„Man darf den Idealismus nicht an den Nagel hängen” – HUBERT WEINHEIMER (DAS TROJANISCHE PFERD) im mica-Interview

„Gunst“ (Schallter/monkey) heißt das vierte Album der Wiener Chanson-Punk-Band DAS TROJANISCHE PFERD, das am 8. Mai erschien. Ein großer Anteil digitaler Effekte macht es aus musikalischer Sicht diverser als die ersten drei Platten. Inhaltlich ist es deutlich positiver geprägt und mit noch mehr persönlichen biographischen Hintergründen des Sängers und Songschreibers HUBERT WEINHEIMER versehen. Im Interview sprachen er und Anna Lischka unter anderem über Details des neuen Albums, über Video-Produktion während der Corona-Isolation, über kreative Schaffenspausen und über Wege, aufrecht durchs Leben zu gehen. 

Wir haben Das Trojanische Pferd 2018 zuletzt zum Interview getroffen, damals ging es um die Theaterproduktion Digitalis Trojana im Schauspielhaus Wien. Was hat sich seitdem verändert? War das Album „Gunst“ damals bereits in Arbeit?

Albumcover Gunst
Albumcover “Gunst” (c )Theresa Wey

Hubert Weinheimer: Ziemlich genau an diesem Punkt ist es losgegangen mit der Arbeit am neuen Album. Das Lied „Mephisto“ aus dem Theaterstück war das erste fertige Stück. Davor habe ich 1-2 Jahre gar keine Lieder geschrieben. Das ist bei mir immer so, dass ich nach einem Album erstmal einige Zeit lang nichts Neues schreibe. Das hat auch damit zu tun, dass ich mich bei jedem Album emotional ziemlich verausgabe, weil ich versuche, mich eins zu eins in die Platte zu übersetzen. Bei diesem Album habe ich besonders viel aus meiner Kindheit reingepackt und seit ich die Kompositionsphase im Herbst 2019 abgeschlossen habe, hatte ich überhaupt kein Bedürfnis ein Lied zu schreiben – aber das kommt dann irgendwann wieder von alleine. 

In einem früheren Gespräch meintest du, dass man dich ganz gut kennt, nachdem man sich alle DTP-Alben angehört hat. Setzt sich das mit „Gunst“ fort?

Hubert Weinheimer: Ja, ganz bestimmt. Bei diesem Album sogar noch ein bisschen mehr, weil ich früher mehr chiffriert habe. Früher hatten alle Nummern schon auch viel mit mir zu tun, aber es war ein bisschen klausulierter. Bei diesem Album gibt es viel mehr konkrete biographische Hintergründe. 

Du bezeichnetest „Gunst“ als das widersprüchlichste Album bisher. Worin äußert sich das? 

Hubert Weinheimer: Widersprüchlich war in diesem Fall vielleicht nicht das ideale Wort meinerseits. Es ist musikalisch sehr divers. „Gunst“ hat sehr beatige, elektronische Nummern, aber es ist auch der punkigste Song drauf, den wir je gemacht haben. Dann gibt es da noch diese völlig nackten Klavierlieder. Deswegen ist es musikalisch gesehen ein Stück weit widersprüchlich. 

Wurden die Aufnahmen noch vor der Isolation fertig? 

Hubert Weinheimer: Wir haben die letzten Takes spät im Dezember gemacht. Jänner und Februar war ich oft bei Martin Siewert, der das Album analog gemischt und gemastert hat – da ist mir übrigens erst so richtig bewusst geworden, dass eine Platte in Wahrheit am Mischpult entsteht. Das Artwork war ebenfalls schon kurz vor dem Lockdown fertig. Auch wenn es schräg ist, dass das Album genau jetzt rauskommt, finde ich es sehr interessant, dass es wie eine Konserve aus der etwas naiveren Welt unmittelbar davor ist.

„So ein Release ist ein bisschen wie eine Geburt.“ 

Gab es die Überlegung, den Release zu verschieben, bis wieder Konzerte möglich sind? 

