In erster Linie geht es um Kommunikation – Didi Bruckmayr im mica-Interview

Didi Bruckmayr versteht sich allem voran als Entertainer, sei es nun in der Musik, im Theater oder in der Videokunst. Und mit Didi Bruckmayr kann man auch tatsächlich sehr viel Spaß haben, es sei denn man ist gewillt sich einzulassen.

Nämlich auf eine Reise in Zwischenwelten, in der lang antrainierte Erklärungsmuster womöglich plötzlich nicht mehr greifen und man sich von Grund auf neu orientieren muss. Wer sich dabei gerne auf Metaebenen begibt, wird auch reichlich fündig, denn Didi Bruckmayr ist nicht nur ein außergewöhnlicher Sänger und Performer, sondern auch ein scharfer gesellschaftlicher Beobachter. Zum Festival MODERNISTMOZART wird Bruckmayr seinen digitalen Klon mitnehmen…

SN: Beim Festival MODERNISTMOZART wirst du gemeinsam mit Michael Strohmann und Joreg “Imago” eine Digitalisierung deines Kopfs präsentieren; dein Kopf wurde am Institut für experimentelle Mathematik und Geometrie an der TU Wien eigescannt, anschließend vom Modelar Team von Meso modeliert und Joreg “Imago” hat dann ein interaktives Interface gebaut. In welchem Zusammenhang steht euer Projekt mit der Festivalthematik?

DB: Zum einen geht es um Psychologie. Zunächst fungiert der digitale Kopf praktisch wie mein Klon, der sich dann verselbstständigt, so wie sich auch Gedanken verselbstständigen können, wie sich Persönlichkeiten verselbstständigen, sich teilen, multipel werden. Es geht aber auch sehr stark um das spielerische Moment natürlich, um etwas sehr Kindliches, darum Dinge zu wagen und mit denen dann herumzuspielen. So wie wenn man vorm Spiegel hängt und sein Spiegelbild abschleckt und Grimmassen schneidet. Das macht auch der Kopf. Der Kopf ist auch eine Prothese, die Dinge die ich nicht mehr vermag, kann meine digitale Verlängerung. Es geht um postmenschliche Zustände, um Virtualisierung, um Persönlichkeitsspaltung, um neue Identitäten, Deformierungen, um das Entwickeln von Eigenleben, um all diese Themen einfach, die, denk ich, in der Kunst eh immer vorhanden sind in irgendeiner Form. Wir haben sie auf die Spitze getrieben.

SN: Das Projekt wurde schon bei der Ars Electronica 2005 gezeigt, wie waren damals die Reaktionen?

DB: Bei der Ars Electronica wurde das Projekt von manchen Leuten sehr kritisch aufgenommen. Die Fachwelt hat sich zwar überschlagen vor Begeisterung ob der Rasanz der technischen Prozesse und der Perfektion, sie sahen aber nicht den Spaß dahinter. Sie meinten, da lässt sich einer verschwenden und von seinem riesigen digitalen Klon demonstrativ auffressen, da destruiert sich einer selber, und das ist kalt und so maschinenhaft. Ebenfalls ein sehr interessanter Gedanke sag ich jetzt mal ganz ehrlich. Aber eigentlich geht es eben so ganz primitiv um sehr viel Gaude und ich hoff, dass das auch rüberkommt. Zeitgeistig ist das ganze natürlich sicherlich dahingehend, dass die Game Engines und diese Technologie und auch die Ästhetiken in jedem Wohnzimmer daheim sind. Ich sage ganz bewusst nicht in jedem Kinderzimmer sondern in jedem Wohnzimmer, weil die Gamer sind eher Männer um die 30 oder drüber, die kaufen sich die XBOX und die Spielkonsolen. Die Ästhetik und die Technologie der Game Engines als solches sind eigentlich total etabliert. Wir haben sie als Inspiration genommen und anschließend degeneriert. Und natürlich verweist dieses Projekt auch auf Kraftwerk, wie man auch auf unserer Homepage nachlesen kann, also da ist eine klare Referenz auf das “Boing Bum Tschak” Video.

SN: Du bist in der Musik tätig, im Theater, in der Videokunst. Gibt es für dich ein verbindendes Element zwischen diesen verschiedenen Kunstbereichen?

