Interview mit Bernhard Lang

Beinahe zehn Jahre arbeitete der Komponist und Musiker Bernhard Lang mit seinem Werkzyklus “Differenz/Wiederholung”, kurz DW, an dem Erstellen einer umfassenden “Loop-Grammatik” und verweist damit nicht nur direkt auf Deleuzes gleichnamiges zentrales Werk, sondern auch auf den Umstand, dass sich die beiden Begriffe – Differenz und Wiederholung – letztendlich in ihrer sich wechselseitig bedingenden Verschränkung auflösen.

Genau dieses Moment der Verschränkung ist es, aus dem die Musik von Lang heraus entsteht, die dadurch zu einem Angelpunkt sowohl für ästhetische, als auch für gesellschaftspolitische Fragen wird. Das Wien Modern Festival hat sich in seiner heurigen Ausgabe vorgenommen in einem Portrait, “die zentralen Linien und Einflüsse dieses faszinierenden Werkes” nachzuzeichnen, mit einer Reihe von Konzerten, Vorträgen und auch der Uraufführung von Bernhard Langs drittem Musiktheater “I hate Mozart”, in Auftrag gegeben vom Wiener Mozartjahr 2006.

SN: Was war die Initialzündung, die zu der nun schon jahrelangen Auseinandersetzung mit dem Thema Differenz und Wiederholung geführt hat?

BL: Also es ist eigentlich ganz merkwürdig, dass ich viele Jahre hindurch eine gewisse Scheu hatte das Thema zu fokusieren und wirklich an den Kern der ganzen Sache heranzugehen. Das hängt auch damit zusammen, dass es in der Neuen Musik so etwas wie ein Wiederholungsverbot gab und dass der Minimalismus der 60er und 70er Jahre ab einem gewissen Punkt der Neuen Musikgeschichte ja geoutet wurde. Ich hatte so eine Wand vor mir, durch die ich nicht hindurch konnte, um wirklich jetzt einmal zur mechanischen Wiederholung hinzugehen, also zu einer radikalen Eingrenzung eines Themas auf Loops und auf Wiederholung. Es waren dann eigentlich vor allem die Filme von Martin Arnold, die mich dorthin gebracht haben, weil dort passiert ja wirklich kaum irgendetwas anderes als Wiederholung; dort passiert eigentlich eine Durchleuchtung des Materials mit Loops, mit Schleifen, die ganz interessante neue Aspekte des zu Grunde liegenden Materials aufzeigt.

SN: Welche Aspekte sind das?

BL: Es gibt bei Martin Arnold keine Effekte in der Hinsicht, es gibt keine Filter, es gibt keine Zeitlupen oder Verfremdungen, aber es gibt sehr wohl diese granularen Zeitdehnungen oder Zeitraffungen, die alle mehr oder weniger auf kleinen Loops basieren und die Filme von Martin Arnold haben mir eigentlich auch den Mut gegeben, das einmal in der Musik wirklich zu versuchen. Das war zu einem Zeitpunkt, als wir auch in der Improvisation eine Wende durchlebt haben, also weg von diesen linearen narrativen Improvisationen hin zu einmal wirklich rein Loop orientierten Improvisationen. Das ist natürlich einerseits eine sehr starke Eingrenzung, aber die war auch zu diesem Zeitpunkt sehr spannend. Damit hat sich quasi das Forschungsfeld erst einmal richtig geöffnet, an dem ich jetzt schon seit vielen Jahren arbeite und das mich immer noch interessiert.

SN: Warum glaubst du, war die Auseinandersetzung mit der Wiederholung in der Neuen Musik so verpönt?

