„Immer haarscharf am Punkt vorbei“ – mica-Interview mit Chuzpe (Robert Wolf)

Bild Chuzpe
Bild (c) Chuzpe

Sie sind wieder da. Robert Wolf, der Wiens erste Punkband in den letzten 30 Jahren nur sporadisch betrieben hat, veröffentlicht zusammen mit Andy Kolm und Stephan „Graf Hadik“ Wildner ein neues Album. Da alle drei Herren an dem legendären Chuzpe-Debüt „Tausend Takte Tanz“ (1982) beteiligt waren, lag es auf der Hand daran anzuschließen. Oder doch nicht? Denn das Erfüllen von Erwartungen war noch nie Sache dieser Band – und in dem Sinne ist das schräge wie ambitionierte neue Werk „Vor 100.000 Jahren war alles ganz anders“ das perfekte zweite Chuzpe-Album. Sebastian Fasthuber hat mit Robert Wolf über das Chuzpische, das Musizieren damals und heute und sein Wien-Gefühl gesprochen. Die Band stellen ihr Album am 23. Mai im Cabaret Fledermaus live vor.

“Es war früher anders, aber nicht besser oder schlechter.

Chuzpe kommen aus Wien und sind doch ganz unwienerisch. Woran liegt das?
Robert Wolf: Das war eine bewusste Vermeidung. Ich habe das, was in Wien musikalisch gelaufen ist, von frühester Jugend an gehasst. Der frühe Ambros war das erste, das mir gefallen hat. Ich wurde in den 60ern mit den Beatles, den Stones, The Who usw. musikalisch sozialisiert. Dass es in Österreich auch solche Beatbands und Leute wie den Karl Ratzer gegeben hat, habe ich erst durchs Plattensammeln Anfang der 70er mitbekommen. Ich habe auch das Glück gehabt, Novak’s Kapelle noch live zu sehen. Das hat mir auch total gut gefallen. Aber für mich war immer England, Amerika und später auch Deutschland interessanter. Mein Vater hat noch Marschmusik gehört. Und bei den Heurigen gab es diese raunzerte Musik von alten Nazis, die sentimental werden. So sehr ich den Ernst Molden oder 5/8erl in Ehr’n mag – ich kann mir deren Musik nichts anfangen. Das ist mir zu larmoyant und letztlich auch reaktionär. Wir wollten auch gegen dieses Klischee vom morbiden Wien ankämpfen. Wir sind zwar unterlegen, aber in Würde.

Gehen wir in die Gegenwart und zum neuen Album.

Robert Wolf: Das ist auch für uns interessanter.

Ein Song heißt „Was vom Punkrock übrigblieb“.
Robert Wolf: Er bezieht sich darauf, dass ich einen Bekannten getroffen habe, den ich jahrelang nicht gesehen habe. Der hat mich zugeraunzt, dass früher alles besser war. Ich bin jedoch ein Mensch, der im Heute lebt.  Aber natürlich war es toll damals. Für uns war Punk die Möglichkeit, ohne große musikalische Vorkenntnisse eine Band zu machen. Bei unseren ersten Konzerten hat sich alles gesammelt, was es in Wien an Subkultur gegeben hat. Und es haben Lokale eröffnet, die anders waren als diese ewigen Hippie-Lokale. Wien hat sich geöffnet.

Das Album heißt „Vor 100.000 Jahren war alles ganz anders“. Ein ironischer Titel?
Robert Wolf: Natürlich. Es war früher anders, aber nicht besser oder schlechter.

“Schroff sein, anders sein, aber doch irgendwie am Popkultur-Kuchen mitnaschen wollen.”

Sind die Anfänge von Chuzpe in den späten 70ern sowie das erste Album „Tausend Takte Tanz“ aus 1982 wirklich so lang her?
Robert Wolf: Gefühlt für mich schon. Dazwischen sind so viele Sachen passiert: Frau, Familie, Scheidung, das ganze Berufsleben. Der Satz ist allerdings nicht von mir, sondern von Andy Kolm, der die Platte produziert hat. Mit dem Satz begann das Album überhaupt erst. Daraus und aus seinen Soundschnipseln hat es sich langsam entwickelt, meine Texte kamen später dazu. Das Wichtigste war, dass die Sounds etwas Chuzpisches haben.