DB: Ich versteh mich im weitesten Sinne als Entertainer. Ich bin ein kultureller Dienstleister. Das ist eine meiner Grundansichten sowieso, weil ich meine Arbeit nicht für so substanziell und so bedeutungsvoll halte, aber meine aufgrund der Publikumsreaktionen, dass ich die Leute unterhalte. Das war immer mein Ziel. Ich mache nicht die Dinge meiner selbst wegen. Natürlich haben auch so was wie Transzendenz und Extremzustände immer eine große Rolle gespielt, aber auch da wollte ich Leute dran teilhaben lassen, nicht um mir da beim geistigen Onanieren zu helfen, sondern weil ich meine es geht immer um einen Austausch. Kultur und Kunst sind generell, denk ich, sehr soziale Techniken, wo es um Kommunikation geht.

SN: Das klingt für mich nun doch etwas zu selbstlos. Ich habe mich bei deinen Auftritten zwar auch immer sehr gut unterhalten gefühlt, dachte mir aber schon, dass du in erster Linie mit dir selbst kommunizierst, dich oft auch in so eine Art körperlichen Rauschzustand versetzt und dies dann eben mit dem Publikum teilst.

DB: Ich unterhalte das Publikum auf sehr extravagante Weise. Ich fordere die Leute auch heraus, und sie müssen sich mit mir da hineinbegeben, in diese Zwischenwelten oder besonderen Atmosphären, die ich mit meinen Kollegen erzeuge. Die Leute können sich davon tragen lassen, oder auch verärgern lassen natürlich, das gehört auch dazu.

SN: Und was passiert, wenn das Publikum so richtig verärgert ist?

DB: Es gab einen Knackpunkt. Damals als ich mit Fuckhead diese harten Stunts mit dem Hängen an den Fleischhacken gemacht hab. Das war zu viel des Guten, weil Leute gesagt haben: Jetzt gehen wir nicht mehr mit. Das war eine Verletzung von uns. Was du da mit dir auf der Bühne machst ist eigentlich dein Privatkaffee, aber wir wollen das nicht mehr sehen. Wir kommen, weil wir Spaß haben wollen und sind eh gewillt, einiges zu erdulden oder zu erleben, aber das kam so unvorbereitet und ist so gewalttätig. Es ist negativ, genau. Das ist Negativität. Die durchaus berechtigt sein kann, aber natürlich nicht zu 100 Prozent und das war für mich dann schon auch ein Punkt, wo ich gesagt habe: Ja, man wird zu eigensinnig. Denn eigentlich, und das ist ja auch mein zentrales Anliegen, soll es um Kommunikation gehen.

SN: Ich habe irgendwo gelesen, dass du ursprünglich Organist werden wolltest.

DB: Das stimmt, ich habe bis zu meinem 17. Lebensjahr Orgel gelernt mit dem Ziel auch wirklich Kirchenorgel zu spielen. Allerdings durfte ich schon während der Zeit als kleiner Orgelstudent und Bub 1977 in England Punkrock erleben, und das hat mich einigermaßen beschädigt. Das war eine solche Revolution, dass die Wellen die von London ausgingen mich sogar dann noch auf meinen Ferienlagern im hintersten Wales erreicht haben, weil nämlich dort alle alles liegen und stehen gelassen haben und losgelaufen sind um sich Top of the Pops anzuschauen zum Beispiel und da konnte man dann so Bands sehen. Das war unglaublich beeindruckend und das hat mich halt so weit verwirrt im positiven Sinne, dass mich das alles nie so mit großem Ehrgeiz belastet hat, sag ich unter Anführungszeichen, – obwohl ich aus einer sehr klassisch musikalisch sozialisierten Familie komme. Ich hab einfach den Eindruck gehabt, man kann sich zum einen mit sehr unkonventionellen Techniken musikalisch und künstlerisch betätigen und zum anderen damit auch noch eine Message rüberbringen.

SN: Dein Hauptinstrument ist deine Stimme. Wann hast du sie für dich entdeckt?

DB: Ich hab ja als kleiner Bub schon der Ochsenfrosch geheißen, weil ich so eine laute Stimme gehabt hab und ich hab immer ganz k omische Geräusche gemacht, das war schon so eine Spielerei von mir.

 

SN: Was hat dir daran gefallen, komische Geräusche zu machen? 

