„Man nimmt das Gemüse und schaut, was man damit machen kann“ – JÜRGEN BERLAKOVICH und JÖRG PIRINGER (WIENER GEMÜSEORCHESTER) im mica-Interview

Das Ensemble mit dem etwas anderen Instrumentarium veröffentlichte im vergangenen Jahr sein viertes Studiowerk  „Green Album“ (transacoustic research) und feierte damit nicht nur ein äußerst gelungenes und musikalisch überzeugendes Werk, sondern auch das 20-jährige Bestehen des WIENER GEMÜSEORCHESTERS. JÖRG PIRINGER und JÜRGEN BERLAKOVICH erzählten Alexander Kochman, was sich seit den Anfängen verändert hat und ob es mittlerweile eine Gemüse-Musikerszene gibt.

Sie feiern gerade das 20-jährige Bestehen des Gemüseorchesters, sind Sie beide schon seit den Anfängen dabei?

 Jörg Piringer: Seit 1998.

Jürgen Berlakovich: Ich bin seit mittlerweile 15 Jahren dabei, also seit 2004.

Hat sich seitdem viel verändert? Das Projekt ist ja doch um die Welt gegangen. Was hat sich getan in Bezug auf den Arbeitsaufwand, die Professionalität etc.?

 Jürgen Berlakovich: Natürlich ist es im Laufe der Zeit immer besser bzw. immer professioneller geworden. Durch das große Projekt und die spezielle Ausrichtung ist der Arbeitsaufwand relativ gleich geblieben, weil es Prozesse gab und gibt, die ganz einfach Zeit brauchen.

Jörg Piringer: Als es 1998 begonnen hat, war es als einmaliges Projekt gedacht. Damals war nicht damit zu rechnen, dass es 20 Jahre hält. Also insofern hat es sich natürlich verändern müssen. Es sind ja auch viele Leute hinzugekommen und auch gegangen. Schon allein das hat sich gewandelt, wir sind jetzt ein professionelles Ensemble, was wir am Anfang ganz sicher nicht waren.

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Hat sich somit auch der persönliche Anspruch an die Arbeit mit dem Gemüseorchester verändert?

Jörg Piringer: Ja, klar. Diejenigen, die jetzt noch dabei sind, arbeiten alle Teilzeit oder Vollzeit als Künstlerinnen und Künstler.

Sie waren gerade in China.

Jörg Piringer: Ja, wir haben drei Konzerte in Zhengzhou gespielt.

Jürgen Berlakovich: Das ist circa drei Stunden von Schanghai entfernt.

Waren Sie dort schon öfter? Wie werden Sie dort wahrgenommen?

Jörg Piringer: In China und Hongkong waren wir schon einige Male. Wir waren das erste Mal vor gut 15 Jahren dort. Seitdem hat sich wahnsinnig viel verändert, auch in China. Hongkong ist natürlich wieder speziell und ganz anders. Es ist wunderbar und schön und gerade jetzt spürt man, dass man da sehr viel machen will und dass auch sehr viel gemacht wird.

„[…] auf diesem Level gibt es niemanden, der das macht.“

Gibt es so etwas wie Nachahmerinnen und Nachahmer bzw. oder sogar eine Gemüse-Musikerszene?

Jörg Piringer: Wir haben einfach einen großen Vorsprung und es ist natürlich viel Arbeit, das auf diesem Level zu betreiben. Ich würde sagen, auf diesem Level gibt es niemanden, der das macht. Aber natürlich gibt es Leute, die inspiriert durch unsere Videos Karottenflöten bauen und ein kleines YouTube-Video machen. Das gibt’s immer wieder.

Kennen Sie den LG-Werbespot?

Jörg Piringer: Ja, natürlich. Wir verweigern ja generell, Werbung zu machen, was dann oft das Resultat hat, dass uns diese Werbefirmen kopieren und LG kopiert uns einfach beinhart. Die waren echt so frech, dass sie sogar unsere Bühnenausstattung kopiert haben.