BL: Das ist eine sehr komplexe Frage. Die Wiederholung hat ja viele Gesichter und eines dieser Gesichter ist Hypnose, Betäubung, Rausch und Manipulation. Ich kann mit der Wiederholungsmaschine, so wie bei William S Borroughs das beschrieben ist, jemanden hypnotisieren, beeinflussen und programmieren. Unsere Arbeitswelt arbeite ja auch unglaublich stark mit Wiederholung. Kaufhausmusik und die gesamte Werbung arbeiten sehr stark mit dem Moment der Wiederholung und sind sehr manipulativ und dieser Aspekt der Betäubung und des Manipulierens ist gerade nach 1945 ein politisch sehr brisanter. Aber er war es auch schon vorher, wenn man jetzt zum Beispiel an die romantische Musik und an Wagner denkt, auch da ist der Aspekt der Wiederholung ausreichend benutzt worden. Nur, das war natürlich ein strenges schwarz weiß Denken und ich finde es eigentlich auch recht interessant, dass um 1968 gerade bei Deleuze diese Aspekte der Ambivalenz und der vielfachen Verschachteltheit der Wiederholung auftreten. Diese viel differenziertere und künstlerisch auch viel anregendere, offenere und freiere Sicht auf das Thema der Wiederholung war für mich natürlich viel sympathischer, als diejenige des Verteufelns und auch Denunzierens.

SN: Kannst du ein Beispiel nennen, in der die Musik, die auf Wiederholung basiert, denunziert wurde?

BL: Man hat zum Beispiel gesagt, Technomusik ist faschistoid oder solche dummen Dinge. Es gibt zwar tatsächlich Techno-Musik, die rechtsorientierte Parolen verwendet, aber daraus den Schluss zu ziehen, der formale Aspekt der Wiederholung in der Musik alleine ist schon der Träger einer rechten politischen Botschaft, ist natürlich vorschnell geurteilt und in sich auch wieder sehr, sehr oberflächlich.

SN: Du spielst hier auf Daniel Charles an, der, wie du auch in deinem Text “Repetition und Automatismus: die Bedeutung des Wiederholungsbegriffes in den Stücken der Differenz/Wiederholungs-Serie” ausführst, den Wiederholungsbegriff als für das Vergessen konstituierend beschrieben hat. Kannst du diesen Gedanken bitte ein wenig näher ausführen?

BL: Das Vergessen, Erinnern, sich selbst gewahr werden, Schärfen der Wahrnehmung, das ist eine Dialektik die viel komplexer ist, als dass man sie so einfach abkanzeln könnte. Wenn ich heute ein hochkomplexes Stück höre, kann ich auch nicht jedem Ton folgen. Irgendwann kommt auch so ein vergessender Rausch, wo ich eine Totale höre und mich im Klang verliere. Das ist auch eine Form des Vergessens. Aber es kann sein, dass ich mit einem völlig geschärften und wachen Bewusstsein aus dieser Erfahrung herauskomme.

SN: Eben, ein Aspekt der Wiederholung ist ja auch der des Anhaltens und Innehaltens. Durch Wiederholungsmechanismen hervorgerufene Rauschzustände können einen Prozess der Bewusstwerdung einleiten. Ich dachte mir eigentlich, dass die Aversion gegen die Wiederholung in der Neuen Musik eher daher kommt. Gerade die Musik wirkt ja hier oft als Motor.

BL: Absolut. Das ist natürlich das zweite Argument. Der ganze Minimalismus der 60er Jahre, der ja viel mit Wiederholung arbeitet, hat auch eine sehr introspektive Haltung beinhaltet. Es war ein in sich hineingehen, ein meditatives in sich versenken sozusagen. Es wurde versucht, die Dinge in der Kontemplation neu zu beleuchten und diese Haltung wurde wiederum denunziert. Man hat gesagt, das ist politisch nicht korrekt; das sind diese unpolitischen Hippies aus Amerika, die lieber nach Indien schauen als in die europäische politische Szene. Gerade in Deutschland wurde das sehr stark bekämpft. Diese Gräben gibt es ja bis zum heutigen Tag und dieses blockartige Denken hat natürlich schon ein bisschen etwas Antikes. Mir geht es darum zu zeigen, dass alles viele verschiedene Aspekte in sich vereint und man nicht vorschnell vereinfachen soll und gleichzeitig geht es mir auch um dieses Spiel mit den Differenzen.

SN: Letztendlich, so betonst du in den theoretischen Ausführungen zu deiner Musik immer wieder, griff aber auch der Minimalismus der 60er Jahre, obwohl er sich dem Thema der Wiederholung zuwandte, zu kurz.

