Der Komponist KLAUS LANG hat seit Herbst 2024 eine Professur an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien und lebt nun in dieser Stadt, auch wenn er immer noch sehr gerne und oft Zeit ‒ auch zum Arbeiten ‒ am Land in der Obersteiermark verbringt. Im März erschien bei KAIROS das Stück „tönendes licht.“ in einer Interpretation des Organisten Wolfgang Kogert und der Wiener Symphoniker unter dem Dirigat von Peter Rundel, eine Auftragsarbeit für Wien Modern, in dessen Rahmen es auch im Stephansdom aufgenommen wurde. In diesen Tagen wird es das neue Stück „emblemata sonantes.“ in Wien am Heldenplatz zu hören geben.
Michael Franz Woels hat KLAUS LANG quasi zwischen Stephansdom (Aufführungsort von „tönendes licht.“) und Heldenplatz (Aufführungsort von „emblemata sonantes.“) in der Wiener Innenstadt im Cafe Bräunerhof zu einem koffeinierten Gespräch über die ästhetischen Vorlieben eines moralbefreiten Herrschers wie Donald Trump, die emblematischen Ethiken des steirischen Adelsgeschlechts der Eggenberger und das problematische Vorherrschen österreichischer Verhältnisse im Rahmen einer didaktischen Demokratie.
Ihr kompositorisches Schaffen bezeichnen Sie als ein Streben nach Wahrheit und Klarheit, geleitet von den Idealen der Philosophie des Wiener Kreises. Als eine zentrale künstlerische Forschungsfrage haben Sie diesen Satz formuliert: Wie kann ich den Geist von Formen der Vergangenheit in heutige Gestalten übersetzen?
Klaus Lang: Für mich persönlich ist die Bezugnahme und die Kenntnis von Geschichte, sowohl in Hinblick auf die Musik- wie auch die Geistesgeschichte, ein absolut zentrales, notwendiges und essenzielles Anliegen. Als kleines Teilchen von europäischer Geschichte habe ich große Achtung, Verehrung und Dankbarkeit für die großen Meister der Vergangenheit, die uns immer noch etwas Bedeutungsvolles mitteilen können. Meine Haltung der Geschichte ist von Dankbarkeit und Interesse geprägt. Vor 1500 Jahren hat ein Mönch einen gregorianischen Choral niedergeschrieben und heute singen wir ihn immer noch. Natürlich verändert sich die Welt um einen herum, aber tiefe, menschliche Grundeigenschaften bleiben offenbar erhalten. Das Faszinierende an Kunst und überhaupt der Geistesgeschichte ist ja die Erkenntnis, dass es etwas Gemeinsames zwischen Menschen auch auf unterschiedlichen Kontinenten und zu unterschiedlichen Zeiten geben muss.
„INTELLEKTUELLE DURCHDRINGUNG UND SINNLICHE ERFAHRUNGEN WERDEN ZU EINER EINHEIT ZUSAMMENGEFÜHRT.“
In ihrer Komposition „emblemata sonantes“, eingespielt von ART HOUSE 17, nehmen sie Bezug auf die Architektur und die barocke Wand- und Deckengestaltung von Schloss Eggenberg.
