Label Porträt: Amen

Es begann alles im Internet und dort ist es auch geblieben: Irgendwann 2017 wurde das Label „Amen“ von ALEKSANDAR VUČENOVIĆ gegründet. Zu Beginn noch als eine Mixplattform gedacht, entwickelte es sich schnell zu einem Record-Label. Auf dem Logo sieht man ein paar Engelsflügel, Ketten haben sich darin verfangen, symbolhaft.

Die Geschichte in der Short Version: Als Teenager entdeckte Vučenović das Internet, die Internet-Musik und wie zugänglich Subkulturen dadurch werden können. „Ich habe zu der Zeit viele Videos, Grafiken und alles Visuelle rund um Musik gemacht. Durch diesen Prozess habe ich viele Musikerinnen und Musiker kennengelernt. Dieses Umfeld hat mich in der Entscheidung gepusht, aus meiner Visual Identity ein Label zu machen, das waren Leute, zu denen ich zu dem Zeitpunkt aufgesehen habe. Ich konnte meine Ideen über die Musik durch die Cover der Mixe reininterpretieren und auf diese Weise von der Musik träumen und visuell wiedergeben.“ „Amen“ versteht sich inzwischen auch als ein digitaler Feed von Musik. Es richtet sich an Leute, die nicht den ganzen Tag recherchieren oder auf Bandcamp abhängen wollen. Es ist eine Art künstlicher Feed von Musik. „Ich habe immer das Neue und Unentdeckte, das Schräge und Groteske gesucht.“

Kein „being edgy mit Ästhetik“

Im ersten Jahr von „Amen“ lag der Fokus noch stärker auf Sound-Ästhetiken der Clubmusik. Inzwischen geht es Vučenović zufolge aber vor allem um den persönlichen Geschmack: „Ich gehe zurzeit nicht gerne in Clubs und das manifestiert sich wiederum im Label. […] Der Großteil der Releases stammt von Leuten, die Musik als Medium benutzen, um sich selbst zu therapieren, wie etwa ‚The Miracle of Trauma‘ von AIRPORT. Das ist kein ‚being edgy mit Ästhetik‘, das kommt aus dem Tiefsten. Ich versuche, hauptsächlich solche Leute zu finden.

 Die Visual Identity ist für das Gesamtkonzept von „Amen“ wesentlich: „Die Ästhetik des Labels kommt einfach aus meinem Herzen raus. Ich finde es gut, dass viele Künstlerinnen und Künstler das ansprechend finden und sich auch damit identifizieren. Vor allem im digitalen Raum, wo es nur die 2-D-Projektion gibt, ist mir das sehr wichtig. Ich habe schon immer dieses Gesamtprodukt geliebt, das Zusammenspiel von Cover, Titel, Konzept und Musik. Das versuche ich miteinzubeziehen, ohne dabei die Künstlerin bzw. den Künstler zu übergehen. Ich versuche, die Künstlerinnen und Künstler nicht nur in eine Richtung zu lenken, ich versuche, sie in ihre Richtung zu lenken und dabei die Stützpunkte auszuloten, wo man die Beziehungen noch stärker darstellen kann.“

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Systeme, die die Artists fressen

Die aktuelle Musikökonomie sei eine der größten Herausforderungen für ein kleines Independent-Label. Deshalb sei die Geburt, also der Ursprung des Labels, weniger entscheidend als die Entwicklung selbst. Durch den konstanten Austausch mit Musikerinnen und Musikern, Musikmedien, Journalistinnen und Journalisten hätten sich die Blickwinkel auf Musikdistribution und die Label-Arbeit grundlegend verändert: „Ich habe bemerkt, wie sich die Menschen verändern und vor allem ihr Bezug zur Musik. Ich habe zugesehen, wie Künstlerinnen und Künstler in diese Musikökonomien eingeschleust werden.“ In der aktuellen Beobachtung gehe es mehr um die Konstruktion einer Szene, um eine Identität und weniger um die Musik selbst. Diese Ökonomien würden Systeme bilden, in die man sich einzugliedern und zu assimilieren hat. Systeme, die die Artists fressen: „Wenn man als Künstlerin bzw. Künstler überleben will, muss man sich dieser Ökonomie anpassen, egal ob es die Szenen oder das Medien-Environment ist, dem man sich anpassen muss. Das war gravierend für meine Sichtweise.“

Aleksander Vukenovic (c) Archiv

Die Szene hat inzwischen den Touch von Instagram-Influencerinnen und -Influencern