Hubert Weinheimer: So ein Release ist ein bisschen wie eine Geburt. Verschieben auf unbestimmte Zeit und unter fraglichen Vorzeichen – da hätte es mir als quasi Schwangere irgendwann den Bauch zerrissen. 

Man kann die Leute ja auch einfach mal nur hören lassen.

Hubert Weinheimer: Ja, genau. Die Leute sagen: „Okay, Album, aber wo ist die Tour?“ Hey, das ist das Album Nummer 4 vom Trojanischen Pferd – darum geht es! Es kommen schon noch ein paar Konzerte, aber „Gunst“ kann im Prinzip auch für sich alleine stehen. Abgesehen davon aber hoffe ich natürlich, dass es bald wieder möglich sein wird, ohne restriktive Corona-Maßnahmen Konzerte zu spielen – auch weil Judith Filimonova gerade eingestiegen ist und die hat eine sehr leiwande Energie.

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„Ich weiß, wo du wohnst“ – dieser Titel klingt nach einer Drohung. Es gibt dazu ein Video, in dem Liebesszenen aus Filmen hinter Fassaden von Wiener Häusern zu sehen sind. Wie kam es zu dieser Umdeutung? 

Hubert Weinheimer: Ich hab’ den Satz einfach irgendwo aufgeschnappt. Da ich generell gerne Dinge in einen anderen Kontext setze, habe ich mir gedacht, dass dieser Satz auch behutsam gemeint sein könnte und dass ich ein Liebeslied schreiben sollte, das mit diesen Worten anfängt. Die Idee zum Video ist von Timon Mikocki, der die meisten Videos vom Trojanischen Pferd gemacht hat. Während der Arbeit an diesem Video war strenger Lockdown. Wir haben geskypt und überlegt, was wir von der Distanz aus machen können. Ich wusste, dass er wahnsinnig viele Fotos hatte, die er als Collage verwenden will und ich wollte das mit Filmszenen kontrastieren. Die erste Szene im Video ist die, in der Jenny zu Forrest Gump zurückkehrt. Ich wusste, ich will diesen Ausschnitt im Video haben. Und dann hab’ ich Timon gebeten zu schauen, was er noch findet, weil er kennt sich mit Filmen viel besser aus als ich. Und eines wollte ich noch haben: Nachdem alle über Skype ihre Beziehungen und Freundschaften pflegen, wollte ich einen Pärchen-Video-Chat als roten Faden zwischen diesen Szenen. Es lag dann auf der Hand, dass ich die eine Hälfte sein würde und mein virtuelles Gegenüber ist die wunderbare Johanna Schwerzler.

„Ich stehe zu meinem Wort, das ist meine Art zu leben.“ 

Die Zeile „Doch wer das Kind beim Namen nennt, wird als Erstes an die Wand gestellt“ aus Handgranate ist sehr einprägsam. Wie wichtig ist Ihnen, dass sich deine Hörerinnen und Hörer intensiv mit deinen Texten beschäftigen und sie interpretieren?

Hubert Weinheimer: Das ist mir sogar sehr wichtig, weil das auch die Art und Weise ist, wie ich selbst Musik höre. Zum Zitat: Das ist ganz einfach eine der zentralen Wahrheiten unserer Zeit. Wir leben in einer Welt, in der alle vorsichtig formulieren: „Nein, das war alles gar nicht so gemeint…” Bullshit! Das sagen die Leute nur, weil sie Angst haben, zu irgendetwas zu stehen. Alle sind so „situationselastisch“. Ich stehe zu meinem Wort, das ist meine Art zu leben. Ich hab’ mir schon so manches damit verbaut und ich hab’ auch schon manchmal Leute ein bisschen zu fest vor den Kopf gestoßen. Aber ich bin sehr stolz darauf, weil es die einzige Art und Weise ist, wie man aufrecht durch das Leben gehen kann. Ich habe meinen Vater verloren, da war ich drei Jahre alt. Das hat mich schon als Kind gelehrt: Du hast nur ein Leben, und wenn du es nicht selbst lebst, dann ist das alles komplett umsonst. 

