Alljährlich wählt das Kärntner INTERNATIONALE ZENTRUM ZEITGENÖSSISCHER MUSIK (IZZM) eine oder einen „Composer in Residence“ – für dieses Jahr wurde JEAN-BAPTISTE MARCHAND ausgewählt. Am 26. Jänner 2015 war ein Porträtkonzert des 1978 geborenen und in Wien lebenden Komponisten in Klagenfurt zu hören. Das Konzert des Kärntner Ensembles MUSIKFABRIK SÜD wird am 9. März 2015 in der Ö1-Reihe Zeit-Ton gesendet. Ein Anlass, um den jungen und eher stillen Komponisten in einem mica-Porträt vorzustellen.
Jean-Baptiste Marchand lebte um 1691 und war Lautenist an der königlichen Hofkapelle in Paris. Ob der 1978 ebenfalls in Paris geborene Jean-Baptiste Marchand einer seiner Nachfahren ist? Er weiß es auch nicht. Doch mit einem guten Lautenisten gemein hat der junge Komponist das Gespür für Feinheiten, die Präferenz für genaues Hinhören. Oft zieht er leise Klänge lautem Getöse vor, und schließlich, so Marchand, sei vieles eine Frage der Wahrnehmung. Hört man längere Zeit leise Klänge, so erscheinen auch geringe dynamische Abweichungen und Steigerungen enorm.
Vom Poparrangement zur Komposition für drei Klaviere
Jean-Baptiste Marchand wuchs in Salzburg auf, wo er zunächst Klavierpädagogik studierte. Neben seiner Tätigkeit als Komponist arbeitet er heute gern als Vermittler und Klavierlehrer. Schon als Jugendlicher spielte er viel in Pop- und Rockbands, schrieb Songs und Arrangements. Konzertbesuche waren selbstverständlich. Meist interessierte ihn das klassisch-romantische Repertoire, das ihn auch heute noch sehr am Herzen liegt. Doch eines Tages hörte er Musik von Steve Reich. Die feinen Unterschiede und die steten, langsamen Veränderungen der Motivik faszinierten ihn. Seine erste Komposition für drei Klaviere – abseits der Pop- und Rockstücke – entstand. Aus diesen ersten, quasi autodidaktischen Versuchen entwickelte sich der Wunsch, Komposition zu studieren. Umgesetzt hat er dies schließlich bei Chaya Czernowin und Michael Jarell in Wien.
2005 war er, noch zwischen Salzburg und Wien pendelnd, Mitbegründer des Vereins Klang 21 in Salzburg. Zusammen mit Freunden und Studienkollegen wollte er die eigene Musik zur Aufführung bringen. Unter anderem wurde ein Kurzopernfestival realisiert, bei dem u. a. seine Taschenoper „9+1, un couple=un mort“ uraufgeführt wurde. Der gegenseitige Austausch mit seinen Kollegen, nicht nur Komponierenden und Musikern, sondern auch Autoren und Theaterschaffenden, gab ihm wichtige Impulse. So, wie immer wieder auch einzelne Konzerte den Anstoß gaben, sich intensiver mit speziellen Kompositionstechniken oder einer Klangästhetik, etwa derjenigen Helmut Lachenmanns, auseinanderzusetzen.
Warum? Akribisches Nachdenken und kompositorische Perspektivenwechsel
Zeitgenössische komponierte Musik hört Jean-Baptiste Marchand am liebsten live im Konzert. Zu Hause ist es meist das klassisch-romantische Repertoire, mit dem er sich hörend und auch analysierend beschäftigt. Marchand ist ein ruhiger Mensch. Wohlüberlegt reflektiert er über das Hören von Musik, fragt sich, warum ihm dies oder jenes besonders gut gefällt, was das Faszinierende an einem bestimmten Werk ist, egal ob es von Mozart, Beethoven, Schubert oder aber einem seiner eigenen Zeitgenossen stammt. Und diese Fragen geben wiederum Anregung fürs eigene Komponieren.
Es gibt Stücke von Marchand, denen ein ähnliches Ausgangsmaterial zugrunde liegt, ohne dass er mit Copy & Paste arbeiten würde. Es ist vielmehr das Interesse an einem Klangmaterial, das er aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet, es nach seinen Möglichkeiten und Wirkungen in verschiedenen Kontexten und Instrumentationen abtastet. So arbeitete er etwa in seinem Trio Ein Freund spricht für Flöte, Akkordeon und Violoncello und seinem Streichquartett Mond und Sonne sind kein Paar mit ähnlichen Ausgangsklängen, wobei er in seinem Quartett zusätzlich Kontraste auf ihre Zusammengehörigkeit befragt.
Reichtum durch Minimalismus und: Was ist Volksmusik?
„Miroir I“ ist sein erstes größeres Ensemblestück. Nach vorangegangenen intensiven Instrumentalstudien nahm er sich ein klares, einfaches Material, um damit Möglichkeiten der Kommunikation im Ensemble zu erforschen. Sein neuestes Ensemblewerk „und sie ahnten von der heimat“ ist im Auftrag des IZZM für die Musikfabrik Süd entstanden. In dem Kärntner Ensemble für zeitgenössische Musik wirken neben den üblichen Instrumenten auch Zither, Hackbrett und Akkordeon mit. Marchand wählte einen kompositorischen Ansatz, um nicht nur die spezielle Klanglichkeit dieser Instrumente mit einzubeziehen, sondern auch ihre Geschichte. Doch wie der Titel schon vermuten lässt, ist es eher die Ahnung einer nicht ganz bestimmten musikalischen Heimat oder auch klanglichen Herkunft, die gegen Ende des Stücks schattengleich durchschimmert – die mehr zu ahnen ist und eher neue Fragen aufwirft, als einfache Antworten zu geben.
Dies sind nur ein paar Beispiele aus seinem noch nicht sehr umfangreichen Werkkatalog. Doch Jean-Baptiste Marchand ist kein Vielschreiber. Er ist ein immer wieder Fragender. Und von Zeit zu Zeit nimmt er sich bewusst eine Auszeit von der Musik, um neue schöpferische Energien zu sammeln.
Nina Polaschegg