Kunst wird von Entertainment verdrängt – ein Interview mit Slobodan Kajkut

Slobodan Kajkut ist ein Paradebeispiel für die Selbstverständlichkeit stilistischer Offenheit, undogmatischer Vorlieben und einen zeitgemäßen, so komplexen wie freiheitsliebenden Musiker- und Komponisten-Typus. Im Gespräch mit Andreas Fellinger erzählt der 28-Jährige über seine Platte Krst, die von ihm in Auftrag gegebenen Remixes, über The Striggles, den Musikbetrieb im Allgemeinen und speziell über Kajkuts Oper und sein Plattenlabel, die beide bigotter klingen, als sie sind.

Slobodan, willst du uns zuerst von den soeben erschienenen Krst-Remixes erzählen? Oder vorher von der Grundlage für die Remixes, deiner Krst-Soloplatte?
Krst ist ein Stück, das ich – mit Pausen – über vier bis fünf Jahre gemacht habe. Die ersten Ideen dazu entstanden 2004. Es ist ein Stück für Solostimme, für das ich immer Leute, denen ich vertraue, befragt habe, was sie davon halten.

Fand die Präsentationen beim Interpenetration-Festival in der Kirche St. Andrä statt?
Nein, das war ein anderes Stück. Das war mein Orgelstück “The Compromise Is Not Possible”, einmal als Uraufführung, einmal als Plattenpräsentation 2008.

Wie bist du zu den Leuten gekommen, die von Krst die Remixes angefertigt haben?
Die habe ich mir nach Geschmack ausgesucht und sie angeschrieben, ob sie es machen wollen. Also Lustmord, Plotkin, KK Null, Weasel Walter und die anderen, darunter auch zwei meiner Striggles-Kollegen.

Dafür musstest du ihnen etwas bezahlen, oder?
Ja, natürlich. Große Namen musst du zahlen. Andere machten es einfach aus Spaß. Das funktioniert so, weil die Leute mich ja auch nicht kennen, von denen ich etwas wollte.

Hat auch jemand deine Anfrage ignoriert?
Nein, eigentlich nicht. Justin Broadrick wollte ich gern dabeihaben, aber ich hatte keine Adresse von ihm. Ah, doch, die einzige Absage kam von Mick Harris. Aber der hatte auch schon beim Elevate zweimal abgesagt. Das registriere ich einfach nicht als Absage.

Die Idee der Aufteilung, dass auf Vinyl nur die Hälfte drauf ist und auf den CDs das ganze Programm, stammt von dir?
Mir ist Vinyl total wichtig, aber alle Remixes auf Vinyl hätte geheißen: vier Platten. Und vier Platten kauft niemand.

Die Remixes bewegen sich alle nahe am Originalstück? Oder gibt’s große Abweichungen?
Manche sind ganz nahe, andere sind ganz woanders. James Plotkin zum Beispiel und KK Null, Opcion teilweise … Die Idee war, ich schicke euch nur die Stimme, und ihr macht damit, was ihr wollt.

Welche kompositorische Idee steht hinter Krst? Geht es dabei um etwas Christliches? Krst heißt wahrscheinlich Christ?
Nein, Krst heißt Kreuz. Also ich hatte keine religiösen Motive, ich stehe einfach auf diesen byzantinischen Gesang, der normalerweise nur in Kirchen Verwendung findet. Der altbyzantinische Gesang hat sich weiterentwickelt und kommt auch in der orthodoxen Kirche vor.

Du hast dann das Stück für die Platte selbst eingesungen.
Ja, das mache ich inzwischen auch live.

Hat diese Vorliebe für diese byzantinischen Gesangskunst etwas mit deiner Herkunft zu tun?
Ich hab das schon in einer Band gespielt, die diesen Gesang oft verwendet hat. Das war eine mazedonische Band, Mizar, daher stammt meine Vorliebe. Daraus hab ich, ohne Pop-Elemente zu verwenden, meine eigene Vision entwickelt. Und eine zweite Band, die das auch gespielt und Elektronik dazugemischt hat, hieß Anastasia. Ziemlich dunkle Musik.

Aufgewachsen bist du aber nicht in Mazedonien?
Nein, in Banja Luka. Dort hab ich die Mittelschule abgeschlossen und bin dann nach Graz gegangen.

Warum nach Graz? Weil du hier schon jemanden gekannt hast?
Ich habe niemanden gekannt. Das Studium war halt gratis, weil es damals ein Abkommen zwischen Österreich und Jugoslawien gab, aufgrund von Kriegsschäden im Ersten Weltkrieg. Das Abkommen gilt leider heute nicht mehr.

