„Im Vordergrund stehen die Musik und wir als Charaktere […]“ – VICY PFEIL und SARAH BRAIT (MAMMA FATALE) im mica-Interview

Es hätte eigentlich nur ein einziges Konzert sein sollen, das die siebenköpfige Band MAMMA FATALE 2019 spielen wollte, doch es kam anders. Angespornt von den überschwänglichen Reaktionen des Publikums und der Freude am gemeinsamen Schaffen und Spielen, entschied sich das oberösterreichische Kollektiv dazu, dann doch weiterzumachen. Zwei Jahre nach diesem denkwürdigen Auftritt erscheint nun Ende Juni das selbstbetitelte Debütalbum von MAMMA FATALE. Was musikalisch auf diesem auf dem Programm steht, ist eine erfrischend eigenständige, bunt funkelnde und wunderbar tanzbare Mischung aus Pop und Jazz. Im Interview mit Michael Ternai erzählten VICY PFEIL (Saxofon) und SARAH BRAIT (Bass) über die Motivation, diese Band zu gründen, und warum sie sich, obwohl fast alle Beteiligten weiblich sind, nicht als Frauenband sehen.

Ich habe gelesen, dass MAMMA FATALE ursprünglich als eine einmalige Aktion geplant war. Ihr wolltet eigentlich nur ein Konzert spielen. Was hat euch dazu bewogen, aus MAMMA FATALE ein längerfristiges Projekt zu machen?

Vicy Pfeil: Zum einen auf jeden Fall die Reaktion des Publikums bei unserem ersten Konzert in der Linzer Stadtwerkstatt. Die hat uns wirklich überrascht. Die Leute haben unsere Musik und Performance auf der Bühne wirklich gut aufgenommen. Zum anderen haben wir gespürt, dass das gemeinsame Musizieren richtig gut funktioniert und es schade wäre, wenn wir es bei diesem einen Konzert belassen würden.

Sarah Brait: Außerdem macht uns das Erarbeiten eines Programms oder das Arbeiten an Kompositionen eine riesige Freude. Das alles zusammengenommen, also auf der Bühne zu stehen und die eigenen Sachen zu präsentieren gepaart mit der Reaktion des Publikums, das hat uns sehr motiviert.

„Nur ist uns aufgefallen, dass während des gesamten Abends eigentlich nur Männer auf der Bühne gestanden sind.“

Wie habt ihr sieben eigentlich zusammengefunden? Ihr stammt ja allesamt aus recht unterschiedlichen musikalischen Richtungen. 

Vicy Pfeil: Zum Gründungsmoment kann ich etwas sagen. Es gibt in Linz ja die Jazz Nights. Und eine von diesen Veranstaltungen habe ich im Juni 2019 mit einigen meiner Studienkolleginnen besucht. An dem Abend haben ein paar wirklich super Bands gespielt und wir haben auch richtig schön abgetanzt. Nur ist uns aufgefallen, dass während des gesamten Abends eigentlich nur Männer auf der Bühne gestanden sind. Und es waren sicher zwanzig Musiker an dieser Veranstaltung beteiligt. Da haben wir uns gesagt, dass wir da auch einmal auf der Bühne stehen sollten, und uns relativ schnell den Hauptslot im Jahr darauf gesichert. Und das, ohne auch nur einmal geprobt zu haben.
Ich weiß jetzt auch nicht mehr ganz genau, wer da aller dabei war. Ich glaube Margit [Gruber; Anm.]. Auf jeden Fall war uns, nachdem wir die Entscheidung getroffen haben, etwas zu machen, auch schnell klar, wen wir fragen werden, weil wir auf der Uni schon damals sehr gut vernetzt waren.

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Und wie seid ihr es angegangen? Ich stelle es mir nicht so einfach vor, die Ideen so vieler verschiedener Musikerinnen und eines Musikers so mir nichts, dir nichts zu verbinden.

Sarah Brait: Wir haben uns damals vor der ersten Probe ausgemacht, dass alle eine eigene Komposition mitbringen sollen. Die einzige Vorgabe war, dass diese tanzbar sein und eine Energie enthalten sollte, die einen mitreißt. Und es sind dann tatsächlich alle mit eigenen Kompositionen gekommen, die wir dann gemeinsam bearbeitet und finalisiert haben. Und jetzt entwickelt sich das Ganze einfach wirklich schön weiter.

