Martin Grubinger, die Wiener Philharmoniker und die Neue Musik: Cerhas Schlagzeugkonzert und Werke mit Skrjabin-Bezug von Georg Friedrich Haas

Das war das Finale: Für Wien Modern 2011 stellten sich nach längerer Zeit nun auch die Wiener Philharmoniker für ein Konzert zur Verfügung. 2007 spielten sie unter Jonathan Nott das Cellokonzert von Haas. Auch in deren Abonnementkonzert im Musikverein und in einem Schulkonzert trommelte Martin Grubinger in ihrer Begleitung Friedrich Cerhas Konzert für Schlagzeug und Orchester. Das Ereignis im Großen Konzerthaussaal war de facto ausverkauft, da es  auch von vielen besucht wurde, die diese Konstellation miterleben wollten. Die Karten für die teuren Plätze waren dementsprechend hoch. Dirigent war Peter Eötvös.

Martin Grubinger war auch vor kurzem mit seinem eigenen Schlagzeug-Ensemble im Wiener Konzerthaus.  Auf dem Progamm stand einen ganzen Abend lang Musik von Iannis Xenakis: „Okho“ [(für 3 Djembé-Spieler, 1989], und im zweiten Teil die „Pleiades“ [1978]. Von dem legendären „Persephassa“, das ebenfalls aufgeführt wurde,  sagte er  schon vergangenes Jahr im mica-Interview, dass es  bürgerkriegsähnliche Zustände in Athen darstelle und  es ihm darum gehe, dass das beim Publikum  auch emotionell ankomme. Er sagte auch, dass Cerhas Schlagzeugkonzert ein Lieblingswerk Neuer Musik für ihn wurde. „Wissen Sie, wenn ich Cerha spiele, dann habe ich im Hintergrund einen Komponisten, der aus der Wehrmacht desertiert ist, im Widerstand war, der gegen viele unglaublich klingende Widerstände hat kämpfen müssen, sich über Jahrzehnte für seine Werke und die Musik seiner Freunde, an die er geglaubt hat,  eingesetzt hat, der aber nie zynisch geworden und ein unheimlich liebenswerter Mensch ist, der jetzt in seinem Alter immer noch wahnsinnig produktiv ist. Wenn man das als Interpret im Hinterkopf hat, dann spielt man das Zeug auch anders. Ich habe es jetzt in Flensburg beim Schleswig-Holstein-Musikfestival gespielt, keine Adresse, wo die Leute jeden Tag zeitgenössische Musik zu hören bekommen. Es war unglaublich. Die Leute sind beim Cerha von den Sesseln aufgestanden. Und ich versteh auch wieso. Weil diese Musik eine unheimliche Leidenschaft hat. Ich habe viele Schlagzeugkonzerte  in Auftrag gegeben, aber das von Cerha ist ein echtes Meisterwerk.“

Man wäre neugierig, es mit einem anderen Orchester hören zu können. Wiewohl: Auch die Wiener Philharmoniker, spielten (in großer Besetzung) sehr engagiert und mit viel Einsatz. Man hatte aber doch den Eindruck, dass Grubinger, für den Cerha dieses Stück ja komponierte, absolut die Hauptrolle hat. Allerdings hat auch einer der Schlagwerker im Orchester eine sehr wichtige Rolle, seine Pauken und Trommeln, im 3. Satz auch ein „Gegen“-Xylophon, treten oft in den Dialog mit dem Solisten.

Das dreisätzige Werk präsentiert gleich zu Beginn den Schlagzeuger, der es wirkungsvoll mit starken Schlägen einleiten muss, die dann vom Orchester beantwortet werden. Der Solo-Part hat in jedem der drei Sätze ein eigenes Instrumentarium, zu dem der Solist jeweils die Position wechselt. Dieses ist ausgeklügelt – für alle Schlaginstrumente (auch Tom-Toms, Tempelblöcke, Herdenglocken …) sind exakte Tonhöhen vorgeschrieben, zwischen denen der Solist oft in rasenden Wirbeln wechseln muss. Grubinger gestand, er hätte für die Erarbeitung sehr viel geübt.

