. Die Geschichte der Familie Trapp und die Hollywood-Verfilmung „Sound of Music“ tragen hier besonders für Salzburg einen großen Bekanntheitsgrad bei. Dennoch gibt es viele Kulturen, die die Technik des Jodelns von Anbeginn der Sprachentwicklung eingesetzt haben und heute noch praktizieren. International gesehen ist aber sicher das alpine Jodeln am bekanntesten.

Du bietest bei deinen Jodelkursen nun aber auch ein „Jodeldiplom“ an, was zumindest bei einigen sicher noch Assoziationen zu einem legendären Loriot-Sketch gleichen Namens aus den 1970ern wecken dürfte. Ist das nur ein Gag oder steckt da mehr dahinter?

Anita Biebl: Das ist die nächste Skurrilität! Dieser Sketch ist tatsächlich im deutschsprachigen Raum so bekannt, dass es die Teilnehmenden meiner Workshops damals förmlich von mir verlangten, solch ein „Jodeldiplom“ in Zukunft zu erlangen. Mittlerweile kann man bei mir auch bei Bedarf verschiedene Levels „erjodeln“. Da geht es dann schon mehr ins Detail. Für ein Jodeldiplom ersten Grades bedarf es bei mir lediglich den Mut, ins kalte Wasser zu springen, um einen kleinen Part allein oder in kleiner Gruppe zu jodeln. Ich merke, dass es den Teilnehmenden Freude bereitet und es sie motiviert, das Jodeln ernsthaft und mit Spaß anzugehen.

Neben den Chören und dem Jodeln gibt es auch noch das Projekt SnitaL SOLO wo du in der Mundart und mit einer Loop-Station arbeitest. Ist das eine Art Gegenpol zu all den doch auf ein gemeinsames Musizieren zielenden anderen Projekten?

Anita Biebl: SnitaL SOLO begann 2011, als ich loslegte, Solo-Konzerte mit einer Mischung aus eigenen Mundart-Liedern, spanischen und englischen Liedern zu singen. Es dauerte nicht lange und Bayern 2 spielte meine Lieder. In dieser Zeit habe ich aber gerade begonnen, mein Masterstudium berufsbegleitend zu meistern. SnitaL SOLO ist seither mein eigenes Forschungslabor, in dem ich verschiedene Wege mittels technischer Geräte – wie einer Loop-Station oder neuerdings auch einer Maschine-Jam – mit meiner Stimme und Instrumenten verbinde. Daraus sind viele Kompositionen entstanden, die mittlerweile als Filmmusik gespielt werden. Hierfür eignen sich vor allem meine Kompositionen, die rein instrumental sind und sich mit dem Singen ohne Worte beschäftigen. Meine Vision strebt insgesamt mehr nach dem „Wir sind“ und nicht nach dem „Ich bin“! Deshalb kann es auch bei einem Solo-Konzert passieren, dass alle dabei sind und zum Werk beitragen.

„Ich tu alles, was ich mit genug Neugier, Freude und Lebensenergie machen kann.“

Du hast ja eine Fachausbildung am Orff-Institut der Universität Mozarteum Salzburg in elementarer Musik- und Tanzpädagogik und Stimme sowie eine Ausbildung an der Berufsfachschule für Musik Altötting in Klarinette, Chor- und Ensembleleitung absolviert. Wie wichtig sind solche Ausbildungen für deine Arbeit bzw. wie viel muss davon – z. B. bei der Arbeit mit Chören – wieder vergessen werden?

Anita Biebl: Meine Studien waren für all mein jetziges schöpferisches Handeln in allen Inhalten genau die richtigen und wichtigen. Die Berufsfachschule hat mir musiktheoretisch und in der Praxis wichtige Grundsteine gelegt. Am Orff-Institut konnte ich sehr ganzheitlich lernen, wie man die verschiedensten Gruppen von Menschen durch Musik, Tanz und Sprache prozessorientiert und künstlerisch bereichern kann.

Neben den Chören und dem Jodeln bietest du ja auch u. a. Workshops im Rockhouse an, hast Lehraufträge – etwa an Universität Mozarteum Salzburg für Improvisation und Sound-Painting – und gestaltest auch schon mal eine Beatbox-Szene für „Le nozze di Figaro“. Das sieht alles nach extrem viel Arbeit aus, aber kommst du damit auch über die Runden? Also zahlt sich das finanziell überhaupt aus oder muss es so viel sein, damit z. B. die Miete gezahlt werden kann?

Anita Biebl: Ich mache alles, was ich mit genug Neugier, Freude und Lebensenergie machen kann. Es ist extrem viel Arbeit, aber jede Erfahrung ist bereichernd und so bahnt sich mein Weg nach und nach genau dorthin, wo ich am liebsten bin. Manche Engagements beanspruchen sehr spezielle Konzepte, aber das macht die Arbeit insgesamt auch so interessant, vielseitig und spannend. Als Komponistin für Filmmusik bin ich zum Beispiel auch über meine Workshops entdeckt worden. Meine finanziellen Einkünfte entstehen durch reguläre Tätigkeiten, die ich mit verschiedensten Auftraggebern auf die Beine stelle. Um von dem, was ich mache, leben zu können, müssen alle Bereiche, wie auch soziale Projekte, in einem guten Verhältnis zueinanderstehen. Die Spannweite der Einkünfte in Euros ist komplett unterschiedlich. Der Anfang meiner Selbstständigkeit war noch sehr mager und Reduktion in vielen Dingen war Alltag. Vor zwei Jahren hat die Auftragslage begonnen immer besser zu werden und jetzt kann ich sagen: Es läuft rund. Es gibt mir viel Vertrauen, dass sich mein Schritt in die Selbstständigkeit mehr und mehr als authentisches Spiel mit mir selbst und meinem Schaffen entwickelt hat.

Was ist für die Zukunft geplant?

Anita Biebl: Für die Zukunft wünsche ich mir, dass ich weiterhin vieles erreiche, wofür ich brenne. Mehr Potenzialförderung der Stimme und Musik in die Gesellschaft bringen. Meine Jodelschule ausbauen. Ein Sound-Painting-Filmmusikprojekt. Mehr Zeit zum Aufnehmen von Kompositionen. Eine gute Work-Life-Balance und eine Offenheit für alles noch nicht Geplante.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Didi Neidhart

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NÄCHSTE EVENTS:

Kneipenchor
08.04.2020

Jazzit / Salzburg

Chorkonzert – Chor d’accord
24.04.2020

TriBühne Lehen / Salzburg

Rockhouse Academy Kids:
Osterferien-Musikprogramm für die ganze Family- Holzkonzert Workshop mit Anita Biebl
Für Kids von 5 -10 Jahren & deren Mamas und Papas – kostenlos – ohne Anmeldung | mit & ohne Vorkenntnisse: 07.04. (14:00 Uhr, Workshopraum)
https://bit.ly/2P4PV5l

Rockhouse Academy: SINGtechniken – “Oberton, Beatboxing, Vocalpercussion, Jodeln…” mit Anita Biebl
kostenlos | ohne Anmeldung | mit & ohne Vorkenntnisse:16.04. (18:30 Uhr, Workshopraum)
https://bit.ly/2HEerG6

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Anita Biebl