BL: Damit spreche ich jetzt, historisch eingegrenzt, den Ursprung des Minimalismus von John Cage, Terry Riley, La Monte Young, Steve Reich und Philip Glass an. Diesen Komponisten ist ja eines wesentlich gemeinsam, nämlich die Konzentration auf rhythmische Phänomene, die Reduktion des harmonischen und melodischen Materials auf ganz wenige Informationen und drittens die Vorhersehbarkeit von Entwicklungen und das ist für mich hier der ganz entscheidende Punkt.

SN: Für dich hingegen – du hast es vorhin bereits angesprochen und auch der Titel deiner Serie “Differenz/Wiederholung” verweist ja darauf, bildete die Lektüre von Gilles Deleuzes eine wichtige Inspirationsquelle, insbesondere die Lektüre seines Buches “Differenz und Wiederholung” eben. Welche konkreten Anregungen hast du dir aus diesem Buch geholt?

BL: Vereinfacht ausgedrückt war einer der grundlegenden Punkte in den Buch für mich, dass es keine Differenz ohne Wiederholung gibt und keine Wiederholung ohne Differenz. Das heißt, selbst wenn ich Identisches wiederhole, dann muss ich doch eine Anzahl von Punkten differenzieren können, zum Beispiel Zeitpunkte oder räumliche Punkte. Ausgehend von der Überlegung der Verschachteltheit dieser beiden Begriffe kommt es dann wirklich zur totalen Verästelung. Deleuze spricht zum Schluss von der Differenz der Differenz der Differenz. Nachdem ich “Differenz und Wiederholung” gelesen hatte, war meine ganze Scheu das Thema der Wiederholung zu fokusieren weg. Ich hab gesagt: Also da steckt so ein Reichtum drin. Wenn man den Gedanken von Deleuze jetzt wirklich bis zum Ende denkt, dann geht es ja weder um Wiederholung, noch um Differenz, sondern eben um diesen Moment der Verschränkung von Wiederholung und Differenz. Das ist eine Fundgrube für ästhetisches Nachfühlen, Forschen und Entwickeln.

SN: Ich möchte nochmals auf Martin Arnold zu sprechen kommen. Auch sein Einfluss war sehr prägend für dich, wie du bereits zu Beginn erzählt hast. Du hast versucht die Techniken, die Arnold auf den Film angewandt hat, in die Musik zu übertragen. Wie bist du hier vorgegangen?

BL: Ich habe eigentlich so etwas wie eine Typologie der Loops erstellt, die in den Filmen von Martin Arnold vorkommen. Ich habe gesehen da gibt es einerseits so granulare, ganz kleine Loops, aber auch längere Loops, die gescratcht werden, bis hin zu Loop-Überlagerungen. Dann gibt es längere Loop-Einheiten, die sehr mechanisch wiederholt werden, die fast Techno-Rhythmen erzeugen. Und ich habe dann versucht, diese Loop-Typologie in den musikalischen Bereich zu übersetzen. Ich bin von einem bestehenden Sample ausgegangen und dieses Sample habe ich dann auf verschiedene Art und Weise prozessiert im Kompositionsvorgang. Das sind Techniken, die ich vom Sampler her gekannt habe. Es sind eigentlich Transkriptionsvorgänge, wo filmische Techniken, oder eben Techniken mit dem Sampler oder auch mit dem Computer, wie etwa der Prozess des Schneidens am Computer, in eine Partitur zurückübersetzt werden.

SN: Du stellst die differente Wiederholung der mechanischen gegenüber. Wie stellt sich für dich das Verhältnis zwischen differenter und mechanischer Wiederholung dar?

