Das experimentelle Wiener Rock-Quartett TENTA oszilliert zwischen den Sounds der 70er und der aktuellen Betrachtung moderner Gesellschaften. Mit dem zweiten Album „W.E.I.R.D. Subtopia“ gelingt ein großer Schritt in Richtung Festigung des ureigenen Bandsounds. Über ausufernder und aneckender Instrumentalarbeit thront ein zugänglicher Geschichtenerzähler. Im Gespräch mit Sebastian J. Götzendorfer sinnierten SIMON REIF (Schlagzeug) und NICOLAS FISCHER (Bass) über Banddynamiken, Improvisation als Stilmittel, Utopien und die Aussagekraft der Hirnforschung.
Ihr Stil wird mitunter als Art-Rock gehandelt. Wie sind Sie zu diesem Genre gekommen?
Simon Reif: Das hat sich einfach so in einem gemeinsamen Prozess entwickelt.
Nicolas Fischer: Als die Band gegründet wurde, haben wir uns drei Jahre lang im Proberaum verschanzt und oft tagelang gejammt. Es war also ein langer Prozess, bis wir gesagt haben: „Das formt sich zu einem Sound, der als rote Linie funktioniert.“
Simon Reif: Da geht es auch darum, dass jedes Mitglied seinen Platz im Sound findet.
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Der Sound erinnert des Öfteren an Psychedelic und Progressive Rock aus den 70ern – also doch eher verschroben. Empfänglicher wird der Sound durch die Stimme Ihres Sängers Andreas Kinzl. War das eine bewusste Entscheidung?
Nicolas Fischer: Das passiert recht natürlich durch seine Stimme und seinen Ausdruck. Es hat sich gut ergeben, dass es von der instrumentalen Seite her schon schräg ist und auch ausartet – und sich auch vom aktuellen Mainstream unterscheidet –, aber durch die führende Stimme alle schnell etwas mit der Musik anfangen können. Das war aber keine Absicht und er wurde nicht deswegen gecastet [lacht].
Es gibt immer wieder musikalische Projekte, die darauf abzielen, direkt in den Mainstream reinzusteuern. Bei Ihnen hört sich das eben anders an. Steckt da eine gewisse Ideologie dahinter oder spiegeln sich hier einfach die persönlichen Musikgeschmäcker wider?
Simon Reif: Ich finde schon, dass unser Stil die Schnittmenge davon ist, was uns allen vieren gefällt.
Nicolas Fischer: Es geht aber schon auch um den Zugang. Wie hört man gerne Musik? Was beflügelt einen an der Musik? Jede Band hat einen „Sweet Spot“. An dem hört man sich so an, dass es allen in der Band gefällt. Ein wichtiger Punkt ist auch, denke ich, dass es uns auch darum geht, in der Musik etwas über sich selbst zu entdecken. Was hier angesprochen wurde, dass Bands vorher schon wissen, was sie machen wollen … Bei uns passieren oft Dinge, die wir selbst noch überhaupt nicht benennen können und die uns über den Kopf wachsen.
Hört sich nach einer eher organischen Herangehensweise ans Songwriting an. Soweit ich weiß, läuft bei Ihnen auch viel über Improvisation, oder?
Simon Reif: Wir haben das, finde ich, beim neuen Album auf die Spitze getrieben. Zu Beginn haben wir echt nur improvisiert und dann im Nachhinein unsere Parts raustranskribiert.
Nicolas Fischer: Alle Nummern haben dadurch ganz unterschiedliche Strukturen. Es gibt eigentlich nie dieses klassische A-B-A-B-Schema. Man kann mit Aufnahmen von solchen improvisierten Sessions auch sehr unterschiedlich verfahren. Oft bleibt von dem Ganzen nur ein Beat oder eine Gesangslinie übrig, womit dann weitergearbeitet wird. Andererseits werden auch zehnminütige Spannungsbögen reproduziert, die man sonst nie so schreiben würde. Das ist das Schöne daran – dieses Unberechenbare.