Was muss es haben, damit etwas chuzpisch ist?

Robert Wolf: Es muss ein bissl frech und widerständig sein, aber auch melancholisch. Und immer haarscharf am Punkt vorbei. Der Nino aus Wien hat für mich zum Beispiel auch ein chuzpisches Element, oder eine Band wie Kreisky. Schroff sein, anders sein, aber doch irgendwie am Popkultur-Kuchen mitnaschen wollen.

Das Album ist sehr speziell. Manches klingt nach den frühen 80ern, aber dann machen sich immer wieder anachronistische 90er-Techno-Klänge breit. Gibt es einen Grundgedanken hinter dem Sound?
Robert Wolf: Überhaupt nicht. Der Kolm hat die Musik geliefert. Der hat halt mit Synthesizern herumexperimentiert. Und ich habe geschaut, was mir an Texten dazu einfällt. Man muss das Album wirklich als Ganzes hören, um reinzufinden. Es wird über iTunes auch keine einzelnen Tracks zu kaufen geben. Ich weiß, dass uns diese Einstellung uns auch Käuferschichten verwehren wird, aber so wollen wir es.

Bild Chuzpe
Bild (c) Chuzpe

“Gewisses hätte man perfekter machen können. Aber das wäre nicht mehr Chuzpe.

Was hat das neue Album beeinflusst?
Robert Wolf: Synthesizer-Geschichten wie DAF, The Normal, Der Plan oder natürlich auch Kraftwerk. Ich will nicht sagen, dass das Album retro klingt, aber uns sind die analogen Synthesizer einfach lieber als diese ganz modernen Sounds à la David Guetta.

Man hätte die Musik gewiss schöner klingen lassen können. Tatsächlich klingt sie zunächst einmal merkwürdig: Man fragt sich: Was wollen die überhaupt?
Robert Wolf: (Lacht) Das kann ich eigentlich auch nicht sagen. Wir wollten halt Popmusik machen, wie wir sie uns vorstellen. Gewisses hätte man perfekter machen können. Aber das wäre nicht mehr Chuzpe. Wir haben das Album bewusst auch nicht gemastert. Sonst hätte es vielleicht von dem Charme verloren, den es für uns hat.

Keine Angst gehabt, den Ruf von Chuzpe und des Debütalbums mit dem neuen Album zu beschädigen?

Robert Wolf: Überhaupt nicht. Da sind wir selbstbewusst und finden, es kann durchaus mithalten.

Das Album schließt vom Artwork wie auch vom Titel an „Tausend Takte Tanz“ an und wird als zweites Chuzpe-Album beworben. Wobei es zwischendurch schon auch andere Sachen gab.
Robert Wolf: Stimmt. Aber nachdem von der Besetzung nun der harte Kern der „Tausend Takte Tanz“ wieder beisammen ist, war es für uns logisch, daran anzuknüpfen. Ich will mich nicht mit Neil Young vergleichen, aber der macht auch immer wieder Sachen, wo sich die Fans auf den Kopf greifen. Da geht es einfach darum, Sachen auszuprobieren. Bei uns ist es ähnlich. Es ging mir mit meinen anderen Chuzpe-Projekten zwischendurch auch darum, nicht ganz den Bezug zur Musik und zur Bühne zu verlieren. Aber das fand alles im kleinen und kleinsten Rahmen statt.

Die zweite Stimme auf dem Album gehört Stephan Wildner, der dazwischen einige Platten als Graf Hadik gemacht hat. Wie ergänzen Sie sich?
Robert Wolf: Stephan ist mehr der versponnen-kosmische Typ. Ich bin der Melancholiker, aber trotzdem geerdet. Seine spezielle Art zu singen ist einfach unverzichtbar für Chuzpe und auch der Konnex zu „Tausend Takte Tanz“ ist dadurch gegeben.

“So etwas wie Bilderbuch oder Ja, Panik sticht halt aus der Masse heraus.

Die einstigen Kollegen von Minisex haben lustigerweise auch gerade ein neues Album veröffentlicht. Zufall?
Robert Wolf: Keiner hat vom anderen gewusst. Wir haben schon befürchtet, in die Nostalgieecke zu geraten. Es gab auch bereits Anfragen, ob wir nicht miteinander auftreten wollen. Nein, das wäre für beide Bands nicht gut.

