DIE BUBEN IM PELZ veröffentlichen ihr drittes Album. Auf „Geisterbahn“ klappen sechs Bio-Österreicher den Laptop zu und lassen die Gitarren auf Schritthöhe baumeln – um die Geister der Vergangenheit im Gegenwartsschock der analogen Schrammelei zu befreien und am künstlerischen Glied zu hobeln. Schließlich haben sich die Büblein zu einer Lederjacken-Gang entwickelt. Außerdem greift man zur Partitur, statt sich am Softdrink-Kühlschrank zu vergehen. Mehr Deutlichkeit sei angesagt. Zwischen VHS-Kassetten und Kodachrome-Abzügen beerdigt man die Partisanen-Flagge, jagt das Internet zum Teufel und stirbt am Strand. Man merkt: Zum Blumenpflücken im Prater haben sich DIE BUBEN IM PELZ nicht verabredet. Was eine sechsköpfige Rockband im Jahr 2021 zu suchen hat, warum man bald wieder Mannerschnitten im Publikum verteilen will und wann der Ernst des Lebens tatsächlich beginnt, haben zwei der Buben, DAVID PFISTER und BERND SUPPER, im Gespräch mit Christoph Benkeser erklärt.
Das neue Album heißt »Geisterbahn«. Fürchten muss man sich beim Hören aber nicht.
David Pfister: Das ist interessant. Es gab ein drohendes Gefühl des baldigen Kollaps, das uns während des Albumprozesses die ganze Zeit umspielt hat. Aber das war nicht traurig, im Gegenteil: Es entwickelte sich als humorvolle Sache.
Bernd Supper: Dass die Platte später erscheint als ursprünglich geplant, ist gleichzeitig Pech und Glück. Durch die Distanz – das Album ist doch einige Zeit gelegen – empfindet man einige Dinge als verblüffend. Die Troll-Aktion von Christian in dem Song „Gott Straft Das Internet“ war damals schon aktuell. Inzwischen steht der Song aber in einer ganz anderen Dimension.
Der Kontext des Kollaps hat sich verschoben.
David Pfister: Total! Wir nahmen das Album kurz vor der letzten US-Wahl auf. Alle befürchteten das Schlimmste. Dann kam ein anderer Kollaps.
Bernd Supper: Wäre das Album vor einem Jahr erschienen, hätte man ein Lied unmöglich „Fieber“ taufen können. Das wäre ja geschmacklos gewesen!
Es hätte was Zynisches …
Bernd Supper: Dadurch, dass der Text schon früher entstand, hat er sogar dazugewonnen. Trotzdem überzieht das Album eine eigenartige Dynamik des Kulissenhaften, die natürlich der Situation geschuldet ist.
Meine erste Assoziation der „Geisterbahn“ hat sich schnell in einen Schock umgewandelt: Die Geister der Vergangenheit suchen die Gegenwart noch immer heim.
David Pfister: Wie meinst du das?
Die Gitarre hängt im Schritt, das Analoge schnallt man sich auf die Brust …
David Pfister: Ist es wirklich so Monster-Magnet-artig?
Na ja, ich meine weniger den Hard Rock der Vergangenheit als die Vorstellung von Rock der Vergangenheit.
David Pfister: Du hast schon Recht. Wir machen damit das Gegenteil davon, was ökonomisch klug ist und ästhetisch gefragt wäre. Eine sechsköpfige Rockband zu formieren ist schon …
Fast ein anachronistischer Akt?
David Pfister: Das stimmt! Nachdem unser Schlagzeuger, Ralph Wakolbinger, nach der letzten Platte bei den Buben ausstieg, kam nicht nur ein neuer, sondern auch Bernd am Keyboard dazu. Auf einmal hatten wir eine riesige Band von Prog-Rock-Größen! Das Projekt war davor schon künstlerische Masturbation ohne großes kommerzielles Interesse. Für „Geisterbahn“ wollten wir über die Stränge schlagen.
„EIGENTLICH SIND WIR DOCH EINE PROG-ROCK-BAND.“
Fünf auf der nach oben offenen Richterskala, quasi.
David Pfister: Keine Gefangenen mehr!
Bernd Supper: Wobei das ein Prozess war. Als ich dazukam, gab es ein Repertoire an Songs und viele Konzerte. In die Band gefunden habe ich über das Live-Spielen und weniger übers Lieder-Schreiben. Dadurch haben wir uns schnell gut kennengelernt. Aus diesem zusammengewürfelten Haufen aus Session-Musikern entstand auf der Bühne eine Band, die wir alle weiterführen wollten – auch mit gemeinsamen Liedern.
