„Komponieren ist für mich wie kochen!“ – NG CHOR GUAN im mica-Interview

Im Rahmen seines Artists in Residence-Programms stellt das BUNDESKANZLERAMT in Kooperation mit KULTURKONTAKT AUSTRIA ausländischen Kulturschaffenden Stipendien zur Verfügung. Von Oktober bis Dezember 2016 ist der malaysische Komponist NG CHOR GUAN zu Gast in Österreich. Marie-Therese Rudolph sprach mit ihm über Community-Arbeit in Malaysia, die Vielfalt der dortigen Kultur und die Faszination von gemeinsam entwickelten Musikprojekten.

Wie sah Ihre musikalische Ausbildung in Malaysia aus?

Ng Chor Guan: Ich wurde 1981 in Malaysia geboren und bin in einer Stadt namens Klang aufgewachsen. Meine musikalische Ausbildung begann ich mit dreieinhalb Jahren mit Perkussionsinstrumenten. Im Kindergarten lernte ich dann ab dem Alter von fünf Jahren Klavier. Ich hatte allerdings kein Instrument zuhause, daher konnte ich nur in der Schule spielen. Dann begann ich mit Tennis und hörte mit den Instrumenten auf. Alle meine Freunde betrieben damals Sport. Erst in der Junior High-School kaufte mir meine Mutter ein gebrauchtes Keyboard und damit begann ich, mich wieder mit Musik auseinanderzusetzen. In der Schule hatten wir eine Bläserband, der ich mich anschloss. Ich spielte also Elektro-Orgel und Horn. Mit 14 wurde ich dann zum Dirigenten des Bläser-Ensembles gewählt, da war ich wirklich noch jung!

Mit 16 wurde mir dann klar, dass ich irgendetwas mit Klängen und Musik machen wollte, was genau, das wusste ich allerdings noch nicht. Daher verfolgte ich zuerst einmal meinen anderen Traum, nämlich klassischer Hornist zu werden. Dafür erhielt ich eine westliche Musikausbildung. Nachdem ich die High-School beendet hatte, wurde die Elektro-Orgel mein zweites Hauptinstrument. Ich genoss eine fundierte praktische und theoretische Musikausbildung, zusätzlich auch in der malaysischen Musiktradition. Zu dieser zählt indische, chinesische und malaysische Musik, da bei uns viele Menschen unterschiedlicher Abstammung leben. In Malaysia sind etwa 50% der Bevölkerung Malaysier, 23% Chinesen, 12% indigene Völker und 7% Inder. Dann ging ich nach London, dort wechselte ich mein Hauptfach auf Komposition und begann 2009 Theremin zu lernen. Das war ganz neu für mich, und stellt für mich den „Vater“ der elektronischen Musik dar. Das Theremin ist übrigens auch viel einfacher am Fahrrad zu transportieren als das Horn. Ein großer Vorteil! Theremin ist jetzt mein Hauptinstrument.

Wie sah Ihre Studienzeit in London aus?

Ng Chor Guan: Ich verbrachte 3,5 Jahre in London. Nachdem ich mein Studium dort beendet hatte, studierte ich noch in Teilzeit weiter und suchte mir einen Job. Ich lernte Blechblasinstrumente zu reparieren – das war ein Wunsch meiner Mutter, da sie wollte, dass ich einen sicheren Beruf, also etwas Technisches, erlerne. Solange ich nicht sehr bekannt bin, kann ich von meiner Kreativität alleine nicht leben. Und sie hatte natürlich recht: Damit konnte ich in London ganz gut überleben. In den letzten beiden Jahren lernte ich auch zu dirigieren. Ich leitete ein Orchester mit SeniorInnen. Ganz schön schwierig … Wenn man so ein Orchester dirigieren kann, dann kann man jedes andere auch dirigieren.

2006 beschloss ich, wieder in meine Heimat Malaysia zurückzukehren, um herauszufinden, wie ich einen Beitrag für mein Land leisten könnte.

Sie bauen häufig technische Hilfsmittel des täglichen Lebens in Ihre Werke ein. Können Sie uns ein Beispiel geben?

Ng Chor Guan: Ich versuche viele Ideen mit technischen Hilfsmitteln umzusetzen – allerdings mit ganz einfachen, keinen hochentwickelten, kompliziert zu steuernden Geräten. Das ist alles Low-Tech!

Für ein Projekt hatte ich 2011 ein Mobile-Phone-Orchester gegründet. Dafür benötigte ich nicht einmal irgendwelche Apps. Meine Überlegung war, die Handys, die ja mittlerweile jeder besitzt, als Musikinstrumente einzusetzen. Ich wollte auch dem entgegenwirken, dass man immer sagt, dass das Mobiltelefon die Menschen einsam macht, sie nicht mehr miteinander kommunizieren, wenn sie zur selben Zeit am selben Ort sind usw. Ich wollte sie damit verbinden, sie zusammenbringen, damit sie etwas Aufregendes gemeinsam erleben. Es hat Ähnlichkeit mit einem Flashmob.

