Gerade hat er sich vom Jetlag nach seiner Reise zu den ISCM WORLD NEW MUSIC DAYS im kanadischen Vancouver erholt, nun steht Grzegorz Pieniek unmittelbar vor der Aufführung eines seiner Werke am 21. November 2017 im Rahmen von Wien modern. Es läuft gut für den jungen Polen, der seit mehreren Jahren in Wien lebt und heuer durch den Erhalt des österreichischen Staatsstipendiums gleich mehrere Projekte verwirklichen konnte. Christian Heindl hat mit ihm gesprochen.
Sie sind gerade aus Kanada zurückgekehrt, wo Ihre Komposition „Jede Nacht besucht uns ein Traum“ aus dem Jahr 2012 vor einem fachkundigen internationalen Publikum gespielt wurde. Wie kam es zu dieser Aufführung und wie wurden Sie und natürlich das Stück in Vancouver aufgenommen?
Grzegorz Pieniek: Die Auswahl erfolgte durch die IGNM Sektion Österreich, welche die Partitur dann an die ISCM sandte. Es war sehr erfreulich, wie gut das Stück vorbereitet wurde. Das Ensemble hatte mir schon lange im Voraus E-Mails mit Fragen geschickt und als ich hinkam, waren schon 99 Prozent der Arbeit erledigt; der Rest waren nur mehr feine Nuancen. Die Aufnahme war sehr gut. Das Ensemble meinte: „We love your piece.“ Und vom Publikum gab es sogar Wow-Rufe. Auch fremde Leute haben mir gratuliert – die hätten das nicht gemusst, wenn sie es nicht so meinten.
Wie fanden Sie generell die Atmosphäre dort zwischen all den Kolleginnen und Kollegen sowie den Musikliebhaberinnen und Musikliebhabern?
Grzegorz Pieniek: Die Atmosphäre war äußerst angenehm, wirklich open-minded. Es war auch lustig, dass ich eine „erweiterte“ Nationalität bekam: Auf meinem Namensschild standen als Herkunftsländer sowohl Österreich als auch Polen.
„Konservatives war nun genauso möglich wie etwa Geräuschkunst.“
Da Sie 1982 in Polen geboren wurden und Ihr Studium zunächst in Posen abgeschlossen haben: Wie haben Sie in Ihrer Jugend die Musikszene erlebt? Immerhin betrieb das Land mit Persönlichkeiten wie Lutosławski und Penderecki schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg eine offensive Avantgarde-Pflege. Haben Sie davon auch noch etwas gespürt?
Grzegorz Pieniek: Zu meiner Zeit herrschten eher Pluralismus und eine offene Atmosphäre und Neugier. Man konnte bereits viel hören, das vorher nicht möglich war. Kurz zuvor war ein Anti-Avantgardismus beherrschend, was sich nach dem Ende des Kommunismus 1989 änderte. Konservatives war nun genauso möglich wie etwa Geräuschkunst. Das blieb eigentlich so. In Polen spricht man heute von der „Post-Internet-Zeit“, weil zur Musik vieles aus dem Netz hinzukommt, wie beispielsweise Bilder, Videos usw.
Neben alldem gibt es aber auch individuelle Persönlichkeiten, die ihren eigenen Stil verfolgen, egal welcher Art und Ästhetik, und sich darin treu bleiben.
2008 sind Sie nach Wien gekommen und haben hier Ihre Studien bei Michael Jarrell an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien fortgesetzt. Inwiefern sahen da die Dinge für Sie anders aus? War damit eine Art Zäsur verbunden?
Grzegorz Pieniek: Nein, das war eine kontinuierliche Entwicklung. Für mich kommen die Impulse vor allem aus dem Inneren, weniger durch äußere Einflüsse. Österreich ist ja nicht so verschieden von Polen, daher spielte das keine wesentliche Rolle.
Wie sah es mit der Annäherung an die hiesige Musikszene aus?
Grzegorz Pieniek: Es gab zunächst vielleicht noch eine gewisse Distanz, besonders bei den Mitstudierenden. Am Anfang war das sogar ein bisschen deprimierend, aber das hat sich von Jahr zu Jahr gebessert. Von Stück zu Stück wurde die Akzeptanz größer.