Bild Das Trojanische Pferd
Das Trojanische Pferd (c) Subkultur EV

Wie kann das gelingen?

Hubert Weinheimer: Wenn man eh nur eine einzige Chance hat, dann muss man doch versuchen, sich selbst zu vertreten – natürlich in einem Sinne, der für alle anderen auch passt, aber man muss versuchen, sich selbst gerecht zu werden und nicht nur Erwartungen anderer zu erfüllen. 2020 sehe ich manche Dinge etwas entspannter. Ich hab’ es mittlerweile geschafft, meine Direktheit ein bisschen realistischer zu gestalten. Aber man darf deswegen den Idealismus nicht einfach an den Nagel hängen. Nicht umdrehen und in die andere Richtung gehen, sondern sich fragen: Wie kann ich diesen Weg so gestalten, dass es mein Weg ist und dass er gleichzeitig für andere nachvollziehbar ist? Das ist mir in den letzten Jahren immer besser gelungen und das wirkt sich natürlich auch auf die Handschrift der Platte aus, die mehr positive Akzente setzt, als das bei den anderen Alben der Fall war. Weil ich ein entspannteres Selbstbild habe und auch ein etwas entspannteres Bild von der Gesellschaft. 

Dazu passt die erste Zeile aus „Sisyphus & Frankenstein“: „Von mir aus muss die Welt nicht untergeh’n, wir können erst noch ein paar Runden drehen.“ 

Hubert Weinheimer: Genau, das ist diese süffisante Art und Weise, zu sagen: „Es wird sich schon alles irgendwie ausgehen.“ Da gibt es übrigens eine gewisse Analogie zu Romy Schneider auf unserer ersten Platte. „Was nützt der Weltraum ohne Romy Schneider?“, das ist eine ähnliche Weltuntergangs-Stilblüte.

„Beim ersten Album habe ich das alles codiert, sodass man manchmal gar nicht mehr weiß, wer jetzt eigentlich was sagt.“ 

In „Kindergeburtstag in Kaltenleutgeben“ heißt es, „Ich sing’, weil es das Schweigen bricht“. War das für dich immer schon ein Motiv, Musik und Kunst zu machen?

Hubert Weinheimer: Ja, das ist das zentrale Motiv. Ich komme aus dem ländlichen Bereich in Oberösterreich und mein Fokus auf Sprache hatte sich auch aus dem Vakuum heraus entwickelt, dass in den 1980ern generell und am Land erst recht über vieles nicht gesprochen wurde. Ein Stück weit war es dann mein Auftrag, manches davon über Umwege zu kommunizieren, jedenfalls habe ich das oft so empfunden. Übrigens gibt es diesen Song ja schon auf dem ersten Album, nur codiert aus der Sicht meines Vaters – unter dem Titel „Und morgen bin ich tot. Aber das ist von außen nicht einsehbar. Das ist eben der Unterschied zwischen dem ersten und dem vierten Album: Beim ersten Album habe ich das alles codiert, sodass man manchmal gar nicht mehr weiß, wer jetzt eigentlich was sagt. Auf dem vierten Album sind diese Dinge deutlicher lesbar. Zugespitzt gesagt: Früher gab es diverse Leihgaben – diesmal ist das eine recht persönliche Inventur.

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„Gunst“ bedeutet Wohlwollen oder positive Gesinnung. Wem gebührt diese eigentlich? 