Klaus Lang: Auch bei „tönendes licht.“, einer Auftrags-Komposition für Wien Modern, aufgeführt von den Wiener Symphonikern unter Peter Rundel und mit Wolfgang Kogert an der Orgel, habe ich mich auf den gotischen Raum der Stephanskirche bezogen. Das Thema der mittelalterlichen Ästhetik in der Architekturtheorie beschäftigt mich schon seit vielen Jahren. Räumliche Proportionen versuche ich mit kompositorischen Entscheidungen zu verknüpfen. Die Ästhetik vor der Zeit des Barock und der Renaissance finde ich ‒ sie haben den logischen Empirismus angesprochen ‒ aufgrund dieses unbedingten Strebens nach Klarheit und logischer Konstruktion faszinierend. Viele Menschen haben Vorurteile über das Mittelalter oder Unwissen. Die Gelehrten waren nicht alle nur von Weihrauchschleiern verhüllte Inquisitoren. Die mittelalterliche Philosophie hatte ein unglaubliches Bestreben ‒ lesen Sie zum Beispiel den italienischen Theologen Thomas von Aquin ‒ nach Klarheit im Denken. Das kann man ja auch an der gotischen Architektur erkennen. Im ersten Augenblick ist sie überwältigend, aber wenn man sie genauer besieht, erkennt man die genaue Systematik: Intellektuelle Durchdringung und sinnliche Erfahrungen werden zu einer Einheit zusammengeführt. So könnte man auch das Ziel meiner kompositorischen Arbeit beschreiben.
Wenn wir uns die mittelalterliche Welt vor Augen führen, so haben zum Beispiel gotische Kirchen damals mit ihren Licht- und Farbimpressionen für einen reizvollen Kontrast zum Grau und Braun des Alltags gesorgt. Heutzutage wiederum werden sie von gestressten Menschen als Ruheräume wiederentdeckt, um der analogen wie auch digitalen Reizüberflutung für einen Moment zu entfliehen. Auf ihre Kompositionen übertragen, so empfinde ich Hörbeispiele, wie sie auch auf bandcamp zu finden sind, in ihrem schimmernden und langsamen Fließen einem kalten, klaren Wasser unter einer durchsichtigen Eisdecke ähnlich. Sie sorgen für Kühlung und Beruhigung, lassen permanente alltägliche Störimpulse vergessen …
Klaus Lang: Genau dieser Frage muss man sich als Komponist oder Künstler stellen: Welche Funktion hat meine Kunst in der heutigen Zeit? Musik ist ja unglaublich biegbar, man kann sie für alles Mögliche verwenden. Deshalb ist es umso wichtiger, für sich selber zu entscheiden: Welchen Beitrag zur Gesellschaft will ich leisten? Im Kunstschaffen können wir versuchen, etwas Komplementäres zu unserer Lebenswelt zu entwerfen. Und als Komponist kann ich mich immer auch fragen: Wie rational sind letztlich meine Entscheidungen? Eine zentrale Kompetenz eines Komponisten ist ja das ständige Treffen von Entscheidungen. Die professionelle Frage nach der rationalen Durchdringung ist für mich wichtig, aber natürlich ist auch Intuition eine Fähigkeit, die man erlernen und kultivieren kann. Und zwischen diesen beiden Polen bewege ich mich.
Beim künstlerischen Arbeiten geht es ja immer auch um das Ziehen von Grenzen und der bewussten Entscheidung für Ausschlusskriterien. Sie versuchen ihre Musik frei zu halten von Ironie und Zynismus. Das empfinde ich beim Hören als sehr angenehm …
Klaus Lang: Komponieren hat für mich mit Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit zu tun. Gerade in der Kunstszene hat man das Gefühl, dass oft versucht wird, eine klare Stellungnahme mit Ironie zu überspielen. Das Schaffen von Kunst ist immer mit dem Risiko verbunden an etwas zu glauben, andererseits ist es ja eigentlich eine Tragödie für mein eigenes Leben, wenn ich nicht selber an meine Kunst, also meinen zentralen Lebensinhalt glauben kann. Kunst kann diese Konfrontation mit etwas Aufrichtigem bieten, auch wenn diese Kategorien und Kriterien von Wahrheit und Schönheit klischeehaft und altmodisch anmuten. Meiner Meinung nach sind sie aber allgemeine Bedürfnisse, eine zentrale Basis des Menschlichen.
In der Auseinandersetzung mit den dekorativen Emblemen an den Wänden von Schloss Eggenberg – vor allem den Sinnsprüchen von Don Diego Saavedra Fajardo – haben sich Fragen über Herrschaft, Freiheit und den menschlichen Willen aufgetan.
