Palmsonntagswochenende: Nach den Totentanz-Fragmenten von und mit Christoph Cech in Uraufführung gab es am Sonntag im Krems-Stein einen weiteren anregendenden, prominent besetzten Abend mit „Songlines“ in ungewöhnlichen Bearbeitungen und Besetzungen. Renald Deppe & Wachauer Pestbläser, Anna Hauf und Agnes Heginger, Wolfgang Mitterer (electronics) und Markus Kupferblum als Moderator und Leser schöner literarischer Texte baten zu einem unterhaltsamen und hochkarätigen Einkehrabend. Sonne, Nebensonnen, Mond und Sterne gingen auf. Das erfreute unsern kranken Nachbarn auch.
Imago Dei, kuratiert von Jo Aichinger bot und bietet noch bis zum Ostermontag einen „sinnlich-geistigen Diskurs zur Spiritualität des Osterfestes mit einer höchst unterschiedlich arbeitenden Künstlerschar. Konzerte mit alter und zeitgenössischer Musik, Tanz- , Literatur- und Performanceprojekte – zum Teil Auftragswerke – geben spannende Einblicke in die kostbare Vielfalt der Ostervisionen“ (O-Ton Klangraum Krems). Da bot schon am 12. März das Koehne Quartett mit Joanna Lewis, Anne Harvey-Nagl (Violine), Elaine Koene (Viola), Mara Kronick (Violoncello) Streichquartette von Dmitri Shostakovitch, Luciano Berio und Alfred Schnittke. Heinrich Schiff spielte die Cello-Solosuiten von Bach. Am Gründonnerstag 1.April gibt es noch Sciarrino (Responsorio delle tenebre a sei voci, 2001), Penderecki, Scelsi, Gesualdo da Venosa mit dem Ensemble Odhecato (Tenebrae, factae sunt – spannend, empfohlen (!), am Karfreitag Stundengesänge aus Morgen- und Abendland (Amelia Cuni, Maria Jonas) und am Montag Jordi Savall & Montserrat Figueras (Lux Feminae).
Christoph Cech hat seine Beweggründe für den Totentanz selber im Gespräch erläutert (siehe kürzlich erschienenes mica-Interview). Er nannte sein neues Werk
Textmontage / Klangcollage. Es war aber mehr: eine ausgewachsene Komposition mit großartigen Solisten (Agnes Heginger, Anna Hauf, Elfi Aichinger, Johann Leutgeb). Den Text konnte (und musste man teilweise) in Auszügen im Abendprogramm vorher lesen bzw. mitlesen. Es beginnt mit dem Dialog aus dem Lübecker Totentanz. Das Kind schläft … schläft … schläft. „O Tod! Wie soll ich das verstehn? Ich soll Tanzen und kann noch nicht gehn!“ … Die Kaiserin: „Ich bin noch jung und auch eine Kaiserin!“, „ich bin ein Supermodel“, und dann Zitate Cechs aus Internetforen: Eating disorders wie Adipositas – Fettleibigkeit, Anorexia nervosa – Magersucht, Bulinmia nervosa – Ess-Brechsucht; weltweit 70.000 Hungertote täglich bei 1,11 Billionen Dollar Militärausgaben jährlich; „Hi Ich bin 158cm groß und wiege 67kg. Wie viel wäre denn ideal für diese größe beim model sein? Und was braucht man noch am körper“ (grandios: der Sprechchor der Jugendlichen, bald erweist sich auch dass das BORG Krems einen jungen Posaunisten in seinen Reihen hat, der als Instrumentalsolist mithält (!).
Es folgen Arzt, Kartäuser, Bauer, Kaiser (GUT BESSER KAISER!!! DER SAUBERMACHER!!! ICH VERSPRECHE ALLES!!!) – wieder die Jugendlichen, die das skandieren; „Van mi to maken spise der worme!“ heißt es im Lübecker Totentanz.
Der Edelmann ist „edel, cool, fit, well, super“, dann kommt der Herzog (I’m the Duke), der Kaufmann zitiert Tucholskys Gedicht über fallende Börsenkurse (1930, heute gibt’s ja so was gottseidank nicht mehr, oder?), Ritter und Papst („Habemus papam“, „ich wünsche dem Führer nichts sehnsüchtiger als einen Sieg (Pius XII)“ zum Ende. Die Musik klingt tatsächlich aus – wie von Cech angekündigt – mit einer (langen) Improvisation zu Entspannung (?) – es ist wieder the Duke, aber diesmal Duke Ellington, von dem er sich eine von seinen Lieblingsnummern gewünscht hat.