BL: Es gibt so etwas wie einen Reiz des Asymmetrischen, eine eigene Ästhetik des Unregelmäßigen, des gestörten und auch kaputten Rhythmus. Das ist für mich so eine wichtige Entdeckung gewesen Mitte der 90er Jahre, die teilweise aus der Auseinandersetzung mit improvisierter Musik entstanden ist, andererseits aber auch aus der Transkription von Sprachrhythmen und eben aus dem Arbeiten mit dem Sampler. Plötzlich bin ich draufgekommen, dass es Beats gibt, die sich sehr wohl wiederholen, aber eben nicht gleichmäßig, die also nicht im Gleichschritt dahinstampfen, sondern die winzige Abweichungen in sich haben und dann zucken und Irritationen herstellen durch dieses Zucken, so wie der kaputte Plattenspieler oder der kaputte CD-Player und ich erinnere mich noch, da hat es ein Schlagwort für dieses eratische Herumzucken gegeben, “Techno mit Störungen”, benannt nach einer Gruppe von John Rose. Eine wichtige Inspiration war auch die Arbeit der ganzen DJs und Vinylkünstler, die die Schallplatte, die eigentlich ein zyklisches Ding ist und auf Gleichlauf aufgebaut, wirklich bewusst missbraucht haben im Scratch-Vorgang, um wirklich ganz asymmetrische Sounds herzustellen und der nächste Schritt war wiederum der Versuch, das zu transkribieren. Auch wenn ich mit meinen Loop-Machines arbeite, die ich in der Improvisation benutze, baue ich sozusagen Fehler ein, damit die Loops nie gleichmäßig laufen. Dieses Feld des differenten Abweichens ist es, was mich interessiert. Um das aber wiederum nicht zum alleinigen Prinzip zu machen, mach ich es dann auch so, dass ich dieses Zucken zwischendurch wieder einmal einer toten Repetition gegenüberstelle, um dieses Wechselspiel zwischen differenter und mechanischer Wiederholung zu verdeutlichen. Also es ist alles möglich und es ist eigentlich alles offen.

SN: Einer der von dir erwähnten Turntablisten ist Philip Jeck, der mittlerweile nicht nur als eine Quelle der Inspiration, sondern auch als Mitspieler in deiner Musik auftaucht. Was fasziniert dich speziell an der Arbeit von Philip Jeck?

BL: Für mich hat niemand anderer virtuoser den Sprung in der Rille thematisiert. Er hat den Schallplattenhänger, dieses einfache Phänomen, den Stopp, zu einem ästhetischen Prinzip erhoben. Das war, glaub ich, seine Entdeckung und das verdanke ich wirklich ihm; die Idee, dass eigentlich dieser Schnackler am Ende des Samples, dieser Knackpunkt, dieser Point of Return, wichtiger wird als das eigentliche Sample. Damit wurde eigentlich eine neue Form der Rhythmik erfunden und auch eine neue Wahrnehmung dessen, was in diesem Sample auf dieser Schallplatte eigentlich passiert. Ich denke, dass der Sprung in der Rille ein ganz ein eigenes Phänomen ist, das sich interessanter Weise bei Jeck immer im Bereich des Kurzzeitgedächtnisses abspielt und das auch eine durchaus hypnotische Wirkung hat, wie das der Christian Scheib ja auch schon einmal beschrieben hat. Also das ist ein ganz, ganz faszinierender und magnetischer Moment und das war für mich das Schlüsselerlebnis an der Musik vom Phil. Und für mich ist es eigentlich ganz, ganz interessant, dass diese Fixation des Punkts natürlich auch der Lacan’schen Blockade entspricht. Dass hier sozusagen dem freien Triebfluss etwas entgegen gesetzt wird. Also der freie Triebfluss wäre dann gegeben, wenn die Schallplatte weiter läuft, wenn sie einfach bis zum Ende läuft. Die Kunst vom Philip Jeck besteht in Blockaden, in kunstvollen Blockaden, die den Fluss, die Rotation hemmen und den Fluss zu einem Stopp bringen. Wir sind fasziniert von diesen Hemmungen, davon, wenn etwas nicht weitergeht. Das hat ähnliche Effekte – also ich fantasiere jetzt so vor mich her – wie wenn wir jemandem beim Stottern zuschauen. Wir sind gelähmt von diesem Erlebnis, wollen immer, dass es weitergeht und diese Spannung lotet er irgendwie aus und das sind eigentlich Entdeckungen.

SN: Deine Kompositionen entstehen schließlich durch einen Prozess des automatischen Schreibens, wie bist du zu dieser Methode gelangt?

BL: Mit den Stücken der Schrift-Serie und “Icht” habe ich eigentlich das automatische Schreiben angefangen. Es war auch der Einfluss von Christian Loidl, der mich dazu gebracht hat, meine sehr strukturfixierten Überlegungen plötzlich beim Fenster hinauszuwerfen und einfach drauf los zu schreiben, wie in Hypnose quasi. Das heißt ich setze mich hin, denke überhaupt nicht nach, und schreibe das Stück in einem Zug fertig. Erst nachher schaue ich, was daraus geworden ist. Das ist eine Methode, die diese ganzen Stücke verbindet, das ist der verbindende Grundgestus, der durchgehende Pinselstrich.

