Interview mit Danielle de Picciotto und Alexander Hacke

“Jetzt muss man nur noch was daraus machen!” Danielle de Picciotto und Alexander Hacke im Gespräch mit Johannes Luxner über Gruppendynamik , die Wiederbegegnung mit Mozart und die Magie des Theremin.

Im Rahmen von MODERNISTMOZART widmen Sie sich einer Theremin-Performance. Ihre persönliche Sozialisierung mit dem ersten elektronischen Instrument?

Danielle de Picciotto: Meine erste Begegnung mit dem Theremin war dank der Band “Fuzzy Love” Dort begleitete Gordon W. (mit dem ich auch bei “Sanctuary” zusammen auftrete), Songs wie “Lady Marmalade” “Blackhole Sun” und “California Girls” mit einem Instrument von dem ich vorher noch nie gehört hatte und welches so aussah als ob es mittels Magie Töne erzeugen würde. Ich war begeistert. Die Mischung aus Skurrilität, industriellem Design und ungewöhnlichen Klängen finde ich bis heute wunderbar wobei mir die experimentellen Musiker in diesem Bereich am besten gefallen.
Alexander Hacke: Ich beschäftige mich seit meiner Kindheit mit elektronischer Musik und elektronischen Tonerzeugern. Ein Theremin habe ich zum ersten Mal in den Siebzigern im Fernsehen gesehen. Es war wohl Sarah Rockwell, die in scheinbar ekstatischer Verzückung eine Art Tanz vor diesem Gerät mit den zwei Antennen aufführte. Ich war schwer beeindruckt. Vor einigen Jahren hatte ich die Möglichkeit im Rahmen einer Theaterproduktion mit Lydia Kavina zusammen zu arbeiten. Ich bewundere Menschen, die das Theremin virtuos beherrschen.

Ihr künstlerischer Werdegang ist geprägt von unzähligen internationalen und nationalen Kollaborationen. Wie würden Sie diesen Reiz der Gruppendynamik beschreiben. Vor allem in Hinsicht auf MODERNISTMOZART?

Danielle de Picciotto: Reibung durch das Aneinandertreffen unterschiedlicher Kunst/Musikstile fasziniert mich seit Jahren. Ich habe aus diesem Grund unzählige Konzerte und Installationen mit unterschiedlichsten Künstlern organisiert und mitgespielt, um es immer wieder erleben zu können. Die daraus entstehenden Kollaborationen sind unvorhersehbar und inspirierend – ob es eine neue Musikrichtung, neue Freundschaften oder Projekte sind – wenn die Gruppe der Künstler international ist kommen weitere kulturelle Gegensätze dazu die noch vielschichtiger und facettenreicher  sind – wunderschöne Herausforderungen die großen Spaß machen. Das Projekt “Berge des Wahnsinns” bei dem ich zusammen mit Alexander Hacke und den englischen Tiger Lillies die amerikanischen Geschichten von H.P. Lovecraft präsentiere ist ein solches Projekt. Die Ausarbeitung, Vorbereitung und Aufführungen wurden durch die Auseinandersetzung der unterschiedlichen Musikstile, Geschmäcker und kulturellen Hintergründen zu einer faszinierenden Begegnung die bis heute, nach vielen Aufführungen, immer noch großen Spaß macht. Historie und Avantgarde zusammen zu bringen wie bei Modernistmozart ist ein solcher Reibungsversuch den ich gerne mitmache. Da ich mit klassischer Musik aufgewachsen bin, allerdings Mozart schon lange nicht mehr gehört habe ist es wie eine Wiederbegegnung mit einem alten Freund den man aus den Augen verloren hat und neugierig fragt was er denn in der Zwischenzeit gemacht hat.
Alexander Hacke: Ich glaube nicht das meine oder überhaupt eine künstlerische Entwicklung jemals abgeschlossen ist. Das Zusammentreffen mit Anderen birgt meiner Meinung nach das höchste Potenzial einer Entwicklung. Informationen zu erhalten oder in der Lage zu sein, Wissen weiter zu geben bedeutet für mich größten Reichtum.

Sie arbeiten stark interdisziplinär. Wie würden Sie von dieser Warte aus Ihr künstlerisches Selbstverständnis beschreiben?

Danielle de Picciotto: Ich sehe die unterschiedlichen Kunstformen als diverse Techniken um ein ganzes Auszudrücken – mich auf eine Form zu beschränken wäre unmöglich – so als ob ich nur noch Essen und nicht Trinken oder Atmen würde.