Hubert Weinheimer: Mir war sehr wichtig, einen positiven Titel zu wählen. Und generell mag ich kurze Titel. Das Trojanische Pferd wird – wahrscheinlich zurecht – als kunstige Band gesehen. Das wollte ich ironisch brechen. Aus Kunst wurde Gunst. Ich bin mit mir etwas freundlicher und mit der Welt etwas freundlicher. Das ist auch der Grund für das Artwork: Ich stolziere in Priesterkluft dahin, habe aber geschlossene Augen und ein verträumtes, undefiniertes Lächeln. Und auf der Rückseite verbeuge ich mich. Die Fotos hat Theresa Wey gemacht. Es war ein großes Glück, dass ich sie kennengelernt habe, und sie mich dann gefragt hab, ob ich eigentlich schon ein Cover habe. Ich hätte mich von selbst nicht auf das Cover gesetzt, sondern irgendeine Art von Collage gemacht oder etwas gemalt, so wie bei den anderen drei Alben. Da sie mich aber gefragt hat, dachte ich mir, ausprobieren kann man es. Jetzt bin ich sehr froh darüber, denn Pferd Nummer vier ist nicht nur der Musik und dem Charakter nach anders, sondern man muss das ja auch optisch übersetzen. Für mich ist es so: Die ersten drei Alben sind die quasi-orthodoxe Lo-fi-Phase, die mit den extravielen Zähnen. Platte vier ist für mich anders, weil sie tendenziell auf der entspannten Seite ist und es kaum noch Genrekategorien gibt. Ich hätte nie gedacht, dass wir auf einem Album mal so viele elektronisch generierte Spuren haben werden. Pro Song liegen im Schnitt ein bis zwei Keyboard-Patterns von David Schweighart darunter. Hätte man mir vor dreizehn Jahren, als ich die Band gegründet habe, gesagt, dass ein Pferde-Album mal zu einem Drittel aus Synthesizern bestehen wird, hätte ich gesagt: „Oida, bist angrennt!?“ 

Das war völlig ausgeschlossen? 

Hubert Weinheimer: Ja, das war für mich ein absolutes No-Go. Ich komme ja ursprünglich aus dem Hip-Hop. Als ich dann in den Indie-Bereich gewechselt bin, ungefähr 1998/1999, war das ein großer Schritt. Damals waren das noch zwei verschiedene Clans, da musstest du dich in der Schule entscheiden, wo du dabei bist. Und dann habe ich mich dafür entschieden, dass ich im Zweifelsfall doch lieber Nirvana höre. So hat sich damals mit ungefähr 16 Jahren für mich dieser „orthodoxe“ Indie-Ethos entwickelt. Sehr Lo-fi, sehr analog, E-Gitarren, vielleicht ein Fuzz Pedal, aber bestimmt keine digitalen Effekte so wie jetzt zum Teil. Auf der neuen Platte gibt es ja mehrere Orgelspuren, die in Wahrheit komplett verfremdete Gitarren sind. So etwas hätte ich früher nicht gemacht. 

„Fensterkitt” ist die einzige Dialektnummer auf dem Album, der Rest ist auf Standardhochdeutsch. Eignet sich Dialekt für manche Themen besser? 

Hubert Weinheimer: Wenn es ins sehr Süffisante geht, dann bietet sich das einfach an. Die Geschichten, die ich in Fensterkitt erzähle, handeln von drei Bekannten von mir. Die Anekdoten sind so erzählt wie das, was man halt bei einem Bier mit jemandem bespricht und da passt der Dialekt natürlich besser. Das ist auch die einzige Nummer, die ich selbst aufgenommen habe – mit einem Zoom-Recorder der ältesten Bauart, und die Orgel sogar mit dem Handy, über das wir gerade skypen. Ich wollte, dass dieses Lied auf gar keinen Fall produziert klingt – und das ist mir auch gelungen (lacht). 

Auf eurer Website ist zu lesen, dass jedes Album als letztes Album konzipiert ist. War es das nun etwa? 

Hubert Weinheimer: Nein, alle Pferde-Alben sind in ihrer jeweiligen Entstehungsphase als Schlusssteine konzipiert. Das führt uns an den Anfang des Gesprächs zurück, als ich gesagt habe, dass ich nach jedem Album eine Pause brauche, weil dann erstmal alles gesagt ist. Nach dem Mühlstein – das war der letzte Song, den ich für das Album geschrieben habe – habe ich den Kugelschreiber aus der Hand gelegt und mir gesagt: Fertig! 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Anna Lischka

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Monkey/Schallter