„Jeder muss sich ausklinken können“ – GÜNTHER PAULITSCH (GOOD WILSON) im mica-Interview

GOOD WILSON spielen wunderbar verträumten Gitarren-Pop, den sie selbst scherzhaft „Sky-Gaze“ nennen. Das Gegenteil vom bekannten Shoegaze also: Man starrt nicht auf die am Boden herumstehenden Effektgeräte, sondern in das unendliche Blau des Himmels, um sich in ihm zu verlieren. Mastermind GÜNTHER PAULITSCH, den man als Drummer von Bands wie MYNTH, POLKOV und MARTA kennt, erklärte im Interview mit Markus Deisenberger, wie Entschleunigung und „Slacker-Vibe“ zusammenpassen und warum es der Eskapismus ist, der die Band zusammenhält.

Stell dir vor, es ist Album-Release und alle feiern allein zu Hause und prosten einander per Videokonferenz zu. Klingt unvorstellbar, ist aber tragischerweise in eurem Falle so. Das Album ist fertig und die gesamte Tour kann wegen der Corona-Krise nicht stattfinden. Da gehört eine Menge Galgenhumor dazu. Oder nehmt ihr es locker?

Günther Paulitsch: Es ist natürlich schon ein Downer, dass alle Konzerte und die Tour abgesagt wurden, weil wir uns darauf vorbereitet und uns auch riesig gefreut haben. Ein Album ist einfach echt viel Arbeit, und die Tour ist dazu da, das Album entsprechend zu promoten. Aber es hilft eh nichts, man muss jetzt das Beste daraus machen. Wie immer muss man das große Ganze im Hinterkopf behalten.

Das Beste und das große Ganze – wie sehen die genau aus?

Günther Paulitsch: Das Beste ist, sich so wenig wie möglich zu treffen und, wie schon oft gehört, die sozialen Kontakte zu reduzieren und zu schauen, dass das Ganze so schnell wie möglich wieder in den Normalzustand zurückkehrt. So wie vorher wird es vielleicht nie mehr werden, aber vielleicht zumindest so, dass wir wieder normal rausgehen können. Das wäre wünschenswert.

Und das große Ganze? Gibt es, was die Band anbelangt, einen Plan B?

Günther Paulitsch: Das Wien-Konzert, wo wir im Rahmen von Sinnesrauschen gespielt hätten, wurde einfach ein Jahr verschoben. Mal sehen, wie es mit den anderen Terminen läuft. Wir haben geplant, alle Konzerte nachzuholen. Aktuell hätten wir in Graz eine Radio-Live-Session gehabt, was ganz gut gepasst hätte. Ohne großes Publikum. Aber man sollte sich halt gar nicht sehen und auch nicht extra dafür nach Graz fahren. Also haben wir auch das absagen müssen. Das holen wir nach. Die Tour in Deutschland, die wir gemeinsam mit Tequist gespielt hätten, holen wir auch nach. Geplant ist das für Herbst, aber ob und wie es dann stattfindet, ist noch nicht fix. Denn wenn alle ihre Tour im Herbst nachholen, wird es Tage geben, an denen zehn Konzerte und mehr stattfinden, was unterm Strich auch nicht sinnvoll sein kann.

Eure Band besteht unter anderem aus Mitgliedern anderer großartiger Bands wie Mynth, Polkov und Shaun Berkovits. In Good Wilson habt ihr euch als Vierer 2019 formiert. Wie habt ihr euch gefunden? Die Legende sagt, es war im Backstage-Bereich des Rockhouse Salzburg. Stimmt das?

Günther Paulitsch: Das stimmt, ja, aber wir kannten uns natürlich schon vorher. Ich habe vorher bei Mynth Schlagzeug gespielt, Julian [Pieber; Anm.]und Alex [Connaughton; Anm.] kenne ich vom Vorgängerprojekt, das LILI the band hieß, was sich als nicht gerade sinnvoll herausstellte, weil es hunderttausend andere Acts gab, die auch Lili hießen. Wir waren im Netz quasi nicht auffindbar. Wir wollten einen Neustart versuchen und haben dafür einen Bassisten gesucht. Da ich wusste, dass Mario [Fartcaek, Anm.] ein leidenschaftlicher Gitarrist und Bassist ist …

Wozu er aus seiner Sicht wahrscheinlich zu wenig kommt, weil er bei Mynth viel mit dem Bedienen von Synths beschäftigt ist.