DB: Die Hyperventilation war irgendwann ein Phänomen, man wurde high davon und wie immer man das als kleines Kind einschätzt, das war ganz einfach ein aufregender Zustand. Alle kleinen Kinder singen, das sehe ich ja bei meiner Tochter. Auch die macht Geräusche sonderbarster Art und ich glaub nicht, weil sie mir so verwandt ist, sonder das macht man wahrscheinlich so als Kind. Meine kleinen Geschwister haben es auch gemacht. Ich kann mich jedenfalls an diese Rauschzustände erinnern. Ich war immer ein sehr verträumtes Kind und der Gesang war ein weiteres Medium, um sich wegzubeamen. Ich kann mich erinnern, dass ich völlig abgemeldet war, in einer anderen Welt. Diese Zustände habe ich immer gesucht und die suche ich auch heute noch. Ich habe die Stimme als kleiner Bub aber auch in Ermangelung von elektronischen Geräten eingesetzt. Ich habe mich sehr schnell für elektronische Musik interessiert, weil ich nämlich Kraftwerk gesehen hab 1976 im Fernsehen und danach wollt ich einen Synthesizer haben. Die waren damals aber nicht finanzierbar und daraufhin hab ich sehr viel mit dem Mund gemacht, den Synthesizer also mit der Stimme simuliert und das halt aufgenommen mit schlechten Kassettenrekordern und schlecht geschnitten und zusammengepickt und so geloopt, – wie das eigentlich viele gemacht haben in der Zeit oder auch schon viel früher. Später hab ich mir dann ein Keyboard auch leisten können und mich von da an in alle Richtungen entwickelt. Die Stimme als Instrument blieb mit aber eigentlich immer.

SN: Gab es SängerInnen, die dich besonders geprägt haben? 

DB: Ja, vor allem SängerInnen, die effektiv keinen Text singen. Die gar nichts singen, sondern schreien, kreischen und toben. Diamanda Galas ist mir sehr bald begegnet, das war ganz außergewöhnlich. Und auch die Obertonsänger aus Tuva. Da hab ich eine historische Aufnahme gehört. Also alles was eigentlich nichts mit dem kultivierten Gesang zu tun hat, wenngleich da gibt es eine Ausnahme: Ich war mit meiner Mama, die früher Choristin war, schon als kleines Kind immer wieder in Konzerten. Wir waren sehr viel in Renaissancemusik Veranstaltungen und die Countertenöre dort haben mich sehr beeindruckt.

SN: Was möchtest Du heute mit Deiner Stimme erreichen? 

DB: Ich habe entdeckt, dass ich eine ungewöhnlich tiefe Stimme haben kann und was mich fasziniert ist dieses Oszillieren zwischen ganz tief unten und ganz tief oben, also Extremzustände eigentlich, die schwer zu kontrollieren sind.

SN: Der Performance-Aspekt bei deinen Auftritten ist sehr stark ausgeprägt, hattest du dieses Interesse auch schon als Kind? Oder hat sich der Drang zur Performance erst später entwickelt? 

DB: Ja, das war sofort da. Das war ein Aggregat. Als Inspiration möchte ich da die sehr charismatischen Erscheinungen der frühen 70er Jahre nennen, wie etwa Boy George, Marc Almond, Jimmy Somerville oder David Bowie mit seinen vielen musikalischen Identitäten und künstlichen Figuren auf der Bühne, also der ja ganz gezielt jegliche Authentizität von sich gewiesen hat. Und Kraftwerk. Wo die Personen noch da waren, aber eigentlich versucht haben sich zu imediatisieren, indem sie sich als stereotype Roboter zelebriert haben. Kraftwerk waren eigentlich eine frühe Form von Avataren und das erste Musikvideo mit Avataren, die wirklich animiert sind, perfekt synchronisiert mit dem Ton, ist das Musikvideo zu Boing bum tschack von der LP Electric Cafe von Kraftwerk. Also das ist meiner Ansicht nach ein Meisterwerk, – der Musik des 20. Jahrhunderts so wie so aber auch hinsichtlich seiner medialen Oberfläche. Es hat mich also eigentlich immer schon ein gewisses Maß an Künstlichkeit interessiert, und dann waren da eben noch diese Einflüsse aus der Renaissancemusik, mit ihren kostümierten und maskierten Menschen.

SN: Eines deiner langjährigsten Bandprojekte ist Fuckhead, was war die Idee hinter Fuckhead und wie hat sich diese im Laufe der letzten rund 15 Jahre entwickelt?  

