„LONDON WAR MEIN MUSIKALISCHES ERWACHEN“ – AYO ALOBA (AFROSCHNITZEL) IM MICA-INTERVIEW

AYO ALOBA macht Musik, für die man aus dem Gute-Laune-Fass schöpft. Ob solo als AYOTHEARTIST oder im House-Duo AFROSCHNITZEL – AYO trommelt Polyrhythmen über Vierviertelbeats, dass man vor Freude durchs Wohnzimmer rutscht. Nachdem er 2015 von London zurück nach Wien zog, gründete er mit mehreren Leuten das Kollektiv SOUNDS OF BLACKNESS, das zwischen Aktivismus und Awareness von der POC-Community auch explizit für sie veranstaltet. AYO spielt aber nicht nur in der Musikszene eine Rolle, sondern auch als Schauspieler – zuletzt im Stück „Das Leben des Vernon Subutex“ am Schauspielhaus in Wien. Außerdem moderiert er die Sendung HARMATTAN auf Radio Orange. Über seine Kindheit in Nigeria, verbale Mittelfinger an Floridsdorfer Hater, die Soundsystem-Culture im London der frühen 2000er und natürlich seine Musik hat AYO mit Christoph Benkeser gesprochen.

Ayo, es gibt einiges zu besprechen. Dein Soloprojekt Ayotheartist, dein Duo-Projekt Afroschnitzel, den Werdegang von Nigeria über London nach Floridsdorf – und zuletzt hast du sogar vom Cover des Augustin gelächelt. 

Ayo Aloba: Ja, es haben mich viele darauf angesprochen. Manche waren aber auch skeptisch auf die Art: „Eh schön, dass du deinen Medienrummel bekommst, aber es ist doch Lockdown!“

Klar, seit einem Jahr gab es fast keine Veranstaltungen mehr. Welche Erinnerungen hast du an das letzte Mal im Club? 

Ayo Aloba: Zum Glück ist das gar nicht so lange her. Im Dezember gab es ein Projekt im Weberknecht, von dem aus ein Bekannter jede Woche Online-Streams gesendet hat. Bands spielten, ich legte auf. Allein mit diesen Keller-Vibes war das schon komisch, weil: Da stehen drei, vier Leute um dich herum und du sollst Party machen. Trotzdem: Die Sache war live, man muss sich vorstellen, dass ein paar Hundert reinklicken und die Energie dafür reinstecken.

War das ein Streaming-Angebot vom Lokal Weberknecht? 

Ayo Aloba: Warte, ich hab mich vertan! Es war das Reigen, dort sind die Keller-Vibes so ähnlich wie im Weberknecht … Um den Künstler*innen eine Plattform zu geben und der Wiener Musikszene einen Push zu geben, hat man dort im Dezember Streamings veranstaltet.

Das ist schon wieder zwei Monate her …

Ayo Aloba: Dass Leute sich trotz aller Einschränkungen überhaupt trauen, irgendetwas von dieser Nacht- und Clubkultur am Leben zu erhalten, fand ich mutig. Das war viel Arbeit, vor allem wegen ständigen Änderungen der gesetzlichen Bedingungen. Aber es ist eine ganz andere Art von Feiern.

Das Clubsetting geht schwer mit den Bedingungen der Streams einher. Bei manchen Live-Streams hämmern DJs den ärgsten Techno zum Abendbrot raus. 

Ayo Aloba: Guter Punkt! Man merkt, was fehlt: Wir als Menschen brauchen die Community, gerade im Club. Man versammelt sich an einem Ort, zu einer bestimmten Zeit, zu einem bestimmten Event, wo wir ein kollektives Erlebnis erfahren können. In der Virtualität der Streams suchen wir eine Balance zwischen individuellem Feiern und kollektivem Erlebnis. Deshalb kann man sich auf manchen Plattformen ein Avatar erstellen, um im virtuellen Club mitzutanzen – mit vielen anderen Avataren.

Ja, bei Minecraft hab ich es gesehen. Allein daheim vor dem Laptop wirkt es fast absurd. 