Interessant an der Bandkonstellation von Tenta ist auch, dass Sie zwei Bassgitarren verwenden und kein Gitarrist Mitglied der Band ist. Üblicherweise ist es ja eher so, dass Bands keine Bassisten finden, und bei Ihnen sind es gleich zwei. War das ein kreativer Wunsch oder eher eine personelle Notwendigkeit?
Simon Reif: Ursprünglich waren wir als Trio auf der Suche nach einem Gitarristen und haben auch mit einigen gemeinsame Sache gemacht …
Nicolas Fischer: Es war aber dann bald klar, dass es nicht unbedingt auf das vierte Instrument ankommt, sondern vielmehr auf den vierten Menschen. Darauf, was der für einen Charakter hat und wie er die anderen vervollständigen kann. Wenn man bereits drei etwas eigenwillige Charaktere hat, ist das gar nicht so einfach. Wir haben zu dieser Zeit sehr viel gejammt im Proberaum und haben irrsinnig viele Leute eingeladen.
Simon Reif: Es hätte also genauso gut ein zweiter Keyboarder sein können.
Nicolas Fischer: Irgendwann habe ich dann Arthur [Darnhofer-Demár, Anm.] eingeladen und da hat die Chemie so gut gepasst, dass die anderen mit der Idee ankamen, einfach eine Besetzung mit zwei Bassisten umzusetzen.
Simon Reif: Das funktioniert natürlich nur, weil es sich bei beiden nicht unbedingt um die prototypischen Bassisten handelt.
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Wie funktioniert das Bandgefüge genau? Normalerweise hat man in solchen Rock-Konstellationen die Gitarre eher als Melodie-Instrument und den Bass als Rhythmus-Instrument neben dem Schlagzeug. Orientiert sich bei Ihnen dann eher der eine Bassist am anderen?
Nicolas Fischer: Das ist der entscheidende Punkt, der meiner Meinung nach den Sound von Tenta sehr vielseitig macht. Durch die zwei Bassisten ändert sich oft, wer im unteren und wer im oberen Frequenzbereich spielt. Das ändert sich mitunter innerhalb eines Songs. Je nachdem, wer dann was spielt, hört sich der Sound auch sehr unterschiedlich an.
„Im Grunde ist es also eine ‚Subtopie‘ – nur eine Teilmenge.“
Lassen Sie uns konkreter über das neue Album sprechen. Worauf spielt das Akronym im Titel Ihres neuen Albums „W.E.I.R.D. Subtopia“ eigentlich an?
Simon Reif: Na ja, das Wort weird ist natürlich lässig [lacht]. Nein, aber das kommt von einem Buch namens „Homodeus“ von Yuval Noah Harari. Der hat mittlerweile drei Bücher in den Bestsellerlisten. Ich habe das noch davor gelesen. Der redet viel über Hirnforschung und darüber, dass die oft gar nicht so aussagekräftig für die gesamte Bevölkerung ist. Meistens handelt es sich bei den Probandinnen und Probanden um Studierende, sie sind „Western, Educated, Industrialised, Rich, Democratic“. Dafür hat er verwendet er das Akronym „WEIRD“. Des Öfteren redet er dann auch über Utopien. Genauer gesagt, dass unsere Gesellschaft nahe an einer Utopie ist, sofern man außer Acht lässt, dass es auch ganz andere Gesellschaftsschichten insbesondere in ärmeren Ländern gibt. Im Grunde ist es also eine Subtopie – nur eine Teilmenge.
Bei dieser Erklärung liegt der Verdacht auf Gesellschaftskritik oder zumindest -betrachtung nahe. Spiegelt sich das auch in den Themen des Albums wider?
Nicolas Fischer: Ja, auf jeden Fall.