Eruptive Blöcke prägen den überwiegend schnellen ersten Satz, kontinuierliche Bewegung erzeugt ausschließlich der Solist, das Orchester ist in drei übereinander gelagerten Schichten organisiert, manches klang etwas dumpf, Cerha nennt es einen „bohrenden, insistierenden Klangcharakter“. Vor seinen rasch aufeinanderfolgenden Attacken spannte Grubinger seine Muskeln an wie ein Kraftpaket, absolvierte dann seine Soli mit Hingabe und Lächeln. Ja, er kann’s. Cerha hat ihm ein sehr hörbares, sehr effektvolles, furioses Virtuosenstück komponiert.

Anders (und vielleicht auch am schönsten) der lyrische und klingende zweite Satz. Hier dominieren Instrumente mit Nachklang: Vibraphon, Glocken, Gongs, Crotales, Klangschalen. Auch im Pianisimo. Der dritte Satz im „Scherzando“-Charakter, geht von einem langen, metallisch klingenden Solo über zu wieder rasenden hohen und hellen Klängen in Xylophon, Holzblöcken und Log-Drums. Am Ende wieder die Trommel-Ereignisse des Anfangs.

Als Zugabe spielte Martin Grubinger noch ein eigenes Stück und verriet zuvor dem Publikum, dass auch das Cerha-Werk womöglich mehr solche „Rudiments“-Aufgaben enthielt, „als es der Komponist vielleicht selber weiß“. Das von ihm komponierte „Planet rudiment” machte ihn auch zum Jongleur, der seine Sticks durch die Luft wirbeln und zum Balancieren auf den Handgelenken und angewinkelten Ellbogen bringen konnte. Das sei ein „Übungsstück“, meinte er. Jedenfalls ist es auch Spitzensport, „ etwas, was weniger mit Musik als mit Sport zu tun hat“.  an, Der Schlagzeuger war eindeutig der Star des Abschluss-Konzertes des Festivals Wien Modern, und entsprechend wurde er umjubelt.

Georg Friedrich Haas: „Opus 68“ und „Poème“

Weniger glücklich war man mit der vom Orchester eher als Pflichtübung absolvierten Wiedergabe von „Opus 68“ (2003). Das ist eine „Instrumentierung“ der 9. Klaviersonate von Alexander Skrjabin, die dieser 1913 komponiert hatte. Sie zeichnete kühne, chromatisch zwölftönig temperierte Harmonik  aus deformierten Obertonskalen und Haas versuchte, Tonhöhen und Harmonik unangetastet zu lassen, aber sich in den  Klangfarbenwechseln vom authentischen Skrjabin zu entfernen und auch Akkordeon und einen sehr großen Paukensatz als Melodieinstrumente zu verwenden.

Auch sein „Poème“, das er 2005 komponierte, orientiert sich an harmonischen Merkmalen von Skrjabins Musik, etwa der Gegenüberstellung von Terzbeziehungen und Quartakkorden, entwickelt aber auch mikrotonale Intervallsschritte und Obertonakkorde, die die Intervalle umso mehr verkleinern, je höher sich ein Akkord in die Höhen hinaufbewegt. Haas sagte zu dem Stück 2007 im mica-Interview: „Poème war ein Auftrag für das Cleveland-Orchester und ich wusste, dass es fast keine Proben gibt, da diese in den USA extrem teuer kommen, wusste aber auch, dass im Gegensatz zu Europa die Interpreten bestens vorbereitet zu den Proben kommen. Da ist ein soziologischer Unterschied: Wenn ein amerikanischer Musiker unvorbereitet zur Probe kommt, verliert er seinen Job, wenn ein europäischer sich vorbereitet zeigt, schauen ihn die anderen bös an. Das ist einfach so und man muss das zur Kenntnis nehmen.“ Wie wahr! Dennoch: Bravo Peter Eötvös, der mit den Philharmonikern neben den genannten Werken ja auch Bela Béla Bartóks Konzert für Orchester proben und aufführen musste.

Wir toll ein Stück von Haas klingen kann, das erlebte man am Mittwoch zuvor (23.11) mit dem Klangforum Wien. Unter Emilio Pomárico spielte das Ensemble, besser gesagt 18 Instrumentalsolisten des Klangforums, das Stück „Monodie“ aus dem Jahr 1999. Vielleicht war das – neben wichtigen Werken von Friedrich Cerha und einem respektablen Werk von Francis Burt („Mohn und Gedächtnis (für Paul Celan), 2011). Auch er, 1926 in London geboren, wurde heuer 85   – das eigentliche Schlusskonzert von Wien Modern 2011.
Heinz Rögl

Martin Grubinger © Felix Broede/DG