mica-Interview mit Chris Gelbmann

Als ehemaliger A&R Manager von Universal-Music sorgte Chris Gelbmann für Erfolge von Christina Stürmer bis André Heller. Die berufliche Handbremse gezogen, betreibt Gelbmann mittlerweile das Label Buntspecht, das u.a. mit Clara Luzia, Kempf, Tunesmith aber auch seinen eigenen Singer/Songwriter Alben österreichische Musik abseits offensichtlicher, kommerzieller Gesichtspunkte vertreibt. Chris Gelbmann im Gespräch mit Johannes Luxner über Major-Know-How, ökonomische Aspekte und schnell angebratene Gerichte.

“Studioarbeit und Kochen ist im Prinzip dasselbe”

Ausgehend von Ihrer einstigen Tätigkeit als höchst erfolgreicher Universal-Music-A&R-Mann: Inwiefern ist Buntspecht als Kompensationsprogramm zu erachten?

Ich definiere das Leben generell so, dass es ein erfülltes sein muss. Da bin ich bei Universal an Grenzen gestoßen, vor allem was meine eigene Musikalität anbelangt, weil ich einfach neben diesem mehr als Full-Time-Job keine Musik mehr machen konnte. Das musste wieder raus! Buntspecht ist einfach passiert, das war in der Form nicht geplant,. Aber als Kompensationsprogramm sehe ich das eher nicht. Ich versuche einfach das richtige Leben zu führen. Ich würde das philosophisch breiter, aber auch grundsätzlicher ansetzen.

Was soll und kann ein Label wie Buntspecht leisten?

Es war zunächst so, dass schon eine Art Masterplan dahinter stand, als noch Alex Kahr im Team war. Wir waren am Anfang ja noch zu dritt: Da gabs den Masterplan, dass wir deutschsprachige kommerzielle Popmusik veröffentlichen. Ich habe aber schnell bemerkt, dass ich mich nur wiederholen würde: Dass ich ohne Finanzgeber das mache was ich vorher schon gemacht habe. Aber diesmal ohne Bezahlung. Auch hatte ich zu dem Zeitpunkt schon mein eigenes Album produziert und für die Veröffentlichung hat sich Buntspecht angeboten. Dann ist Alex Kahr ausgestiegen und Erich Krapfenbacher und ich haben unter dem Ansatz weiter gemacht, dass wir Musik veröffentlichen wollen die uns selbst gefällt. Das ist der Punkt. Um auf die Frage zurück zu kommen, was wir tun
können: Man muss sich prinzipiell die Frage stellen, was in Zeiten wie diesen ein Label überhaupt tun kann: Nicht sehr viel (lacht). CDs veröffentlichen, so lange es noch CDs gibt. Wir versuchen, dass unsere Künstler Fehler vermeiden. Dass wir Wegbegleiter bei einer musikalischen Karriere sind.

Welche Art von Know How kann bei einem Major erworben werden, um es für ein Low-Budget-Label umzusetzen?

Wir versuchen, dass sich die Künstler nicht verbiegen und möglichst schnell zu ihrem eigenen Ding finden. Das klingt jetzt furchtbar pathetisch. Aber wir versuchen nicht so wie Majors zu agieren. Wir vertrauen auf das Talent des Künstlers. Dabei bin ich in einem ständigen Selbstzweifelprozess. Im Februar sind es zwei Jahre, dass wir diese Firma betreiben. Ich komme eigentlich immer mehr drauf, was man den Künstlern nicht geben kann. Am ehesten kann man ihnen aber Vertrauen geben, eine Unterstützung. Ich bin gestern zum Beispiel mit Kempf die halbe Nacht gesessen, um zu diskutieren wie das nächste Album aussehen könnte. Ich glaube es geht sehr stark darum, dass der Künstler einen Ansprechpartner hat, mit dem er reden kann. Mit dem er Ideen wälzen kann. Es geht um kreatives Weiterentwickeln. Beim Major bist du als Künstler sehr schnell allein gelassen. Ich hab das selbst miterlebt. Wenn du mit vielen Künstlern zu tun hast, kannst du dich nicht mit jedem intensiv auseinandersetzen. Das versuche ich besser zu machen, das ist der Lerneffekt. Eigentlich hat man psychotherapeutische Aufgaben bzw. ist man Geburtshelfer. Man muss auch kein Engineer sein, um Producer sein zu können. Rick Rubin greift selbst auch keinen Regler an. Es geht darum heraus zu finden was das Richtige ist. Ohne sich zu allzu wichtig zu machen.