Jürgen Berlakovich (c) Gemüseorchester

Auf den ersten Blick könnte man denken, dass Sie das sind.

Jürgen Berlakovich: Bei diesen Kopien stockt einem manchmal schon der Atem [lacht].

Jörg Piringer: Aber die haben halt keine Skrupel. Man sagt ja, Werbung sei kreativ, aber ich sehe das Gegenteil. Sie besteht hauptsächlich daraus, zu kopieren.

Auf Ihrer Homepage gehen Sie in den FAQ auch kurz auf die Frage ein, ob hinter dem Wirken des Gemüseorchesters auch eine politische bzw. ökologische Message steht.

Jörg Piringer: Ich würde sagen, dass jede und jeder ein ökologisches Gewissen hat, aber das Projekt selbst hat keine vordergründig ökologische Message. Es geht eigentlich um die Musik, aber natürlich sind wir dafür, dass man schaut, dass die Welt irgendwie bestehen bleibt und nicht durch wahnsinnige Verschwendung oder sonstigen Unsinn den Bach runtergeht. Wie jeder vernünftige Mensch hoffentlich.

Jürgen Berlakovich: Was auffällt ist, dass die Frage oft kommt. Wir machen uns schon Gedanken über Verschwendung und versuchen, das natürlich alles so gering wie möglich zu halten.

Wie sehen denn die musikalischen Einflüsse des Orchesters aus? Gibt es vielleicht Vorbilder, die ebenfalls auf nicht traditionellen bzw. konventionellen Instrumenten Musik machen?

Jörg Piringer: Ich kann nur von mir sprechen. Einer der Haupteinflüsse war in den 90er-Jahren das Aufkommen von neuerer elektronischer Musik. Da habe ich realisiert, dass man mit ganz vielem Musik machen kann. Zum Teil über Sampler, aber auch mechanisch und so weiter. Ein Vorbild gibt es für mich nicht. Ich habe ganz viele Einflüsse: zeitgenössische Musik, elektronische Musik, improvisierte Musik, ganz viel Minimal Music.

Jürgen Berlakovich: Bei mir ist es ähnlich und ich glaube, wir haben uns auch deswegen gefunden, weil wir

zum einen zwar alle ganz unterschiedliche Zugänge, vielleicht auch musikalische Sozialisationen haben und weil wir zum anderen, weil uns Ähnliches interessiert. Die elektronische Musik und die Musique concrète haben mich immer interessiert sowie vieles, was in den 50er-, 60er-Jahren passiert ist. Und vieles von dem, was mich beeinflusst hat, hat sich dann auch in transformierter Form im Gemüseorchester wieder gezeigt. Ansonsten haben wir auch aufgrund der vielen unterschiedlichen Menschen im Orchester ein sehr breites Spektrum. Bei der elektronischen Musik war damals alles ganz neu und auch, dass man Alltagsgeräusche verwendet hat, war faszinierend. Oder auch duborientierte Dinge und Minimal Music waren am letzten Album sehr stark vertreten. Da kommt vieles zusammen, auch Popmusik und Jazz zum Teil. Das ist auch das Schöne am Projekt bzw. an der Möglichkeit, die dieses Orchester bietet, dass man unterschiedliche Stile für sich ganz neu definieren kann.

In einem TV-Beitrag hat eine Kollegin von Ihnen den Kürbis als Bass Drum vorgestellt bzw. erklärt. Das kann ich mir relativ einfach vorstellen. Welche Instrumente bzw. Gemüse sind denn besonders schwer herzustellen bzw. zu verarbeiten ?

