Konsequentes Be- und Hinterfragen – CHRISTIAN OFENBAUER im mica-Porträt

Der kompositorische Weg von Christian Ofenbauer verlief in den 1980er Jahren innerhalb eines Traditionsstranges, der von Gustav Mahler über Alban Berg bis zu Ofenbauers Lehrer Friedrich Cerha führt und gemeinhin mit dem schlagwortartigen Begriff des „Espressivo“ umschrieben wird. Die ausgesprochen gestische Prägung dieser frühen Schaffensperiode manifestiert sich etwa in dem Orchesterstück … wie eine Nachtmusik von 1986 und erreicht ihren Höhepunkt in dem Bühnenwerk MEDEA nach Texten von Heiner Müller (1990–94), das zugleich den Wendepunkt zu einer neuen Musikästhetik markiert.

Zunächst bedurfte es jedoch einer einjährigen Schaffenspause, in welcher der in Graz geborene und in Kärnten aufgewachsene Komponist seine ästhetische Position einer grundlegenden Neuorientierung unterzog. Unter anderem durch die Auseinandersetzung mit der Musik amerikanischer Komponisten wie John Cage und Morton Feldman bedingt, traten langsame Verläufe und eine nach innen gekehrten Haltung an die Stelle des extrovertierten und explosiven Charakters der Frühphase. Musik war für Ofenbauer nicht länger Mittel zum subjektiven Ausdruck, sondern reiner Klang ohne jeden außermusikalischen Bezug.

Die menschliche Stimme erfordert keine “kantable” Schreibweise

Dieser neue Stil realisierte sich in Werken wie Der Engel ist geschlachtet für Mezzosopran und Ensemble oder Klage der Persephone bin ich: Sirene für sechs Frauenstimmen und Zwölfkanal-Verstärkung (beide 1995), in denen die Singstimme als abstraktes Instrument eingesetzt und somit ihrer Funktion als individuelles Ausdrucksmittel zunehmend entkleidet wird. Damit steht Ofenbauer konträr zu der Auffassung, wonach die menschliche Stimme per se eine bestimmte „kantable“ Schreibweise erfordere.

Der Übergang vom Besonderen zum Allgemeinen vollzieht sich in seinem Musiktheaterschaffen auch auf dramaturgischer Ebene. Ist noch in MEDEA die Protagonistin sowohl im Titel als auch im expressiven Duktus als sprechendes Subjekt präsent, so sind die semantischen Konturen ihres Pendants in SzenePenthesileaEinTraum bereits in Auflösung begriffen. Im dritten Teil der Antiken-Trilogie, der Elektra-Paraphrase Wache (2002–2004), ist die Hauptfigur nicht nur gänzlich aus dem Titel verschwunden, sondern (vordergründig) auch aus der Partitur, wo sie nicht länger als Vokalpart existiert, sondern vollständig im Instrumentalsatz aufgeht.

„Dinge machen, von denen wir nicht wissen, was sie sind.“

Immer wieder wurde Ofenbauers Tendenz zur Lösung vom Selbst mit der fernöstlichen Philosophie des Zenbuddhismus in Verbindung gebracht, was auch der Umstand nahezulegen scheint, dass der Komponist seit vielen Jahren die japanische Kunst des Bogenschießens (Kyūdō) praktiziert. Er selbst untergräbt jedoch den verlockenden Kurzschluss zwischen Leben und Werk mit dem Hinweis, er wisse nicht, was Zen bedeute. Konkretes Vorbild für seine musikalische Ästhetik ist für Ofenbauer vielmehr der Begriff der „musique informelle“, wie ihn Adorno 1961 in einem Vortrag bei den Darmstädter Ferienkursen folgendermaßen umschrieb: „Gemeint ist eine Musik, die alle ihr äußerlich, abstrakt, starr gegenüberstehenden Formen abgeworfen hat, die aber, vollkommen frei vom heteronom Auferlegten und ihr Fremden, doch objektiv zwingend im Phänomen, nicht in diesen auswendigen Gesetzmäßigkeiten sich konstituiert.“

Auch für den österreichischen Komponisten geht der Gegenwartsbezug von Musik zwingend mit einem Verzicht auf semantisch aufgeladene Formeln der musikalischen Tradition einher. Das konsequente Be- und Hinterfragen sowohl der Überlieferung als auch des eigenen Schaffens ist ein Zug, den er – ungeachtet aller stilistischen Differenzen – mit seinem Lehrer Friedrich Cerha gemein hat. Welche Antworten sich daraus ergeben, ist ebenso offen wie Adornos Forderung an den Komponisten: „Dinge machen, von denen wir nicht wissen, was sie sind.“

Lena Dražić

Link:
Christian Ofenbauer (mica-Datenbank)