Du hast dann Komposition studiert?
Ja, bei Georg Friedrich Haas und bei Clemens Gadenstätter. Außerdem bei Gerhard Eckel und Gerd Kühr. Vor allem Haas hat mir neue Horizonte eröffnet. Ich musste lernen, die eigene Musik zu verteidigen. Und wenn ihm etwas gefallen hat, hat er es gepusht. Mit Gadenstätter habe ich oft stundenlang diskutiert, ohne Pause. Bei ihm hab ich gelernt, noch härter zu argumentieren. Ich weiß nicht, ob ich es nochmals machen würde, aber das Studium war für mich sehr spannend.

Parallel dazu hast du immer schon andere Musiken gespielt?
Immer schon. Meine erste Parallelmusik waren The Striggles – nachdem ich Robert Lepenik kennengelernt hatte. Der war für mich genauso wichtig wie die Uni-Lehrer. Vor allem seine ästhetische Offenheit. Und er hat mir den Zugang zu dieser Szene, zu verschiedenen Labels ermöglicht. Eigentlich ist er dafür verantwortlich, dass meine erste Platte  herausgekommen ist. Zurzeit bin ich überhaupt mehr konzentriert auf diese Sachen und weniger auf Neue Musik. Mit Ausnahme des Solo-Violastücks Glue Sniffer mit Dimitrios Polisoidis. Ich kann es mir einfach nicht leisten, auf Aufträge zu warten …

Stört dich etwas an der zeitgenössischen E-Musik?
Eine gewisse, äh, Geschlossenheit. Ich versuche jetzt, nicht böse zu sein. Bitte pass auf, dass nicht herauskommt, ich spucke drauf! Ich hab überhaupt nichts gegen die Leute, es fehlt mir nur etwas. Das geht auch anderen so, aber die dürfen es nicht laut sagen. Es fehlt das Experimentelle, es fehlt die Individualität.

Was nicht fehlt, sind diese bürgerlichen Rituale?
Ja, aber die gehören dazu. Das sind ja keine Rockbands. Es sind halt alle sehr vorsichtig und, wie sagt man, nicht locker. Alle jungen Komponisten schauen immer auf die alten und auf die eigenen Lehrer. Das hört man. Aber mit Musik hab ich sowieso ein Problem. Genauso, wenn nicht noch heikler ist das Publikum. Die brauchen alle neue Infektionen. Vielleicht geht’s ihnen zu gut. (lacht schallend) Nein, ich weiß es nicht. Sie erledigen jedenfalls einen Haufen Arbeit.

Wie steht es um dein Arbeitsaufkommen?
Wenn ich etwas arbeiten muss, dann arbeite ich wie ein Schwein. Ich arbeite viel, aber noch mehr Zeit brauche ich für Überlegungen. Das ist vielleicht der größte Nachteil der Unabhängigkeit, dass man unter keinem Zeitdruck steht.

Manchmal nennst du dich Kajkut, dann wieder Kajkyt. Wovon hängt das ab?

Kajkyt verwende ich nur beim Projekt, wo ich selber mit Laptop und Gesang auftrete, also Krst, Krst Remixes usw. Alles andere – Schlagzeug, Komposition etc. – mache ich als Slobodan Kajkut.

Als DJ operierst du allerdings unter dem Namen Slobodan Milosevic?
Ja, sehr witzig. Aber diese DJ-Sache ist nicht wichtig. Ich bin auch kein richtiger DJ, ich lege nur ab und zu meine Lieblingsmusiken auf.

Welche sind das so?
Pffh, viele. Godflesh, Scorn, Unsane, viele österreichische Sachen, viel Ex-Jugo-Musik, Morton Feldman, Bernhard Lang, John Cage, Motörhead unbedingt, Mozart, Beethoven, Miles Davis, Japan-Noise, extrem viel Freejazz, Punk, Slayer, Chopin, ah diese Klavierwerke, Opus, aber in der Laibach-Version, ich liebe Laibach, Madonna unbedingt, Public Image Limited, Sonic Youth, U.S. Maple, Jesus Lizard, Killdozer, Kurt Weill – und zum Schluss immer Erik Satie.

Es gibt Stimmen, die behaupten, man könne die wesentlichen Fragen des Musikjournalismus auf eine einzige reduzieren: Beatles oder Stones? Was wäre deine Antwort darauf?
Beatles UND Stones natürlich. Die Beatles wegen des Hangs zum Experiments, auch wegen des tollen Produzenten, George Martin ist superwichtig; die Stones, weil sie die erste Punkband waren, wegen der “Their Satanic Majesties Request”-Platte, kennst du die?, wegen Keith Richards und Charlie Watts und, ganz wichtig, sie vergessen nie die alten Songs. – Aber wenn du mich fragst: Beatles oder Clash?, dann bin ich immer für The Clash und “Sandinista”, aber nur die.

