„Jeder Tag ohne Musik an unserer Schule ist ein verlorener Tag“

musikschule_feldkirchIn den vergangenen Jahren etablierte die MUSIKSCHULE FELDKIRCH eine beispielgebende Zusammenarbeit mit der VOLKSSCHULE OBERAU in Feldkirch/Gisingen. Die Initiatoren sind die inspirierte Volkschuldirektorin CHRISTA LISSY-RAUCH und der engagierte Musikschuldirektor NIKOLAUS NETZER.

Die Volksschule Oberau ist eine sogenannte „soziale Brennpunktschule“. In einigen Klassen stammen etwa zwei Drittel der Kinder aus Migrationsfamilien. Vor vier Jahren beantragte Christa Lissy-Rauch für ihre Volksschule Ganztagsklassen. Und weil sie in diversen Projekten bereits hervorragende Erfahrungen mit musikalischen Kooperationen gesammelt hatte, fragte sie Nikolaus Netzer nach möglichen Formen des Zusammenwirkens. Gemeinsam erarbeiteten die beiden ein Kooperationsmodell für den verschränkten Unterricht in den Ganztagsklassen der Volksschule.

Einen niederschwelligen Einstieg bieten

Das Konzept beinhaltet unter anderem die Idee, dass MusikschullehrerInnen bereits am Vormittag an der Schule in Oberau Instrumentalunterricht erteilen. Trotz etlicher bürokratischer Hürden konnte das Projekt schließlich erfolgreich gestartet werden.

In der Zwischenzeit konnte die Zusammenarbeit auf alle vier Ganztagsklassen ausgedehnt werden. „Und nach dieser vierjährigen Erprobungsphase können wir sagen, dass es bestens funktioniert“, berichtet Nikolaus Netzer. „Wir bieten in allen Klassen musikalische Früherziehung an. Zum ersten Mal sind in diesem Schuljahr Lehrkräfte mit EMP-Ausbildung [Ausbildung in ‚Elementarer Musikpädagogik‘; Anm.] auch als Klassenlehrkräfte im Einsatz. So haben wir einen niederschwelligen Einstieg in die Musikschule. Es ist wichtig, diesen zu halten, denn gerade die sozial schwachen Schichten müssen ein Recht auf musikalische Bildung haben“, ist Nikolaus Netzer überzeugt. „Mittlerweile unterrichten wir zudem die Instrumentalfächer Trompete, Gitarre, Fagott, Querflöte, Cello und Klavier. Eine Kooperation mit einer Chorgemeinschaft ermöglicht es, den Proberaum mitsamt dem sich dort befindenden Flügel zu nutzen.“

Neben einem breiten musikalischen Fächerangebot bietet die Musikschule Feldkirch auch Kunsterziehung und eine Kreativwerkstatt mit Theater an. Eine wichtige Persönlichkeit in diesem Bereich ist die bildende Künstlerin May-Britt Nyberg-Chromy, die schon öfter mit Kindern der Volksschule Oberau gearbeitet hat.

Erfolge auf allen Ebenen

„Derartige Kooperationen stehen und fallen mit den handelnden Personen“, betont Nikolaus Netzer. Im Rahmen einer Vorspielstunde haben SchülerInnen für SchülerInnen musiziert. Darüber hinaus berichtet die Direktorin von positiven Erlebnissen mit „schwierigen“ SchülerInnen, die sich durch das Musizieren während des Schulalltags zum Positiven entwickeln konnten.

Handlungsbedarf

Doch bei aller Euphorie spricht Nikolaus Netzer auch das in Vorarlberg nicht vorhandene Öffentlichkeitsrecht an: „Seit eineinhalb Jahren bin ich mit dem Thema Öffentlichkeitsrecht und Verschränkung Ganztagsschule beschäftigt. Ich strebe das Öffentlichkeitsrecht in Vorarlberg für Musikschulen an, weil nur damit die gegenseitige Anrechenbarkeit zukünftig gegeben sein wird, eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe, davon bin ich überzeugt, ist durch die Zuerkennung des Öffentlichkeitsrechts leichter möglich. Ich halte es für einen ersten wichtigen Schritt in die richtige Richtung.“ Für die Musikschulen sieht er dringenden Handlungsbedarf: „Wenn wir diese Chance nicht ergreifen – das schätze ich ganz realistisch ein –, dann wird es in einigen Jahren keine Musikschulen mehr geben. Nicht weil wir nicht mehr benötigt werden, sondern weil wir ganz einfach nicht mehr an die Kinder rankommen. Für mich muss die Möglichkeit auf musische Bildung voll erhalten bleiben. Das wird aber nicht gehen, wenn wir nicht Teil der Pflichtschullandschaft werden. In welcher Form, diese Diskussion müssen wir gemeinsam führen. Viele Formen sind möglich, die ideale gilt es zu finden. Das ist der springende Punkt.“

Ein klares politisches Bekenntnis

In dieser Diskussion spiegelt sich auch die seitens der Politik getätigte Zuordnung des Musikschulunterrichts zur Freizeitaktivität und nicht zur Bildung wider. Wenn in Arbeitsgruppen über Ganztagsschule und externe Angebote debattiert wird, „rangieren wir auf der Höhe der Sportvereine“, reklamiert Nikolaus Netzer. „Bei allem gebotenen Respekt, ich schätze die Arbeit der Sportvereine – auch mein Sohn macht Skispringen und nicht Musik –, aber wir sind Lehrerinnen und Lehrer mit einem Universitätsstudium, mit einem Lehramtsstudium und werden allzu oft mit engagierten Hobbysportlerinnen und -sportlern verglichen.“ Deshalb fordert der Musikschuldirektor auch ein klares politisches Bekenntnis ein. „Wenn wir Musikschulen schon in der Wissenschaftsabteilung des Landes angesiedelt sind, dann haben wir doch ein Recht auf musikalische Bildung.“

Es gibt noch viel zu tun.

Silvia Thurner

Die Diskussions-, Vortrags- und Artikelreihe mica focus wird unterstützt durch die Abteilung für Wissenschafts- und Forschungsförderung der MA7 Wien.