DB: Wir haben diese Dinge, die ich zuerst angesprochen habe, ziemlich auf die Spitze getrieben. Im Zentrum standen Fragen wie, welche Form von Entertainment gibt es? Welche Rolle nehmen Entertainer ein? Welche Persönlichkeiten stellen sie dar? Wir changieren da zwischen so einem sonderbaren Authentizitätsanspruch, der sich in der unglaublichen Natürlichkeit und Körperlichkeit ausdrückt, die wir zelebrieren, andererseits ist das Ganze schon wieder so dermaßen daneben und so lächerlich, dass hoffentlich die meisten Leute uns gar nicht mehr abnehmen, dass wir so lächerlich sind.

SN: Werdet ihr denn mit dem Vorwurf der Lächerlichkeit konfrontiert? 

DB: Früher hat man uns sehr oft unterstellt wir seien Lobotomierte. Und das nächste ist natürlich, dass Authentizität und Rockshows, auch ironisierte Rockshows, nicht gut zusammengehen, oder zumindest lange nicht zusammengegangen sind. Weil halt dann der harte Punkrocker-Flügel und die Metaller meinten, das sei nicht ernst und das sei nicht wahrhaftig. Darauf kann ich nur erwidern: Ja, sehr richtig, es ist nicht wahrhaftig. Das heißt, man hat da nach wie vor jede Menge Erklärungsnotstände und das soll natürlich auch so bleiben. Dieser ganze Kontext, wie wird Musik-Entertainment generell verhandelt, was sind die Rahmenbedingungen, das war immer ein Thema. Und dann geht es natürlich auch um die Geschlechterrollen, womit wir wieder generell bei der Frage nach Identitäten wären. Wer ist man? Was definiert einen als Mann oder als Frau? Sind das die Chromosomen, oder sind es die Hormone? Oder was ist es sonst so? Und inwieweit spielt Politik hier eine Rolle? Diese Themen waren immer da, mal manifester, mal weniger manifest.

SN: In Deutschland habt ihr ja sogar mal Auftrittsverbot bekommen.

DB: Der Vorwurf damals in Hannover war ganz grotesk, der eben dann auch durch eine gezielte Kampagne gegen uns dazu geführt hat, dass wir längere Zeit in Deutschland nicht gebucht wurden. Witziger Weise kam er aus einem Punkrock Antifa Milieu heraus. Man hat uns unterstellt, wir seien homosexuelle Rechtsradikale, das war eine sehr hübsche Kombination. Gut, man weiß, Ernst Röhm und Konsorten das ist nicht so von der Welt, aber für uns war es natürlich völlig absurd, zumal nämlich der Gig damals in einem ehemaligen Heim des DGB, des Deutschen Gewerkschaftsbunds, stattfand und von zwei queer guys für uns veranstaltet wurde, ganz liebevoll. Jetzt muss ich dazu sagen, dass wir keine dezidierten Homosexuellen sind. Der einzige der zwischen den Sexualitäten wandert bin eher ich. Ich und seinerzeitiges Bandmitglied Joe Linschinger performten auch bei “Wien in Schwarz” des LMC im Wuk. Aber grundsätzlich geht es uns in der Show auch um sexuelle Ambivalenzen. Als Testosteron geflutete nackte männliche Performer zelebrieren wir offensiv die etablierten Rollenspiele des heterosexuellen, männlich dominierten Rock Biz. Diese brechen wir dann durch Homoerotik.

 

SN: Ich glaube, dass es wenige Bands gibt, die derart direkt mit all den Unstimmigkeiten konfrontiert werden, die sich ja quer durch alle Jugendkulturen und Szenen ziehen, die aber oft unterhalb der Oberfläche verborgen bleiben. 

