„Im Prinzip geht es mir um das Arbeiten mit Kontrasten“– DAVID HELBOCK im mica-Interview

Der aus Vorarlberg stammende Pianist DAVID HELBOCK zählt nicht nur zu den gefeierten Protagonisten des jüngeren österreichischen Jazz, sondern hat sich bereits auch über die Ländergrenzen hinaus einen beachtlichen Ruf erspielt. Mit Martin Schütz sprach er über seine verschiedenen Ensembles, seinen Zugang zu Komposition und Arrangement sowie über die Herausforderung, gut von der eigenen Musik leben zu können.

Wo haben Sie aktuell Ihren Lebens- und künstlerischen Schaffensmittelpunkt?

David Helbock: Das ist bei mir eine gute Frage. Ich bin offiziell noch mit meinem Hauptwohnsitz in Wien und bin auch viel in Wien, weil beide Mitglieder meines Trios Wiener sind und von dem Random/Control-Projekt Andreas [Broger] auch in Wien wohnt. Meine Frau und ich leben aber auch gemeinsam mehr in Berlin. Ich pendle eigentlich zwischen Wien und Berlin. Ich bin aber, schätze ich, mindestens ein Drittel des Jahres unterwegs und starte – je nachdem, wo die Konzerte sind – von Wien oder von Berlin aus. Oder auch mal von Vorarlberg aus, wenn ich ab und zu bei meinen Eltern bin. Ein fixer Lebensmittelpunkt ist bei mir also gar nicht so eindeutig.

Sie kommen ursprünglich aus Vorarlberg. Sind Sie aktuell noch im künstlerischen Austausch mit in Ihrer Heimatregion ansässigen Kolleginnen und Kollegen und/oder in entsprechend verortete Projekte involviert?

David Helbock: Durch Random/Control gibt es einen klaren Bezug zu Vorarlberg, da wir alle drei Vorarlberger sind. Andreas wohnt, wie gesagt, in Wien und Johannes [Bär] ist noch in Vorarlberg. Daher haben wir unsere Probenphasen meistens in Vorarlberg und ich bin ab und zu vor Ort. Auch habe ich noch Kontakt zu meinem Lehrer Peter Madsen, der immer noch sehr aktiv in Vorarlberg ist. CIACollective of Improvising Artists heißt das Ensemble. Ich bin da zwar nicht mehr so wahnsinnig eng involviert, doch immer wieder mal. Es gibt manchmal Improvisationen zu Stummfilmen, bei denen ich gelegentlich dabei bin. Und sonst habe ich aber noch Kontakt zu anderen Kollegen, die aber nicht mehr unbedingt in Vorarlberg sind, wie Martin Eberle oder Benny Omerzell. Zu diesen Leuten habe ich immer mal wieder Kontakt. Doch die sind natürlich auch in Wien. Aber dafür, dass ich nicht mehr dort lebe, bin ich noch recht häufig in Vorarlberg. Und ich überlege mir auch, langfristig vielleicht irgendwann mal wieder mit meiner Frau zusammen nach Vorarlberg aufs Land zu ziehen.

Ihre Häkelmütze mit Klaviatur-Musterung ist mittlerweile zu einer Art Markenzeichen geworden. Ein Talisman oder eine Hommage auf die modischen Eigenheiten von ruhmreichen Pianolegenden wie Monk und Zawinul?

David Helbock: Alles von dem. Die Mütze gib es schon lange, ich schätze 16 oder 17 Jahre. Die hat meine Mutter damals gehäkelt. Das war vielleicht mal eine Hommage auf Zawinul und es ging mir auch darum, eine Art Markenzeichen zu haben. Doch mittlerweile ist das Aufsetzen der Mütze fast eine Art Ritual geworden, indem ich vor jedem Konzert die Mütze aufsetze. Das versetzt mich quasi in eine gewisse Stimmung, indem mein Körper weiß, dass es jetzt gleich los geht.

Dann wird im übertragenen Sinn der Schalter umgelegt und sich auf das bevorstehende Konzert fokussiert.

David Helbock: Ja, genau.