Klaus Lang: In meinem Stück „emblemata sonantes.“ verwende ich ein paar dieser Sinnsprüche. Ein fürstliches Schloss wie Eggenberg ist ein repräsentatives Objekt eines Herrschers. Mit Hilfe dieser Embleme werden Prinzipien einer guten Herrschaft verhandelt. Ein dickes Buch des spanischen Diplomaten Don Diego Saavedra Fajardo diente als Vorlage, die Tugenden eines Herrschers zu verdeutlichen. Die Embleme sind kristallisierte Kurzfassungen von viel längeren philosophisch-ethischen Auslassungen über Verhaltensweisen eines guten Herrschers. Natürlich sind das nur Idealbilder einer guten Herrschaft: einer Herrschaft im Sinne der Menschen, die beherrscht werden. Und beim Thema schöne Architektur im Sinne der Herrschaft fand ich auch signifikant, dass in einer Executive Order von Donald Trump der Begriff Schönheit vorkommt: „Promoting Beautiful Federal Civic Architecture.“
Das belegt, dass der aktuelle Herrscher über Amerika vor allem das Repräsentative wertschätzt. Zurück zu ihren Kompositionen, diese versuchen Sie ja frei zu halten von Ideologien, die damit vermittelt werden könnten.
Klaus Lang: In den letzten Jahrzehnten habe ich Kunst zum Teil als sehr belehrend empfunden, die Kunstwelt wird dadurch zur Bildungsanstalt. Die Ideologie des Komponisten oder der Komponistin wird zum Inhalt des Stückes. Auch gesamtgesellschaftlich habe ich ähnliches beobachtet: Politiker:innen repräsentieren weniger die Menschen, als dass sie sie belehren. Die repräsentative Demokratie wird zu einer didaktischen Demokratie. Ich möchte den Menschen ein künstlerisches Erlebnis ermöglichen und sie nicht belehren darüber, was sie denken und empfinden sollen. Ein Stück kann berühren und einen Erkenntnisgewinn ermöglichen, auch ohne, dass ich diesen sprachlich fassen kann. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich durch den „linguistic turn“ in der Philosophie ein fast magisches Verhältnis zur Sprache entwickelt.
Man meint durch quasi magische Sprechakte die physische Wirklichkeit verändern zu können.
Als Äquivalent zur barbarischen physischen Gewalt vergangener Epochen versucht man nun mit der Beherrschung der Sprache Macht auszuüben. Eine totalitäre Sprachhoheit wird von Menschen, die diese nicht so gekonnt beherrschen und an dieser nicht teilhaben, als eine aufoktroyierte Gewalt empfunden. Und ich glaube nicht, dass das ein besonders gesundes Verhältnis ist, wenn sich die akademische Kunstwelt anmaßt, den Rest der Gesellschaft zu belehren.
„DIE DRAMATURGIE IST NICHT ZIELGERICHTET UND KONFLIKTORIENTIERT.“
Kommen wir noch zu kompositionstechnischen Begriffen, die sie als Strategien zur Entwicklung ihrer Kompositionen anwenden: Offenheit, Parallelität beziehungsweise Koexistenz, Aufmerksamkeit und Bedachtsamkeit, Respekt, Einfachheit und Bescheidenheit, Klarheit und im Hinblick auf die Musiker:innen und das Publikum die Aspekte der Zusammenarbeit und der Einladung.
Klaus Lang: Ich beginne einmal mit den Begriffen Parallelität und Koexistenz. In meinen Stücken gibt es oft mehrere musikalische Ebenen, die sich aber nicht im Sinne einer romantischen Dramaturgie gegenseitig bekämpfen oder anfeuern und zu einem Höhepunkt führen. Die Dramaturgie ist nicht zielgerichtet und konfliktorientiert. Die Elemente koexistieren vielmehr miteinander. Das ist für mich auch ein ganz wichtiges gesamtgesellschaftliches Prinzip. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das eigene Leben zu gestalten. Man nimmt sie auch dadurch als anders wahr, dass sie parallel funktionieren. Aber sie sind nicht aneinandergebunden. Ein zentrales Prinzip, das man in vielen meiner Stücke findet.