Apropos Charlie Watts. Bei The Striggles sitzt du am Schlagzeug. Was schätzt du besonders an dieser Band?
Die Kreativität, die Konstanz, dass immer etwas Neues ausprobiert wird, das Experimentieren, das Verständnis, die Verschiedenheit … Schlagzeug spiele ich nur, weil ich halt nichts anderes kann. Wir machen seit 2008 jedes Jahr eine neue Platte. Nächstes Jahr kommen auch wieder eine 7inch, eine 10inch und eine Kassette.

Gestern hab ich zufällig Bernd Heinrauch beim musikprotokoll getroffen. Er produziert die Striggles-Platten?

Ja, Bernd ist megawichtig. Er ist der fünfte Striggle.

Bist du sonst noch in Bands aktiv?
Ja, ich bin auch Drummer von Automassage, der Band mit Kauders, dem Keyboarder von Code Inconnu und zwei Slowenen. Wir nehmen gerade unsere neue Platte auf.

Wenn du dir als Schlagzeuger eine Band aussuchen könntest, in welcher würdest du gern spielen?
In der Jimi Hendrix Experience.

Weil es die aber angeblich nicht mehr gibt, bleibt dir sicher noch Zeit für andere Aktivitäten?
Ich habe ein Label gegründet, das heißt God. Das ist aber noch virtuell.

Ein virtuelles Label?
Ja, weil es außerhalb von Graz noch fast niemand kennt. Ich hab am Anfang  nur eigene Musik herausgebracht und jetzt langsam auch andere Sachen.  Ich versuche, mit dem Label eine Brücke zwischen den Musiken zu schlagen,  die akademische, Neue Musik mit dem Underground zu verbinden. Irgendwann möchte ich (nach jenen von Bernhard Lang/Philip Jeck und Peter Ablinger; Anm.d.Red.) auch ein Stück von Beat Furrer und Georg Friedrich Haas veröffentlichen. Ich will damit auch die Vinyl-Kultur pflegen. Vinyl macht die Musik wichtiger als lieblos hergestellte CDs. Ah, noch etwas: Kennst du eigentlich meine Oper?

Nein, davon hab ich noch nie gehört. Erzähl!
Die entstand in meinem zweiten Studienteil Musiktheater. Das war eine Kooperation zwischen der Kunst-Uni und dem Opernhaus und hieß “Oper der Zukunft”. Vier Studenten konnten je eine Kurzoper realisieren. Einzige Vorgabe war, sie sollte maximal 20 Minuten dauern – und alle, außer meine, dauerten genau 20 Minuten. Sagt dir das etwas?

Ja, das illustriert das vorher Gesagte ganz gut.
Eben. Die machen einfach ihre Aufgaben, wie sie verlangt werden. Schuld ist meistens die Einschränkung. Meine Oper, sie heißt God Bless God, dauert eine halbe Stunde. Die Besetzung konnten wir selbst bestimmen. Ich habe eine Rockband ausgesucht, da waren wieder die Striggles dabei und der Heifetz-Schlagzeuger und Jakuzis Attempt-Schlagzeuger plus Elektronik plus drei Solostimmen plus zwei Streicher plus Chor. Da gab es dann Streit mit dem Dirigenten, der hat das überhaupt nicht gecheckt, worum’s ging. Das war für mich ganz lehrreich, wie eine Oper funktioniert.

Wie behagt dir Graz als Lebensort?
Graz ist okay, natürlich wünsche ich mir immer mehr. Aber Graz ist gut, weil es hier viele Szenen gibt. Das generelle Problem ist halt, es gibt zuviel Kunst und zuwenige Konsumenten. Da ist Wien vielleicht anders, aber große Städte halte ich nicht aus. Berlin ist wahrscheinlich besser als Wien.

Welche Perspektiven hat Slobodan Kajkut?
Raus aus Österreich, aber das wollen wir alle, weil Österreich so klein ist. Es gibt keine großen Tourneen, kein anständiges Booking. Es ist allgemein ein dekadentes Zeitalter, ober täusche ich mich? Jede Kunst, bei der man ein bisschen nachdenken muss, wird von Entertainment verdrängt.

Platten:
Slobodan Kajkut
* Glue Sniffer (God/Wire Globe)
* The Compromise Is Not Possible (Wire Globe)
* God Bless God (KUG Graz)
Kajkyt
* Krst (God/Wire Globe/chmafu)
* Krst Remixes (WireGlobe/chmafu; siehe Platten des Amras)
Weasel Walter plays Slobodan Kajkut, Life after Death (7″, God/Wire Globe)
The Striggles
* Aloha (Noise Appeal)
* StrigCatMummy (Noise Appeal/Rock is Hell)

Dieses Interview mit Slobodan Kajkut erschien zuerst in:
freiStil, Magazin für Musik und Umgebung

Foto: J.J. Kucek

http://www.kajkut.com/
http://www.godrec.com/