Keine Melodie ohne Rhythmus – Wolfgang Frisch im mica-Interview

Wolfgang Frisch von den Sofa Surfers legt dieser Tage mit „Watering the Land“ (Monoscope Productions) sein zweites Soloalbum vor. Präsentiert wird dieses am 15. Oktober im Wiener Ost-Klub. Mit dem mica sprach der Produzent und Gitarrist über das Brodeln im Hintergrund, die analoge Illusion und Dinge, die schief gehen können. Das Interview führte Markus Deisenberger.

Du giltst als Sound-Tüftler, dem die Sound-Ästhetik seiner Musik besonders wichtig ist. Und selten hat man das auch so gehört wie auf deinem neuen Solo-Album.
Das stimmt, Sound ist mir extrem wichtig, auch für diese Art von Musik, wobei es in diesem konkreten Fall eher mit den Harmonien begonnen hat. Schon bei den Sofa Surfers, wo es anfänglich ja viel weniger Harmonien gab – mittlerweile arbeiten wir ja anders, indem wir auch im Proberaum stehen und jammen – war der Sound immer extrem wichtig, weil wir fast nur mit Samples arbeiteten. Im Fall des Albums jetzt ist es eine Verbindung aus Samples und Harmonien.

Und diese jeweilige Verbindung hing sehr vom jeweiligen Instrument ab – ob nun akustische oder elektrische Gitarre – wie sich das Lied entwickelt. Dann, als eine gewisse Harmonie-Struktur stand, galt es zu schauen, mit welchen Sounds sich das verbinden ließ, die vielleicht sonst nicht so passend sind. Das Basteln begann sozusagen.

Kann man sagen, dass dein Faible für Sound aus deiner Liebe für Soundtracks resultiert?
Ja, und es hat auch mit einer Vorliebe für elektronische Musik zu tun und innerhalb der elektronischen Musik wieder eher für die abstrakten Sachen wie etwa Squarepusher, Amon Tobin und DJ Shadow und weniger Clubmusik – Musik also, die eher zum Zuhören bestimmt ist und sich sehr über die in ihr verwendeten Sounds definiert. Aber eben auch Filmmusik und ernste Musik, etwa von Ligeti. Orchestermusik würde mich auch sehr interessieren, leider hat mich noch nie jemand gefragt.

Aus welchem Grund würde es dich interessieren, Orchestermusik zu komponieren?
Weil es einmal etwas anderes wäre. Eine andere Art zu arbeiten, bei der man sowohl mit Sounds als auch mit Harmonien arbeiten könnte. Von Cluster bis Melodiebögen ist mit einem Orchester ja alles möglich. Das würde mich sehr reizen.

Im Pressetext ist zu lesen, dass du dich bei deinem neuen Album von Scott Walker und Jack Nitzsche inspirieren ließest. Kannst du das erläutern?
Ich will den Vergleich gar nicht überstrapazieren. Was mich aber an beiden fasziniert ist, dass ihre Musik vordergründig schön und romantisch ist, man aber bei näherem Hinhören merkt, dass es im Hintergrund brodelt und die Musik letztlich alles andere als so schön ist, wie sie aufs erste Hören wirkt. Das fand ich faszinierend und genauso etwas wollte ich mit meiner Musik auch erreichen. Das heißt: Vordergründig schöne Harmonien, und bei mehrmaligem Hören merkt man dann, dass sich im Hintergrund etwas völlig anderes abspielt.

Was sich bei Scott Walker aber erst entwickelte. Anfangs zeigte er sich ja eher dem Chanson eines Jaques Brel verpflichtet. Erst später entwickelte er diese Abgründigkeit, die in seinem letzten Opus Magnum „The Drift“ gipfelte. Entwickelst du dich auch so? Wirst auch du immer schräger?
(lacht) So lange meine Kinder klein sind, zum Seelenheil aller vielleicht nicht. Das hebe ich mir vielleicht für die Pension auf. Ich finde „The Drift“ toll, aber auch die Sachen, die er Ende der 70er ablieferte, die zwischen Schlager und Avantgarde angesiedelt sind.

Wo es langsam zu kippen beginnt?
Genau, wo es kippt. Scott Walker 4 finde ich zum Beispiel ganz toll.