Ayo Aloba: Ich seh das zwiespältig, weil sich der Fokus verlagert. Letztes Jahr, während des ersten Lockdowns, gab es in der Schweiz eine Initiative, bei der ein Clubbesitzer seine Location geöffnet hat – um Covid-Tests durchzuführen. Nebenbei haben DJs gespielt. Das ist für mich Clubkultur, darum geht es: Einen Ort zu öffnen und ihn in etwas Praktisches zu überführen.

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Die Spaces stehen auch in Wien leer, es gäbe die Möglichkeit, sie anders zu nutzen. 

Ayo Aloba: Absolut. Es ist auch eine Frage, wie man es der nächsten Generation vermittelt. Wir hatten immer die Möglichkeit fortzugehen, es gab keine Einschränkungen. Gerade die Pubertät ist eine wichtige Zeit. Man probiert sich aus und trifft manchmal dumme Entscheidungen. Jetzt gibt es gar keine Möglichkeit, dumme Entscheidungen zu treffen. Der Jugend wird ihre Jugend genommen. Deshalb steigt die Bereitschaft, Risiken einzugehen. Ich kann das verstehen, weil: Wir hatten keinen Lockdown in unserer Jugend, wir hatten alle Möglichkeiten.

Wenn sie einem genommen werden, sucht man eigene Räume. 

Ayo Aloba: Deshalb darf man das nicht verurteilen und die Finger auf die jungen Leute richten. Man muss ihnen Möglichkeiten innerhalb des Möglichen geben. Vielleicht kann man über Streams Diskurse starten, sie direkter ansprechen und sogar Crashkurse in Musik geben. Wir müssen die Plattformen nutzen, die es gibt. Schließlich wollen sich die Leute ablenken!

Man kann zumindest annehmen, dass manche sich darauf einlassen, weil ihnen langweilig ist. 

Ayo Aloba: Die Aufmerksamkeitsspanne ist trotzdem kurz, ich kenne das. Deshalb geht es um die Nachhaltigkeit des Angebots. Wenn du jede Woche auflegst oder was aus verschiedenen Musikepochen erzählst, bekommen das die Leute irgendwann mit, weil es Beständigkeit hat. Das performative Element des Musikmachens bekommt damit einen Zweck.

Der Raum für den Rausch und die Präsenz der Leute fehle, heißt es oft. Ich dreh das gern um: Menschen schaffen Räume – egal ob im Club vor Ort oder im Netz. 

Ayo Aloba: Genau, ab 19. Februar findet ja ein Online-Festival namens CIVA Arts statt, ein Akronym für Contemporary Immersive Virtual Arts, wo ich als Kurator mitwirke. Als erste Plattform für virtuelle Medien ist das ein Experiment, bei dem es darum geht, von Wien aus eine globale Community zu ermöglichen, in der Kunst, Wissenschaft und Musik zusammenfindet; in der man Räume erforschen kann; und Möglichkeiten austestet.

Du wirkst dort als Kurator mit? 

Ayo Aloba: Ich bin einer von vielen Mitwirkenden, ja. Eva Fischer leitet das Festival, Dalia Ahmed von FM4 ist mit dabei, Tonica Hunter, Raj Das, Thiago Rossa, mit denen ich das Kollektiv Sounds of Blackness gegründet habe, auch. Wir sind ein diverses Team, das macht die Sache aus.

Was darf man erwarten?

Ayo Aloba: Einerseits sollen Künstler*innen aus Österreich gepusht werden. Andererseits soll das Programm international sein: Die Leute von Unreal Engine geben einen Workshop … 

Das ist die 3D-Rendering-Engine, die zum Beispiel hinter Spielen wie Fortnite steht. 

Ayo Aloba: Genau, sie werden darüber sprechen, wie Kunst und Programming zusammenkommen.

Welche Schwerpunkte hast du als Kurator gesetzt? 

