Es mag der Wunsch nahezu jedes österreichischen Komponisten sein: eine Uraufführung im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins. Für den 36-jährigen Oberösterreicher MICHAEL WAHLMÜLLER wird der Traum am 25. April 2016 Wirklichkeit. Christian Heindl sprach mit ihm über seine Arbeit.
Michael Wahlmüller, der 1. Preis beim Wiener Concert-Verein Compositions-Wettbewerb, den das Ensemble zu seinem 30-jährigen Bestehen veranstaltet hat, öffnet Ihnen Türen, hinter denen so manche Komponistin, so mancher Komponist nur allzu gerne einmal erklingen würde – jene zum „Goldenen Saal“, dem Großen Saal der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Welche Gefühle hatten Sie, als Sie an den Wettbewerb herangingen?
Michael Wahlmüller: Allein für den Saal und seine Akustik zu schreiben ist eine Herausforderung und ein Traum. Als ich sah, dass der Wettbewerb des Wiener Concert-Vereins darauf hinausläuft, hat es bei mir geklingelt. Wirklich geglaubt habe ich nicht daran, bis ich dann plötzlich verständigt wurde, dass es doch so ist.
Obwohl Sie natürlich nicht mit dem Sieg rechnen konnten, aber nimmt das Orchesterstück „Mens agitat molem“ in irgendeiner Weise Bezug auf den erhofften und nunmehr tatsächlichen Uraufführungsort?
Michael Wahlmüller: Es steckt sogar vieles darin, dass ich mit diesem Saal verbinde: das Strahlende, die glitzernden Momente, etwa wenn bei Sonntagsmatineen die Sonne hereinscheint – das wollte ich schon auch festhalten.
Als Titel ziehen Sie ein Zitat aus Vergils „Aeneis“ heran: „Mens agitat molem“, der Geist bewegt die Materie. Lassen sich daraus Rückschlüsse auf technische Aspekte der Komposition ziehen?
Michael Wahlmüller: Zum einen sollte so ein Satz sicher für einen Klangkörper zu seinem 30-Jährigen Bestehen gültig sein. Es hat sich aber auch meine Arbeitsweise der letzten Jahre darin niedergeschlagen: Es gibt eine gewisse serielle Methode in Form einer Wiederkehr von Elementen, aber nicht nach dem Verständnis der reihentechnisch seriellen Musik. Im Sinn der wiederkehrenden Akkorde ist der Satz auch ein persönliches Bekenntnis zu dem, wo ich gerade bin.
Das Umfeld der Premiere wird mit dem ersten Klavierkonzert Beethovens und der sechsten Symphonie Schuberts klassisch-frühromantisch geprägt sein.
Michael Wahlmüller: Die Verbindung mit dem ersten Klavierkonzert Beethovens, das von einer so grandiosen Künstlerin wie Khatia Buniatishvili gespielt wird, macht mich zusätzlich glücklich, weil für mich sehr viel vom Duktus Beethovens in meinem Stück liegt. Auch bei Beethoven geht es um die Ausformung eines geringen Grundmaterials, darum diesem Material Geist einzuhauchen. Insofern ist es ein schöner Fall, dass mein Stück dazu eine Ouvertüre bilden wird.
“Meine frühen Arbeiten stellten den Weg dorthin dar, wo ich seit einigen Jahren bin.”
Sie haben Ihre Arbeitsweise der letzten Jahre angesprochen. Können Sie kurz schildern, wie Ihre kompositorische Orientierung davor aussah?
Michael Wahlmüller: Meine frühen Arbeiten stellten den Weg dorthin dar, wo ich seit einigen Jahren bin. Ich glaube an das, was in den letzten Jahren passiert. Früher war ich vor allem ein bisschen post-hindemithisch unterwegs. Das war für mich schon so etwas wie eine Heimat; die Heimat der Großväter zwar, aber ich sehe das durchaus positiv. Ich meine, dass man das auch hochhalten soll.
Sie sprechen von Hindemith, Beethoven. Gibt es für Sie spezifische Vorbilder oder würden Sie behaupten, dass Sie doch einen ganz eigenen Weg gehen?