Von dem Stück gibt es unterschiedliche Versionen. Für die erste verwendete ich Klänge einer Stadt, die auf die Handys der TeilnehmerInnen gespeichert wurden. Diese waren jeweils mit einer Farbe verbunden. Während der Aufführung wurden Farben projiziert und die TeilnehmerInnen riefen die passenden Klänge dazu ab. Manchmal gab es auch zwei Farben gleichzeitig und dann konnten sie selbst eine davon und den dazugehörenden Klang auswählen.

Hier kann man die Energie der Gesellschaft aktivieren, der Beitrag jedes Einzelnen wirkt in der Summe viel mehr. So kann etwas verändert werden.

Mit 200 Mitwirkenden kann zum Beispiel ein Wald kreiert werden. Die grünen Klänge spiegeln den Wald wider, die blauen den Fluss. Das sind neue Erfahrungen für das Publikum in einem Surround-System aus 200 Lautsprechern. Das funktioniert auch mit Kindern gut.

Sie sind Künstlerischer Co-Leiter und -Gründer des Toccata Studios. Erzählen Sie uns bitte etwas über diese Einrichtung in Petaling Jaya in Malaysia.

Ng Chor Guan: Ich habe immer schon mit KünstlerInnen anderer Sparten kooperiert. Und die Idee KünstlerInnen zur interdisziplinären Zusammenarbeit eine Plattform zu geben, hat mir sehr gut gefallen. Im täglichen Leben kommt das ja leider sehr selten vor. KomponistInnen umgeben sich mit Menschen aus der Musik, bildende KünstlerInnen mit ihresgleichen usw. Das hat mich gestört, warum sind wir nicht gemeinsam?

Wir gründeten 2012 das Toccata Studio mit der Idee, Menschen zusammenzubringen, damit sie sich austauschen können, eine Art Salon. Hier können KünstlerInnen und das Publikum miteinander ins Gespräch kommen. Hier finden Konzerte und Ausstellungen statt. Nachdem wir Kochen und miteinander Essen sehr wichtig und inspirierend finden, haben wir auch eine große Küche, die wir oft benützen.

Auch der Name des Studios hat seine Geschichte: Das italienische Wort „Toccata“ heißt berühren, in diesem musikalischen Genre wird auch improvisiert. Im südchinesischen Dialekt, den meine Großeltern gesprochen haben und den ich auch gelernt habe, heißt „toca“ Boden und „ta“ der Klang eines Schrittes. „Toccata“ bedeutet also geerdet. Auf Malaysisch heißt es „wie Großvater sagte“. Diese Übersetzung passt sehr gut dazu, dass wir aus unseren Traditionen herauskommen, mit unseren Arbeiten darauf aufbauen. Wir respektieren sie, und müssen uns fragen, wie wir darauf etwas Neues schaffen. Gerade beim Improvisieren ist das sehr wichtig, da man sich dabei im Status des Experimentierens befindet.

Können Sie kurz die Bevölkerungsstruktur und ihre Kultur in Malaysia beschreiben?

Ng Chor Guan: Malaysia wurde mehrfach kolonialisiert, durch die Briten, die Portugiesen, die Niederländer, im Zweiten Weltkrieg wurde es von den Japanern besetzt und seit 1957 ist der Staat unabhängig. Malaysia ist einzigartig, was die Zusammensetzung der Bevölkerung betrifft: Menschen aus China und Indien kamen hierher aufgrund von Arbeitsmigration. Die Chinesen um im Bergbau, also in Minen zu arbeiten und für den Ausbau des Schienennetzes, und die Inder in der Gummiproduktion, auch auf den Gummi-Plantagen, genauso aber auch als Fischer und Fahrer.

Durch diese eindeutigen Berufsgruppen haben die BewohnerInnen Malaysias eine starke Identität und Zugehörigkeit zu ihrer Community. Natürlich unterscheiden sich auch die Speisen, die InderInnen und ChinesInnen haben sehr authentisches Essen, die MalaysierInnen einerseits auch sehr authentisch und andererseits eine Mischung, von der man gar nicht sagen kann, wo die Ursprünge liegen. Genauso mischen wir auch die Sprachen. Manchmal spreche ich auf Mandarin, aber das ist ein anderes, als jenes, das in China gesprochen wird.