Fand die Auswahl der Sänger auch nach diesem Kriterium statt, indem du dir mit Pieter Gabriel und Georg Altziebler besonders hintergründige Typen an Bord holtest?
Die SängerInnen sind allesamt sehr tiefgründige Typen, Künstler ihres Fachs. Mit einigen von ihnen war es sehr leicht, mit anderen eher schwierig zu arbeiten, aber jeder war auf seine Art sehr speziell und hat seine Eigenheiten, was die Zusammenarbeit auch ausmachte.

Im Pressetext las ich, dass du an Pieter Gabriel besonders schätzt, dass er „über den Akkord hinaus denken“ kann. Was genau meinst du damit?
Dass er eine genaue Vorstellung in Richtung Produktionstechnik hat. Viele Sänger verwirrt das nur, sie konzentrieren sich auf die Musik, was ja nichts Schlechtes ist. Wenn Du aber Pieter einen Akkord vorspielst, entwickelt er ihn weiter, hat schon eine genaue Vorstellung davon, wie das Endprodukt klingen soll. Aber diese besondere Abstraktionsfähigkeit hat alle Sänger, die auf dem Album zu hören sind, ausgezeichnet. Das war in jedem einzelnen Fall viel mehr als nur die Stimme, die zum Einsatz kam.

Velvet-Wolfgang Frisch feat. Ana Gardel by Monoscope Productions

Bei der Auswahl der Sänger hat dir angeblich Rainer Klang geholfen?

Ja, ich habe ihm erzählt, was ich so vorhabe: Nämlich ein songlastiges Album zu machen, das ansatzweise mit dem Singer- Songwriter-Genre zu tun hat, aber eben nur ansatzweise. Ich wollte auch bewusst kein Black Music-Album machen, weil wir das in Ansätzen ja schon mit den Sofa Surfers gemacht hatten.

Und trotz des Singer- Songwriter-Ausgangspunktes sollten Texturen, Sounds und Elektronik einfließen, damit der Hörer nicht gleich merkt, wie der Song gestrickt ist. Insgesamt hatte ich aber damals ein anderes Ergebnis vor Augen als es dann letztendlich wurde, aber das war noch bei jedem Projekt so und wird es wohl auch immer sein.

Inwiefern?
Schwer zu sagen, aber vielleicht wurde es mehr braun als blau. Erdiger als anfänglich gewollt, was ja grundsätzlich super ist.

Hat das auch mit einem Charakter zu tun, den man letztlich nicht verleugnen kann und der dann doch durchschlägt, so sehr man auch in eine andere Richtung will?
Nicht unbedingt. Die Projekte entwickeln sich einfach selber. Sobald es an die Materialisierung geht, sobald die Dinge konkreter werden, entwickeln sie ein Eigenleben.

Und die Sänger und Sängerinnen standen dann von Anfang an fest oder hat sich auch diese Zusammensetzung entwickelt?
Es fing mit Georg Altziebler an und dann kamen relativ schnell Marilies Jagsch und Pieter Gabriel dazu. Über Marilies Jagsch kam ich dann zu Wolfgang Wiesbauer. So war die Entwicklung.

Und du hattest für jeden Sänger, für jede Sängerin einen Song?
Ich habe jedem zwei zur Auswahl gegeben.

Und die Musik war vorgegeben oder hat sich das im Impro-Stil weiter entwickelt?
Sowohl als auch. Die Entwürfe waren schon sehr strukturiert, haben sich aber im Laufe der Zeit auch verändern, woanders hinentwickeln können. Das hing auch vom jeweiligen Charakter des Sängers/der Sängerin ab. Der eine setzt sich zu Hause hin und tüftelt, der andere will vorbei kommen und jammen. Da gibt es ganz unterschiedliche Persönlichkeiten. Beides ist auf seine Art und Weise toll und macht gerade in der Abwechslung ungeheuren Spaß.

Wie kann man sich die Entstehung der Songs vorstellen? Hast du dabei auf bestehendes Material zurückgegriffen?
Nein. Die Entstehung war sehr herkömmlich, indem ich mich mit der Gitarre hinsetzte und Strophe und Refrain auscheckte.

Im Pressetext war auch von Dekonstruktion die Rede. Wie kann man sich das vorstellen?