Günther Paulitsch: Genau. Deshalb habe ich ihn im Rockhouse gefragt, ob es ihn freuen würde. Ja, er war dabei, und so hatten wir die Band vollständig.

Danach ging es offenbar schnell: Einige Videos und einige Singles gibt es schon, jetzt das Album. Wofür andere Jahre brauchen, habt ihr in relativ kurzer Zeit bewerkstelligt. Es ging offenbar Schlag auf Schlag, oder?

Günther Paulitsch: Einerseits hatten wir natürlich schon einige Nummern, aber die mussten erst umgeschrieben werden. Was entscheidend war, glaube ich, war, dass es nicht so viel Zeit brauchte, bis wir uns zusammenspielten. Wir kannten einander schon gut und haben gleich mal einen Plan für ein Album gemacht. Ich wollte ja schon lang ein Album aufnehmen.

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„Dieses Intro lädt in eine Parallelwelt ein. Es lädt dazu ein, sich fallenzulassen, sich auf etwas einzulassen.“

Gehen wir zum Album. Ich habe schon lange kein so schönes Intro mehr gehört. Kommerziell hätte euch wohl jeder Plattenboss eines großen Labels davon abgeraten, weil man ja mit dem Hit oder zumindest dem erfolgversprechendsten Titel anfängt. Dennoch habt ihr euch für dieses Intro und somit für einen sehr elegischen Auftakt entschieden. Geschah das zufällig oder als bewusstes Zeichen dafür, dass es hier um Entschleunigung geht?

Günther Paulitsch: Letzteres. Mir war das ein großes Anliegen. Dieses Intro lädt in eine Parallelwelt ein. Es lädt dazu ein, sich fallenzulassen, sich auf etwas einzulassen. Eine Reise etwa. Ja, es lädt einen dazu ein, sich auf etwas wie eine Reise einzulassen. Klingt vielleicht hochtrabend, aber es ist so. Es soll ausladend sein, zeigen, dass wir ein wenig weiter ausholen, zugleich aber einladen. Hoffentlich ist es nicht irreführend.

„Jeder von uns soll sich in dem, was wie hier tun, verlieren können.“

Keineswegs. Gehen wir zur Musik: Jemand, der wie ich in den 1980ern aufgewachsen ist, würde sagen: zeitloser Gitarren-Pop im besten Sinne. Ihr nennt es aber „Sky Gaze“. Das ist erläuterungsbedürftig, denke ich. Was genau versteht ihr darunter?

Günther Paulitsch: Puh. Das war anfangs eher als Wortwitz gedacht, den wir parallel zum Shoegaze-Begriff erfanden, um das andere Vertiefte, Verträumte zum Ausdruck zu bringen. Als Pendant zum Shoegaze sollte es dem Wunsch Ausdruck verleihen, sich im Himmel, in seiner Unendlichkeit zu verlieren. Und zugleich sollte es diesen „Slacker-Vibe“ transportieren. Darum ging es uns. Das ist vielleicht ein wenig theatralisch ausgedrückt, und anfangs fanden wir das einfach nur lustig, aber irgendwie passt es ganz gut zu unser aller Ansatz: Uns geht es primär um den Spaß an der Musik. Jeder von uns soll sich in dem, was wie hier tun, verlieren können. Jeder soll sich selbst und das ganze Drumherum nicht so todernst nehmen. Nicht falsch verstehen: Natürlich nimmt es jeder ernst, aber trotz allem darf man auch nicht die Selbstironie verlieren. Das ist ungemein wichtig.