Vicy Pfeil: Hilfreich war, glaube ich, dass wir gleich zu Beginn gesagt haben, dass es einfacher ist, mit Kompositionen zu starten, weil es da schon eine Vorlage und Noten gibt. Alles weitere, die Arrangements und Abläufe, erarbeiten wir dann aber gemeinsam. Ich habe das Gefühl, dass – je länger wir zusammenspielen – die Dinge mehr und mehr ineinandergreifen und funktionieren. Es wissen jetzt schon alle, wie es läuft. Und alle sind auch sehr frei darin, sich einzubringen.

„Es ist vielleicht schon so, dass die Stücke vom Aufbau her eher an Popmusik orientiert sind, sie aber dann immer wieder in ganz andere Richtungen abbiegen“

Eure Musik ist sehr ein bunter Mix aus verschiedenen Genres. Er reicht von Jazz bis Pop, Elektronik und Hip-Hop. Und auch Improvisationen sind Bestandteil eures Bandsounds.  War diese stilistische Vielfalt ein Ziel, das ihr verfolgt habt?

Bild MAMMA FATALE
MAMMA FATALE (c) Ines Futterknecht

Sarah Brait: Ich glaube, die ergibt sich bei uns automatisch. Wir machen immer das, worauf wir Lust haben und was uns beim Spielen selber am meisten eine Freude bereitet. Und Improvisationen sind für uns ja auch nichts Fremdes, weil wir das ja alle auch studieren. Vielleicht gehen wir auch gerade deswegen viel freier mit Musikstilen um, weil uns diese Aspekte an Musik einfach faszinieren. Wir kombinieren bunt, wie es uns taugt, ohne jetzt bewusst Konventionen einzuhalten oder zu brechen.

Vicy Pfeil: Was man noch hinzufügen kann, ist, dass – und das war auch nicht abgesprochen – Soli erst mit der Zeit gekommen sind. Die Stücke sind auch nicht nach dem Schema Thema-Solo-Solo-Thema auskomponiert, dafür sind die einzelnen Teile zu unterschiedlich. Es ist vielleicht schon so, dass die Stücke vom Aufbau her eher an Popmusik orientiert sind, sie aber dann immer wieder in ganz andere Richtungen abbiegen. Und das schafft zusätzlichen Raum für Improvisationen.

Du hast vorher von der Motivation, diese Band zu gründen, erzählt – nämlich dass damals keine Frauen auf der Bühne zu sehen waren. Spielt das bei euch auch inhaltlich eine Rolle?  

Vicy Pfeil: Es ist jetzt nicht so, dass wir dieses Thema besonders in den Vordergrund rücken. Ich denke, es ist schon eine Message an sich, dass viele Frauen auf der Bühne stehen. Und die Band besteht ja nicht ausschließlich aus Frauen, sondern aus vielen Frauen. Und ich denke, das ist genau das Bild, das man bekommt, wenn man uns auf der Bühne sieht.

Sarah Brait: Im Vordergrund stehen die Musik und wir als Charaktere und nicht das Thema Frau und Mann.

Vicy Pfeil: Deswegen sprechen wir selber bei MAMMA FATALE von einer Gruppe und nicht von sechs Musikerinnen und einem Musiker. Diese Art von Geschlechtertrennung wollen wir eigentlich vermeiden.

„Unsere Musik soll tanzbar sein und gleichzeitig auch zum Nachdenken anregen.“

Was sind die Inhalte eurer Lieder? Geht es einfach um Unterhaltung oder steckt doch mehr dahinter? 

Sarah Brait: Ich würde schon sagen, dass mehr dahintersteckt. Unsere Musik soll tanzbar sein und gleichzeitig auch zum Nachdenken anregen. Die Texte sind schon auch politisch angehaucht und behandeln Themen, die uns beschäftigen und mit denen wir uns auseinandersetzen.

Ein Album, an dem so viele Musikerinnen und ein Musiker beteiligt sind, zu schreiben und dann aufzunehmen, war im letzten Jahr wahrscheinlich nicht so einfach.