Schwer zu sagen. Am ehesten kann man die Arbeit am Material als Verkürzung und Erweiterung beschreiben. Wichtig war mir eben, dass die Trennlinien zwischen Strophe und Refrain nicht im Vordergrund stehen sollten. Dafür galt es die entsprechenden Sounds zu finden, die nicht stören, gleichzeitig aber in diesem Sinn für die Nummer arbeiten.

Mit unterschiedliche Sängern besteht die Gefahr, dass ein Album irgendwann zerrissen wirkt, was bei „Watering The Land“ gerade nicht der Fall ist. Das Album wirkt wie aus einem Guss mit einer durchgehenden Spannung und Dramaturgie. Hast du an dieser ganz bestimmten Reihenfolge der Songs lange getüftelt?
Extrem lang. Man kann das Album aber so oder so interpretieren, d.h. man kann davon ausgehen, dass die einzelnen Songs sehr wenig miteinander zu tun haben, man kann aber auch das Gegenteil annehmen. Ich persönlich glaube aber, dass schon so etwas wie ein Bogen vorhanden ist. Diesen Bogen zu finden, diese Kurve zu kriegen war aber sehr schwer und auch nicht von Anfang an geplant. Irgendwann im Laufe des Entstehungsprozesse hat sich aber herauskristallisiert, dass das die einzige Möglichkeit für mich ist: So etwas wie einen durchgängigen Spannungsbogen zu erzeugen.

Ein Album mit einem langsamen Stück beginnen zu lassen, ist andererseits fast schon anachronistisch, wo doch heute jeder mit der heftigsten Nummer vorne weg startet?
(lacht) Wenn es die heftige schnelle Nummer aber gar nicht gibt, dann ist es auch schwierig, die am Anfang zu bringen. Aber Du hast schon Recht. Ich weiß aber auch gar nicht, wie viele Alben tatsächlich noch als Alben produziert werden.
Die meisten Alben sind doch eher als Sammlung von einzeln produzierten Songs angelegt.

Warum tut man sich solch ein konzeptionell angelegtes Solo-Werk überhaupt noch an?
Wegen des Geldes machst Du es sicher nicht, das verdienst du anderswo.
Wegen des Geldes, wie Du richtig sagt, leider nicht. Aber ich mache es deshalb, weil es das ist, was ich immer machen wollte. Anders kann ich es nicht beschreiben. Da steckt all mein Herzblut drinnen und es kann schief gehen. Ich glaube, das ist auch der zentrale Punkt: Es kann auch in die Hosen gehen.

Was genau hätte bei “Watering the Land“ schief gehen können?
Dass das mit mehreren Sängern überhaupt nicht funktioniert. Dass ein Spannungsbogen oder wie immer man das jetzt auch immer nennen mag, flöten geht, und die unterschiedlichen Stile und Sound-Ästhetiken nicht miteinander können.

Verglichen mit deinem letzten Solo-Album „The Hundred“ kann man schon von einem großen Sprung reden. Man könnte, hört man beide Alben hintereinander, sogar meinen, sie wären von zwei unterschiedlichen Musikern. Kannst du diese Entwicklung in Worte fassen?
Am ehesten ist das wohl eine künstlerische Entscheidung, wenn man es so nennen will, oder auch eine Interessensfrage. Etwas zu wiederholen – das ist auch mit den Sofa Surfers so – widerstrebt. Bei jedem Album will man etwas anderes, etwas Neues machen. Zumindest geht es mir, geht es uns so.

Kann man die Entwicklung der Sofa Surfers als Band mit deiner Entwicklung als Solokünstler – weg vom Abstrakten und hin zum Song – miteinander vergleichen?
Vielleicht kann man da Parallelen ziehen, aber es hat insgeheim eher etwas mit unserer gemeinsamen Vergangenheit als mit unserer gemeinsamen Gegenwart zu tun. Damit meine ich, dass jeder solo bewusst etwas anderes zu machen versucht als mit der Band.

Siehst du, obwohl beide Alben sehr unterschiedlich voneinander sind, dennoch eine Kontinuität?
Natürlich. Für mich sind, auch wenn sie vielleicht nicht so im Vordergrund stehen, die rhythmischen Aspekte immer extrem wichtig. Keine Melodie kann ohne Rhythmus bestehen. Und Melodien sind nicht austauschbar, d.h. sie funktionieren nicht mit jeder Art von Rhythmik, das muss immer Hand in Hand gehen.