Sie waren für längere Zeit beim Label Traumton und veröffentlichen nun Ende Mai 2018 ihr bereits zweites Album beim Label ACT. Welche Veränderungen bringt dies mit sich und welchen Einfluss hat diese Entwicklung für Sie?

David Helbock: Das hat sich schon in einer größeren Präsenz bemerkbar gemacht. ACT ist sicher internationaler aufgestellt als Traumton. Ich war sehr gerne bei Traumton. Die Chefin von Traumton, Stefanie Marcus, war eine super Labelchefin. Doch sie macht das eben hauptsächlich alleine. Und bei ACT habe ich jetzt ein ganzes Team, wo jemand für den Verlag, jemand für die Promo und jemand hauptsächlich für die Produktentwicklung zuständig ist. Dadurch habe ich verschiedene Ansprechpersonen und es geht schon alles irgendwie schneller. Und man merkt es auch an den Kritiken, dass es mehr internationale Präsenz gibt.

Sie wurden in den letzten Jahren mehrfach prämiert. Welchen nachhaltigen Effekt hatten diese Preise und Auszeichnungen für Ihre Laufbahn?

David Helbock: Das ist ganz unterschiedlich und hängt von dem jeweiligen Preis ab. Ich war zwei Mal bei einem Klavierwettbewerb in Montreux. Direkt hat das vielleicht gar nicht so viel gebracht. Doch man konnte sich das in die Vita schreiben und ich hatte schon das Gefühl, dass das manche Veranstalter dazu bewogen hat, mich zu buchen. Mir selbst sind Preise nicht so wichtig, doch es ist natürlich toll, wenn man für seine Arbeit, die man täglich investiert, eine Anerkennung erfährt.

Im Rahmen eines bereits einige Jahre zurückliegenden TV-Porträts hatten Sie als ein zukünftiges Ziel auch genannt, gut von Ihrer eigenen Musik leben zu können. Haben Sie dieses Ziel mittlerweile erreicht und mit welchen Optionen und Chancen aber auch Herausforderungen und Schwierigkeiten sehen Sie sich im Zusammenhang mit einer aus ökonomischer Sicht in weiten Teilen eher mäßig lukrativen Kunstform konfrontiert?

David Helbock: Das ist eine gute Frage. Zunächst ist es auch eine Frage der Definition, was es bedeutet, gut zu leben. Was heißt das überhaupt? Ich kann von der Musik leben und es wird aus finanzieller Sicht eigentlich jedes Jahr mehr. Wir spielen jedes Jahr mehr und auch durch die Zusammenarbeit mit ACT hat sich das nochmal eine Stufe erhöht. Aber ich bin halt auch, wie bereits gesagt, über ein Drittel des Jahres unterwegs. Aber ich habe auch das Thema Familiengründung immer mehr im Hinterkopf. Das stelle ich mich schwierig vor, so viel unterwegs und selten zu Hause zu sein. Aber wenn ich nicht so viel unterwegs bin, fehlt es natürlich am Geld. Das ist sicher eine Herausforderung, die in den nächsten Jahren auf mich zukommt.

Das wäre dann die Kehrseite der regen Konzerttätigkeit. Das bedeutet also, dass die Konzerttätigkeit aus finanzieller Sicht ein wichtiges Standbein für Sie ist. Auf der anderen Seite ist es ja auch nicht ungewöhnlich, Auftritte mit Unterrichtstätigkeit und Förderungen etc. zu kombinieren und so auf unterschiedliche Einnahmemöglichkeiten zurückzugreifen.

David Helbock: Ich lebe hauptsächlich von den Konzerten. Daneben übernehme ich auch manchmal Auftragskompositionen. Unterrichten tue ich momentan gar nicht. Aber wie gesagt, es kann gut sein, dass sich das in den nächsten Jahren vielleicht etwas verschieben wird, indem ich etwas mehr unterrichte und etwas mehr komponiere. Und es geht dabei ja nicht nur um das Spielen der Konzerte. Wenn man zum Beispiel 100 Mal im Jahr auf der Bühne steht, ist die entsprechende Vorbereitung auch mit einem großen Aufwand verbunden. Man muss beispielsweise die ganzen Reisen planen. Und so bin ich dann, auch wenn ich mal zu Hause bin, natürlich auch nicht wirklich da. Ich sage immer, dass das Auf-der-Bühne-Stehen eigentlich der Urlaub und die ganze Organisation drum herum die Arbeit ist.

