Im Überfluss – ein Blick auf Salzburgs Musikleben

In allen Winkeln unserer Bilderbuchstadt pfeift es Mozart, und er nimmt für sich ein, was einzunehmen ist. Warum auch nicht, seine Musik ist großartig. Und großes Kapital, aus dem nicht zuletzt Salzburg größtes Kapital zu schlagen weiß und wusste, seit Jahrzehnten. Salzburg lebt zu einem nicht unwesentlichen Teil vom Ruf dieses und einer Handvoll anderer Großen, und auch vom Ruf der auf diesen begründeten Institutionen und Festivitäten, die nicht alle weißbärtig, sondern zumeist sehr engagiert bemüht sind, das Erbe für sich nutzend in die Zukunft zu tragen. Wie viel davon der Anbetung der Asche anheimfallen mag, sei zunächst dahingestellt und kann dort gern auch bleiben, wenn denn das Feuer auch geschürt und weitergegeben wird.

Eine lebendige Kunstwelt wird sich immer auf das beziehen, was war, was ist, was kommt. Was übrig bleibt von dem, was war, ist wichtig und zumeist von hoher oder höchster Qualität. Und auch was übrig bleiben wird von dem, was ist und kommt, wird wichtig sein und von hoher oder höchster Qualität. Selbst wenn es uns nicht immer etwas zu „sagen“ weiß oder wir es nicht zu „lesen“ wissen, konfrontiert es uns doch fast immer mit einer anderen Welt oder einer Betrachtungsweise, die uns Perspektiven öffnet, unsere Horizonte weitet. Ja, das kann Kunst, das kann Musik. Und macht es auch. Die „gute“. Qualitätsmaßstab ist, was sie mit uns macht, was sie in uns bewirkt, egal ob alt ob neu. Und sei es auch einmal Ratlosigkeit. Als ob wir mit einer solchen nicht immer wieder konfrontiert wären. Warum also nicht auch im Konzert. Und spielen mit dem Gedanken dieses Ratlosseins. Musik hat uns immer etwas zu sagen. Heikel wird es dort, wo sie zur bloßen Unterhaltung verkommt, auch wenn „gute“ Musik niemals nur unterhalten wird, denn sie kann und will viel mehr. Und muss es auch. Und tut es auch, so es (sie) zugelassen wird. Veranstalter aber, die ihrem Publikum nicht mehr zutrauen als ein Unterhaltungsbedürfnis, und dieses „billig“ stillen wollen, sind Totengräber. Sie beten nicht nur selbst die Asche an, sondern nötigen auch ihr Publikum dazu, untergraben dessen Neugier und Bereitschaft, sich zu öffnen, und auch dessen Fähigkeit, sich mit der Musik und ihrer Welt auseinanderzusetzen. Mit stark aschehaltigen Programmierungen verhindern sie also durchaus geistvolle Entwicklungen und Diskurse, die unsere Gesellschaft positiv verändern könnten, was dieser in so manchen Belangen durchaus gut anstehen würde.

Mut fassen und verändern

Nun ist es zum Glück so, dass in Salzburg die Totengräber vorwiegend dort ihren Dienst versehen, wo sie das auch schon zu Mozarts Zeit zu tun hatten, doch finden sich auch heute durchaus Spuren und Anzeichen von Gräbern, die es näher zu betrachten gelte. Diese Analyse selbst zu machen, erspare ich mir gerne, denn auch wenn ich nach bestem Wissen und Gewissen und mit Objektivität und Fairness sie zu verfassen mich bemühen würde, wären mir wohl dennoch persönliche Anfeindungen zuhauf gewiss. Wer sich aber einen Eindruck machen möchte, dem sei ein Blick auf die zahllosen Programme der Konzertlandschaft Salzburgs angeraten. Dass einem bei einem derartigen Überfluss neben Hervorragendem auch manch Inhaltsleeres und viel Mutloses begegnen wird, möge aber nicht Anlass für Kritik sein, sondern Anlass, um Ursachen zu ergründen, Mut zu machen (und zu fassen) und zu verändern.

Sehr bald schon wird es eine große Chance für eine ausführliche Analyse und, damit verknüpft, auch weitreichende Veränderungen geben. Das Land Salzburg bereitet auf Initiative des Landeskulturbeirates die Erstellung eines „Kulturentwicklungsplans“ vor, bei dem in einer Art Leitbildprozess herausgefunden werden soll, wie das Kulturleben Salzburgs in den nächsten fünf, zehn, 20 Jahren am besten zu entwickeln sein wird, wo Schwerpunkte zu setzen sein werden und wie denn das dann alles am besten umgesetzt werden kann. Es ist davon auszugehen, dass dabei die Evaluierung des bestehenden Kulturlebens eine große Rolle einnehmen wird, und dieser möchte ich nichts vorwegnehmen. Wünschen aber möchte ich mir die Betrachtung und Diskussion folgender Themenfelder von innen wie von außen:

    • Verhältnis von Kultur und Tourismus
    • Orchesterleitplan für die Orchestervielfalt Salzburgs
    • Arbeits- und Lebensbedingungen junger MusikerInnen und KomponistInnen
    • Angebot und Nachfrage von Probe- und Konzertsälen
    • Entwicklungslinien für eine „Landschaft zeitgenössischer Musik“ in Salzburg, die über die „klassische“ Musik des 20. und 21. Jahrhunderts weit hinausreicht, also auch Volksmusik, Jazz, Rock, Pop, Elektronik und Jugendkultur mit einbezieht
    • Aufwertung der „zeitgenössischen Musik“ und der Musikpädagogik an der Universität Mozarteum, sodass sich diese auch in diesen Bereichen im internationalen Spitzenfeld positionieren kann’
    • professionelle und nachhaltige Vermittlung von Kunst und Kultur zur Förderung von Gesellschaft, Identität und Gemeinschaftswesen in Stadt und Land Salzburg (vom Musikunterricht in der Schule bis hin zur Erwachsenenbildung)

Mit Sicherheit wird am Ende dieses Prozesses stehen, dass Salzburg eine Stadt und ein Land ist, in dem Kunst und Kultur die höchste Priorität haben. Ja, es könnte sogar sein, dass man herausfindet, dass vor allem die Musik die eigentliche Lebensgrundlage der SalzburgerInnen ist, denn was wäre Salzburg ohne Tourismus, der ja zum größten Teil auf ihr basiert? Nicht nur die Umwegrentabilitätsstudie der Festspiele aus dem Vorjahr hat das eindrücklich belegt. Auch deshalb muss die Musikwelt lebendig bleiben, darf nicht zu Asche verkommen. Erneuerung (Inhalte und Formate) und Weitergabe (Musikvermittlung und Audience Development) sind da die „Zauberworte“ und mit unsere wichtigsten Aufgaben: Schärfen wir den Blick auf unsere Herkunft und unsere musikalischen Wurzeln und entfachen wir damit gleichzeitig Offenheit für anderes und Neugierde auf Neues, ermöglichen und fördern wir dessen Entstehen und schaffen wir viele Begegnungsmöglichkeiten – all das gern im Überfluss – als Beitrag zu einer den Herausforderungen unserer Zeit gewachsenen kulturellen und gesellschaftlichen Weiterentwicklung. Alexander Kraus
www.artSconsulting.org