„Körperliches Wahrnehmen von Klang im Raum“ – BERNHARD GÁL im mica-Interview

Der Wiener Klangkünstler, Kurator und Wissenschaftler BERNHARD GÁL hat seine Dissertation „HÖRORTE | KLANGRÄUME. Eine transdisziplinäre Topografie installativer Klangkunst“ als Buch veröffentlicht und auch als Open Source Dokument für alle zugänglich gemacht. Er erzählt von der aufwändigen Datensammlung der ausgewählten Beispiele, den Hürden bei der Dokumentation und über seine eigene, ungebrochene Faszination für dieses Genre. Das Interview führte Marie-Therese Rudolph.

Du beschäftigst dich schon seit sehr langer Zeit mit dem Thema „Klangkunst“. Wie ist es zu einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung damit gekommen?

Bernhard Gál: Ich habe im Zuge meiner künstlerischen Tätigkeiten immer wieder Workshops und Vorträge im Rahmen von Tourneen und Festivals gehalten, anfangs aus meiner persönlichen künstlerischen Sicht heraus. Dann wurde ich 2006 gefragt, ob ich einen Lehrauftrag an der UdK, der Universität der Künste in Berlin, zum Thema Klangkunst annehmen möchte. Das war der Auslöser, mich auch wissenschaftlich beziehungsweise theoretisch intensiver damit zu befassen.

Welcher konkreten Fragestellung hast Du Dich in Deiner Dissertation gewidmet?

Bernhard Gál: Die Dissertation und das Buch haben den Titel „HÖRORTE | KLANGRÄUME. Eine transdisziplinäre Topografie installativer Klangkunst“, damit verweise ich auf die Raum- und Ortsbezogenheit, jene beiden Aspekte, die in der installativen Klangkunst zentrale Bedeutung erlangen und auch kaum voneinander zu trennen sind. Nämlich, dass sowohl in der Produktion als auch in der Rezeption der Bezug zum Ort, zum Kontext, zur jeweiligen Öffentlichkeit, aber auch der konkrete akustische und architektonische Raum immer eine wesentliche Rolle spielen.

Mein erstes Interesse galt eigentlich dem Raum: Wie lässt sich mit Raum kompositorisch arbeiten? Wie gehen Künstler:innen mit dem Raum um? Und was bedeutet das dann für die Wahrnehmung und für die Rezeption?

Im Zuge eines dreijährigen Dissertationskollegs in Salzburg ist mir im Austausch mit den Kolleg:innen, die alle mit Musik nichts zu tun hatten, klar geworden, dass Raum und Ort zwei Seiten der gleichen Medaille sind. Auch ist Raum im auditiven und auch im musikalisch-klanglichen Sinne kaum zu trennen vom Ort als soziologisches Phänomen. Und so bin ich dann dazu gekommen, dass eben „Hörorte“ genauso treffend ist wie „Klangräume“. So ist der Titel dieses Buches dann entstanden.

Ein sehr spannender Aspekt an Klanginstallationen ist ihr interdisziplinärer Ansatz. Welche Kunstsparten kommen hier zusammen? Aus welcher Richtung kommen die Künstler:innen, die Klanginstallationen schaffen?

Bernhard Gál: Die Klangkunst ist im Zuge der verschiedenen Grenzüberschreitungen der 1960er Jahre entstanden, es gab aber natürlich schon viel früher alle möglichen Querbezüge, Wurzeln und Wegbereiter:innen. Im Wesentlichen waren da zwei Strömungen, die zur Klangkunst hingeführt haben: einerseits die Erweiterung des Skulpturalen in der bildenden Kunst, wodurch aus dem Objekt der gestaltete Raum wurde, aus der Skulptur die Installation, und andererseits, dass in der experimentellen Musik, der musikalischen Avantgarde vor allem amerikanischer Prägung, zunächst die Freiheit der Rezipient:innen im Wahrnehmungsprozess immer größer wurde. Das beginnt schon bei John Cage …

Das alles bekommt dann nochmal eine neue Dimension, indem die Besucher:innen die Möglichkeit haben, selbst zu entscheiden, wie lang sie sich im Raum aufhalten, worauf sie ihren Fokus richten, wie sie mit dieser transdisziplinären Situation umgehen, in der man gleichzeitig etwas zu sehen und zu hören hat und seine eigenen Sinneswahrnehmungen dadurch auch selbst neu erlebt und womöglich seine eigene Existenz in dieser ästhetisierten Umgebung zu beobachten und hinterfragen beginnt. All diese Fragen sind in zahlreichen Klangkunstwerken thematisiert worden.