Bild David Helbock´s Random/Control
David Helbock´s Random/Control (c) Hansjörg Helbock

Random/Control: Die Faszination des Kontrasts

Ihr Projekt Random/Control gibt es nun schon mehrere Jahre. Wie kam es zur Gründung dieser Formation und wie hat sich die Band im Lauf der Zeit weiterentwickelt?

David Helbock: Ganz am Anfang habe ich nur im Duo mit Johannes [Bär] gespielt. Das ist aber schon lange her. Johannes und ich kennen uns schon ewig. Wir sind zusammen in die Schule gegangen und haben uns so mit 15 Jahren kennengelernt. Und dann ist auch recht bald Andreas [Broger] dazugekommen. Und so hat sich das Trio gefunden. Mittlerweile haben wir drei CDs eingespielt. Die erste CD ist, glaube ich, 2010 erschienen. Von dort aus hat sich viel entwickelt. Das Ausgangsmaterial bestand zunächst zum Großteil aus meinen eigenen Stücken und sogar ein wenig Vorarlberger Volksmusik. Auf der zweiten CD standen dann Stücke von Hermeto Pascoal und Thelonious Monk im Zentrum. Und auf der neuen CD ist es nun eine Mischung von ganz unterschiedlichen Jazzpianisten, die mich inspiriert haben. Das Wunderbare an Random/Control ist, dass sich über die Jahre hinweg ein besonderer Bandsound entwickelt hat, der – auch durch die spezielle Instrumentierung – eine Eigenständigkeit erlangt hat. Das ist so eigenständig geworden, dass es eigentlich immer nach dieser Band klingt – ganz egal, was das Ausgangsmaterial ist. Das war auch von Anfang an ein Ziel von mir. Ich spiel gerne mit denselben Leuten zusammen, damit sich über die Jahre ein Bandsound entwickeln kann und man uns sofort erkennt, ob wir nun Vorarlberger Volksmusik spielen oder Duke Ellington covern.

Das ist ein hoch gestecktes Ziel, einen gemeinsamen Bandsound zu erzeugen, der als eine Art Markenzeichen eine gewisse Unverkennbarkeit mit sich bringt.

David Helbock: Ja, genau. Und es geht auch darum, die jeweiligen Personen in den Vordergrund zu rücken. Wir spielen viele Instrumente, doch es geht schon darum, dass der Johannes die Tuba und der Andreas das Saxophon spielt und nicht irgendjemand. Gerade bei Random/Control ist es quasi unmöglich, mit Substituten zu spielen, weil jeder so eine eigene Stimme und Art hat, die Instrumente zu bedienen.

Zufälliges oder gar Chaotisches steht der Kontrolle gegenüber: Ist der Bandname Random/Control als Sinnbild für eine grundlegende Konzeption künstlerischer Prozesse im Jazz bzw. der musikalischen Improvisation zu verstehen?

David Helbock: Ja. Es ist aber nicht nur die Gegenüberstellung von Freiheit bzw. Zufall und Kontrolle, sondern im Prinzip geht es mir um das Arbeiten mit Kontrasten: Mal sehr dicht und dann wieder sehr einfach, mal mit vielen Instrumenten und dann mal nur mit einem Instrument zu spielen. Ich mag einfach generell das Spiel mit Kontrasten und dem Punkt dazwischen bzw. dem schnellen Wechsel dazwischen. Das interessiert mich. Wie wirkt beispielsweise ein sehr dichtes Stück, wenn danach ein sehr ruhiges Stück kommt? Und so etwas innerhalb eines Konzertes und manchmal auch mit schnellen Wechseln innerhalb eines Stückes auszuloten, interessiert mich.