SN: Du hast zuerst von den Loop Machines gesprochen, mit denen du in der Improvisation auch arbeitest, ich nehme an du sprichst hier auch “Looping Tom” an, den Loop-Generator, den du gemeinsam mit Thomas Musil entwickelt hast. Welche konkrete Funktion erfüllt der Loop-Generator in deiner Musik?

BL: “Looping Tom”, der Loop-Generator, ermöglicht es mir, Realtime-Sampling in die Aufführungssituation zu integrieren. Das hat zu einer ganzen Serie von Stücken geführt, die quasi mit laufender Kammara arbeiten, zu den Loop-Generator Stücken, zuerst für E-Gitarre, dann für Zither, für Koto, für großes Orchester, und zuletzt für Rock-Trio und für E Viola und E Violine. Dort spielt das ganze mit der direkten Dialektik von menschlich produzierten und von maschinell produzierten Wiederholungen, diese werden dort konkret einander gegenüber gesetzt. In DW7 wird ein ganzes Orchester, das Wiederholungen spielt, mit sich selbst konfrontiert, mit einer Maschine, die diese Wiederholungen präsentiert und der letzte Entwicklungsschritt war dann, all das mit visuellen Komponenten zu verknüpfen. Der Visual Loop Generator, der jetzt bei Wien Modern präsentiert wird, sampelt die Interpreten via Live-Kameras noch einmal, und das wird dann mit dem Stück mitgeloopt. Dabei entsteht eine eigene Art von visueller Inszenierung, die nur mit dem produzierten Material und seinen Produktionsbewegungen arbeitet.

SN: Die Improvisation wird im Verlauf der DW Serie ein immer zentraleres Moment, wie hat sich das entwickelt?

BL: Es hat bei der Improvisation begonnen. Letztendlich sind die Stücke von Philip Jeck auch Improvisationen und ich habe begonnen, die Improvisationen zu transkribieren. Es ist ein Prozess des wechselseitigen Transkribierens, Improvisierens, Transkribierens, Improvisierens, aus dem meine Musik heraus entsteht, wobei auch das Thema der Schriftlichkeit hier eine ganz wesentliche Rolle spielt. Also für mich ist ja die Improvisation unter dem Aspekt sehr interessant, dass sie etwas so Flüchtiges und Vergängliches ist. Gerade im heutigen Kontext der digitalen Medien ist diese Flüchtigkeit ja nahezu noch unterstrichen. Also ich glaube so viel Information wie heute verloren geht, ist vorher kaum jemals verloren gegangen. Es gibt zwar auch sehr viel Information, aber dieses Flüchtige der Aufzeichnung, die CD die kaputt wird oder das DAT Band das verloren geht oder was auch immer, das ist etwas ganz Interessantes und Spannendes. Andererseits ist ja gerade ein wesentlicher Teil unserer europäischen Selbstdefinition der Faktor des Gedächtnisses und der Schrift und für mich hat diese Schriftlichkeit auch eine immanent politische Bedeutung. Daher ist für mich der Dialog zwischen Nichtschriftlichkeit und Schriftlichkeit etwas ganz, ganz Wesentliches. In den ersten Teilen der DW Serie habe ich versucht, das Schriftliche ins Nichtschriftliche zu überführen und schon im zweiten Stück der Serie, in DW2, gibt es Passagen, die mit Improvisationen übermalt sind. Mit Laleloo, Tricorder und dem Projekt anlässlich des SWR New Jazz Meetings habe ich versucht wiederum mit der Loop-Technik, die ich aus der Improvisation gewonnen habe, zu improvisieren. Ich habe versucht in der Improvisation wirklich Loop orientiert zu sein, jetzt nicht in diesem erzählenden Jazz Plauderton daher zu kommen, keine linearen Geschichten zu erzählen, sondern Improvisationen zu schaffen, die sich auf der Stelle drehen. Und so sind diese ganzen Stücke in einer Pendelbewegung entstanden.