Das könnte man jetzt tatsächlich missverstehen, denn „etwas nicht so ernst nehmen“ klingt ein wenig nach Amateurstatus. Dem steht – jetzt einmal ganz abgesehen von der Qualität der Musik an sich – die Professionalität der Produktion entgegen. Der Sound des Albums, das hat mich besonders fasziniert, braucht keinen Vergleich zu scheuen. Der hält mühelos mit internationalen Spitzenproduktionen mit. Das kommt sowohl auf der heimischen Anlage als auch über Kopfhörer gleichermaßen ausgewogen wie fett rüber. Wer ist dafür verantwortlich?

Günther Paulitsch: Ich selbst bin sehr viel gesessen, habe mir viel überlegt, auch gemeinsam mit meinen Bandkollegen Alexander Connaughton, Julian Pieber und Mario Fartacek. Aufgenommen haben wir selber oder beim Mario, der ein Studio zu Hause hat. Zu Ende gemischt haben wir die tracks dann gemeinsam mit Alexander Lausch der unseren Sound sofort verstanden hat.

Dieses Träumerische des Klangbilds hat mich streckenweise an die Band Real Estate erinnert. Ist dir die ein Begriff?

Günther Paulitsch: Klar. Das ist eine meiner absoluten Lieblingsbands.

Und waren sie von der Stimmung her ein Vorbild?

Günther Paulitsch: Ja, schon, die haben mein Soundbild sicher nachhaltig geprägt. Ich habe die Musik über die Jahre einfach viel gehört. Jetzt gerade haben sie ein neues Album am Start, das ich aber noch nicht gehört habe. Bewusst darauf angelegt, gleich oder ähnlich zu klingen, haben wir es sicher nicht, aber das ist schon eine Band, die ich immer mitverfolgt habe. Wie alles andere, womit man sich beschäftigt, hatte das sicher auch einen Einfluss.

Wie seid ihr in dieser affenartigen Geschwindigkeit zu dem homogenen Sound gekommen, der euch heute ausmacht?

Günther Paulitsch: Das war schon ein Entwicklungsprozess. Wir haben das Album gestaffelt aufgenommen. Aber der Reihe nach: Zuerst haben wir uns mal einen Plan gemacht, wie wann was zu geschehen hat. Dann haben wir uns im Salzburger Rockhouse getroffen, haben dort im Seminarraum ein kleines Studio aufgebaut und live ein paar Takes aller Songs eingespielt. Es ist dann aber nicht alles so verwendet worden, wie wir es vorhatten, weil man natürlich immer auf Dinge draufkommt, die man noch besser machen kann. Da und dort.

Das heißt, der ursprüngliche Plan war, das ganze Album live einzuspielen?

Bild Good Wilson
Good Wilson (c) Yavuz Odabas

Günther Paulitsch: Ursprünglich schon, ja. Wir haben es so angelegt, es mal live einzuspielen, hatten aber auch im Hinterkopf, dass einiges noch nicht ganz fertig geschrieben ist und es schon noch das eine oder andere Overdub geben wird müssen, wenn es von der Idee her konkreter wird. Aber zumindest die Drums wollten wir so verwenden, wie sie eingespielt wurden. Im Endeffekt war es aber so, dass wir selbst die Drums neu aufgenommen haben, weil sich, je mehr wir geprobt haben, auch unsere Soundvorstellungen änderten. Das war ein Prozess. Dass man sich als Band findet, den gemeinsamen Nenner definiert, geht nicht von heute und morgen.

Aber ihr habt es geschafft.

Günther Paulitsch: Es gibt Songs, da haben wir drei bis vier völlig unterschiedliche Versionen ausproduziert. Sich auf die stimmigste Version zu einigen, wurde zu einer Mammutaufgabe. Es war sicher nicht immer einfach, aber wir haben uns ganz gut gefunden.

Der gemeinsame Nenner, den du angesprochen hast, hat der auch mit diesem kontemplativen Element, dem Eskapismus zu tun? Das heißt, eine Musik zu machen, die das Ausklinken aus dem Alltag, das Abdriften in eine Parallelwelt begünstigt?