Ich möchte gerne nochmal einen Aspekt aufgreifen, den Sie im Zusammenhang mit der Entwicklung der Formation Random/Control bereits kurz angeschnitten haben: Bei Ihrem ersten Random/Control-Album stammte ein beträchtlicher Teil der darauf versammelten Stücke aus Ihrer Feder. Auf dem nachfolgenden Album waren es Kompositionen von Thelonious Monk und Hermeto Pascoal, die den Grundstock lieferten. Nun versammeln sich auf dem neuesten Werk, „Tour d’Horizon“ Titel überaus bedeutender Jazzpianisten bzw. sind eng mit diesen verknüpft. Welchen Bezug haben Sie zu den Stücken bzw. zu den damit in Verbindung zu bringenden Künstlerinnen und Künstlern? Und inwiefern haben genau diese Personen bzw. genau diese Stücke Ihren musikalischen Horizont erweitert?

David Helbock: Es handelt sich dabei schon um Leute, die mich an gewissen Punkten meines Lebens bzw. meiner musikalischen Laufbahn sehr inspiriert haben und die ich oft gehört habe, wenngleich das natürlich keine vollständige Auflistung ist. Teilweise sind es auch die bekanntesten Stücke dieser Leute. Die Frage, warum ein Stück überhaupt zum bekanntesten Stück wird, hat mich dabei auch fasziniert: Ist es das beste oder das am leichtesten zugängliche Stück? Mit „Mercy, Mercy, Mercy“ habe ich quasi mit dem Klavierspiel angefangen und „Watermelon Man“ war auf der ersten Jazz-CD, die ich mir selbst gekauft habe. Und meine Verbindung zum Stück „My Song“ geht auf eine bestimmte Geschichte zurück: Meine Mutter war eigentlich großer Fan von dieser Musik von Keith Jarrett und hat das während der Schwangerschaft gehört. Das ist wahrscheinlich eines der ersten Stücke, die ich überhaupt gehört habe. Das sind für mich so Back-to-the-Roots-Stücke.

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Haben Sie eine Antwort auf die selbst aufgeworfene Frage gefunden, warum genau diese Stücke so eine große Beliebtheit und Bekanntheit erreicht haben?

David Helbock: Das ist schwer zu sagen. Ich denke, das hängt wahrscheinlich von mehreren Faktoren ab. Zum Beispiel der Wiedererkennungseffekt, wenn die Stücke oft gespielt werden. Es ist aber, denke ich, auch sicher die Melodie. Mir ist beim Arrangieren der Stücke schon sehr wichtig, dass man die Stücke auch in unseren Versionen gut erkennt. Und da darf ich, finde ich, die Melodie nicht angreifen. Ich kann das Stück reharmonisieren, kann den Rhythmus ändern oder es in andere Taktarten setzen. Aber wenn ich die Melodie verändere, dann verliert das Stück. Und diesen Aspekt haben die ausgewählten Stücke vermutlich alle gemeinsam, weil es sich eben bei allen um sehr starke Melodien handelt.

Das Repertoire auf der CD vereint stilistisch unterschiedliche Werke aus verschiedenen Bereichen des Jazz, die sich jedoch größtenteils durch sehr starke, einprägsame Melodien auszeichnen. War die Hinwendung zur jeweiligen melodischen Grundlage der vornehmliche Bezugspunkt für Ihre Interpretationen dieser Stücke oder gab es auch noch anderen Aspekte, auf denen Ihr dementsprechender Fokus lag?

David Helbock: Ich glaube, bei Carla Bleys „Utviklingssang“ kommt das am stärksten zum Tragen. Dabei handelt es sich eigentlich nur um ein Melodiefragment, das eine so starke und einfache Melodie liefert, dass es bei diesem Stück für mich nur um die Melodie geht. Ähnlich ist es bei dem Stück von Esbjörn Svensson, wo es sich auch um eine eigentlich sehr einfache Melodie handelt. Aber hier ist es eher die Stimmung, die mich fasziniert. Wenn man das Original hört, entsteht da so eine Art Sogwirkung, die einen in das Stück reinzieht. Das liegt nicht nur an der Melodie, sondern hat auch mit Sound und Stimmung zu tun. Es sind also von Stück zu Stück ganz unterschiedliche Dinge, die mich inspirieren. Manchmal geht es um die Stimmung des Stücks, die ich erhalten möchte. Manchmal geht es wirklich nur um die Melodie. Und manchmal sind es rhythmische Elemente, wie zum Beispiel bei „Spain“. Das ist aber ein sehr intuitiver Zugang, den ich beim Arrangieren der Stücke habe, indem mich dann einfach ein bestimmtes Element bei dem jeweiligen Stück anspringt und womit ich dann arbeite und es auf die verschiedenen Instrumente verteile. Denn wir haben bei Random/Control ja so viele Möglichkeiten, was die Kombination von Instrumenten betrifft. Das macht das dann zu einer sehr spannenden Arbeit.