Ayo Aloba: Ich habe mich um das Projekt #InstaTakeover gekümmert. Wie kann die BIPOC-Community in virtuellen Räumen Sichtbarkeit bekommen? Indem sie eine Plattform bekommt, um ihr Talent sichtbar zu machen.

So einfach könnte es sein. 

Ayo Aloba: Ja, das ist wichtig. Außerdem gibt es einen Programmpunkt, über den ich wirklich aufgeregt bin. Sagt dir der Name Karlheinz Brandenburg etwas?

Nein, hilf mir auf die Sprünge. 

Ayo Aloba: Er ist der Pionier der MP3-Datei.

Ah, vom Fraunhofer Institut. 

Ayo Aloba: Du bist ja ein richtiger Nerd! Aber nicht im negativen Sinn! Ja, letztes Jahr war das 25. Jubiläum der Einführung des MP3-Formats. Brandenburg war so nett und hat sich die Zeit genommen, für uns über die Entwicklung zu sprechen. Das wird richtig spannend.

Schön, wenn sich die neverending sameness des Alltags damit unterbrechen lässt. Gerade wenn man sich vor Corona in Clubs herumgetrieben, was mit elektronischer Musik und dem ein oder anderen kollektiven Rausch zu tun gehabt hat, ist es aktuell eine schwierige Zeit.

Ayo Aloba: Klar, es ist der elephant in the room. Man muss sich fragen, was man zur Ablenkung beitragen kann. Durch das Reden allein wird es sich nicht ändern.

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Trotzdem merkt man das Bedürfnis vieler Menschen, darüber zu sprechen – oder zu sudern. 

Ayo Aloba: Ja, aus diesem Bedürfnis und der Langeweile entstehen zum Beispiel so trendy Meme-Plattformen, auf denen du aus Fenstern rausschauen kannst.

Aus Fenstern? 

Ayo Aloba: Ja, du kannst einfach aus den Fenstern von irgendwelchen Leuten auf der Welt schauen.

Wie Clubhouse, aber mit Bild.

Ayo Aloba: Ja, um die Blumen an den Fenstern von zufällig ausgewählten Leuten zu betrachten. Oder die Autos, die am Fenster vorbeifahren.

Schön zu sehen, was aus Langeweile entstehen kann. Hoffentlich kommt das nicht zu weinerlich rüber, schließlich sind wir privilegiert, uns geht es gut. 

Ayo Aloba: Das Privileg gibt dir eine Wahl, deswegen können wir auf die Straße gehen, um zu demonstrieren, wenn uns etwas nicht passt. Viele wissen nicht, dass sie diese Privilegien haben. Sie nehmen sie als gegeben an.

Der Reflexionsprozess ist wichtig. Du bist viel herumgekommen in deinem Leben, das trägt sicher dazu bei. Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich mit dir gerne über deine Anfänge sprechen. Du bist 1981 in Nigeria zur Welt gekommen …

Ayo Aloba: Wow, da hat jemand recherchiert! Interessant ist, dass meine Eltern schon in den 70ern in Österreich waren, als Teil der Gralsbotschaft. Das sind Freidenkende im Missionärsstyle. Zuerst waren sie in Tirol, später in Wien. Nachdem meine Eltern Anfang der 80er zurück nach Nigeria gingen, kam ich als drittes von vier Kindern auf die Welt.

Welche Erinnerungen hast du an deine Kindheit? 

Ayo Aloba: Für mich teilt sie sich in zwei Welten. Die erste Welt ist Nigeria, meine Heimat, das Land steckt in meinem Blut. Einen Großteil meiner frühen Jahre habe ich bei meiner Großmutter verbracht, sie hat uns Kinder erzogen. Sie gab uns viele spirituelle Weisheiten und war für mich wie eine mythische Figur. Wenn ich krank wurde, wusste sie sofort, welche Salben und Kräuter ich brauchte.

Sie kannte ihre Hausmittel. 