David Pfister: Ja, es ist eine völlig neue Band. Bei der ersten Platte bestanden die Buben nur aus Christian [Fuchs, Anm.] und mir sowie vielen Freunden. Inzwischen haben wir eine richtige Rockband! Was auf der ersten oder zweiten Platte am Computer entstand, passiert jetzt live, am Instrument, in der Band.
Das hört man auch.
David Pfister: Christian hat gesagt, dass er so eine Platte zuletzt vor 20 Jahren mit seiner Hardcore-Band aufgenommen habe. Das unterschreibe ich sofort. Es hat Spaß gemacht, Rockmusik ohne Plug-Ins zu machen!
Bernd Supper: Der Einzige, der bei uns Noten lesen kann, ist Gernot [Scheithauer, Anm.].
David Pfister: Der klassische Kompositionslehrer!
Bernd Supper: Er gab uns das Tool mit, die Platte logistisch umzusetzen, ohne dass sie im Prozess sechser Musiker komplett zerfranst.
Was die naheliegende Gefahr von so einem stilistischen Rückgriff wäre, oder?
Bernd Supper: Absolut! Deshalb hat Gernot Partituren geschrieben.
David Pfister: Wir kamen in Berlin an und jeder bekam eine Partitur, wie er zu spielen hatte! Eigentlich sind wir doch eine Prog-Rock-Band!
Bernd Supper: Gernot formte dadurch die Songs. Vor allem kümmerte er sich als Schlagzeuger darum, wie schnell die Stücke zu sein haben. Teilweise mussten wir ihn sogar bremsen, weil er so viele Ideen mit einbrachte. Die Platte gewinnt aber gerade deshalb, weil sich jeder im richtigen Moment zurücknimmt und niemand auf ein Solo besteht.
David Pfister: Ja, ich spiel zum Beispiel gar kein Instrument mehr. Gleichzeitig konnten sich alle frei austoben.
Bei dir geht es mittlerweile um die stimmliche Masturbation.
David Pfister: Die Aura der Platte entsteht ohnehin in der Gruppe. Das Aufnehmen ist zwar oft mühselig, aber der kleinste Teil im gemeinsamen Entwerfen der ästhetischen Idee.
Schon interessant, dass sich das im Bandgefüge ergibt. Damit stemmt ihr euch gegen die aktuelle Konvention.
David Pfister: Allein schon aus ökonomischen Gründen packen alle nur noch ihre Laptops ein und treten als Duo auf. Der Dreampop-Zeitgeist hat finanzielle Gründe. Als sechsköpfige Band eine Tour zu planen … das könnt’ schwierig werden.
Das fängt beim Platzproblem im VW-Bus an.
David Pfister: Ja, da fällt mir eine Doku über Lou Reed ein. Er sagt: „Warum verstehen Musiker die Welt der Obdachlosen und sozialer Randgruppen so gut? Weil sie sehr viel Zeit auf Tour unter ähnlichen Umständen leben“.
Dass du Lou Reed zitierst, passt zu meiner Annahme: Der Blick geht bei den Buben eher in die Vergangenheit als in die Zukunft, oder?
David Pfister: Naja, da ich meine Miete woanders verdiene, habe ich genug mit dem tagesaktuellen Popgeschäft zu tun …
Bernd Supper: Ein schöner Satz!
David Pfister: Im Ernst: Aktuelle alternative Popmusik finde ich zu einem großen Teil wirklich uninspiriert und fad! Aus der Indie-Szene höre ich kaum politische oder soziale Stellungnahmen. Immerhin gibt es den Kampf um Gender-Gerechtigkeiten und das ist ein hehres Anliegen. Aber angesichts der momentanen Bedrohungen finde ich es nahezu obszön, dass sich die junge Szene nahezu gar nicht zu politischen oder sozialen Themen äußert
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Es schwingt allerhöchstens mit und wird nicht frontal adressiert.
David Pfister: Direkt … das entspricht nicht dem ästhetischen Zeitgeist.
Und der Klimawandel als Thema ist nicht sexy genug, um ihn in einen Zwei-Minuten-30-Song zu reimen.
David Pfister: Dabei brennt die Kirche. Wenn man da nur über Softdrinks singt, wird es schwierig. Ein bisschen mehr Deutlichkeit wäre angebracht.
Bernd Supper: Wobei sich das doch schon seit 20 Jahre abzeichnet. Die Musik ging immer mehr in Richtung Lounge. Außerdem identifizierte man sich nicht mehr so stark über die Musik. Wenn man früher seine CDs beim Libro kaufte, war man in der Indie-Szene unten durch.