Sie selbst haben sich auf Jazz fokussiert, jedoch ursprünglich Klavier im Konzertfach studiert. Ihre Bandkollegen, Johannes Bär und Andreas Broger, teilen in gewissem Maße diese Entwicklung, bringen aber auch einen Hintergrund in der Volksmusik mit. Auf welche Weise fließen diese vielfältigen musikalischen Perspektiven und Sozialisierungen der Bandmitglieder in die Musik von Random/Control ein?

David Helbock: Wir haben innerhalb der Band den Scherz, dass ich eher Control und die anderen beiden Jungs mehr Random sind. Wie gesagt, die beiden kommen zum Teil aus einer Blasmusiktradition im Bregenzer Wald. Johannes Bär im Speziellen ist schon von Kindestagen an über die Musik seiner Familie, der Familienmusik Bär, wo jedes Familienmitglied ein Instrument spielt, damit in Berührung gekommen und auch viel getourt. Bei diesem direkten Zugang zur Volksmusik ist auch viel Improvisation enthalten. Für mich sind die beiden Musiker, die viel eher mal aus dem Bauch herausspielen und dann im Nachhinein das analysieren. Bei mir ist es manchmal genau umgekehrt. Deswegen umgebe ich mich auch gerne mit solchen Musikern, da ich oft ausgeklügelte Konzepte habe, aber dies dann aus dem Bauch heraus zu spielen, kommt dann erst später auf der Bühne dazu. Das ergänzt sich dadurch vielleicht ganz gut.

Ein – zumindest bei Ihren Konzerten – auffälliges Merkmal der Band ist das sehr ausladende Instrumentarium, das Sie in den Liner Notes Ihrer neuen CD auf über 20 Instrumente beziffern. Hat sich dieser Fundus über die Zeit Stück für Stück erweitert oder bestand dieser von Vorneherein als eine Art konzeptioneller Grundstock bzw. Startkonzept für die Band?

David Helbock: Das war schon von Beginn an die Idee. Natürlich sind auch immer wieder neue Instrumente dazugekommen. Aber ja, es waren schon von Anfang an viele Instrumente. Ich glaube, es sind sogar mehr als 20 – je nachdem, wie man zählt. Ich habe zum Beispiel noch recht viel kleine Perkussionsinstrumente und Spielzeuge, mit denen ich, teilweise auch in Kombination mit Elektronik, verschiedene Sounds erzeuge. Wenn ich da jetzt jedes einzelne Perkussionsinstrument zähle, sind es natürlich weit mehr als 20 Instrumente. Das ist im Live-Kontext auch manchmal sehr spannend, da man auch mal mit dem Flugzeug anreisen und sich beschränken muss. Manchmal nehmen wir alles mit und manchmal bringt auch jemand ein neues Instrument mit. Dann kommt es auch gelegentlich mal vor, dass die Bühne zu klein ist und das für eine bestimmte Stelle vorgesehene Instrument nicht griffbereit ist, sodass spontan auf ein anderes Instrument ausgewichen werden muss. Und so entwickeln sich vor allem in der Live-Situation die Stücke ständig weiter.

Insbesondere bei Ihren Konzerten kann das Wechseln bzw. Kombinieren verschiedener Instrumente gespannt beobachtet werden. Doch welchen Stellenwert hat dieser multiinstrumentale Ansatz – fernab eines charmanten Show-Effekts im Live-Kontext – für die musikalische Konzeption und welche Überlegungen in puncto Arrangement und Instrumentierung gehen damit einher, wenn man mit einer solchen Fülle von Optionen umgehen will oder muss?