Vicy Pfeil: Das Besondere an unserer Band ist, dass wir sieben eine wirklich gute Aufgabenverteilung haben, die sich für alle Beteiligten gut anfühlt. Von da her gibt es Bereiche, in die ich sehr viel involviert bin, und solche, in denen ich weniger aktiv bin. Für die wiederum sind andere zuständig. Und so war es auch bei der CD-Produktion. Es gab verschiedene Gruppen, die verschiedene Aufgaben übernommen haben.
Im ersten Lockdown haben wir uns gesagt, dass wir dranbleiben wollen. Wir haben jede Woche eine Stunde geskypt und geplant. Im Sommer 2020 haben wir die „LINZ_sounds“-Förderung bekommen, die es uns ermöglicht hat, das Album ohne Konzerteinnahmen zum Teil zu finanzieren. In der Zeit sind auch die ersten beiden Stücke aufgenommen worden. Die Übrigen folgten dann im Dezember.

Sarah Brait: Das Proben war im letzten Jahr natürlich nicht so leicht. Wir haben uns, glaube ich, dreimal geblockt zu Proben getroffen, bevor es ins Studio gegangen ist.

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Ihr seid alle auch in anderen Projekten tätig. Wie sehr ist MAMMA FATALE für euch zu einem zentralen Projekt geworden? Oder ist es eines, das gleichwertig neben allen anderen läuft?

Vicy Pfeil: Die Frage thematisieren wir tatsächlich immer wieder. Auch weil es darum geht, wie viel Zeit wir in dieses Projekt investieren. Es ist bei uns allen schon so, dass MAMMA FATALE im Moment ganz vorne dabei, wenn nicht sogar das Wichtigste ist. Im Moment passiert einfach so viel. Es kommt das Album raus, wir haben den Hubert von Goisern Kulturpreis bekommen, wir werden wieder Konzerte spielen. Wir sind wirklich alle top motiviert.

Sarah Brait: Für mich ist der Unterschied zu vielen anderen Bands, in denen ich spiele, dass bei MAMMA FATALE alle Bandmitglieder gleichwertig sind. Ich bin ja Bassistin und habe oft einfach nur einen Job zu erfüllen. Hier bin ich auch Komponistin, ich organisiere, bin Ansprechperson. Die Band rennt also nicht nur mit, sondern ich bin wirklich ein Teil von ihr. Und ich denke, das empfinden die anderen ähnlich.

Vicy Pfeil: Die Band ist in so vielen Bereichen auch sehr lehrreich für uns. Unsere Sängerin Dani [Daniela Gschirtz; Anm.] zum Beispiel ist Steuerberater Berufsanwärterin und daher logischerweise bei uns für die Finanzen zuständig. Und wir bekommen natürlich einiges mit. Wir lernen – auch was die Musikwirtschaft betrifft – einfach so viel voneinander, und das macht diese Band für uns so anders.

Ihr stellt euer Album ja auch im Rahmen einer schönen Tour vor. Abgesehen von der, was sehen eure nächsten Pläne aus? 

Sarah Brait: Wir werden unter anderem im Porgy in Wien [26.6.; Anm.]  und in der Stadtwerkstatt in Linz [25.6.; Anm.]  spielen. Diese Termine haben wir schon im letzten Jahr mit der Hoffnung, dass Konzerte vor Publikum möglich sein werden, fixiert. Der Termin im Deep Space im Ars Electronica Center [22.6.; Anm.]  ist erst vor kurzem zustande gekommen und ist unsere Pre-Releaseshow. Was noch vor der Albumpräsentation kommen wird, ist ein zweites Video. Es trägt den Titel „When finally my Prince has come” und ist ein Stück von Vicy. Es ist schon im Kasten und wird gerade geschnitten.

Vicy Pfeil: Wir haben für das Video die Schauspielerin Christina Scherrer gewinnen können. Sie spielt im Wiener „Tatort“ mit und hat in unserem Video die Rolle der Hauptprotagonistin übernommen. Ich bin ja ein echter Fan vom „Tatort“ und daher auch doppelt froh, dass uns das gelungen ist. Erscheinen wird das Video wahrscheinlich am 18. Juni, also eine Woche vor dem Release.

Herzlichen Dank für das Gespräch! 

Michael Ternai

 

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MAMMA FATALE live
22.6. Deep Space im Ars Electronica Center, Linz
25.6. Stadtwerkstatt, Linz
26.6. Porgy & Bess, Wien
18.7. tba

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