Ayo Aloba: Genau. Sie sind in Nigeria wichtig. Aber nicht nur, es gibt Respekt für alle Schichten der Erde. Man hat Mineralien, Pflanzen, Tiere, Menschen, unsere Vorfahren, die Götter und ein Gott, der alles kreiert hat. Im europäischen Kontext ist das anders.

Es hört sich vielschichtiger an. 

Ayo Aloba: Ja, man bekommt ein gewisses Bewusstsein für den Zyklus, bei dem nicht der Mensch im Mittelpunkt steht, sondern in dem es um die Beziehungen zum Umfeld geht. Meine Großmutter hat uns das immer erklärt: Man nimmt etwas von der Umwelt und gibt etwas zurück, weil man nicht mehr nimmt, als man braucht. Das ist zum Teil ein bisschen hipster-trendy geworden … Leute ernähren sich vegan, machen auf öko und so. In Wahrheit sind das alte Gedanken. Sie bilden die Erinnerungen an meine erste Welt ab, weil ich lernte, die Dinge mit anderen Augen zu sehen, oder besser: Ich öffnete mein drittes Auge für extrasensorische Erlebnisse. Die Fantasie war als Kind viel bunter. Als Erwachsener verliert man das häufig, man verlernt zu spielen.

Was hast du dadurch anders zu sehen gelernt? 

Ayo Aloba: Es waren natürlich keine Erscheinungen, aber man ruft etwas hervor. Das hat mit Karma zu tun. Was man tut, hat Konsequenzen … solche Gedanken, weißt du?

Du hast gelernt, dein Handeln schon früh auf seine Konsequenzen zu hinterfragen, denke ich. 

Ayo Aloba: Das hängt auch mit der Beziehung zu den Göttern zusammen und fängt schon vor der Geburt beim Namen an. Mein Name heißt übersetzt Freude. Das sagt schon viel über meine Person aus, weil man in den Namen hineinwächst. Dabei schwingt der Gedanke an die Art und Weise der Vorfahren immer mit – und deswegen sind unsere Götter weder männlich noch weiblich. Sie nehmen vielmehr Formen an. Die Institution des Katholizismus und seine Missionierungsmission hat diesen Glauben aber zerstört.

„DAS KONZEPT DES TODES IST EINE WESTLICHE ERFINDUNG.“

Deine Großmutter hat ihn an dich weitergegeben. Sie hatte großen Einfluss auf dich, oder? 

Ayo Aloba: Sie war und ist meine Welt. Schließlich glauben wir nicht an den Tod. Die Energie kann nicht zerstört werden, sie geht über. Man kommt zur Welt, wächst auf und stirbt. Das sind Transitionen, das Konzept des endgültigen Endes gibt es in Nigeria aber nicht. Es ist eine westliche Erfindung. 

Durch den Glauben an den Zyklus lebt die Vergangenheit weiter.

Ayo Aloba: Ja, was heißt schon tot? Der Tisch vor uns mag tot sein – aber er entstand aus einem Baum, der gelebt hat. Menschliche Wesen können hingegen nicht sterben, sie werden Teil von etwas anderem … sorry, jetzt hör ich mich wie ein Eso-Onkel an.

Nein, gar nicht. Die spirituellen Gedanken lassen sich von esoterischen Ideen nur besonders gut vermarkten. 

Ayo Aloba: Ja, es ist eine Vermarktung! Deshalb ist die Esoterik ein mix-and-match, man nimmt was von der indischen und von der westafrikanischen Philosophie, mischt es zusammen – und das ist OK. Das Ergebnis hat aber keine Wurzel, ist eine Zusammenstellung, um es an eine weiße Mittelschicht zu verkaufen.

Das stimmt. Ich würde mit dir aber gern einen Sprung weitermachen. Weg von der Esoterik, hin zum Umzug nach Floridsdorf. 

Ayo Aloba: Yeah, Flodo – keepin’ it real! Als wir Anfang der 90er nach Wien kamen, wohnten wir allerdings zuerst im 16. Bezirk, später im 12. Floridsdorf war unsere dritte Station, dort habe ich allerdings am längsten gelebt.