SN: In deinen letzten Stücken kommt die Improvisation als gestaltendes Prinzip aber immer mehr zum Tragen.

BL: Das stimmt, wie Thomas Schäfer einmal richtig bemerkt hat, wird die Kadenz über das gesamte Stück ausgedehnt, besteht das Konzert quasi aus einer einzigen Kadenz. DW8, DW14 und DW17 sind alles Solo-Konzerte. Bei DW8 wurde es ganz besonders spannend, als die beiden Turntablisten plötzlich als Solisten im Konzert auftauchten. Das heißt jene Musiker, aus deren Werken ich ursprünglich transkribiert hatte, tauchen jetzt plötzlich als Musiker im Stück auf und mischen das, was ich zuerst transkribiert hatte, nämlich das zugrunde liegende Orchesterstück DW11.2, wieder ins Stück hinein. Das ist so ein Live-Recycling-Prozess. Und gerade bei Nummer 14 und bei Nummer 17 arbeite ich mit Musikern zusammen, mit denen ich in verschiedenen Projekten zusammen improvisiert habe. Mit Michael Moser habe ich jahrelang in Elektronik-Duos zusammengespielt. Dimitri Polisoidis war in all meinen Improvisations-Projekten dabei und letztendlich auch Gerald Preinfalk, den habe ich als Improvisationsmusiker kennen gelernt. Indem ich den Improvisationskontext in die große konzertante Inszenierung mit hinüber genommen habe, wollte ich auch Freiheitsgrade öffnen; Welten aufeinanderprallen lassen. Gerade bei DW14 prallen wirklich diese Welten des organisierten Orchesterbetriebes und des frei spielenden Jazz-Musikers direkt aufeinander. Da werden Reibungsflächen offenbar, auch soziologische und aufführungspraktische Reibungsflächen. Also man sieht plötzlich den Konzertsaal, die Kleidung und das Verhalten der Musiker völlig anders, wenn ein Jazz-Musiker die Bühne betritt. Schon alleine durch seine Bewegungen öffnet er einen völlig anderen Raum und gleichzeitig ist interessant zu beobachten, wie der Jazz-Musiker reagiert, wenn der Apparat des Orchesters virtuos zum Schwingen kommt; wie er mit dem Orchester ins Gespräch kommt. Das sind wirklich ganz, ganz spannende Dinge.

SN: Stichwort Orchester. Die Funktion, die in deinen früheren Stücken der DW Serie “Looping Tom” innehatte, übernimmt in den letzten Stücken immer mehr das Orchester. Sicherlich steckt auch hinter dieser Entwicklung eine Metaebene.

BL: Da geht es eigentlich um das Thema der Maschinerie, des maschinellen Wiederholens und auch des Nebeneinanderstellen von maschineller und körperlicher Wiederholung. Der menschliche Körper kommt in ganz bestimmte Zustände wenn er versucht automatisch zu wiederholen. Ich wollte diese Dialektik zwischen der maschinellen und der humanen Wiederholung inszenieren und der Loop-Generator war hier quasi der erste Schritt, wo ich versucht habe Delays, wie sie der Philip Jeck verwendet und Realtime-Sampling in der Bühnensituation zu integrieren. Das Orchester ist in der Hinsicht für mich ein großer Sampler, weil heute jeder Orchesterklang, auch der Lachenmanns, eigentlich schon ein Zitat aus der Geschichte ist. Also das Orchester wiederholt immer, ist eine einzige Wiederholungsmaschine des Archivs. Und das Orchester ist eine Massenstruktur, das Orchester ist nach militärischem Vorbild organisiert und kann auch Massenstrukturen im prozessuralen Charakter vermitteln. Das heißt ich kann Metropolis-Stimmungen zitieren, wo sehr viele Arbeiter im Bild sind, die eine Handlung ausführen. Alle Prozesse, die durch eine Handlung im Kollektiv entstehen, mit der ganzen Konnotation von Massenbewegungen, Massenorganisationen und Massenbefehlen kann ich mit einem Orchester natürlich sehr, sehr schön instrumentieren und auch inszenieren. Da funktioniert für mich auch das Orchester ganz großartig, also in dieser Funktion der Wiederholungsmaschine, der Loop-Maschine und Erinnerungsmaschine.

