„Kunst aus der Zeit“ zeigt zwei vielschichtige Musiktheaterproduktionen

Schon im vergangenen Jahr wurde die Anzahl der Musikprojekte und Konzerte der „Kunst aus der Zeit“ bei den Bregenzer Festspielen drastisch reduziert. In dieser Saison finden lediglich drei Ereignisse statt. Das Altenberg Trio gibt im Kunsthaus ein Konzert, doch vor allem die beiden Musiktheaterproduktionen wecken Interesse und steigern die Erwartungen auf das diesjährige Festival.

Ein Auftragswerk

Der in Island lebende Komponist und Performer Ben Frost komponiert für die Bregenzer Festspiele das Werk „Wasp Factory“ nach dem gleichnamigen Fantasyroman von Iain M. Banks. Den Auftrag dazu hat er vor nunmehr drei Jahren erhalten, als das KAZ-Programm noch von Laura Berman kuratiert worden ist. Weil sie seit 2011 nicht mehr bei den Bregenzer Festspielen arbeitet, wird das Projekt im Rahmen der in Berlin ansässigen Agentur „Laura Berman_next“ realisiert. Das neue Musiktheater findet als Koproduktion unter anderem mit dem Berliner Theater Hebbel am Ufer, dem Holland Festival und dem Royal Opera House Covent Garden statt.

Kindheitserinnerungen und Gewalt im Spiel

Ben Frost selbst hat den Bestsellerroman des australischen Autors Iain M. Banks für sich entdeckt und als Sujet für die neue Produktion vorgeschlagen. „Mich hat die Atmosphäre in diesem Roman sofort gefesselt, vor allem auch, weil sie Erinnerungen an meine Kindheit erweckt hat – die Gewalt im Spiel, der Kampf mit der Natur. Ich bin in einem sehr ländlichen Teil Australiens aufgewachsen und so gibt es viele Aspekte in Franks Welt, die ich sehr gut nachvollziehen kann“, erzählt Ben Frost im Gespräch mit Laura Berman.

Musik mit starker Körperlichkeit

In Bregenz war Ben Frosts Musik bereits zu hören, nämlich in der Produktion „Far“ des Choreographen Wyne McGregor, die im Rahmen des Bregenzer Frühlings gezeigt worden ist. Der erst 33-jährige Künstler hat bereits eine bemerkenswerte Karriere gemacht. Seine Vielseitigkeit stellte er in Kooperationen mit so unterschiedlichen KünstlerInnen wie Björk, Christian Fennesz oder Nico Muhly unter Beweis. Seit einiger Zeit arbeitet er mit dem Produzenten und Komponisten Valgeir Sigurðsson zusammen, mit ihm teilt er sich die Sigurðsson’s Greenhouse Studios in Reykjavík. Ben Frosts Musik zeichnet sich durch starke Kontraste aus und das Spiel mit Elektronik und der Lautstärke verleiht ihr eine einprägsame Körperlichkeit.

Drei Morde

Der Roman „Wasp Factory“ genießt unter LiebhaberInnen des Genres der Science-Fiction-Literatur Kultstatus. Im Roman wird eine grausige Geschichte erzählt. Frank ist 16 Jahre alt und lebt mit seinem Vater isoliert auf dem Land. Sein älterer Halbbruder Eric, Insasse einer psychiatrischen Anstalt, ist dort ausgebrochen und nun auf dem Weg zu Frank und seinem Vater.
Frank stilisiert sich in seiner Isolation als Herrscher über seine kleine Welt und ist besessen von seiner vermeintlichen Männlichkeit, obwohl oder weil er keine äußeren Geschlechtsorgane besitzt. Bereits drei Morde hat Frank begannen, darunter auch an seinem jüngeren Bruder.

David Pountney als Librettist

Die Romanvorlage hat David Pountney in ein Libretto gefasst und Laura Berman betont im Gespräch, dass nicht der Eindruck entstehen dürfe, das Stück sei ausschließlich grausam. „Ein Grund, warum Iain Banks bei seinen LeserInnen so beliebt war, ist die eigene Mischung zwischen dunklen Welten, und Witz und extremer Ironie. Die Plots seiner Bücher haben oft auch schräge und überraschende Wendungen. Der Humor von Banks findet man auch in Ben Frosts Werk.“

In den Mittelpunkt des Musiktheaters stellte David Pountney die drei Morde, die Frank begangen hat. Die Geschichte ist als „musikalische Reise im Kopf der Hauptfigur zu verstehen“, erzählt Laura Berman. Kürzlich war sie mit dem Komponisten im Studio von Valgeir Sigurðsson und erhielt einen ersten Eindruck von der musikalischen Ausdruckswelt des Stückes. „Da sind wunderschöne Gesangsstellen drin, teilweise erinnert die Musik an alte Madrigale“, so Laura Berman. „Andererseits kreiert Ben Frost eine Art Hochspannung in der Musik und fesselt so seine Zuhörer. Das Ende ist extrem intensiv und man wird tief in den inneren Strudel der Hauptfigur hineingezogen. Nach dem ersten Höreindruck waren wir alle ziemlich aufgewühlt und gleichzeitig sehr begeistert.“

„American Lulu“ von Olga Neuwirth – Eine Neubetrachtung

Im vergangenen September wurde Olga Neuwirths neue Oper in Berlin uraufgeführt, nun ist das Werk in Bregenz in einer neuen Inszenierung zu erleben. Jahrelang hat sich die aus Österreich stammende Komponistin Olga Neuwirth mit dem Gedanken getragen, Alban Bergs berühmtes Opernfragment auf ihre eigene Art zu fassen. „Ich hatte seit meinem 16. Lebensjahr den Wunsch, diese Oper neu zu betrachten, weil mich der Inhalt irritierte. Vielleicht habe ich einen weniger verklärten Blick auf die Frauenfigur Lulu als die Herren, die sie ‚erzeugt’ haben und auch die, die sie immer wieder interpretiert haben“, erzählt die Komponistin von ihrer Intention.