Susanna Gartmayer (c) Gemüseorchester

Jörg Piringer: Wir haben lange Jahre damit gekämpft, Saiteninstrumente herzustellen. Da sind wir jetzt auf einem halbwegs guten Weg. Blasinstrumente sind relativ leicht. Es gibt schon auch ein paar Gemüsesorten, die wir nicht verwenden, weil wir für manche einfach keine Anwendung gefunden haben, beispielsweise Brokkoli und Kohl. In China z. B. gibt es manche Gemüsesorten, die es hier gibt, nicht und dann suchen wir Ersatz und schauen, was man mit dem machen kann, was es gibt, und ob man es so anwenden kann, wie wir uns das vorstellen. Damals haben wir keine Zellerknollen gefunden, da haben wir dann so ähnliche Rüben als Ersatz verwendet. Es gibt, glaube ich, zwei Zugangsweisen: Man nimmt das Gemüse und schaut. was man damit machen kann. Oder man will irgendetwas bauen und sucht sich das Gemüse dafür. Man experimentiert, arbeitet aber zugleich auch zielgerichtet. Meistens trifft man sich dann irgendwo in der Mitte.

Jürgen Berlakovich: Ja, das ist faszinierend. Es gibt ja auch Instrumente, die nicht wir erfunden haben. So zum Beispiel wird der Kürbis oder der Trockenkürbis sehr oft als Musikinstrument verwendet. Die spannenden Instrumente sind dann diejenigen, bei denen man nie daran gedacht hat, dass sie so unglaublich toll klingen. Petersilie zum Beispiel, wenn man die Stängel aneinanderreibt. Diese vielen, vielen unterschiedlichen Geräusche, die man erzeugen kann.

Ich habe online gelesen, dass Sie auch beispielsweise Zwiebelschalen verwenden. Wie kann man diese denn einsetzen?

Jörg Piringer: Ganz leicht. Man nimmt getrocknete Zwiebelschalen und raschelt damit. Aber man kann sie auch leicht zupfen, das gibt ein bisschen einen perkussiveren Sound.

Jürgen Berlakovich: Das Rascheln ist dann auch ein bisschen wie das Knistern von Vinyl. Das kann man auch in unterschiedlichsten Situationen einsetzen.

„Unser Hauptaugenmerk liegt auf der Musik.“

Auf Ihrer Homepage steht auch, dass die Hälfte Ihrer Mitglieder aus dem Bereich der Visual Arts kommt. Wäre es denkbar, Gemüse noch stärker von anderen Kunstformen wie z. B. der Malerei entdecken zu lassen?

 Jörg Piringer: Vielleicht. Aber ich habe jetzt nicht den Anspruch, das zu machen. Es ist ja auch schon oft getan worden, eben schon bei Giuseppe Arcimboldo. Unser Hauptaugenmerk liegt auf der Musik. Und auf der Performance, der Musikperformance eigentlich.

Gemüseorchester (c) Heidrun Henke

Jürgen Berlakovich: Es gibt und gab ja immer wieder Livevideos oder Videos, die wir in Shows eingesetzt haben, das kommt dann immer auf die Situation an.

Gibt es am Naschmarkt wirklich das beste Gemüse? 

Jörg Piringer: Gibt‘s am Naschmarkt das beste Gemüse? Ich weiß nicht [lacht]. Als wir begonnen haben, war der Naschmarkt ja wirklich ein Markt, da hat es ganz viele Gemüsestände gegeben. Jetzt gibt es, glaube ich, noch zwei Gemüsestände. Für uns ist das ganz praktisch, weil wir einen Gemüsehändler haben, zu dem wir immer gehen, der kennt uns und uns nicht komisch anschaut, wenn wir auf dem Gemüse herumklopfen. Der weiß dann auch, dass wir so und so einen Sack Karotten brauchen. Manchmal liegt das Gemüse schon bereit und manchmal beliefert er uns auch. Also der unterstützt uns sehr.

Jürgen Berlakovich: Das Standardgemüse, bei dem man weiß, welche Größe und Form man zu erwarten hat, ist nicht schlecht für uns.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Alexander Kochman

 

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