Ihr persönlicher Zugang zu Mozart und seiner Musik?

Danielle de Picciotto: Ich habe mit vier Jahren Klavier gelernt und Mozart ziemlich bald gespielt. Vor allem seine Variationen klimperte ich Wochen lang begeistert immer wieder bis mich meine Mutter bat doch mal was anderes zu probieren. Die Phase in der ich Opernsängerin werden wollte und die “Königin der Nacht” unablässig trällerte gefiel wiederum den Nachbarn nicht … Natürlich las ich seine Biographie und besuchte begeistert  alle Filme  – rätsle auch heute noch gerne über seine mysteriösen Verbindungen …
Alexander Hacke: Die Besessenheit, mit der er seine Kunst gelebt hat, fasziniert mich, auch wenn ich als Kind der Punkrockgeneration zunächst nicht nur mit ihm Probleme hatte. Ich war zu sehr mit dem Rebellieren beschäftigt um mich wirklich mit vielen Dingen auseinander zu setzen. Heute sehe ich viele Parallelen und weiß gute Musik der unterschiedlichsten Art zu schätzen.

 

 

Welchen Beitrag kann Mozart im Jahr 2006 für Musik und Gesellschaft leisten – aus der Sicht einer(s) verstärkt in der Avantgarde verhafteten Künstlers/in?

Danielle de Picciotto: Ich finde es gut Themen aus der Geschichte zu nehmen und sie neu zu bearbeiten – dieses ewige “was ganz neues erfinden und entdecken” finde ich oft reißerisch und langweilig – in die Tiefe gehen empfinde ich als reichhaltigere Kost in der man aufregende neue Leckbissen finden kann – diese Reise kann sich allerdings als sehr schwierig herausstellen – die Frage wie man Mozart verwandeln oder gar “verbessern”, eine “Coverversion” oder überhaupt ihn in einem “avantgardistischen “Kontext setzen kann, hat  in der vergangenen Klassik/Moderne schon gefährlich schlechte Ergebnisse hervorgebracht.  Eine klippenreiche Angelegenheit – deswegen aber umso interessanter.
Alexander Hacke: Mich interessiert vor allem wie Mozart von der Gesellschaft seiner Epoche aufgenommen wurde im Vergleich zu dem Stellenwert den die Künste in unserer Zeit einnehmen.

Was darf man sich nun von der Theremin Performance erwarten. Welche Rollen werden die unzähligen Protagonisten einnehmen. Immerhin steht ja eine sehr bunte und illustre Truppe auf der Bühne.

Danielle de Picciotto: Bei “The History of Electricity” geht es auch um die Auseinandersetzung von vergangenen elektrischen/elektronischen Techniken und den neu entwickelten. Alexander Hacke mittels der Musik – ich durch visuelle Bilder. In den neun Kapiteln des Konzertes nehmen wir jeweils ein elektrisches/elektronisches Thema, welches wir dann entwickeln und variieren bis zum nächsten Kapitel. Sie sehen ich setze mich immer noch mit Variationen auseinander. Für die Projektionen habe ich zum Beispiel mit Hilfe eines Kinderelektrik Set eine Glühbirne und einen Kompass gebaut, abgefilmt und dann abstrakt verwandelt – ähnlich wie die Entwicklung von analog zu digital in der Musik.
Alexander Hacke: Bei diesem Programm werden alle Töne von mir mit Hilfe eines neuartigen Instruments gesteuert, welches es ermöglicht wirklich physisch auf alle relevanten Parameter der digitalen Klangerzeugung im Computer zuzugreifen und sogar regelrecht zu formen.

Der theoretische Überbau von MODERNISTMOZART spricht davon, dass die (hiesige) Elektronische Musik in der Pubertätsphase steckt. Ihre Ansichten zum Status Quo des Genres?

Danielle de Picciotto: Bestimmt aber es interessiert mich nicht in welcher Phase wir stecken sondern die Auseinandersetzung mit dem was gerade ist.
Alexander Hacke: Ich glaube an die Möglichkeiten, die sich durch den technischen Fortschritt ergeben. Viele Dinge von denen wir früher allenfalls geträumt haben, sind heute für jeden zugänglich und vor allem bezahlbar. Jetzt muss man nur noch etwas daraus machen.