Sonne, Mond und Sterne
Besetzung siehe Einleitung dieses Textes, nachzutragen noch, welche „Songlines“ und wer diese ungewöhnlich bearbeitet, besetzt, „arrangiert“ hat: Das waren, wie wir von Moderator 1 Renald Deppe gesagt bekamen, er selbst sowie Wolfgang Mitterer (Electronics), und die „Wachauer Pestbläser“ Martin Ptak (auch: Posaune) sowie Michael Bruckner (Gitarre, „ein Niederösterreicher, der Musik und Kultur für Niederösterreicher macht“, bemerkte Renald launig-pointiert).
Der Reihe nach: Mit Luci Serene e Chiara (Luci sollte man hier mit „Augen voll Licht und Klarheit“ übersetzen) eröffnete Wolfgang Mitterer den Sternenreigen am Steuerungspult hinten. Und Markus Kupferblum erzählte von Gesualdo di Venosa, der seine Frau in flagranti mit einem Liebhaber im Bett erwischte und beide ermordete. Er wurde als Adeliger freigesprochen und komponierte aus Reue über seine Tat für den Rest seines Lebens Madrigale von erlesener und schräger Harmonik. Mitterer zitierte den Gesang mit erlesener Elektronik – aber auch das Unfassbare dahinter kam zum Ausdruck.
Die Sängerin Agnes Heginger plus Solisten an der Klarinette (Renald Deppe) brillierte mit – Duke Ellington again! „I’m beginning to see the Light“ brachte wirklich tolle vibrations. Dann das Arbeiterlied „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ (L.P. Radin): Nach Einleitung verhalten und mit Fragezeichen, weil umgetextet (politisch korrekt, denn es heißt ja jetzt angeblich auch „Heimat bist du großer Söhne und Töchter“): „Werner zur Sonne zu Freiheit, Ilse zum Lichte empor ….“ Ein Gustostück mit Anna Hauf und vorherige Belehrung: „Azurro“ stammt nämlich nicht von Adriano Celentano, der das Lied so berühmt machte, dass wir es mit 14 am liebsten beim Autodrom-Fahren auf „dem größten Autodrom Europas“ beim Rieder Volksfest hören wollten und konnten – die Rieger-Brüder waren da sehr demokratisch und schenkten uns mitunter auch Fahr-Chips. Es stammt von Paolo Conte. Anna Hauf sang Strophe 1 Italienisch mit wunderbarem amerikanischem Akzent, daraufhin dann in schönstem Italienisch, schöner als Celentano.
Der Mond: „Mondestrunken“ aus „Pierrot Lunaire“, op. 21 von Arnold Schönberg folgte a due in einer Fassung von Deppe. „Den Wein, den man mit Augen trinkt, gießt Nachts der Mond in Wogen nieder… Der Dichter, den die Andacht treibt, berauscht sich an dem heilgen Tranke…“ (Albert Giraud). Es folgte „Damals hinterm Mond“ von „Element of Crime“/Sven Regener. „Licht“ aus „Sonntag“ von Karlheinz Stockhausen in Kurzfassung – Kupferblum durfte es nach einer Minute abwinken und weil es so schön kurz war kam das noch einmal als Zugabe am Ende, dafür rezitierte Kupferblum auch „Der Mond ist aufgegangen“ von Matthias Claudius. Soviel für die Nachbarn, der Text ist aber an anderen Stellen noch viel beeindruckender.
Folgten die Beatles: „Here comes the sun“ (for Agnes Heginger). Dann kamen auch „Die Nebensonnen” zum Zug, durch das knapp aufeinanderfolgend hintereinander gesungene Lied wurde die drei Sonnen, die gegen Ende von Franz Schuberts „Winterreise“ am Himmel stehn durch den Gesang a due vervielfältigt. „Ja, neulich hatt’ ich auch wohl zwei, nun sind hinab die besten zwei.“) Sehr gut auch „unsere großen Töchter“ dabei an den Celli (Extracello: Edda Breit, Melissa Coleman, Margarethe Deppe, Gudula Urban). „Light my fire“ verewigte die „Doors“ Anna Hauf (Arrangement: Michael Bruckner) verausgabte sich noch einmal sehr toll, am Ende kurz Paul Linckes „Glühwürmchen“.
Einige der Nummern mit solchen Interpretinnen und Bearbeitungen klingen – wie der ganze Abend – immer noch nach und man kann nur sich nur wünschen, dass er genauso wiederholt wird und dass eine Aufnahme auf CD erscheinen möge. Ein großes Bravo. Auch Jo Aichinger für das Festival insgesamt.
Heinz Rögl
Klangraum Krems