Liebenswürdig als Mensch und Komponist: zum Tod von Balduin Sulzer

Die oberösterreichische Musikszene ohne ihn erscheint fast unvorstellbar. Jahrzehntelang war er als Komponist, Musikpädagoge und aufmerksamer medialer Beobachter des Geschehens in Linz und andernorts unermüdlich aktiv. Am 10. April 2019 ist Balduin Sulzer in Wilhering gestorben.

Vitale Musik eines Zeitgenossen

Es war eine meiner frühen Live-Begegnungen mit zeitgenössischer Kost: 1982 dirigierte ein gewisser Franz Möst im Wiener Konzerthaus das Jeunesse-Orchester Linz und setzte dabei auch die „Musica vulgaris“ seines Lehrers Balduin Sulzer aufs Programm (bis heute ist der mittlerweile als Franz Welser-Möst zum internationalen Pultstar Avancierte dessen Schaffen ungebrochen verbunden). Der Eindruck: vitale, anregende, positive Stimmung vermittelnde und im besten Sinn unterhaltende Musik. Die Musik eines Könners, ohne Zweifel. Und wie sich bei Entgegennahme des anhaltenden Applauses durch den Komponisten zeigte die Musik eines Menschen, der in all seiner liebenswürdigen Ausstrahlung ganz authentisch zu seinem Stück erfassbar wurde; ein Eindruck, den ich in fast vier Jahrzehnten nie revidiert habe.

Ein leidenschaftlicher Musikvermittler

Am 15. März 1932 im südlich von Steyr gelegenen Großraming geboren, kam Balduin Sulzer als 13-Jähriger ins Gymnasium von Stift Wilhering, das fortan für ein Dreivierteljahrhundert sein Lebensmittelpunkt wurde – unterbrochen nur in jenen Lehrjahren, die ihn zur musikalischen Ausbildung u. a. an das Brucknerkonservatorium in Linz, die Hochschule für Kirchenmusik in Rom und an die Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien führten. Weiters studierte er Philosophie, Theologie sowie Musik und Geschichte als Lehrfach. Bereits 1949 war Sulzer in den Zisterzienser-Orden eingetreten, 1960 begann er in Wilhering nun auch eine Berufslaufbahn, indem er eine Stelle als Musik- und Geschichtslehrer am Stiftsgymnasium antrat. 1974–1997 wirkte er als Musikerzieher am Linzer Musikgymnasium, wo er zwei Generationen junger Menschen die Freude an und das Wissen über Musik vermittelte. Wesentliche Akzente setzte er dort mit der Gründung des Linzer Jeunesse-Orchesters und des Mozart-Chors, die bald weit über die Landeshauptstadt hinaus höchste Anerkennung fanden.

Mönch und Komponist

War es die Ruhe im Stift oder doch die Betriebsamkeit in der Landeshauptstadt, die dem kreativen Geist so zuträglich waren? – Unermüdlich sah sich Pater Balduin als Komponist veranlasst, in rascher Folge ein neues Stück aufs andere folgen zu lassen: Um die 420 Werke umfasst sein Katalog zum Zeitpunkt seines Todes. An der Spitze stehen drei Opern, von denen „In seinem Garten liebt Don Perlimplin Belisa“ nach Federico García Lorca, Premiere 1984 am Linzer Landestheater, bei mir den stärksten Eindruck hinterließ. An Symphonien hinterließ Sulzer – Zufall? Fügung? – die magische Neun-Zahl, die letzte mit dem Titel „Empört Euch!“ und dem Untertitel „Eine Arbeitersymphonie“ uraufgeführt im Linzer Brucknerhaus im Mai 2015. Chorsätze und Lieder, Instrumentalkonzerte, Kammermusik und Solostücke: Das Œuvre ist vielseitig, geistlich wie weltlich geprägt und kaum je hat man den Eindruck, dass da die Inspiration einmal kurz nachgelassen hätte. Aufführungen fast aller seiner Werke gab es immer wieder im heimatlichen Oberösterreich, darüber hinaus in vielen Ländern dieser Welt, selten, zu selten auch in der Bundeshauptstadt Wien, die sich durch die Linzer Aktivitäten vielleicht zu sehr aus der Pflicht genommen sah. Was bleiben wird, lässt sich nicht erahnen. Dass etwas bleiben wird, lässt sich vermuten. Dass etwas bleiben soll, darf gefordert werden.

Die Bescheidenheit des Gefeierten

Wenn ein künstlerisch Schaffender je zufrieden mit der ihm entgegengebrachten Aufmerksamkeit und Anerkennung sein, diese als „ausreichend“ empfinden kann, dann dürfte das bei Balduin Sulzer der Fall gewesen sein. Die Liebe und Dankbarkeit seiner Schüler, seiner Freunde und Kollegen, der Musikerinnen und Musiker, mit denen er arbeitete und für die er Neues schuf, dürfte ihm ebenso durchwegs tiefe Freude verschafft haben, wie die permanenten Aufführungen seiner Musik, die gezielt zu seinen runden Geburtstagen beträchtliche Häufung erfuhren – zuletzt 2017 zum 85er. Nicht übersehen seien die offiziellen Ehrungen, die ihm u. a. die Kulturmedaille der Stadt Linz, den Anton-Bruckner-Preis, das Goldene Ehrenzeichen des Landes Oberösterreich, den Würdigungspreis der Republik Österreich und zuletzt – vor zwei Jahren und für ihn vielleicht noch ein kleines bisschen mehr wert, als alle anderen – den Ehrenring des Brucknerhauses brachten. Man wird ihn vermissen: den liebenswürdigen Herrn Lehrer Sulzer, wenn man als Musikmensch Linz besucht, und ihn plötzlich nicht mehr in den Gängen und Sälen jener Konzertinstitution sieht, in der man ihn zuvor fast selbstverständlich immer angetroffen hat – ihn, der selbst eigentlich schon längst eine so sympathische Institution war.

Balduin Sulzer zum Nachhören und Nachlesen

Eine durchaus größere Zahl von Sulzers Werken erschien zwar auf CDs, die Vertriebssituation ist allerdings keineswegs ideal und verursacht dem Interessierten einigen Suchaufwand in einer Zeit, in der – ganz im Gegensatz zur Sulzer’schen Beschaulichkeit – scheinbar alles per Knopfdruck verfügbar sein muss. Umso besser sieht es mit dem Nachlesen aus: Eine hervorragende und zugleich sehr persönliche Darstellung lieferte Norbert Trawöger 2010 in der Monographien-Reihe des Trauner Verlags. Nur einiges aus den vergangenen Jahren und vor allem ein letztes Datum blieben darin nun nachzutragen.

Christian Heindl

Links:
Balduin Sulzer
Balduin Sulzer (Trauner Verlag)
Balduin Sulzer (music austria Datenbank)