Wie war das für dich, Mitten in Wien zu landen? 

Ayo Aloba: Wir kamen 1991, ein Jahr später erhielten wir die Staatsbürgerschaft. Ich kann mich gut an die Berichte über das Briefbombenattentat an Helmut Zilk erinnern … wer war das noch?

Franz Fuchs, meinst du? 

Ayo Aloba: Ja, das war noch vor dem EU-Beitritt. Jedenfalls war es für mich eine ganz andere Welt. Wir kamen im Winter nach Wien. Unsere Eltern hatten darauf bestanden, dass wir bereits in Nigeria Deutsch lernen sollten. Für sie war ganz klar: Wir müssen die Sprache beherrschen, weil sie die beste Waffe zur Verteidigung ist. Wenn man sich verbal stellen kann, ist es ein Mittelfinger an die Hater. Das haben sie uns eingeprägt! Und es hat gewirkt. 1995 beschlossen meine Eltern trotzdem, mich auf eine internationale Schule nach Tschechien zu schicken. Das war wieder eine andere Welt!

Mit post-kommunistischen Überbleibseln, nehme ich an. 

Ayo Aloba: Ja, für mich war das wild. Ich habe mich gerade erst in Österreich eingelebt, dann kam ich nach Hluboká, das ist eine Stadt ungefähr eine Stunde von Budweis entfernt. Dort konntest du in einen Laden gehen, um eine halbe Banane zu kaufen. Das war für mich skurril. Wahrscheinlich auch für die Leute. Die hatten noch ihre Schwarz-Weiß-Fernseher. Manche von denen hatten in ihrem Leben noch nie einen Afrikaner gesehen. An die Art, wie sie mich angesehen hatten, war ich aber gewöhnt. Ich war immer der Außenseiter.

Das ist vermutlich eine blöde Frage, aber: Hast du die Rolle des Außenseiters auch übernommen?

Ayo Aloba: Das ist keine blöde Frage! Es kam immer auf die Community an, in der ich mich bewegte. Auf der internationalen Schule in Tschechien waren Jugendliche aus aller Welt, wir unterhielten uns auf Englisch. Ich war in meiner Boarding-School-Bubble.

Welchen Anteil hatte die Musik in dieser Phase?

Ayo Aloba: Musik war immer da. Schon in Nigeria lief die ganze Zeit Musik. Sie war part of my life. Meine Eltern nannten mich Rocky, weil ich, sobald ich Musik hörte, auf der Couch rumsprang. In Tschechien lernte ich aber Moritz [Pommer, Teil von Afroschnitzel; Anm.] kennen. Er war ein Jahr älter als ich, war der coole Deutsche und hatte jede Menge Platten. Durch ihn kam ich zu Jungle und Drum & Bass. Das erweiterte meinen Horizont extrem. Ich rappte über die Musik seiner Platten – irgendwann wurden wir zur Gruppe.

Ihr habt aber nicht gleich Afroschnitzel gegründet, oder? 

Ayo Aloba: Nein, zu Beginn war auch Mehdi, ein persischer Freund, dabei. Wir nannten uns Phorce Squad – und es war verrückt. Mehdi machte so Fake-Arabic-Rap, ich rappte auf Englisch und Moritz legte auf. Wir performten in tschechischen Schuppen und wurden zu einem Hit. Irgendwann kam sogar eine große Plattenfirma auf uns zu. Die waren an unserem Vibe interessiert. Aber wir zogen das nicht durch.

Für euch war das ein Spiel.

Ayo Aloba: Ja, wenn ich daran zurückdenke war das nicht gerade political correct.

Das müsstest du sonst als Jugendsünde bezeichnen. 

Ayo Aloba: Für uns war das ja nur so ein Truman-Show-Style-artiges Projekt, nix ernstes.

Du bist Ende der 90er nach London gezogen, um Schauspiel zu studieren. 

Ayo Aloba: Genau. Moritz kam später nach, um Journalismus zu studieren. Wir hielten also den Kontakt, auch wenn er nach wenigen Jahren wieder zurück nach Deutschland ging.