DB: Also mit der Faschismuskeule wurden wir immer wieder mal konfrontiert. Dann hat man uns generell vorgeworfen, nicht politisch korrekt zu sein. Dann gibt es eine latente Homophobie, je aggressiver die Musik wird, umso schneller ist das da. Das hat ja auch sehr lange zur Diskreditierung von House geführt, von dem man sagte, dass er schwule Musik sei. Innerhalb von Techno wurde das in manchen Kreisen eine zeitlang verhandelt. Das sind also Dinge, die uns immer irritiert haben. Dann natürlich die Wahrhaftigkeit; wer sich so blöd gebärdet kann nur ein Trottel sein. Oder er ist nicht echt, und wenn er nicht echt ist, dann gehört er dort auch nicht hin. Das nächste, also das ist auch so ein Dauerproblem, dieser Vorwurf, wenn eh schon diese kleinen Millieus vom Kapitalismus und Kommerz so angefeindet und bedroht sind wie asterixische Dörfer, dann braucht es nicht auch noch irgendwelche Aliens, die sich über alles lustig machen. Also dieser Vorwurf, dass man uns dann eine Art von Zynismus unterstellt, sagt, wir verhöhnen alle. Das ist auch nicht wahr natürlich. Dann der Vorwurf, wir würden das ohnehin nur für uns machen, auf eine Art geistig onanieren und uns auf Kosten der Leute lustig machen und die Leute auch dreckig machen; uns selbst besudeln und die Leute damit besudeln. Auch das ist völlig falsch. Das ist umso grotesker natürlich, weil wir ja aus dem Punk kommen und Punk immer Dreck war. Dann sind wir natürlich auch mit einer gewissen Kunstfeindlichkeit konfrontiert, die im Underground lang vorhanden war und die uns immer verfolgt hat. Die Rocker meinten wir seien zu sehr Kunst und die Künstler meinten wir seien zu sehr Rock. Das geht nicht zusammen mit einem Wort. Wir haben das Problem dann nie wirklich lösen wollen. Es ist nur so, dadurch dass wir uns ziemlich aufführen und es wirklich dreckig wird, können wir in einem Avantgarde-Musikrahmen, in einem E-Musikrahmen schwerlich auftreten, bzw. es geht, wie wir auf diversen Festivals im Ausland bewiesen haben, aber da gibt es halt Einschränkungen und die holen wir uns auch dann. Aber ex ante glauben die meisten Leute es geht ohnehin so drunter und drüber, dass sie das gar nicht veranstalten können, und genauso gibt es bei vielen Veranstaltern das Problem, dass sie sagen: Eigentlich sind das Kunstfrizen, die sind fürchterlich teuer, was auch nicht wahr ist. Gerüchte, einfach.

SN: Und was sagt einem das über die Gesellschaft? 

DB: Na dass sie mit sich selbst nicht sehr im reinen ist, bzw. dass ihr sehr schnell fad wird und wenn ihr fad wird, dann muss sie sich ständig neue sehr lächerliche Nebenschauplätze suchen, um dort irgendwie symbolisch Politik oder Sozialarbeit zu betreiben. Dass das natürlich gerade in einem Unterhaltungszusammenhang stattfindet, ist erschütternd. Das hat auch etwas mit einer gewissen Lustfeindlichkeit zu tun.

SN: Ende dieses, Anfang nächsten Jahres soll eine DVD erscheinen, die zum einen das gesamte Material enthält, das Fuckhead bislang veröffenlicht hat und zum anderen neues Material. Wo steht Fuckhead gerade?

DB: Ja so ganz sicher sind wir uns ja nie, weil uns eben sehr viel interessiert und wir dann wieder Mal recht jammern und sagen, jetzt müssen wir mal was Anderes machen. Aber dann haben wir wieder so viel Spaß bei diesen Dingen, dass wir sie doch nicht ganz aufgeben wollen. Grundsätzlich meinen wir, das performative Element soll immer erhalten bleiben, die Frage ist wie wir auf der Bühne musizieren und ob wir nicht den Konzertcharakter auflösen. Also wir haben eh eigentlich den ersten Longplayer, der schon sehr stark elektronisch orientiert war, Videoarena getauft und eine Überlegung ist, dass wir wirklich stärker technisierte Environments bauen. Das kann nur mit Licht sein oder es können eben ganze Videoarenas sein, wo wir dann mit Game Engines arbeiten, um Landschaften zu erzeugen, durch die man marschieren kann und die wiederum sehr interaktiv sein sollen, um das Publikum miteinzubeziehen, das uns permanent Feedbacks gibt, mit denen wir dann operieren. Dann würde nämlich auch die Chance vorhanden sein, dass wir eben mehr mit Avataren arbeiten, dass wir uns entweder billig multiplizieren können oder einfach andere Persönlichkeiten auftauchen, die, wie es jetzt schon möglich ist, auf eine sehr plastische und aufregende Art und Weise existent sein würden. Wobei es uns nicht um einen Realismus geht, schon gar nicht um einen Hyperrealismus, wie er immer wieder mit digitalen Medien assoziiert wird. Es soll schon um ein gehobenes Maß an Abstraktion gehen. Uns geht es eher um die Möglichkeiten Dinge zu tun, die in der Form nicht in der Wirklichkeit existieren.