Simon Reif: Den Titel gibt es schon ewig und unser Sänger hat das durchaus in die Lyrics einfließen lassen. Ein Song heißt beispielsweise nicht von ungefähr „Kallipolis“ – eine philosophische Abhandlung über eine utopische Stadt.
Nicolas Fischer: Für mich hat Musizieren sehr viel mit Beobachten zu tun – man saugt auf, was um einen herum passiert. Und da wir in der sogenannten ersten Welt aufgewachsen sind, ist das automatisch unser Hauptbezugspunkt. Man flüchtet ja auch regelmäßig vor allen Dingen in dieser Welt, die man nicht gut findet, und verschwindet ins Unterbewusste. Darum geht es für mich auch bei vielen Nummern.
Was können Sie zum auch recht distinkten Artwork des Albums erzählen?
Simon Reif: Wir waren uns bei der Ausrichtung des Artwork lange nicht einig, bis ich irgendwann Bettina Prieler gefunden habe, von deren Arbeit alle sofort sehr angetan waren. Sie hat de facto sogar sehr viel Input von uns allen über die Thematik des Albums eingeholt. Jeder Einzelne musste einen Aufsatz über seine Assoziationen zu „W.E.I.R.D. Subtopia“ schreiben, welche sie dann in ihr Artwork und ihren skizzenhaften Stil einfließen ließ.
Nicolas Fischer: Die metaphysische Stadt kommt in ihrem Artwork extrem gut rüber. Die innere Stadt in uns mehr oder weniger.
Auf die Gefahr hin, etwas zu überinterpretieren: Diese skizzenhaften Bleistiftzeichnungen passen sehr gut zum auch etwas skizzierenden Sound von Tenta.
Simon Reif: Ja, das finde ich auch [lacht]. War aber ehrlicherweise ein Zufall, da das einfach ihr Stil ist.
Man merkt trotzdem, dass das gesamte Album im Vergleich zum Erstling auf ein neues Professionalitätsniveau gehoben wurde. Angefangen vom Artwork über den Sound bis hin zur Produktion.
Simon Reif: Das Team wächst immer mehr. David Furrer etwa hat dieses Mal nicht nur gemischt, sondern auch produziert. Er war also bereits bei den Proben dabei. Der hatte einen brutalen Einfluss auf das Album.
„Das Team – die TENTA-Familie – muss noch größer werden.“
Wissend, dass Sie sich in einem Nischen-Genre bewegen: Was ist Ihr Plan mit dem Album?
Simon Reif: Das Team wächst immer mehr. Wir haben mittlerweile immer einen eigenen Soundtechniker und einen Lichttechniker dabei bei den Konzerten – mit LED-Stäben und allem Drum und Dran. Das ist alles auch auf die Songs abgestimmt. Vermehrt arbeiten wir jetzt auch mit Booking-Agenturen zusammen, um das Ganze trotz der Nische größer zu machen. Das Team – die Tenta-Familie – muss noch größer werden.
Sie sehen das also bis zu einem gewissen Grad auch als Kollektiv?
Nicolas Fischer: Ja, das trifft es gut.
Simon Reif: Genau. Der Soundtechniker und der Lichttechniker sind sicher erweiterte Teile der Band an sich.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Sebastian J. Götzendorfer
Termine:
23. Februar 2019: Mailand (IT), KM33
25. Februar 2019: St. Moritz (CH), Kempinski
26. Februar 2019: Zürich (CH), Sofar
27. Februar 2019: Salzburg, Shakespeare
1. März 2019: Neusiedl/See, Bergwerk
2. März 2019: Wr. Neustadt, Triebwerk
4. März 2019: Wien, Fluc
21. März 2019: Prag (CZE), Café V lese
22. März 2019: Brno (CZE), Mersey
23. März 2019: Ostrava (CZE), Provoz Hlubina
29. März 2019: Linz, KAPU
30. März 2019: St. Pölten, Freiraum
11. April 2019: Wien, Replugged
12. April 2019: Klagenfurt, Mammut Bar
Links:
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