Die Offenheit bezieht sich auf die Frage des kompositorischen Materials. Egal, welche Art von Klang ich verwende, es gibt kein neues Material und auch keine Hierarchie. Egal, ob es die hundert Jahre alte Zwölftonreihe, das fünfzig Jahre alte Multiphonic oder der mehrere hundert Jahre alte C-Dur-Akkord ist, ich bin dem Material gegenüber offen. Das 20. Jahrhundert war sehr stark materialorientiert, es ging vor allem um die Weiterentwicklung von Material. Wir sind nun im 21. Jahrhundert angekommen und haben vom weißen Rauschen bis zum Sinuston alle möglichen Klangwellen zur Verfügung. Alles ist parallel da, nichts ist in dem Sinne zeitgemäßer. Was mache ich nun kompositorisch mit dem Material, nachdem das Entwickeln und Finden von Material abgeschlossen ist?
Ich versuche nun mit reduziertem Material, das ich auswähle, vorsichtig und mit Respekt umzugehen und einen klaren Raum zu geben. Eine Anknüpfung an die Musik des 17. Jahrhunderts ist die Vorstellung des Basso continuo: Das Ausschreiben einer Generalbassstimme durch den Komponisten, die ganz konkrete Gestaltung findet durch die Zusammenarbeit von Komponisten und Musikern statt.
Kommen wir zum Schluss noch einmal zurück zum Stück „emblemata sonantes.“, das ja in den nächsten Tagen in Wien am Heldenplatz in einem Pavillon zu hören sein wird.
Klaus Lang: Die eigentliche Uraufführung des Stückes „emblemata sonantes.“ wird dann im Herbst im Rahmen des steirischen herbsts beim musikprotokoll stattfinden. Das Schloss Eggenberg in der Steiermark feiert heuer sein 250-jähriges Bestehen. Das ist der Inhalt der steirischen Landesschau. Im Schloss Eggenberg gibt es eine große Ausstellung über die Geschichte des Fürstenschlosses und als ein Teil dieser Ausstellung gibt es auch als zeitgenössische Position Pavillons, die im Park stehen werden. Im Musikpavillon wird das Stück „emblemata sonantes.“ dann alle Stunden abgespielt. Ich habe die Beletage, die Prunkräume des Schlosses analysiert und einen Gang durch dieses Schloss auskomponiert und an gewissen Stellen im Stück werden lateinische Texte von Wand-Emblemen von einer Sopranistin gesungen. Auch wenn das Stück Installations-Qualitäten hat und man jederzeit in das Stück klanglich eintauchen und eintreten kann, so gibt es eine klare Dramaturgie, die Textur ist zum Beispiel wie das Schloss nach den vier Jahreszeiten ausgerichtet. Bei der Eröffnung der Pavillons am Heldenplatz in Wien wird es zwischen den Reden der Politiker:innen ein paar Minuten der Musik auch live zu hören geben.
Vielen Dank für das Gespräch!
Michael Franz Woels
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Termine:
Klaus Lang „emblemata sonantes.“
Musikpavillon Steiermark Schau 2025
13.–30. März 2025
Heldenplatz Wien
Konzertreihe „Schule der Wahrnehmung“
mit Musik des 16. und 17. Jahrhunderts und der Gegenwart
Jesuitenkirche Wien
Dr.-Ignaz-Seipel-Platz 1, 1010 Wien
jeden letzten Sonntag im Monat. (30.3./27.4./25.5/29.6.; Beginn: 18.00 Uhr)
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Links:
Klaus Lang
Klaus Lang (Bandcamp)
Klaus Lang (music austria Musikdatenbank)
KAIROS
Steiermarkpavillons