SN: In einem Gespräch, das wir vor drei Jahren geführt haben, hast du mir erzählt, dass du mit deiner Arbeit auch versuchst, eine mögliche Loop-Ästhetik zu finden. Beim Lesen der jüngeren Werkbeschreibungen taucht nun der Begriff der Loop-Grammatik auf. Hast du sie also für dich gefunden, die Loop-Ästhetik?

BL: Das Ergebnis ist natürlich jetzt schon ein System. Ich habe verschiedene Verhaltensweisen von Loops beschrieben, Tragfähigkeiten von Loops. Es gibt so etwas wie eine innere Logik, eine Grammatik der Loops. Das heißt, dass es zum Beispiel eine innere Genauigkeit gibt, welche Loop man auf welche folgen lassen kann. Das ist genau diese Genauigkeit, die der Philip Jeck in seinen Live-Interpretationen verwirklicht. Wenn die wirklich gut funktionieren, dann kommt genau im richtigen Zeitpunkt nach der ersten die zweite Loop. Man kann nicht sagen warum, aber es gibt da eine innere Logik, eine Stimmigkeit, die ich für mich entdeckt habe. Das heißt das ganze ist jetzt eine Maschine; ein Instrument, das ich auch einsetzen kann. Und es ist auch ein Instrument mit einer ganz definierten Ästhetik. Die Geste wird nicht als etwas Erzählendes dargestellt, sondern mit Hilfe der Loop-Grammatik kann ich in die Geste hineinschauen, sie dekonstruieren. Mit diesem Instrument habe ich natürlich die Möglichkeit alles zu samplen und alles zu loopen. Ich kann sowohl in historischer als auch kontextueller Hinsicht zwischen einzelnen ästhetischen Paradigmen springen und sie auch wieder in meine ästhetischen Paradigmen sozusagen reinintegrieren. Das macht die ganze Sache ja auch so offensiv. Diese ganze Loop-Ästhetik löst auch unglaublich leicht Aggressionen oder Verletztheiten beim Zuhörer aus, weil man mit Dingen umgeht, die ein anderer als etwas Ganzes oder als etwas Bestehendes wahrnimmt. Für mich ist das nur mehr ein Sample oder nur mehr ein Sound, und das wird von den Zuhörern im Kontext der neuen Musik oft als provokativ und verletzend empfunden, auch wenn das eigentlich nie so intendiert war.

SN: Das klingt ein bisschen so, als ob du mit der DW Serie zu einem Ende gelangt wärst.

BL: Ja, dieser vorläufige Abschluss der Serie ist vor allem dadurch zustande gekommen, dass ich jetzt diese Loop-Ästhetik, dieses Instrumentarium im Kontext Musiktheater einsetze. Ich stelle mir das so vor, wie die Entwickler von Computerspielen. Die haben Engines mit denen sie Texturen und Welten erzeugen. Genauso habe ich mit diesen rund 25 Stücken eine Engine entwickelt, die ich jetzt wieder für Produktionen einsetzen werde. Wo die Thematisierung der Engine eigentlich in den Hintergrund tritt; wo ich mit dem ganzen philosophischen Konzept rund um Differenz und Wiederholung jetzt mal verschwinde. Was übrig bleibt ist die Maschine, die im Hintergrund sozusagen das ganze zusammenhält und auch den ästhetischen roten Faden bilden wird.
SN: Das bringt mich natürlich sofort zu deiner neuen Musiktheater-Produktion “I hate Mozart”, die nun bei Wien Modern als AuftragsWerk des Wiener Mozartjahres 2006 am Theater an der Wien ihre Uraufführung feiern wird. Wie ist “I hate Mozart” zustande gekommen und worum wird es in dieser Oper gehen?