SN: Das Projekt, das ihr bei dem Festival MODERNISTMOZART präsentieren werdet, ist demnach also bereits ein Schritt in diese Richtung. Du bist ja nicht nur Mitglied von Fuckhead, sondern auch von Wipe Out. Wo steht Wipe Out im Vergleich zu Fuckhead für dich? 

DB: Das Abstraktionsniveau ist ein ganz anderes. Die Wipe Out sind klar Song orientiert. Also wir kommen eigentlich aus dem EBM und Synthi Pop und haben aber natürlich durch den Techno einen ziemlichen Schub gekriegt, sodass wir auch immer wieder sehr repetitive, monotone Nummern machen. Weitere Einflüsse sind etwa Breakcore, und der Noise und Industrial waren auch wieder da, weil von dort kommt eigentlich der Fadi Dorninger. Die Wipe Out sind Popmusik, da gibt es einen wesentlich größeren gemeinsamen Nenner und ein wesentlich größeres Maß an Funktionalismus.

SN: In einem Interview mit dem Versorger habe ich gelesen, dass du dein Leben als eine soziale Utopie verstehst, wie sieht diese aus?

DB: Es geht um eine Leichtigkeit des Seins, sag ich jetzt einmal ganz, ganz deppat. Und um ein gewisses Maß an Infantilität. Früher hat man abschätzig Berufsjugendlicher oder Jeunist gesagt. Das war immer sehr negativ beleumundet. Ich denke, es ist mittlerweile kein Makel mehr, ein Berufsjugendlicher zu sein, was ja auch immer leichter wird, weil dieses Konzept durch die Popsoziologie mittlerweile etabliert wurde. Jugendkultur darf einen von der Wiege bis zur Bahre begleiten. Es bedarf jetzt nicht einer akademischen Absicherung solcher Ansichten, aber ich denke, dass da sehr tragfähige und aufregende Lebensentwürfe durch die Jugend- oder Popkulturen geschaffen wurden. Von einem muss man sich aber verabschieden, nämlich davon dass man kein Teil des Systems ist. Der Punk ist gegen das System angetreten, wir alle, auch mit einem gehörigen Maß an Aggressionen. Die haben sich dann irgendwann einmal gegen die politischen Feinde gerichtet, das waren in dem Fall eh die Richtigen, nämlich die Rechten, aber irgendwann war jedem klar “Fuck the System” spielt es nicht wirklich, weil wir müssen alle rein, sonst bleibt man über. Und dann ist eben die Frage, wie man sich dort einrichtet.

SN: Als ein Berufsjugendlicher der schon ziemlich lange die Entwicklung der Jugendkulturen beobachtet, wie siehst du die Befindlichkeit der Jugendkulturen heute?

DB: Jugendkulturen sind etwas sehr Volatiles, per se sind sie aber auch sehr beständig. Sie existieren weiter. Sie sind nie weg. Der Hype ist weg, aber sie bleiben und vor allem jene die Antworten und Handlungsmuster für den Alltag liefern, wie Punkrock, Reggae, Drum & Bass, die Metaller, es gibt ja schon zig Jugendkulturen, die halten sich ja. Die sind halt einmal größer und wichtiger für das Feuilleton, für die Industrie oder für wen auch immer, und dann auch wieder unwichtig, aber sie sterben nicht aus. Das Problem ist eher, es gibt nur den totalen Overground und es gibt den Underground, es gibt kein Mittelfeld mehr. Und es gibt auch – und das ist wohl das prekärste – immer weniger Abenteuerlust, weil eh schon sehr viel da ist eigentlich. Also man darf sich jetzt da auch nicht so wichtig nehmen, aber die Musik per se glaub ich, ist heute ein Teil von einem Lebensentwurf oder eine Freizeitbeschäftigung, aber sie ist nicht mehr so substanziell und identitätsstiftend wie sie früher mal wahrscheinlich war.

SN: Und welche Auswirkungen zeitigt das deiner Meinung nach?