Ich bin wirklich begeistert von Malaysia. Ich möchte noch kurz von einer speziellen malaysischen Speise erzählen, in der sich die Kultur gut widerspiegelt: Rojak – eine Mischung aus allen möglichen Zutaten. Es kann ein Dessert sein, aber auch eine Hauptspeise. Bevor ich Malaysia verließ, um nach Europa zu gehen, schämte ich mich für die Mischung der Sprachen, der Bevölkerung, des Essens oder der Kultur und der Musik. Doch dann wurde mir bewusst, dass das etwas wirklich Besonderes ist, vor allem, weil wir alle miteinander so friedlich zusammenleben. Vielleicht könnten auch andere Staaten von uns lernen, wie man trotz großer kultureller Unterschiede miteinander auskommen kann.

Auch wenn meine musikalische Ausbildung hauptsächlich auf der europäischen Musik basiert, bekommt man in Malaysia im Alltag viel von den anderen Musiktraditionen mit, sei es bei Begräbnissen, Hochzeiten, im Theater oder bei Veranstaltungen im öffentlichen Raum. Es wird auch Gamelan-Musik gespielt, allerdings in der westlichen Stimmung und in einer anderen Form als in Indonesien.

Wie spiegelt sich diese heterogene Kultur in Ihrer Musik wider?

Ng Chor Guan: Eine schwierige Frage – in meiner Musik kommen die unterschiedlichen Einflüsse sicherlich zum Tragen. In meinem Kopf habe ich so viele Instrumente, manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich mich selbst zwinge, noch mehr verschiedene Klangquellen und Instrumente einzusetzen. Manchmal bin ich da aber auch ganz entspannt. Genauso geht es mir mit Rhythmen und Melodien, oder dann kommt mir eine sehr interessante malaysische Melodie unter und ich baue sie ein. Ich sehe aber zum Beispiel Hiphop auch als Inspirationsquelle, genauso wie Gamelan-Instrumente.

Vor zwei Monaten etwa schrieb ich ein Stück mit einem sehr traditionellen Gamelan-Opener und am Ende mit einem Hip Hop-Rhythmus. Dazwischen gibt’s eine Stelle mit sehr klassischer Musik mit einem Streichorchester gemeinsam mit einer Suona, ein sehr lautes, altes chinesisches Instrument, ähnlich der Oboe … ich vermische viele Zutaten, komponieren ist für mich wie kochen! Man merkt dann erst später, ob es zusammenpasst.

Welche Veranstaltungen bieten Sie im Toccata Studio an?

Ng Chor Guan: Im Toccata Studio haben wir eine Veranstaltungsreihe mit Neuer Musik und eine mit Tanz/Musik.

Da es in Malaysia viele ethnische Gruppen gibt, die ihre eigene traditionelle Musik und ihre Instrumente spielen, verfügen wir über eine große Bandbreite. Wobei nicht alle MusikerInnen Noten lesen können, da behelfen wir uns bei unseren Gästen mit einem numerischen System. Ich nenne die Reihe „Neue Musik“, weil sie eine Art Labor ist, bei der alle Arten von MusikerInnen zusammenkommen und sich austauschen, hier gelten keine Konventionen.

Und auch bei den Tanz-Veranstaltungen ist es sehr gemischt. In Malaysia ist es so wie in vielen anderen Ländern mittlerweile auch: Viele Menschen sprechen gar nicht Malaysisch, weil sie in ihrer Community leben und auch ohne diese Sprache gut zurechtkommen. Das grenzt sie aber auch aus. Tanz, bei dem man oft keine gesprochene Sprache benötigt, oder bestenfalls eine neue gemeinsame nonverbale entwickelt, kann da verbindend wirken.

Dann haben wir noch das Kick-Projekt, das zweimal im Jahr stattfindet. Bei dieser Micro-Funding-Aktion hat man zehn Minuten auf der Bühne, um sein Projekt vorzustellen. Das Publikum zahlt Eintritt, bekommt selbstgemachten Kuchen, Kaffee und Tee, kann Fragen stellen. Am Ende der Präsentationen stimmt das Publikum ab und die gesammelten Eintritte gehen an denjenigen, der am meisten überzeugen konnte. Wir machen das, weil in der heutigen Zeit nachbarschaftliche Besuche nicht mehr so verbreitet sind. Wir wollen das wiederbeleben. So sind auch alle KuchenbäckerInnen an diesem Tag vertreten und man kann sich mit ihnen über die Rezepte etc. austauschen. Darüber sind auch schon weitere Kuchen in Auftrag gegeben worden.

Wie finanziert sich Toccata Studio?

Ng Chor Guan: Wir erhalten überhaupt keine öffentlichen Subventionen, die einzigen Einnahmen kommen über Eintritte und die Vermietung der Räume herein. Hin und wieder erhalten wir auch Spenden.