Wenn man in Ihre Aufführungslisten sieht, dann bemerkt man, dass Ihre Musik nicht nur in Österreich und Polen, sondern in vielen weiteren Ländern Europas sowie in Asien, Süd- und Nordamerika gespielt wird. Viele würden sich das wünschen. Wie kommt das?
Grzegorz Pieniek: Durch Kontakte, durch Kolleginnen und Kollegen, „Calls for Scores“ – und mit Glück! Es ist auch viel Arbeit, an diese Aufführungen zu kommen. Das passiert nicht von selbst. Gerade in diesem November hat es sich tatsächlich so ergeben, dass von insgesamt sieben Aufführungen nur eine in Österreich stattfindet.
„Das ist beflügelnd für einen Komponisten.“
Sie leben mittlerweile fast ein Jahrzehnt hier und der Erhalt des Staatstipendiums bestätigt nun die Wertschätzung Ihrer Arbeit. Was bedeutet das Vertrauen, das man Ihnen auf diese Weise auch offiziell entgegenbringt?
Grzegorz Pieniek: Vor allem materielle Sicherheit für ein Jahr. Das ist beflügelnd für einen Komponisten. Natürlich bekommt man das Stipendium für etwas Bestimmtes. Also muss man einen konkreten Projektplan vorlegen.
Welche Projekte beziehungsweise mittlerweile schon verwirklichte Stücke sind das im Einzelnen?
Grzegorz Pieniek: Ich hatte vier Stücke geplant. Davon gibt es bereits „Magical Forest für Cembalo und Akkordeon“, das für das Duo Ovocutters geschrieben wurde und im Juni in Wien Premiere hatte. Mittlerweile gab es bereits weitere Aufführungen in Niederösterreich, Taiwan und Ungarn.
Ein weiteres Werk ist „CyberTransplantation für elektrisches [sic!] Streichquartett“. Die elektrischen Instrumente sind per Kabel mit einem Synthesizer verknüpft – ein Pionierprojekt, da es eigentlich Synthesizer für elektrische Gitarren sind, die wir für Streichinstrumente verwendet haben. Da gab es allerlei technische Probleme, die wir lösen mussten. Die Uraufführung war im Oktober in Danzig und in der Folge gab es noch zwei Aufführungen in Polen.
Die neueste Arbeit ist ein Stück für das Ensemble Airborn extended für Flöte, Blockflöte, Harfe und Cembalo. Es wird im März 2018 beim Posener Frühling uraufgeführt und anschließend auch in Österreich nachgespielt werden.
Das letzte Stück aus der Projektliste, an dem ich derzeit arbeite, ist ein Werk für größeres Orchester. Das wird dem jetzigen Stand nach 2019 aus der Taufe gehoben.
Beim diesjährigen Festival Wien Modern sind Sie am 21. November mit „Idyll“ vertreten. Wie kommt es zu dieser Aufführung?
Grzegorz Pieniek: Das war ein „Call for Scores“ durch das ensemble reconsil. Dieses Stück wurde zuvor auch schon vom Ensemble Wiener Collage im Arnold Schönberg Center gespielt.
Denken Sie, dass sich durch den Erhalt des diesjährigen Staatsstipendiums auch im Anschluss die Motivation für weitere Arbeiten ergibt?
Grzegorz Pieniek: So ein Stipendium gibt einem schon Energie; auch dass die Stücke so gut aufgenommen und zum Teil mehrmals aufgeführt wurden. In diesem Beruf ist alles möglich – eine weitere Entfaltung oder auch, dass es wieder aus ist.
Haben Sie schon konkrete Ideen, was Sie nach den im Rahmen des Stipendiums komponierten Werken realisieren möchten?
Grzegorz Pieniek: Ideen habe ich immer, aber es ist noch nichts konkret. Ein Zukunftstraum ist eine Oper.
Sie sind Pole, Sie leben in Österreich und ich empfinde Sie auch als einen Menschen, der einem „offenen“ Europa positiv gegenübersteht. Wenn Sie die Fantasie bemühen: Wo sehen Sie sich selbst in zehn Jahren?
Grzegorz Pieniek: Irgendwo in Europa wahrscheinlich. Ich könnte mir aber gut vorstellen, für ein Jahr etwa als Composer in Residence in Amerika, Australien oder sonst wo zu leben.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Christian Heindl
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Grzegorz Pieniek
Grzegorz Pieniek (Soundcloud)