Hinter dem Label stecken lauter ehemalige Major-Kapazunder. Auf der Buntspecht-Kompilation “Super Songs” prangt nun der Sticker “garantiert Ö3-frei”. Wurden alle Major-Grunddogmen auf einmal über Bord geworfen?

Da muss ich zunächst sagen, dass dieser “garantiert Ö3 frei” Sticker durch die “garantiert WM-frei” Kampagne von ATV inspiriert ist. Außerdem ist es von einem Buch inspiriert, das übrigens eines der Lieblingsbücher von Bogdan Roscic ist, “Positioning – The Battle for your Mind”. Bogdan Roscic hat mir das damals empfohlen, was ich in diesem Zusammenhang sehr witzig finde. Es gab vor Jahren eine Sprite-Werbung, die mit dem Slogan “The Un-Cola” sehr erfolgreich in Amerika geworben hat. Quasi: Wenn du eine Marke nicht schlagen kannst, dann orientiere dich an dieser Marke und mach dir die existierende Marke zu Nutze – darum gings unter anderem in diesem Buch. Ich fand die ATV-Kampagne sehr gut, weil ich Fußball hasse. Jetzt könnte man zwar den Analogschluss machen, dass ich Ö3 hasse, das ist aber nicht der Fall … Aber um auf die Frage zurück zu kommen. Eigene Dogmen gabs bei der Major-Kompanie nie. Man wird bezahlt, dass man funktioniert und funktionieren bedeutet, dass man Units verkauft. Und gerade ich, der nicht nur die A&R Abteilung geleitet hat, sondern auch Strategic Marketing, war umso mehr für “Units” zuständig Sprich, all die Lizenzen und Sampler von den Bravo-Hits abwärts. Es war übrigens eine Schreckensvision von mir, dass ich noch Bravo-Hits 100 machen werde – ein ziemlich schlimmer Gedanke. Aber du hast bei einem Major ein ziemliches Problem wenn du die vorgeschriebenen Units nicht verkaufst. Das hat mit Musik nichts zu tun. Und die Majors würden alle lieber Sex verkaufen, weil sich das noch besser verkaufen ließe. Es gibt nur ein Dogma: Sell! Was wir jetzt machen, ist, dass wir Musik veröffentlichen. Das ist ganz was anderes. Wir müssen aber auch Units verkaufen und natürlich machen wir auch Sampler, denn von denen leben wir. Wir leben nicht davon, dass wir Künstleralben veröffentlichen. Aber wir haben für den Inhalt mehr Zeit, weil wir uns dafür Zeit nehmen. Und das ist der Punkt.

Sie haben sich einst als “Enthusiast aus Überzeugung” bezeichnet:  Ihr wichtigster Antrieb?

Mein wichtigster Antrieb in Bezug auf Buntspecht ist, dass ich von diesem Ding irgendwann mal leben können will. Ich bin ein Mensch der echte Probleme mit unnatürlichen Autoritäten hat. Ich liebe natürliche Autoritäten aber ich kann mit Chefs nicht. Das ist das Problem bei großen Firmen: Du hast immer wen über dir. Wenn du Doug Morris (Universal Music Chef, Anm.) bist, hast du die Wall-Street über dir. Das heisst ich hab viel lieber einen kleinen Laden der als mein eigenes Königreich funktioniert. Sicher trage ich gegenüber meinem Geschäftspartner und vor allem mir selbst gegenüber Verantwortung. Aber ich bin mein eigener Chef und das ist der größte Antrieb überhaupt. Deshalb ist es mir so wichtig, dass das Ding überlebt, weil ich mich in keinem Angestelltenverhältnis mehr sehen kann.

Sie sagen Sie möchten irgendwann vom Label leben können. Wann ist irgendwann?