Mittlerweile wissen die Leute auch, was wir machen: Nämlich nicht nur klassische Kunst, sondern Community-Arbeit.

Woran arbeitest Du jetzt in Wien?

Ng Chor Guan: Ich habe ein Fünfjahresprojekt, das „2020“ heißt. Jedes Jahr kommt eine einstündige Komposition dazu. Diese Teile werden dann zusammengefügt und ergeben eine große Show. Es wird eine hybride Kunstsache, ich verwende Sounds und Musik als Hauptkomponenten und ich arbeite mit unterschiedlichen KünstlerInnen aus der ganzen Welt; so etwa 2015 mit einem Lichtdesigner aus Hongkong, heuer mit einer taiwanesischen Tanzkompanie. Und 2017 mit einem „Nichtkünstler“, einem malaysischen Ingenieur, der noch nie künstlerisch gearbeitet hat, sowie 16 Nicht-Performance-KünstlerInnen, also Laien im Alter von 7 bis 60. Hier in Wien beginne ich schon mit der Konzeption und versuche Leute kennenzulernen, die an diesem Projekt in den kommenden Jahren mitarbeiten könnten.

Wie entstehen Ihre Ideen? Es gibt ja einen sehr starken sozialen Aspekt in Ihrer Musik.

Ng Chor Guan: Ich bin ein sehr aufgeschlossener Mensch. Viele sind sehr sensibel auf Musik in ihrer Umgebung, aber nicht für Klänge: Wenn der Wind bläst, das Wasser tropft, die Blätter usw. das alles reflektiert auf unsere Leben. Seit ich mit dem Fahrrad fahre, nehme ich die Geräusche und Klänge unserer Umwelt viel besser wahr. Es ist so magisch und es werden darüber auch Botschaften transportiert. Das alles inspiriert mich. Es gibt eine starke Verbindung zwischen Klängen und Orten, die sich nach einigen Jahren ändern können. Es wirkt dann irritierend, wenn man dieselben Klänge nach einiger Zeit am selben Ort hört. Unsere Ohren können eben nicht abschalten und sich ausklinken. Wir sind den Geräuschen ausgeliefert, egal ob sie uns gefallen oder nicht. Ich versuche meine Ohren zum Sehen zu verwenden und meine Augen zum Hören.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Zur Person:

Ng Chor Guan ist ein malaysischer Komponist, Erfinder, Sounddesigner, Thereminspieler, Improvisator, Vermittler sowie künstlerischer Leiter und Mitbegründer des Tocccata Studio (MY). Er wurde 1981 in Klang / Malaysia geboren. Als international tätiger Komponist nimmt Guan am OneBeat Programm des U.S. State Department’s Bureau of Educational and Cultural Affairs teil. Guan komponierte zahlreiche Stücke für Theremin und brachte sie in mehr als 30 Städten weltweit in unterschiedlichen Formationen zur Aufführung. Wichtige Zusammenarbeiten waren Improvisations-Sessions mit dem Pina Bausch Tanztheater Wuppertal, als Komponist und Performer mit interdisziplinären Aufführungen mit den Light Surgeons (U.K.) sowie als Musikalischer Leiter und Komponist für „Twilight“ – 30th anniversary festival of Dancenorth (Australia), kürzlich mit dem Australian Dance Award 2016 ausgezeichnet. Sein aktuelles Projekt „2020“ geht über fünf Jahre mit dem Fokus auf multidisziplinäre Performances, die sich mit dem Thema Veränderungen und Zeitreise auseinandersetzen.

www.fb.com/huangchuyuan

www.toccatastudio.com/

soundcloud.com/ngchorguan

 

Termine

VIENNA IMPROVISERS ORCHESTRA – Exchange_ Planet VIO-3
instant composition conducting Michael Fischer; mit Ng Chor Guand am Theremin
17.12.2016, 16 Uhr, Künstlerhaus 1050, Stolberggasse 26, 4. Stock
http://m.fischer.wuk.at/live&docu.htm

Ng Chor Guan und Dorit Chrysler, beide Theremin
18.12.2016, 19 Uhr, Amann Studios, Neustiftgasse 68, 1070 Wien
http://www.amannstudios.com/news/ng-chor-guan-my-dorit-chrysler-at-amann-studio#more-3632

SALON SKUG. live: FRITZ OSTERMAYER (A), CHOR GUAN NG (Malaysia/ composer in residence KulturKontakt), LEFTOVERS (burcak konukman/michael franz woels) – CD-Präsentation *A Collection of 30 Fragiles* 
skug-djs spuh micha, frank jödicke
20.12.2016, 21 Uhr, rhiz, U-Bahnbogen 37, 1080 Wien
http://rhiz.org/