JAZZWERKSTATT WIEN NEW ENSEMBLE – „Sympathikus – Parasympathikus“

„Sympathikus – Parasympathikus“ (Jazzwerkstatt Records), die eben erschienene neue CD des Jazzwerkstatt Wien New Ensembles, darf einmal mehr als faszinierender Beweis dafür angesehen werden, dass es immer noch möglich ist, neue und innovative musikalische Wege gehen.

Zugegeben, eine leicht bekömmliche Kost ist die CD des Jazzwerkstatt Wien New Ensembles Wien nicht gerade. Eine solche ist aber auch nicht beabsichtigt. Es ist das übergeordnete Thema, das die Richtung vorgibt. Bandleader Daniel Riegler wirft in seinen Kompositionen einen Blick auf die moderne Gesellschaft und findet einen Zustand vor, in dem der Mensch ein ständig getriebener ist. Die Hektik ist längst zur Normalität geworden, das unentwegte Erfüllen und Entsprechen von Erwartungen die Triebfeder allen Handelns. Zeiten der Entspannung gibt es kaum mehr, alleine die Leistung zählt. Riegler weigert sich aber, die entstandene Schieflage unkommentiert hinzunehmen. Er sucht nach einem Lösungsansatz und entdeckt diesen im vegetativen Nervensystem, in dem der Sympathikus, der Arbeitsnerv, und der Parasympathikus, der Ruhenerv, für die notwendige Balance sorgen sollen. Diesen Ausgleich versucht er auch musikalisch zu herzustellen.

Der latent undefinierte Zustand

Das Jazzwerkstatt Wien New Ensemble nimmt die Hörerschaft unter seiner Leitung auf eine herausfordernde musikalische Reise durch verschiedenste emotionale Stimmungsbilder mit, deren farblichen Schattierungen sich vor allem aus dem Spiel mit Gegensätzen herausbilden.  Stilistisch keiner bestimmten Kategorie entsprechend, lösen Riegler und sein Ensemble nahezu alle Grenzen auf und bringen Dinge miteinander in Verbindung, die beim ersten Eindruck noch gar nichts miteinander zu tun haben. Experimenteller und avantgardistischer Jazz trifft auf Neue Musik, Pop, Elektronik und vieles andere. Aber genau dieser latent undefinierte Zustand ist es, der den besonderen Reiz dieser CD ausmacht.

Musikalisch folgt „Sympathikus – Parasympathikus“ einer klaren Linie, wobei diese sich erst mit fortlaufender Dauer klar wird. Vom ersten Ton an regiert zunächst ein hektisches und wirres Treiben, das mehr verstörend wirkt als in irgendeiner Art und Weise entspannend. Rieglers Kompositionen bieten genügend Raum für Improvisationen, den seine KollegInnen Agnes Heginger (Stimme), Sixtus Preis (Elektronik, Glockenspiel), Peter Rom (Gitarren), Clemens Salesny (Sopransaxophon, Klarinetten) und Bernd Satzinger (Bass) auch für sich zu nutzen wissen; dies tun sie aber, ohne dabei über das Ziel hinauszuschießen.

Auf die Hektik folgt die Ruhe

Mit der Zeit dann, etwa ab der Hälfte der CD, fügen sich die verschiedenen Elemente immer mehr zu einem einheitlichen Klang zusammen. Die aufwühlende Unruhe weicht zunehmend einer homogenen und sphärischen Musikalität, die einen spannenden Kontrast zum Ausgangspunkt  darstellt.

Mit „Sympathikus – Parasympathikus“ legt das Jazzwerkstatt Wien New Ensemble auf jeden Fall ein Stück Musik vor, mit dem man sich auseinandersetzen muss, um es in seiner Gesamtheit fassen zu können. Tut man dies aber und lässt sich auf das Dargebotene ein, eröffnet sich einem ein wirklich hochinteressantes Klangspektakel, das auch nach vielen, vielen Durchläufen nichts von seiner Anziehungskraft einbüßt.

Michael Ternai

Jazzwerkstatt Wien New Ensemble © Rania Moslam

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Jazzwerkstatt Wien