Der Kompositionsprozess war eine intensive Annäherung und Auseinandersetzung, die nicht ohne Skrupel vonstatten gegangen ist, denn „man ist ja quasi sowieso von vornherein zum Scheitern verurteilt und wird negativ beurteilt, besonders als Frau, weil man sich an ein Meisterwerk der Opernliteratur des 20.Jahrunderts wagt“, gibt die Komponistin zu bedenken.

Eine andere Perspektive schaffen

Friedrich Cerha hat Alban Bergs Opernfragment „Lulu“ im Jahr 1979 fertig instrumentiert und teilweise ergänzt. Für Olga Neuwirth war jedoch nicht die Ergänzung der unvollendeten Oper die ausschlaggebende Motivation, sondern sie wollte vor allem die Geschichte aus der Perspektive der Frau neu erzählen. „Die beiden Akte sind die Rückblende der gealterten Lulu auf ihr früheres Leben in New Orleans der 1950er Jahre, versetzt in den gesellschaftlichen Kontext des rassistischen weißen Südens“, erklärt die Komponistin. „Mein dritter Akt spielt in NYC auf dem Hintergrund der Civil Rights Movements der 1970er Jahre. Daher kann man in den von mir absichtlich gesetzten harten Schnitten in Bergs Musik Fragmente von Martin-Luther-King-Reden und Gedichte der Schriftstellerin June Jordan, einer der bedeutendsten afroamerikanischen Lyrikerinnen der Gegenwart, hören. Basierend auf Bergs Idee, Wedekinds Drama, das um 1900 spielt, in einen neuen gesellschaftlichen Kontext zu versetzen, nämlich um 1930, entschied ich mich, meine Neuinterpretation in die USA der 1950er und 1970er Jahre zu verlegen“, so Olga Neuwirth.

Bereits Alban Berg hat in seine Musik eine Jazzband mit einbezogen. Analog dazu hat Olga Neuwirth die Musik für eine Jazzband- und Streicherbesetzung instrumentiert, „denn es ist die Musik für Lulus Rückblende in die 50er Jahre in New Orleans, der Stadt der Wiege von Jazz and Blues“, erklärt sie.

Unterschiedliche Elemente aufeinander beziehen

Unter anderem mit der neuen Verortung der Lulu wollte die Komponistin „den Inhalt der Oper stärker politisieren, sie sollte eine Art ‚Lehrstückcharakter’ bekommen. Es geht um das Zusammendenken sehr verschiedener Elemente: der Zuhörer wird beinahe gezwungen, die diversen Elemente denkend aufeinander zu beziehen.“ Der Komponist Alban Berg war ein Meister von Überleitungen und verstand es hervorragend, unterschiedlichste Themen miteinander zu verklammern. Und „die schon in ihrer formalen Anlage so reichhaltige Musiksprache in Bergs Oper erschien mir als Anregung dafür, frei mit Stilen zu spielen, aber eben auch mit feinen Übergängen zu arbeiten, so dass das eine Element quasi ganz natürlich geschmeidig in das andere übergeht“, erzählt die Komponistin.

Lulu in Beziehung zur Rezeption avancierter Musik sehen

Viele Gedanken leiteten Olga Neuwirth während des Kompositionsprozesses an ihrer „American Lulu“. Unter anderem gibt sie eine Überlegung zu bedenken, die vor allem den kulturpolitischen Diskurs der zeitgenössischen Musikrezeption betrifft. „Was mich aber hinsichtlich der Geschichte von Alban Bergs ‚Lulu’ auch immer besonders interessiert hat und für mich heute wieder stärker und stärker hervortritt, ist diese abschätzige, beinahe aggressive Haltung dieser Art von Musik gegenüber. Ich höre immer wieder, sie sei zu ernst, zu elitär, zu ‚was-auch–immer’, und dass man einem Irrweg unterliegt. Wir Komponisten dieser Art von Musik müssen uns schon beinahe (wieder) entschuldigen, dass man das überhaupt tut und dafür eine Leidenschaft hegt, obwohl sich ohnehin dafür so gut wie nur ein ‚eingeweihter Kreis’ interessiert. Es geht immer häufiger um das Totschlag-Argument Geld und Auslastungszahlen“, so Olga Neuwirth.

Silvia Thurner

Termine:
Donnerstag, 1. August (UA) und Samstag, 3. August, Werkstattbühne 19.30 Uhr
Ben Frost: Wasp factory
Freitag, 16. August (ÖEA) und Samstag, 17. August, Werkstattbühne 20.00 Uhr
Olga Neuwirth: American Lulu

Olga Neuwirth ist im Fotoprojekt von Bettina Flitner “EUROPÄERINNEN. Starke Frauen im Portrait.”, das derzeit im Frauenmuseum Hittisau gezeigt wird, vertreten. Fotos: Bettina Flitner

http://www.bregenzerfestspiele.com