Die Diskussion um Musik als Distinktionsmittel machen wir jetzt nicht auf. Trotzdem hast du Recht: Musik wird immer mehr zur akustischen Wandtapete, die den Raum zwar beschallt, aber immer nur mitschwingt.
David Pfister: Deshalb stimmt es eh, wenn du sagst, dass wir eher zurück als nach vorne blicken. Auf Tour hören wir nur Rolling Stones-Sachen.
Bernd Supper: Verteilen aber Mannerschnitten im Publikum!
Was?
Bernd Supper: Unser Proberaum ist vis-à-vis der Manner-Fabrik. David kauft da fleißig die Bruchware ein.
Und ihr vertickts eure politische Message bei Konzerten mit Schokolade.
Bernd Supper: Na, wir müssen schon dazusagen, dass wir keine Rage Against The Machine sind! Aber wir bieten eine Reibfläche. Das läuft gegen die Konvention – weil ich glaube, dass diese Suche nach Feel-Good-Sounds der aktuellen Situation einer Krise geschuldet ist.
David Pfister: Der Rückzug in ein neues Biedermeier hat sich durch die Pandemie aber nur verstärkt. Die drohenden Katastrophen um Klimakrise und Donald Trump waren da auch nicht besser. So gesehen wird sich diese Platte großartig verkaufen!
Der Punkt mit der Feel-Good-Sache ist interessant. Ich würde weitergehen und sagen, dass der Rückgriff auf das, was man kennt, mit einer Sicherheit einhergeht, die man momentan vermisst.
David Pfister: Oder die Platten erlangen gerade wieder Relevanz. Hörte man in den 90ern Velvet Underground, machte das ideologisch weniger Sinn als heute.
Bernd Supper: Trotzdem gibt es das 80er-Retro-Ding mittlerweile länger als die 80er überhaupt andauerten. Der Rückgriff bezieht sich trotzdem nie auf die inhaltliche Ebene, sondern nur auf die soundästhetische. Klar, die Songs hören sich an wie Joy Division, aber die Texte von damals hat man vergessen. Dadurch verschwindet der Aspekt der Auflehnung.
Statt aufzulehnen, sippt man heute an Softdrinks und betäubt sich mit Chill&Relax-Playlisten.
David Pfister: Das wird sich auch wieder ändern, oder? Sonst wird’s eh bitter.
Trotzdem sucht man die Veränderung aktuell mehr in einer romantisierten Vorstellung der Vergangenheit, die man nie erlebt hat.
David Pfister: Ja und ich hab die 80er schon erlebt, aber sie waren absolut schirch!
Bernd Supper: Das lässt sich mit der ganzen Psych-Stoner-Sache auch auf die 70er übertragen. Man kopiert das ja weiterhin, aber vergisst die Aussage. Die Band Algiers ist eine der wenigen, bei der man eine politische Attitüde spürt. Das kann man mögen oder nicht. Aber sie ist da. Und man wird automatisch aus der eigenen Komfortzone geschmissen. Das ist das Gegenteil von Träumen!
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Wobei ihr ja auch mit ästhetischen Keywords der Vergangenheit spielt, die Bilder triggern: Kodachrome, SMS, Nokia …
David Pfister: Das Bewusstsein um die Flucht in die Vergangenheit und die Tragödie, die diese Flucht enthält.
Welche Tragödie ist das?
David Pfister: Die Unfähigkeit, mit Problemen der Gegenwart umzugehen.
Die Flucht in die Vergangenheit ist aber ein aktiver Akt. Die Betäubung in der Gegenwart ist nur passiver Konsum.
David Pfister: Das ist auch gut! Gleichzeitig verklärt man seine Erinnerungen.
Man romantisiert die Geschichte.
David Pfister: Wenn man VHS-Filter über Videos legt, sehnt man sich nach einer Vergangenheit, die es niemals gab. Aber das ist in Ordnung.
Bernd Supper: „Kodachrome“ ist eine Aneinanderreihung analoger Erinnerungen. Da schwingt Melancholie mit. Gleichzeitig aber auch Akzeptanz, dass es jetzt anders ist.
Melancholie schließt für mich den Optimismus aus. Es ist eher eine Grundtraurigkeit.
David Pfister: Der Hintergrund von „Kodachrom“ ist auch traurig. Als der Vater von Christian starb, musste er den Haushalt seiner Eltern auflösen und stolperte über verschiedene Kindheitserinnerungen. Man darf das also nicht nur als Flucht in die Vergangenheit verstehen, sondern auch als Wehmut und Abschied von ihr.
Was lässt sich aus dieser Wehmut mitnehmen?