Welchen Hintergrund haben die Künstler:innen, die Klanginstallationen erschaffen?

Bernhard Gál: Es hält sich ungefähr die Waage: einerseits Kulturschaffende mit bildender Kunst, und andererseits mit zeitgenössischer Musik als Hintergrund. Dazu kommen dann viele, viele Ausnahmen. Die Pionier:innen der Klangkunst sind sehr individuell an die Sache herangegangen und jeder und jede hat einen eigenen Weg gefunden. Das macht das Ganze auch so spannend. Zum Beispiel etwa Bernhard Leitner, der aus der Architektur kommt, oder Christina Kubisch, die ursprünglich mit Flöte und Malerei begonnen hat.

Bild Bernhard Gál
Bernhard Gál (c) Bernhard Gál

Wie ist das Buch, das eine große Lücke in der Literatur über zeitgenössische Musikgenres füllt, aufgebaut?

Bernhard Gál: Es besteht aus zwei Teilen: Einer ausführlichen theoretischen Einleitung und dann dem Teil, in dem ich in sieben Fallbeispielen verschiedene Präsentationsmodelle erforsche. Im theoretischen Teil ist es mir darum gegangen, die bestehende Fachliteratur, etymologische Hintergründe und unterschiedliche Definitionsbemühungen zu sichten und zu diskutieren, weil dies in bestehenden Publikationen nie so genau dargelegt bzw. manche Aspekte auch schlichtweg falsch dargestellt worden sind.

In Deinem Buch grenzt Du auch die Begrifflichkeiten ab, die im Sprachgebrauch zum Teil ja ganz ungenau eingesetzt werden.

Bernhard Gál: Es gibt drei zentrale Begriffe: Klangkunst, Klanginstallation und Klangskulptur. Wobei im „Wettbewerb der Begriffe“ in den letzten zehn Jahren der Begriff „Klangkunst“ gewonnen hat. Er ist deshalb sehr geeignet, weil er der breiteste und am wenigsten definierte Begriff ist und dem ebenso diffusen englischen Äquivalent „sound art“ entspricht.

Klangkunst ist zumeist für einen speziellen Ort konzipiert. Inwieweit kann sie dann mehrfach, an unterschiedlichen Plätzen installiert werden?

Bernhard Gál: Ja, das ist ein gewisser Widerspruch und war auch Teil meiner Forschung. Es gibt in meinem Buch das Beispiel einer Wanderausstellung, mit dem Titel „Klangkunst – A German Sound“. Hier ging es den beiden Kuratoren Johannes S. Sistermanns und Stefan Fricke von vornherein darum, ein sehr leichtes, kleinteiliges Ausstellungsmodell zu schaffen, das schnell und auch kostengünstig transportiert werden und an verschiedenen Orten und in verschiedenen Kontexten funktionieren kann. Das ist ja oftmals nicht der Fall. Oft werden Kunstwerke für einen bestimmten Rahmen in Auftrag gegeben. Sie entstehen dann für eine einzige Präsentation und sind später kaum wiederholbar.

Das führt uns zur Frage der Dokumentation. Wie lässt sich Klangkunst abbilden, wie für die Nachwelt in ihren unterschiedlichen Aspekten festhalten?

Bernhard Gál: Ich bin von Prinzipien der Feldforschung ausgegangen. Feldforschung ist eine Methode oder ein Set von Methoden, das sehr vieles offen lässt und in verschiedensten kulturellen Zusammenhängen funktioniert. Und deshalb erschienen mir Soziologie und Feldforschung als sehr guter Ausgangspunkt für die Beforschung von installativer Klangkunst.