Du bist länger geblieben, oder? 

Ayo Aloba: Ja, ich war 15 Jahre in London. Über die Jahrtausendwende hat sich in London viel getan. Warst du schon mal dort?

Ja. 

Ayo Aloba: Wo warst du?

In Soho und später in Hackney. 

Ayo Aloba: Hackney war meine Hood! Ich lebte in East-London, das war in den 90ern eine Gegend, in sich die Besseren nicht trauten. Da war noch nichts gentrifiziert. Ich hab mich dort mit Menschen aus so vielen Kulturen ausgetauscht. Die karibische, indische und nigerianische Community kommt dort zusammen – auch durch die Musik. Deshalb war London mein musikalisches Erwachen.

London war während der 90er ein Mekka für Jungle und Drum & Bass. Es gab Pirate Radio Stations, die Leute dachten weniger in musikalischen Grenzen. Hast du das noch miterlebt?

Ayo Aloba: In der Zeit, wo ich dort war, ging es schon wieder in Richtung Garage-Music, dem jüngeren Bruder von House. Es gab häufig Raves, bei denen Menschen Zufluchtsorte fanden. Zwischen Gabber, Trance und Garage wurde dort alles gespielt. Solang es gut war, hat es sich vermischt. Das kannte ich davor nicht.

In Wien ist das heute umgekehrt: Es gibt die Techno-Community, dort die House-Szene und noch ein paar andere Verrückte. Du hast das damals anders erlebt. 

Ayo Aloba: Ja, es gab zum Beispiel den Karneval in Notting Hill. Die afrokaribischen Einwanderer der Windrush Generation feierten ihre Präsenz, ihre Kultur. Für zwei oder drei Tage spielte man die ganze Zeit Musik.

Die Soundsystem-Culture mit Reggae und Dub.

Ayo Aloba: Genau! Dort lernte ich, dass alles zusammengeht, dass es keine musikalischen Barrieren gibt. Du kannst der größte Hip-Hop-Head sein, am nächsten Tag hörst du Deep House. Das hat meinen kreativen Geist geprägt. Es gab zum Beispiel Partys, auf denen Producer ihre Musik mitbringen konnten. Den ganzen Abend spielte man deren Tracks, um zu testen, wie die Musik ankommt. Für vier, fünf Stunden hörte man den verrücktesten Sound.

Hast du selber auch Musik mitgebracht?

Ayo Aloba: Da waren High-Roller unterwegs, ich hatte Respekt. Deshalb war ich da mehr als Fan unterwegs und hab den Vibe aufgesaugt.

Wann kam für dich der Moment, deine Musik auch anderen Leuten zu zeigen?

Ayo Aloba: Moritz war schon immer der Ingenieur, ich spielte meine Drums, brachte ihm die Rhythmen und er schnitt sie zusammen. Dieser Prozess hat sich entwickelt, wir wurden immer besser, irgendwann haben wir als Afroschnitzel veröffentlicht. Vor ein paar Jahren war Moritz länger bei mir, damals produzierten wir einen Track namens „Siegmunds Freud“ – eine Hommage an Wien. Das ging schon damals in die Richtung von Afro-House, wir haben es aber für uns definiert. Am Ende zählt nicht das Genre, sondern die Musik.

Nur Plattenfirmen wollen Genres einordnen, um die Musik zu verkaufen.

Ayo Aloba: Deshalb hatte ich letztes Jahr einen Aha-Moment, gründete mein eigenes Label Pariwo Records und kann seither Mittelsmänner- und frauen umgehen. Damit kann ich anderen Künstler*innen aus der Diaspora eine Plattform anbieten. Schließlich gibt es auch in Wien viele talentierte Leute aus der Community, die bekommen nur keine Awards. Für mich geht es dabei auch um eine Legacy. Je älter ich werde, desto mehr frage ich mich, was man hinterlassen will.

Vielen Dank für deine Zeit! 

Christoph Benkeser

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