Die rhythmische Komponente ist beim vorigen Album halt sichtbarer. Wichtig aber war sie bei „Watering The Land“ auch, obschon meine Musik insgesamt zugänglicher geworden ist, nicht mehr so schroff ist wie auf dem Vorgänger.

Hat das neue Album dadurch auch bessere kommerzielle Chancen?

Ich glaube und ich hoffe es. Zumindest kann ich die neuen Sachen auch zu Hause, wenn mein Kinder da sind, auflegen.

Das von Ana Gardel gesungene „Velvet“ ist mittlerweile in der fm4-Rotation. War das so geplant?
Nein, überhaupt nicht. Rainer Klang und Babsi von ink music haben beide – getrennt voneinander befragt, was die Single werden sollte –„Velvet“ genannt. Und so kam die Entscheidung zustande. Ich kann solche Entscheidungen nur sehr schwer treffen und bin daher extrem froh, wenn sie jemand anders für mich trifft.

Denkst du, die Retro-Ästhetik war dafür verantwortlich, dass der Song bei fm4 so gut ankommt?
Nein, das war eher das Format, glaube ich. Die Nummer geht gleich los, ist nicht besonders lang und auf den Punkt. Wenn sie viereinhalb Minuten wäre, hätte man daraus wieder einen Radio-Edit machen müssen, der mit der ursprünglichen Nummer dann in den seltensten Fällen noch etwas zu tun hat. ich fürchte, dass die Auswahlkriterien für einen Radioeinsatz oft eher pragmatisch sind.

Wie kann man sich die Live-Umsetzung vorstellen? Werden alle Sänger und Sängerinnen dabei sein?
Alle außer Georg Altziebler, der selber eine Show hat. In weiterer Folge wird es darauf hinauslaufen, dass Ana Gardel und Wolfgang Wiesbauer und eine kleine Band dabei sind. Alle werden nicht finanzierbar sein. Dass die Live-Umsetzung nicht leicht wird, ist natürlich ein bisschen die Crux bei dem ganzen Projekt

Was machst du auf der Bühne?
Elektronik und bei den Nummern, die einen Bass brauchen, werde ich live Bass spielen. Michi von den Sofas wird live Schlagzeug spielen und Timo von den Sofas wird Visuals machen. Insgesamt wird das ein stimmiges Paket. Und auch Bläser werden wir einsetzen.

Bist du eigentlich Analog-Fetischist?
An sich schon, aber das lässt sich nicht konsequent durchziehen. Man kommt nicht umhin, ab und an Simulationen einzusetzen, weil man es sich anders einfach nicht leisten kann. Sinn und Zweck ist aber dann, auch digitale Dinge so klingen zu lassen, als wären sie analog, was enorm viel Arbeit bedeutet. Dass man im positiven Sinn so tut als ob, war auch immer Kern der Arbeit mit den Sofa Surfers.

Warum analog? Wegen der Wärme?
Ja, ich steh auch nicht auf ganz digital produzierte Musik. Ich mag die Verbindung gerne, aber wenn es ganz elektronisch wird, muss ich meistens passen. Es gibt sicher auch Beispiele, wo es tatsächlich elektronischer ist als es mir vorkommt, aber genau darum geht es ja. Um die Illusion.

Als Scott Walker solo anfing, war die Musik, an die er sich anlehnte – verglichen mit dem sonstigen Aufbruch Ende der 60er – fast schon reaktionär. Die alte Form, der progressive Inhalt könnte man sagen. Findest du deine eigene Musik, obwohl sie sich am Song orientiert, dennoch progressiv? Oder würdest du sie eher konservativ sehen?
Der Vergleich ist gut. Die Elemente, die ich größtenteils verwende, sind eher im Davor als im Jetzt angesiedelt, sowohl vom Ansatz her als auch von dem, wo es sich hinentwickelt, insgesamt würde ich sie aber als progressiv einstufen. Aber alles in allem das sind eher ästhetische Entscheidungen. Man will einen bestimmten Klang und deshalb setzt man ihn. Und ich kippe nun mal mehr in den Sound der 70er als den der 80er.

Und was hast du in den 80ern gehört?

Ozzy Osbourne, AC DC und Metal.

Tatsächlich?
Ja, ich war Metal-Head. Vor allem auf die New Wave of British Metal bin ich abgefahren. Aber das kommt dann vielleicht beim nächsten Projekt durch.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

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