MAJA OSOJNIK – „Let them grow“

Der verborgene Charme der zerkratzten Oberfläche eines zugefrorenen Sees, idealerweise bei Nacht, das Singen eines Maschendrahtzauns, ein verlegter Kopf, vermutlich eingelegt in Formaldehyd, dazu ein Quäntchen Noise, ein Hauch Feminismus und diese ewigen, dunklen Missverständnisse … willkommen in der Soundwelt von MAJA OSOJNIK.

Maja Osojnik stammt aus Slowenien, ist aber seit vielen Jahren in Wien ansässig. Sie arbeitete bereits mit so unterschiedlichen MusikerInnen wie Eva Reiter, Angélica Castelló, Matija Schellander, Katharina Klement, Billy Roisz, Philipp Jagschitz, Bernd Satzinger, Mathias Koch, Clemens Wenger und den Noise-Rockern von Bulbul zusammen. Osojnik gilt zu Recht als eine der anerkanntesten Vertreterinnen der heimischen Avantgardeszene. Ihre neueste CD/DO-LP „Let them grow“ ist ein Solowerk, an dem sie einige Jahre gebastelt hat, eine Verdichtung im stillen Kämmerlein, ein „Spiel mit mir selbst“, wobei zwar andere MusikerInnen wie etwa Manu Mayr, Matja Schellander, Tamara Wilhelm oder Patrick Wurzwallner durchaus als Gäste willkommen waren, aber das von ihnen gelieferte Soundmaterial so lange verfremdet wurde, bis es gewissermaßen Osojniks eigenes war.

Ein Hörerlebnis wie das zerkratzte Glitzern eines zugefrorenen Sees in einer mondlosen Nacht

Das Tüfteln mit Sound zählt zu Osojniks liebsten Beschäftigungen: „Etwas Wiedererkennbares kann sehr schön sein, ich finde es aber auch schön, wenn absurde Sachen entstehen, wenn sich ein Sound so sehr verändert, dass er seinen ursprünglichen Charakter verliert und man nicht mehr weiß, was das ist: Ein Schiebedach klingt wie eine präparierte Klaviersaite, Steine, die über Badefliesen schleifen, klingen, als würde man Schlittschuhlaufen, die überarbeitete Stimme oder Skype Feedbacking klingt plötzlich wie eine verzerrte Gitarre.“ Unter diesem Vorzeichen ist die eigenwillige Schönheit von „Let them grow“ zu verstehen. Doch ginge es nur darum, wäre die Platte wohl bloß ein weiterer Eintrag in den stetig wachsenden Archiven elektroakustischer Soundtüfteleien.

Maja Osojnik
Maja Osojnik (c) Rania Moslam

Was hier passiert, und womit die Wienerin durchaus im Trend liegt, ist der Versuch, die rein experimentelle Tüftelei mit dem konventionellen Konzept „Song“ zu verbinden. „Mein Ziel war, nicht bloß ein paar Akkorde zu Refrain und Strophen zu verarbeiten, sondern abstrakte Klangräume zu behalten; auf einer experimentellen Ebene zu bleiben, aber eben trotzdem einen Song hineinzubringen.“ Daraus entsteht ein hybrides Hörerlebnis, das einerseits betörend stimmig ist, weil die Soundtüftelei ganz im Dienst der sphärischen Gesamtkonzeption steht. Kaum wo bricht eine exaltierte Schroffheit hervor, die um des artifiziellen Selbstbeweises willen die HörerInnen verstört. Andererseits werden konventionelle Steigbügel zwar angedeutet, Anflüge von Melodiösität tauchen auf (wie hoffnungsfroh in dieser Hinsicht ist etwa der Albumeinstieg „Tell me“, der in suizidschwangeren Breiten glatt hitparadentauglich wäre), doch bleibt es bei diesen Anflügen.

Condition IV. from maja osojnik on Vimeo.

Die „Songs“ verlieren sich meist im Minimalistisch-Fragmentarischen, werden zu wehenden Fetzen von Pop, die am Ende mit einem zur Unkenntlichkeit verzerrten Gitarrensound um die Gunst der künstlerischen Aufmerksamkeit buhlen müssen. Das sind der Segen und der Fluch von „Let them grow“ zugleich. Wer hier nur für einen Quickie vorbeihört, wird feststellen, dass sich trotz des Gesangs vor allem Sound(e)scapismus tut. Wer aber behutsam wiederkehrt, wer sich in diesen selbst in ihrer schroffsten Verweigerung noch intimen Soundkatakomben niederlässt, der wird mit dieser Doppel-LP reichlich belohnt. Ein Hörerlebnis wie … eben wie das zerkratzte Glitzern eines zugefrorenen Sees in einer mondlosen Nacht. Man freut sich wie der enthauptete Zombie, der seinen Kopf in der Leichenkammer des Museums wiedergefunden hat. In Formaldehyd zwar, aber doch …

Die Release-Party findet am 20. Februar im Wiener brut statt, die Doppel-LP erscheint bei „ROCK IS HELL Records“, die CD bei „UNRECORDS“.

Curt Cuisine
Foto Maja Osojnik (c) Rania Moslam

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