David Pfister: Wahrscheinlich schöpfen sich daraus transzendente Gefühle, die einem weiterhin helfen, durchs Leben zu taumeln – egal ob man Atheist ist oder nicht.
Da fällt mir ein Satz von der aktuellen Platte ein: „Wir träumen vom Schnee von gestern / schicken uns SMS auf Nokias.“ Da schwingt viel mit.
David Pfister: Dieser Gestus hat uns dazu bewogen, mit Alex Lausch in Wien und Alex Hacke in Berlin aufzunehmen. Letzterer hat mir erzählt, dass sie das momentane Gefühl in der Stadt an das Berlin kurz vor dem Mauerfall erinnere. Er spielte damit auf die drohende Veränderung an, bei der man nicht wusste, ob sie ins Positive oder Negative ausschlägt. Für uns war das ein Grundgefühl, das uns bei dieser Platte umspielte.
„DIE PLATTE WIRD BEDEUTUNGSSCHWANGERER, ALS ICH AM ANFANG GEDÄCHT HÄTTE.“
Das macht die „Geisterbahn“ gewissermaßen zu einer Schwellen-Platte. Man weiß nicht so genau, wo es hingeht.
Bernd Supper: Stimmt, das übernehmen wir jetzt für die Band-Bio!
Für Kohle schreib ich sie euch auch. Aber Spaß beiseite: Die Schwellen-Metapher bedingt ein Davor und Danach. Trotzdem kann man in beide Richtungen blicken.
Bernd Supper: Die Platte wird gerade bedeutungsschwangerer, als ich es mir am Anfang gedacht hätte.
Und ich muss meinen ursprünglichen Gedanken verwerfen. Ich wollte euch eigentlich provozieren, indem ich sage, dass die „Geisterbahn“ eher zum Anfang der Buben zurückschielt. Tatsächlich ist es genau anders!
Bernd Supper: Damit schließt sich auch der Kreis zur Transzendenz, die David angesprochen hat. Es schwingt durchaus eine reinigende Kraft mit, wenn man kurz in die Melancholie der Vergangenheit eintaucht. Allerdings sollte man das nur kurz machen, sonst wird es düster. Mit „Geisterbahn“ schaffen wir das – es ist kein Fass ohne Boden.
Ja, es reißt einen wieder raus.
Bernd Supper: Und in der Kürze des Abtauchens ist es nicht mal gefährlich.
Sondern ein temporärer Bruch, aus dem man etwas mitnehmen kann.
Bernd Supper: Genau, man kommt raus, ist fresh und zieht sich wieder die Spotify-Playlisten rein.
Um sich weiter berieseln zu lassen.
Bernd Supper: Mit Superfly!
Des is eh leiwand. FM4 is nix dagegen.
Bernd Supper: David kann jetzt nur gestikulierend antworten.
Bevor ich den Rahmen zu sehr sprenge, dehne ich lieber noch einmal die Schwellen-Metapher: Die Buben sind aus der Pubertät draußen und gehen jetzt über – ins Erwachsenenleben.
Bernd Supper: Allein schon durch die pandemiebedingte Zwangspause ist diese Schwelle drin, genau. Das ist nichts Schlechtes. Schließlich hab ich den Satz „Der Ernst des Lebens fängt jetzt an“ bisher vier Mal in meinem Leben gehört – in der Volkschule, im Gymnasium, beim Bundesheer und an der Uni. Angefangen hat er aber nie, der Ernst, im Gegenteil: Es mäandert dahin. Von daher ist es wahrscheinlich ganz gut, endlich erwachsen zu werden.
Wobei das ja auch ein Trugschluss ist. Sobald der Ernst des Lebens da ist, normalisiert er sich und man sucht nach dem nächsten Ernst.
Bernd Supper: Wenn man unter Ernst versteht, einfach nur Leistung abzuliefern, kommt die Schulzeit am ehesten an den Ernst des Lebens ran.
Oje.
Bernd Supper: Da hab ich als Ausgleich aber Hardcore gehört.
Bernd Pfister: Ich hab ja eine Bank-Lehre gemacht. Das war der größte Ernst meines Lebens.
Bernd Supper: Schau an, ich war später auch in einer Bank. An meinem letzten Arbeitstag gab ich einen Kassensturz ab, bei dem 30.000 Euro gefehlt haben. In Wahrheit hat’s es gestimmt. Aber im System, da war’s falsch! Am nächsten Tag haben sie mich angerufen und gefragt, ob ich nicht doch länger bei ihnen arbeiten wolle.
Das ist der Ernst des Lebens!
Bernd Supper: Genau, Scheiße bauen und belohnt werden!
Vielen Dank für das Gespräch!
Christoph Benkeser
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