Sie waren immer mehr am Neuen interessiert?

Robert Wolf:
Ja. Ich bin auch ein Liebhaber von Debütalben. Im Idealfall wird das zweite Album noch besser. Oder es bleibt eben das Debütalbum das Statement.

Wie sehr hat sich das Musikmachen verändert?
Robert Wolf: Komplett. Wir haben das neue Album auf dem Mac aufgenommen. Man muss kein Tonstudio mehr mieten. Damals war das Musikerleben einerseits leichter, weil man noch Gagen bekommen hat fürs Spielen. Heute muss man ja teilweise zahlen, damit man überhaupt spielen darf. Wobei: Wir hätten auch Anfang der 80er schon zahlen sollen, um vor Nena in der Stadthalle zu spielen. Da hat das Ganze angefangen. Das Aufnehmen und auch das Veröffentlichen ist heute leichter geworden. Und es gibt FM4 als Abspielfläche. Dadurch gibt es heute aber auch Bands wie Sand am Meer. So etwas wie Bilderbuch oder Ja, Panik sticht halt aus der Masse heraus.

Bild Chuzpe
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“Ein Hitalbum abliefern müssen – das war für mich undenkbar.”

Chuzpe waren mit dem Joy-Division-Cover „Love Will Tear Us Apart“ in den Top Ten. Gab es damals nicht auch den Wunsch, von der Musik zu leben?
Robert Wolf: Wir haben es eh versucht, nachdem die Plattenfirma gemeint hat, ein Nachfolge-Hit muss her. In der Situation haben wir die unsägliche, zurecht vergessene Single „Charlie Chan“ gemacht. Sie ist durchgefallen. Dadurch haben wir gesagt: Das ist nichts für uns. Wir wollten ohnehin wieder mehr deutsch singen. Der Film „Neonmix“ brachte die große Kehrtwende, weil man da von uns deutsche Lieder wollte. Wir haben in dem Film eine NDW-Band dargestellt. Das hat sehr gut mit dem korrespondiert, woran wir damals gearbeitet haben. Und daraufhin hat Markus Spiegel dann auch gesagt, wir sollen ein Album machen. Das war die „Tausend Takte Tanz“.

Damals war Sie kein Erfolg, später wurde sie zum gesuchten Sammlerstück.
Robert Wolf: Bis zu dem Reissue kürzlich, ja. Zu ihrer Zeit wurde die Platte kaum wahrgenommen, aber über die Jahre hat sie gewonnen. Wir haben 2.500 Stück verkauft, für die damalige Zeit war das sehr schlecht. Das war schon inklusive Deutschland. GiG hatte die Option auf ein zweites Album, hat aber abgewunken. Die waren mit Falco und Drahdiwaberl voll ausgelastet. Ich habe im Prinzip auch immer gewusst, dass man für eine Karriere dem Teufel die Seele verkaufen müsste. Ein Hitalbum abliefern müssen – das war für mich undenkbar. Außerdem bin ich auch kein Musiker in dem Sinn. Und ich halte nichts von Üben. Ich hätte als Studiomusiker gar nicht überleben können. Ich war seit 1973 bei der Post und bin inzwischen im Ruhestand. Stephan Wildner arbeitet als Psychiater, der Kolm ist Jurist. Die haben nicht viel Zeit, drum hat das neue Album auch zweieinhalb Jahre gebraucht. Wir haben viele Files hin und her geschickt. Es war mehr ein Projektalbum als ein Bandalbum.

Haben Sie in all den Jahren immer Songs geschrieben – oder gab es auch Pausen?
Robert Wolf: Es entsteht immer irgendwas. Ich habe auch mindestens schon drei Bücher begonnen. Aber zum Bücherschreiben fehlt mir die Disziplin. Das Songschreiben liegt mir mehr. Ich habe einen Haufen fertiger Songs in der Schublade, die entweder unter dem Namen Chuzpe oder auch auf einem Soloalbum veröffentlicht werden könnten. Das wird man sehen. Ich mache viel, liebe aber auch den Müßiggang und kann stundenlang am Sofa liegen und nur in die Luft schauen.

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