Ein weitere Herausforderung zeigt sich laut Vučenović in virtuell geborenen Musiktrends wie zum Beispiel in der „Deconstructed Club Music“, die vor ein paar Jahren aufkam und nie mehr verschwand. Daran lasse sich, so Vučenović, die Entwicklung von autonom regulierten Szenen hin zu einem ökonomischen System direkt ablesen. Aus einer autonomen Szene sei schnell ein Austauschsystem geworden: „Als diese Szenen aufgekommen sind, fand ich das natürlich sehr interessant, weil es was Neues war. Mit der Zeit hat man aber bemerkt, dass neue Künstlerinnen und Künstler nicht mehr durch Musik oder Demos gefunden werden, sie werden direkt in diese Szene hineingeboren. Die Szene hat inzwischen den Touch von Instagram-Influencerinnen und -Influencern. Statt Avocado zu essen sind es halt die Distortion-Effekte.“ Es gehe inzwischen vermehrt um das Branding von Artists als Marken. Durch beschleunigende Methoden der „Music Accelerators“ oder Projekte wie Zoolab entwickeln sich die Tendenzen dem Labelgründer gemäß immer weiter in Richtung Entrepreneurship und Geschäftemacherei unter dem romantisch verklärten Deckmantel der Musikproduktion: „Es geht nicht mehr nur darum, Musik zu machen, sondern um Fragen wie ‚Wie wirst du ein Businessman in der Musik? Wie überlebst du in der Musik?‘ Diese Entwicklungen sind weitere Zeichen in die Richtung von SPOTIFY und Co.“

Auf SPOTIFY gibt es keine Labels

Die künstlerischen Authentizitätsansprüche seien in vielen Ecken der Szene auf Instagram-Level abgeflacht, wie Vučenović meint. Musik-InfluencerInnen würden sich mit Lifestyle-Influencerinnen und -Influencern gleichsetzen lassen, die Grenzen seien gefallen. Die Entwicklung von „Amen“ sei deshalb ein Versuch, diese schwindende Authentizität beizubehalten und dabei unbekannte KünstlerInnen zu entdecken, die nicht in die gängigen Schablonen einer Szene passen, egal ob politisch, aufgrund des Aussehens oder aufgrund der Ästhetik, wie sie ihre Musik repräsentieren – auch wenn bei einem kurzen Blick von außen der Unterschied zu einem Influencer-Label nicht sofort ersichtlich wird, zumindest mit ungeschulten Blick. Die Abgrenzung sei deshalb eine der größten Herausforderungen. Heute sei „Amen“ eine versuchte Entkoppelung dieser Systeme. Die klassisch gedachte Musikrezeption und der Zugang dazu seien im Wandel. „Heutzutage macht man Musik für niemanden”, meint dazu der Medienkünstler Matthew Dryhurst. „Die Tendenz geht in die Richtung, dass Artists zu Self-Publishern werden. Ich bin mir auch sicher, dass sich SPOTIFY und ITUNES in diese Richtung bewegen werden und damit die Labels zu entfernen. Das Label damit aus diesem System rausziehen, weil es durch das Internet nicht mehr gebraucht wird.“

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Keine digitale Distribution

Gerade an Streamingdiensten wie Spotify lässt sich dieser Automatisierungstrend nochmals verdeutlichen. Auf Spotify sucht man nur mehr Artists, keine Labels, „auf Spotify gibt es keine Labels“. Diese Entwicklung ist die allergrößte Herausforderung für Independent-Labels. „Amen“ stellt sich durch einen bewussten Verzicht auf digitale Distribution gegen diese Systeme und veröffentlicht ausschließlich auf Alternative-Sharing-Plattformen wie Bandcamp. Durch die Nutzung der digitalen Infrastrukturen wie Spotify und iTunes werden weder das Label noch der Artist unterstützt. „Wenn ein kleines Label wie ‚Amen‘ sich der Herausforderung stellt, sich von den herrschenden Systemen zu entkoppeln und sich dann aber an die digitale Distribution anhängt, nur um mehr Klicks zu generieren, dann verliert es den Sinn dahinter.“

Neben internationalen Artists findet man in der „Amen“-Diskografie auch vermehrt lokale Acts, darunter Asfast, Battle-ax, Indklang und IN MY TALONS. „Es ist mir wichtig geworden, das Lokale beizubehalten.“ Ein grundlegendes Problem sind laut Vučenović aber nach wie vor die gravierenden Ungleichgewichte innerhalb der österreichischen Förderlandschaft: „90 Prozent oder zumindest die Hälfte aller Förderungen geht immer noch an die STAATSOPER. Würde man nur fünf Prozent in die Subkultur und lokalere Szenen investieren, dann würde sich schon einiges verändern.“

Im Zuge des diesjährigen HYPERREALITY finden am 17. Mai ein „Amen“-Showcase und die Release-Show des selbstbetitelten Debütalbums von IKU statt. Vučenović meint: „Ich fand ihren Zugang zu Musik und auch Kunst immer schon sehr interessant und auch eigen. Ihr Album wird auch genau das, es ist wirklich sehr sketchy. Mit ihren eigenen Methoden schafft sie es gut, sich selbst zu repräsentieren und viele Gefühlswelten von sich selbst darzustellen.“ Außerdem durchmischen sich bei „Amen“ erstmals lokale und internationale KünstlerInnen aus dem Label-Roaster in einem Event. Darunter finden sich Gäste wie Jigga, dessen Tracks mittlerweile in vielen Aphex-Twin-Shows zu hören sind, bod [包家巷] und Elvin Brandhi, die mit ihrem Projekt „INSIN“ der nächste „Amen“-Release sein wird.

Ada Karlbauer

Termin:
17. Mai 2019, Hyperreality, Sophienalpe, Wien – Amen Showcase

Links:
Amen (Facebook)
Amen (Soundcloud)
Amen (Bandcamp)