LADY LYNCH – „LADY LYNCH”

LADY LYNCH halten einen wenig bekannten Weltrekord: Sie sind ohne Zweifel die erste Band des Planeten, die fünfzig Live-Aufnahmen ein- und desselben Songs auf Vinyl vorlegen kann. Und das ist weit mehr als nur ein Fun Fact für den Pressetext anlässlich ihres neuen selbstbetitelten Albums „Lady Lynch” (CUT SURFACE)  denn Wiederholung ist LADY LYNCHs grundlegendste Disziplin.

Das Wechselspiel von Präzision und Abweichung, das nicht nur die Rhythmik dieses Albums, sondern auch das Gesamtbild der Band widerspiegelt, ist eine Konsequenz ihrer repetitiven Praxis. Wie ein Wort, das nach wiederholter Aussprache seinen Inhalt zu verlieren scheint, erreichen Lady Lynch in der Meditation über ein Thema (in Text und Ton) immer wieder Grade der Abstraktion, in denen das Augenscheinliche schließlich über sich selbst hinausweist („Moon is an abstract place between the earth and the sun“).

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Wer wie Lady Lynch im First-Take-Geiste des (Post-)Punk sozialisiert und seit über einer Dekade geübt ist (jedes Bandmitglied hat eine umfangreiche Diskografie im Gepäck, die sich von Surf- bis Noise-Rock spannt), verzichtet dann auch getrost auf Post-Produktion und digitalen Glanz: Das nach über zehn Jahren (zwischenzeitlich tiefgefrorener) Bandgeschichte nachgereichte, selbstbetitelte Album (in ikonischem Schwarz-auf-Schwarz-Artwork) ist wie schon die 50 „Hommage“-Singles das Vinyl gewordene Live-Dokument einer Recording-Session.

Und das Ergebnis klingt stringent, aufgeladen und tight, trifft den wunden Punkt der Einsicht mit jedem Taktschlag und jedem schlagenden Wort. „Lady Lynch“ ist kafkaesk düster, klar und unerbittlich wie ein existenzialistisches Pamphlet: „The sky and water, they disappear, the bridges and streets, they disappear, the buildings and trees, they disappear, humans and animals disappear“ („Rancière“).

Zwischen Hanging-Garden-Trommeln und Me-And-My-Rhythm-Box-Mantras

Lady Lynch (c) Tina Bauer

Selbst die altgedienten Produktionsmittel Schlagzeug, Bass, Gitarre und Gesang verweisen hier nicht auf generischen Rock (und taten es schon in der ebenso empfehlenswerten Frühphase der 2000er nicht). Zwischen Hanging-Garden-Trommeln („Schatten Island“, „Actors and Networks“) und Me-And-My-Rhythm-Box-Mantras („Tiny Machine“) streift „Lady Lynch“ im meist kontemplativ gedrosselten Tempo durch alle rauen Tonlagen der Nacht, wie wir sie gerade aus der abseitigeren Pop- und Punk-Historie kennen.

Abseits von Geschichtsbewusstsein und Abstraktionsgabe (der Bandname ist übrigens ein unabsichtlicher Versprecher zu Lydia Lunch) sind Lady Lynch aber auch unumstößlich tief verwurzelt in der Gegenwart. Die Netzwerke, deren aktive Mitgestalterinnen sie sind (Teil des „linken Musiker*innenrat-Netzwerks“, Girls Rock Camp, Noise-Kränzchen, etc.), präsentieren sich nach innen und außen hin dezidiert solidarisch und subversiv politisch. „Fundamental Friend Dependability“ ist eine in bestem Vorbild gelebte Erkenntnis in Zeiten größter sozialer Kälte.

Keine Überraschung also, dass Lady Lynchs lebendigste Erinnerung an den eigenen „Weltrekord“ die Freundschaften und Bande sind, die damals im Zuge dieser öffentlichen Aufnahmesession geknüpft und gefestigt wurden. Das Schönste an der Wiederholung ist doch wohl das Wiedersehen.

Michael Giebl

Termin:
Release-Show 13. Dezember – Venster99

Links:
Lady Lynch (Bandcamp)
Cut Surface (Facebook)