Günther Paulitsch: Ich glaube schon. Das geht zwar ganz stark von mir aus, weil ich die Songs zu Hause schreibe und vorproduziere, aber das wird von den anderen ganz stark mitgetragen. Jeder muss sich ausklinken können.

War es von Anfang an klar, dass ihr auf „Assim Records“ veröffentlichen werdet?

Günther Paulitsch: Das war klar, ja. Ziemlich zeitgleich wurde „Assim Records“ gegründet. Mario [Fartacek; Anm.] hatte die Idee zu diesem Label und ich habe das über die Freundschaft mit ihm von Anfang an mitbekommen. Sein Plan war es, ein Label zu betreiben, das in weiterer Folge eine Art Kollektiv, eine Plattform für leidenschaftliche Musikerinnen und Musiker sein soll, die sich untereinander austauschen. Dass man Kreativen eine Plattform gibt, um direkt zu releasen. Mynth, die vorher woanders waren, kamen zu „Assim“.

Und die Steaming Satellites. Seid ihr im Austausch?

Günther Paulitsch: Mario als Labelchef schon, wir nicht wirklich. Wir kennen sie, klar, aber Austausch gibt es bis dato keinen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Wie kam es zum Bandnamen? Hat der etwas mit Brian Wilson zu tun?

Günther Paulitsch: Nein, auch der Name kam eher zufällig. Wir waren auf der Suche nach einem guten Namen. Das hat ziemlich lange gedauert, bis jeder zufrieden war. Da hat jeder seine eigenen Vorstellungen. Good Wilson war der erste Name, bei dem jeder gesagt hat: „Okay, cool.“ Also der, mit dem jeder in der Band leben konnte. Aber es ist nicht als Hommage gedacht. Musikalisch hat ja auch jeder eigene Vorstellungen.

„Der Input eines jeden fließt in den Prozess mit ein. Das ist die Banddynamik.“

Eine Band zu gründen, einen Genre-Überbegriff wie „Sky-Gaze“ zu erfinden und sich einen Bandnamen zu geben, mit dem alle einverstanden sind, damit ist es ja nicht getan. Wie schwer oder leicht war es, musikalisch zusammenzufinden? Wie entstanden die Songs?

Günther Paulitsch: Wohin es gehen sollte, war nie das Thema. Da haben wir uns glücklicherweise von Anfang an blind verstanden, weil wir alle gut befreundet waren und sind. Entstehen tun die Songs so: Ich nehme Demos auf und schreibe die Songs zu Hause und bringe sie schon in einem relativ fertigen Zustand in den Proberaum, wo wir dann gemeinsam daran weiterarbeiten. Jeder gibt dann sein Etwas dazu, man arrangiert gegebenenfalls gemeinsam weiter. Und es hat anscheinend den Geschmack von allen getroffen. Grobe Meinungsverschiedenheiten gab es nicht. Das verlief sehr harmonisch. Der Input eines jeden fließt in den Prozess mit ein. Das ist die Banddynamik.

Eines ist mir als Saxofon spielendem Menschen noch aufgefallen. Ein wunderbares Saxofon nämlich, an gleich mehreren Stellen. Das wäre nicht weiter ungewöhnlich, ist es aber dann doch, weil es ganz ohne das manchmal Anbiedernde, das dem Saxofonspiel, wenn es im Pop erfolgreich sein will, oft anhaftet, auskommt. Das Sax wird sehr jazzig gespielt wird, was ich ganz wunderbar finde und was einen schönen Kontrast zum poppigen Sound liefert. Wer hat die schönen Töne geblasen?

Günther Paulitsch: Das Saxofon hat Nikolaus Holler eingespielt, ein ehemaliger Studienkollege und Bandkollege in einigen Jazz-Projekten. Er macht in Wien an der Uni gerade seinen Master, und spielt wie gesagt in einigen Projekten mit mir gemeinsam. Das hat sich super so ergeben. Genau das aber, was du sagst, die Spannung zwischen dem jazzigen Sax und dem Bandsound, hat es für uns auch ausgemacht.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Markus Deisenberger

Links:
Good Wilson
Assim Records