Irgendwann ist irgendwann. Aber erstens ist es in Österreich mittlerweile eine Leistung als kleine Musikfirma überhaupt zu überleben. Zweitens machen wir auch Umsatz: Wir leben von sehr kommerziellen Dance-Samplern, die gar nicht auf Buntspecht sondern auf unserem Sub-Label Agenda veröffentlicht werden. Nur: Wir wissen ja alle nicht wo das Geschäft hingeht. Ich bin schwer davon überzeugt, dass das Digitale die reine Realität sein wird. Das Problem ist nur, dass hier viel weniger Geld drinnen ist, als bei physischen Tonträgern. Das heisst, man muss mit Umwegrentabilitäten arbeiten – die muss man aber erst einmal finden. Kurzum: In den nächsten zwei Jahren soll Buntspecht etwas mehr abwerfen als jetzt.

Sie veröffentlichen auf Buntspecht ihre eigenen Singer-Songwriter-Alben. Wie sieht die Wahrnehmung gegenüber eines ehemaligen A&R-Managers, der auf einmal kredible Musik produziert aus?

Ein Universal-Kollege in den USA erklärte mir mal seine Version von “credible” in Bezug auf Musik: “There is nothing more credible than sold units.” Der Begriff “credible” ist also sehr dehnbar. Es kommt unter anderem auf die Sichtweise an. Es gab sehr viele Reaktionen die sehr positiv waren. Ich glaube – aber ich kann mich auch irren – dass ich mittlerweile mehr als Musiker wahrgenommen werde, als immer noch als der Checker zu gelten. Was mir sehr angenehm ist. Aber für ein paar Leute ist es immer noch sehr komisch. Ehrlich gesagt ist mir das aber wuarscht. Ich geniere mich ja nicht dafür, dass ich mit Christina Stürmer zu tun hatte. Warum soll ich? Oder mit Starmania. Ich habe ja auch mit André Heller zu tun gehabt oder mit Hans Platzgumer. Das ist für Österreich ein einzigartiges Spektrum. Ich seh das durchaus als Bonus.

Abseits von verkauften Units. Welche Erfolgserlebnisse bringt ein Label wie Buntspecht mit sich?

Die sind mit dem Überleben an sich verbunden, würde ich sagen (lacht). In der Tatsache, dass es uns noch gibt. Das ist wirklich ein dauerhaftes Erfolgserlebnis, das ich auch spüre. Außerdem ist es ein schönes Erlebnis, sparsam leben zu können. Dieser Größenwahn damals! Ich hab ja sehr gut verdient. Man wird dabei völlig verrückt und abgehoben. Das finde ich ekelhaft. Ich finde ekelhaft wie viel Geld man in diesem Geschäft verdienen kann, in dem trotzdem alle jammern. Nenn mir einen Künstler in Österreich – abgesehen von Stürmer – der davon leben kann. Aber die Herren Manager sahnen ab, dass einem schlecht wird. Das find ich ehrlich gesagt zum kotzen. Und das fand ich auch an mir zum kotzen. Ich hab selber gemerkt wie man die Dimension verliert. Jetzt weiß ich mittlerweile wieder einen Euro zu schätzen. Das wusste ich früher nicht mehr. Das ist für mich ein großer persönlicher Erfolg.

Wenn wir schon beim Philosophieren sind: Sie züchten Tomaten, die Promoinfo Ihrer letzten Platte verrät viel über Ihre Leidenschaft fürs Kochen: Gibt’s Analogien zwischen dem Musikmachen und dem Kochen?

Absolut! Ich mag ja zum Beispiel keine schnell angebratenen Sachen, zum Beispiel Schnitzel: Das spritzt erstens ungemein und gesund ist es auch nicht. Ich koche zum Beispiel sehr gern mit dem Wok: Dabei ist eine gute Vorbereitung essentiell. Man kann bis zum letzten Moment nachwürzen, muss aber wissen wann genug ist. Studioarbeit und Kochen ist im Prinzip dasselbe. Du musst dir vorher überlegen welche Zutaten du brauchst – die musst du einkaufen. Also die Wahl der Instrumentierung. Du musst es zügig und konzentriert durchziehen. Und darfst es nicht zu lange kochen lassen. Da fallen mir ewig Parallelen ein. Die gibt’s zwischen dem Kochen und dem Musikmachen zuhauf.

Interview: Johannes Luxner
Foto Chris Gelbmann © Dieter Brasch