DB: Die Jugendlichen heute haben jede Menge Angebote. Sie können sich um 100 Euro eine ganze Woche in Sziget 250 Bands anschauen, und werden vorher in Wien abgeholt. Sie können aufs Nova Rock fahren und sich alle Metal Bands der Welt anschauen, alle Legenden, die ihnen auch andernorts überall herruntergebetet werden, über H&M Werbespots und Jeans Werbespots, überall sind diese Musiken dabei. Man hat das Hippy Revival eingeleitet, jetzt kommt der Hardrock dran. Wir haben Motor Head T-Shirts bei H&M, diese ganzen Zitate sind da. Für alles gibt es ein Festival, es gibt das Brit Pop Festival, es gibt das Indiepop Festival, jedes Genre kann man in Bausch und Bogen konsumieren. Die Leute wären blöd, wenn sie es nicht täten, aber es ist natürlich auf eine Art verheerend, weil alles was nicht in diesem Festivalzirkus präsentiert wird außerhalb des Blickwinkels gerät, weil alles schon so groß ist, dass es einem die Sicht verstellt.

SN: Das klingt ziemlich kulturpessimistisch.

DB: Nein, ich möchte mich diesem Pessimismus, der da immer geäußert wird nicht anschließen, weil ich denke, die Leute sind auch sehr clever. Es wird ihnen fad werden. Sie werden sich um was anderes umschauen. Die Kleinen überleben halt noch irgendwie, frei nach dem Motto “Die Zähne zusammen beißen”, das Mittelfeld wirft es gerade und die größeren werden immer größer werden und werden sich schön langsam gegenseitig schlucken, wie es ja schön langsam anfängt in der heurigen Festival-Saison. Es gibt schon die ersten Verfallserscheinungen. Die ersten hören schon auf, oder lassen sich kaufen. So ist das einfach. Das ist der Kapitalismus und ich denk Entertainment oder auch Jugendkultur sind ein Teil von Kapitalismus. Sie sind teilweise auch Gegenentwürfe, die sich aber dem Kapitalismus nie ganz entziehen konnten oder sehr schnell von ihm absorbiert und kannibalisiert wurden. Und dann werden sie wieder ausgespuckt und landen etwa in Form eines Motor Head T-Shirts oder Iron Maiden T-Shirts bei H&M, was dort vielleicht wieder völlig out wird und damit der Band schadet. How ever, das ist ein einziger Kreislauf.

SN: Du bist ja ein Berufsjugendlicher mit Doktortitel. Du hast in Handelswissenschaften promoviert. Dein Doktortitel wird immer wieder hervorgehoben, zum einen von dir selber, vor allem aber auch von den Medien. Steckt da auch eine bewusste Inszenierung dahinter? Ein bewusstes Ausnutzen und dann Brechen von einer Erwartungshaltung, eben ein Spiel mit den Identitäten wiederum?

DB: Na inszeniert wird das eigentlich gar nicht. Aber Österreich ist ein sehr Titel gläubiges Land. Das hängt wahrscheinlich auch mit dieser monarchistischen Tradition zusammen, wo es etwa Frauen Hofräte gab, also wo man einen Titel auch zuheiraten konnte und das ist ein Spiel mit dieser Tradition natürlich. Und dann wurde mir das einfach von anderen Leuten zugewiesen, weil sie auf eine Art auf mich stolz waren. Weil sie gesagt haben: Da kommt dieser tätowierte Wüterich und hat aber doch einen akademischen Titel. So als ob ich gewissen Leuten eine Absolution erteilt hätte, einer Szene die Absolution erteilt hätte, quasi: Wir können auch solche Leute hervorbringen und die sind nicht deppat und sind sogar promovierte Akademiker, aber treiben sich halt herum und wälzen sich in der Gosse, organisiert in der Gosse. Also ich glaub, um das geht es in erster Linie. Und dass der akademische Grad durchaus soziale Vorteile haben kann, das hab ich immer wieder erlebt. Man wird gleich ganz anders behandelt, das ist irritierend. Mit meiner Optik hab ich selten aber doch immer wieder Schwierigkeiten. Dann muss ich die Leute darauf hinweisen, wer ich bin und dann sind die Herrschaften gleich ein bissel höflicher und plötzlich ist man wieder per sie und man wird nicht herum geschubst, sondern höflich hinaus gebeten und diese Dinge halt. Aber ansonst, ich hab den Doktortitel nicht am Hirn tätowiert. Er ist mir ziemlich wurscht. Ich hab ihn halt einfach.

 

Didi Bruckmayr