Jede individuelle Arbeit aus dem Bereich der Klangkunst muss mit anderen Mitteln und Gewichtungen dokumentiert werden. Das heißt, es ist auch sehr schwer, die einzelnen Präsentationen direkt miteinander zu vergleichen. Das geht bis hin zu den sehr unterschiedlichen Besucherzahlen, wie etwa die Bundesgartenschau mit Klangkunst in Koblenz, da waren mehr als 3 Millionen Menschen, man aber nicht weiß, wie viele von ihnen die Klangkunstwerke überhaupt wahrgenommen haben. Auf der anderen Seite haben sich in die Galerie 5020 in Salzburg, die damals noch im ersten Stock versteckt in einem Altbau in der Altstadt gelegen war, nur sehr wenige Leute verirrt.

Die größte Öffentlichkeit meiner ausgewählten Beispiele hat eine Klanginstallation im öffentlichen Raum, am Bahnhofsvorplatz in Bonn, genossen. Dort war aber gleichzeitig das Problem, dass die meisten Menschen, die vorübergeströmt sind, eigentlich so gut wie gar nichts mitbekommen haben – genau das war jedenfalls das Ergebnis der wissenschaftlichen Feldforschung vor Ort. Wir haben im Team mit Videos, Beobachtungen, Audio-Aufnahmen, Fotos und Befragungen gearbeitet und glücklicherweise dann auch in manchen Fällen Dokumentationsmaterial von anderen, einerseits von den Kunstschaffenden und Kurator:innen selbst und andererseits, wie im Falle Bonns, auch von der Abteilung Musikwissenschaft/Sound Studies der Universität Bonn bekommen.

Wie sieht die Dokumentation mit Audio, Video und Befragungen konkret aus?

Bernhard Gál: Bei meiner Forschungsarbeit gibt es zwei Kategorien: die Produktions- und die Rezeptionsebene. Einerseits habe ich lange Gespräche mit den beteiligten Kurator:innen und Künstler:innen geführt. Das war bei den Gruppenausstellungen mit vielen beteiligten Personen allerdings nicht möglich. Da habe ich dann auf Fragebogen zurückgegriffen. Auch mit anderen an den Ausstellungsprojekten Beteiligten wie dem Aufsichtspersonal, der technischen Assistenz oder den Pressestellen habe ich Kontakt aufgenommen, um weitere Infos zu erhalten. Die mediale Resonanz habe ich mir ebenfalls angesehen, bis hin zu Youtube-Videos, die Besucher:innen selbst gemacht und ins Netz gestellt haben.

Die Beforschung des Verhaltens der Besucher:innen vor Ort teilt sich in teilnehmende Beobachtung, bei der man sich selbst bewusst ist, dass man als Forschender das System mitverändert und in versteckte Beobachtung, z.B. anhand einer weit entfernt aufgestellten Videokamera, um ein möglichst unbeeinflusstes Rezeptionsverhalten dokumentieren zu können. Und darüber hinaus Befragungen vor Ort, wo ich versucht habe, Personen, welche die Ausstellung gerade besucht hatten, im Nachhinein kurz zu befragen: „Wie war das, was haben Sie da erlebt? Hatten Sie vorher schon mal Kontakt mit Klangkunst? Was hat Ihnen besonders gut gefallen?“ Alles sehr offene Fragen, weil wir nicht davon ausgehen können, dass die Menschen schon einmal mit Klangkunst in Berührung gekommen waren.

Bild Scarfe Lenses
Dawn Scarfe: Lenses (Ausschnitt) (c) Bernhard Gál

Wie bist Du dann mit dieser riesigen Datenmenge umgegangen? Wie ist die ins Buch eingeflossen? Welche Erkenntnisse hast Du gewonnen?

Bernhard Gál: Im Buch habe ich versucht, die einzelnen Aspekte möglichst detailliert darzustellen und dann vergleichend zu diskutieren. Es hat sich zum Beispiel herausgestellt, dass Arbeiten in Innenräumen eine größere Aufmerksamkeit bekommen, weil es hier weniger auditive Konkurrenz gibt als im öffentlichen Raum. Aber auch hier muss man unterscheiden zwischen Einzelausstellungen und Gruppenausstellungen. Wer erhält dort die meiste Aufmerksamkeit? Natürlich eher ein Schreihals als das leise, reduzierte Werk gleich daneben.

Du bist selbst Künstler, Kurator und Wissenschaftler. Wie gehst Du in Deiner Publikation mit der großen Bandbreite der Klangkunst um? Gibt es persönliche Bewertungen?