Michael Wahlmüller: Nein, wir kommen aus einem gewissen Eklektizismus nicht heraus. Für mich sind drei große „B’s“ prägend: Bach – die innere Sinnlichkeit der strengen Polyphonie. Beethoven habe ich bereits genannt. Und als Dritter Alban Berg, der mich in den letzten Jahren sehr beschäftigt hat.
Seit einigen Jahren regnet es geradezu Preise und Auszeichnungen für Ihre Arbeit. Ich erwähne neben dem aktuellen Preis des Concert-Vereins nur 2013 den 1. Preis des Internationalen Kompositionswettbewerbes „kompolize“ für Orchester in Berlin, 2015 den 3. Preis beim Internationalen Kompositionswettbewerb für Kammermusik der Weimarer Frühlingstage für zeitgenössische Musik und ebenfalls 2015 den 3. Preis in der Kategorie „Orchesterwerke“ beim Paul Lowin-Wettbewerb in Wien für das Werk „Rebus“. Wie gelingt es einem, dabei nicht an Bodenhaftung zu verlieren?
Michael Wahlmüller: Da kommt es mir sehr entgegen, dass ich nicht nur als Komponist, sondern auch als Lehrer, als Cellist und als Dirigent aktiv bin. Das habe ich mir selbst so ausgesucht, um nicht im Wolkenkuckucksheim verloren zu gehen. Ich brauche die Lust, als Komponist aus dem Urknall, dem Chaos heraus zu komponieren. Aber umgekehrt, hätte ich nur das, würde ich bald im Chaos untergehen.
Wie weit besteht eine Wechselwirkung zwischen dem reproduzierenden Künstler Michael Wahlmüller und dem Komponisten?
Michael Wahlmüller: Ich denke schon, dass meine Liebe zur Kammermusik, insbesondere zur Königsdisziplin Streichquartett, durch das Spielen das kompositorische Denken beeinflusst hat: Ich habe bei jeder Stimmführung, auch bei den so genannten Nebenstimmen, das Bedürfnis, dass für jeden genügend Interessantes drin ist.
“So lange ich gefallen wollte, war es nix wert!”
Eine persönliche, aber auch allgemein gültigere Frage. Wie sehen Sie die Situation des Komponisten heute? Was wird von einem Komponisten verlangt?
Michael Wahlmüller: Jede Art von populärer Kultur ist ein Spiegel der Gesellschaft. Das gilt auch für die so genannte „Hochkultur“. Ich meine das nicht so elitär, wie es klingen mag. Es gibt einen alten Satz, den ich auch für mich so empfinde: „So lange ich gefallen wollte, war es nix wert!“ – Durch die vielen neuen Medien sind wir sowieso dauernd Strukturänderungen unterworfen. Immer weniger Menschen gehen heute ins Konzert. Persönlich kann ich mich der Situation recht gut anpassen, aber entweder ich passe mich Trends an oder ich entscheide mich dagegen. Und ich entscheide mich dagegen.
Gibt es in diesem Zusammenhang auch äußere Einflüsse, die eine Rolle spielen?
Michael Wahlmüller: Worauf man achten muss: Wie weit fördert der Staat diese Dinge, obwohl sie nicht mehrheitsfähig sind. In Österreich ist die Situation diesbezüglich noch positiv.
Was steht als nächstes Projekt an, welchen Kompositionswunsch würden Sie gerne verwirklichen?
Michael Wahlmüller: Zurzeit habe ich einen Plan für ein Cellokonzert für Wolfgang Panhofer, der viele Solostücke von mir spielt. Da ich selbst auch Cellist bin, ist das natürlich eine besonders spannende Herausforderung.
Gibt es einen Kernsatz, der sich am neuen Orchesterwerk ableiten ließe und der auch für Ihr weiteres Schaffen gilt?
Michael Wahlmüller: Musik funktioniert fast nur in einer diktatorischen Ordnung. Aber in der Ordnung ist Demokratie.
Vielen Dank für das Gespräch!
Christian Heindl
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