BL: “I hate Mozart” ist ein Projekt, das von dem Regisseur und Autor Michael Sturminger ausgeht und in dem es eigentlich um die interessante Situation geht, dass man die Bühne im Theater an der Wien umdreht und von hinten zuschaut was dort zwischen den Akteuren beim proben passiert. Ich habe zuerst einmal Probleme gehabt, sozusagen auf das Thema einzusteigen, auf Mozart einzusteigen, Mozart als Sujet zu nehmen für ein Stück. Und zweitens, nachdem sich ja mein erstes Musiktheater, das “Theater der Wiederholungen”, quasi in Opposition zum Theater der Repräsentation verstand, hatte ich auch Probleme mit einem gespielten Stück umzugehen, mit einem Stück, das wirklich eine lineare Erzählung hat und wo wirklich Regietheater gespielt wird, wo eigentlich ein sehr vertrauter Kontext wiederhergestellt wird. Und dann beim näheren Nachdenken habe ich mir gedacht: Ja eigentlich ist das ja eine hochinteressante Sache! Weil dieses Regietheater, das der Mozart aufführt, macht ja auch nichts anderes als zu wiederholen. Das ist ja auch ein riesiges Wiederholungstheater für sich. Das heißt, man muss das dekonstruktive Moment einfach wo anders suchen. Also jetzt nicht direkt in der Inszenierung der Wiederholungsmaschine oder der Demonstration der Wiederholungsmaschine, wie das beim “Theater der Wiederholungen” passiert ist, sondern indem man die Wiederholungsmaschine in der Aufführungspraxis sucht, indem man sagt: OK, diese armen Menschen müssen halt ihr ganzes Leben Mozart singen und Mozart spielen und müssen daran scheitern, weil sie sich selber einfach nicht mehr glauben können. Und das Schöne ist: Diese Sänger spielen sich selbst. Also der Tenor spielt den Tenor, die Diva spielt die Diva und das spielt am Theater an der Wien wirklich auch auf der Bühne und wiederholt sich selbst quasi. Damit ist das Ganze für mich etwas unglaublich Spannendes geworden.

SN: Du hast zuerst davon gesprochen, dass deine Loop-Ästhetik insbesondere beim neuen Musik Publikum mitunter sehr schnell Aggressionen auslöst, weil du dir eben herausnimmst, die Musikgeschichte als einen großen Sample-Pool zu betrachten; alles mit allem zu verschalten. Eine Herangehensweise, die ja für die Produktion von Popmusik immer schon zentral war und gerade in jüngster Zeit vielerorts zu neuer Virtuosität gebracht wird, wenn ich an das exzessiv betriebene Genre-Mixing denke. Interessant eigentlich, dass man sich in der neuen Musik diesem Blick auf Musik so vehement verwehrt.

BL: Ja also es ist absolut so. Jedem Popmusiker ist das vollkommen einsichtig, im Kontext der neuen Musik sehen das aber die wenigsten. Für mich ist ja eben das Samplen eigentlich eine Form der Transkription. Mittels Sampling zeichne ich einen vorhandenen Klang, einen vorhandenen Sound auf, um ihn in einem neuen Kontext benutzen zu können. Ich definiere eigentlich schon die Loop so, die Loop basiert auf einem Sample. Loopen kann ich immer nur, was ich schon habe. Das ist eben, glaube ich, der absolute Paradigmenwechsel, der in der Popmusik stattgefunden hat. Ich kann nur etwas loopen, das schon da ist. Die Loop kann ich nicht füllen, wenn ich nicht irgendetwas sample und von dieser Dynamik ist, glaub ich, die Popmusik seit den 70er Jahren schon bestimmt. Ich kann mich erinnern, Roxy Music haben schon begonnen in den 70er Jahren die 50er Jahre zu zitieren, also quasi einen Retro-Schritt in die 50er Jahre zu machen. Die sind dann plötzlich alle mit den Rock ‘n’ Roll Kostümen auf der Bühne gestanden im Kontext der 70er Jahre. Und das ist eigentlich Schritt für Schritt so weitergegangen, dann hat es 70er Jahre Retro gegeben, 80er Jahre Retro, 90er Jahre Retro mittlerweile. Die ganze Musikkultur als großes Sample-Archiv zu sehen und sich frei zu bedienen und das aber in einem postmodernen Kontext neu zu strukturieren, eine neue Grammatik dafür zu entwickeln, das sind Dinge, die ich direkt aus der Popmusik entnehme; wofür ich die Popmusik auch bewundere, weil das dort mit einer unakademischen Leichtigkeit von statten geht, auch mit einer Naivität, die immer oder zumindest meistens überzeugend wirkt.
 

Bernhard Lang