Bernhard Gál: Das ist eine wissenschaftliche Publikation. Da möchte ich prinzipiell nichts bewerten und habe mich von vornherein mit eigenen Beurteilungen sehr zurückgehalten. Auch deshalb, weil ich mit vielen, die in dem Buch vertreten sind, persönlich seit Jahren bekannt bin.

Es gab eine massive technische Entwicklung in den letzten zehn 15 Jahren, die sich auch auf die Konzepte der Klangkunst ausgewirkt hat, auch auf deren Rezeption. Wie schätzt Du das ein?

Bernhard Gál: Man sieht, dass die Klangkunst in den letzten fünfzehn bis zwanzig Jahren in größeren Präsentationsformaten, vor allem im Bereich der bildenden Kunst, angekommen ist. Gleichzeitig tut dieses institutionelle Interesse der Innovation in der Klangkunst aber gar nicht so gut. Die Neugier und die Risikobereitschaft, die in den Anfängen spürbar war, bei all diesen Pionierleistungen und sehr individuellen Zugängen, vermisse ich jetzt ein wenig. Andererseits sehe ich die Klangkunst als möglichen Ausweg aus der Misere der Neuen Musik, weil eben diese große Freiheit, ich nenne es die Emanzipation der Rezipient:innen, selbst zu entscheiden – wie höre ich, wie lange höre ich, wo höre ich?, – die gibt es heute im klassischen Konzertkontext in den meisten Fällen noch immer nicht. Es ist aber nach wie vor nicht leicht, abseits der bestehenden Formate überhaupt Klangkunst zu produzieren und zu präsentieren. Denn es ist ein ziemlich großer organisatorischer Aufwand, im öffentlichen Raum zu arbeiten und im Kontext der einzelnen Institutionen gilt es dann auch immer irgendwelche Regulative zu berücksichtigen, wie etwa Fluchtwege, Notausgänge, zeitliche Beschränkungen etc. Dies alles zu beachten und dann ein gutes Klangerlebnis zu gewährleisten, ist eine Herausforderung.

Zum Abschluss aber doch noch eine persönliche Frage: Was macht für Dich ein gelungenes Klangkunstwerk aus?

Bernhard Gál: Ich möchte zunächst gar nicht viel Erklärendes lesen oder wissen müssen, sondern einfach in einen Raum oder in eine Situation hineinfallen können, die mich so berührt und beschäftigt, dass ich davon emotional etwas habe, eine ästhetische Erfahrung mitnehmen kann. Ein sehr körperliches Wahrnehmen von Klang im Raum und dann auch zu verstehen, ich bewege mich hier nicht allein durch diesen Raum, sondern es gibt noch andere Besuchergruppen, die vielleicht mit mir in Austausch treten. Dieses gemeinsame soziale Verhalten im Raum und vor Ort, das ist eine schöne Sache, die das Erleben von Klangkunst so speziell macht.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Marie-Therese Rudolph

Buch (Print und Open Access):

Buchpräsentation:

Mittwoch, 15. Februar 2023

Buchpräsentationen von Bernhard Gál und Peter Kiefer bei TONSPUR Kunstverein Wien.

Wo:
MuseumsQuartier Wien, Museumsplatz 1, 1070 Wien

Orte:  
15:00–17:00 • Barocke Suite C – MQ Direktion, Hauptdurchgang, 1. Stock
17:30–19:00 • Buchhandlung Walther König im MQ Wien

Programm:
15:00 • Bernhard Gál, Präsentation HÖRORTE | KLANGRÄUME
16:00 • Peter Kiefer, Präsentation Exhibiting SoundArt
17:30 • Barbara Barthelmes im Gespräch mit Bernhard Gál und Peter Kiefer

Eintritt frei. Um Anmeldung wird gebeten unter sound@tonspur.at

Buchpräsentation und Buchgespräch in deutscher Sprache.

Eine Veranstaltung von TONSPUR Kunstverein Wien in Zusammenarbeit mit Bernhard Gál, Peter Kiefer und Barbara Barthelmes. In Kooperation mit Wolke Verlag, Buchhandlung Walther König im MQ Wien und Q21/MuseumsQuartier Wien.

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Links:
Bernhard Gál
Bernhard Gál (mica-Datenbank)