David Helbock: Ich habe schon meine konkreten Vorstellungen, wenn ich etwas arrangiere. Und dann treffen wir uns zu einer Probenphase. Aber es spielt schon auch der Aspekt des Ausprobierens eine große Rolle. Es gibt natürlich gewisse Instrumente, die eher die Melodiefunktion übernehmen können. Und dann gibt es Instrumente, die eher die Bassfunktion übernehmen können. Und dann gibt es die ganzen Kombinationsmöglichkeiten. Ich habe dann zwar eine Vorstellung, wie das sein könnte. Aber dann spielen wir die Stelle und probieren unterschiedliche Kombinationsmöglichkeiten aus, indem beispielsweise Johannes mit der Trompete mal die Melodie spielt und Andreas mit der Bassklarinette den Bass. Und dann wechselt das, indem Johannes die Bassrolle übernimmt und Andreas das Sopransaxophon spielt. Es wird schon viel ausprobiert und dann einigen wir uns gemeinsam auf die momentan beste Möglichkeit, die sich, wie gesagt, aber auch weiterentwickelt – vor allem beim Live-Spielen.

DavidBild Helbock´s Random/Control
David Helbock´s Random/Control (c) Hansjörg Helbock

Random/Control ist eine Band ohne Schlagzeuger, in der aber alle Musiker perkussive Parts bedienen. Haben sich vor diesem Hintergrund eine bestimmte Rollenverteilung und bestimmte Strategien der Rhythmusgestaltung etabliert?

David Helbock: Irgendjemand muss den Rhythmus übernehmen – vor allem dann, wenn es sich um ein rhythmisches Stück handelt. Aber da wir das alle können, wechselt sich das ständig ab. Oft ist es zum Beispiel Johannes, weil er auch oft Beatbox macht und das auch mit dem Tubaspiel kombinieren kann. Dann übernimmt er eigentlich alles, wenn er Tuba spielt und dies mit Beatbox-Elementen kombiniert und somit Bass und Schlagzeug in einer Person vereint. Andreas und ich können dann etwas freier an die Sache herangehen. Aber das wechselt auch ständig. Ich habe zum Beispiel eine Bassdrum und einen Woodblock bei den Füßen, um rhythmische Elemente zu spielen, und übernehme mit der linken Hand die Bassfunktion. In diesem Fall haben dann die beiden Jungs mehr Freiräume. Und Andreas macht das genauso. Das macht das irgendwie sehr spannend. Und trotz der vielen Möglichkeiten der Rhythmusgestaltung ist unser Zusammenspiel sehr kammermusikalisch, indem wir – auch im Hinblick auf Dynamik – sehr direkt aufeinander reagieren können. Wenn man jetzt aber einen Schlagzeuger oder einen E-Bass dabei hat, dann ist das Dynamiklevel schon von Vorneherein einfach höher und man würde nie in diese wirklich leisen Bereiche kommen, die wir mit Random/Control eben auch abdecken können. Man kann spontan sehr leise werden und die anderen können sofort darauf reagieren.

Zwei Trios mit unterschiedlichen Ansätzen

Neben Random/Control ist Ihr zweites Kernensemble Ihr Trio mit Raphael Preuschl an der Bass-Ukulele und Reinhold Schmölzer, der Herbert Pirker am Schlagzeug ablöste. Wie hat sich die Band gefunden und worauf fokussieren Sie sich in der Arbeit mit diesem Trio?

David Helbock: Die Band hat sich gegründet, als ich von Vorarlberg nach Wien gezogen bin, was jetzt sieben Jahre in etwa zurückliegt. Ich kannte Raphael vorher schon vom Sehen. Doch als wir uns im Rahmen eines Konzertes getroffen haben, haben wir zum ersten Mal miteinander gespielt und geredet. Er hatte auch seine Bass-Ukulele dabei, ein Instrument, das ich dort zum ersten Mal gesehen habe. Und dann hat er Herbert Pirker, mit dem er in verschiedenen Formationen viel gespielt hat, vorgeschlagen. Und so hat sich das Trio vor sieben Jahren gegründet. Wir haben nicht viel geprobt und gleich zu Beginn ein paar Konzerte gespielt. Und so hat sich die Band zunächst aus dem Live-Kontext ergeben und ist dann immer stärker gewachsen. Und seit zwei Jahren ist jetzt Reinhold [Schmölzer] mit dabei, der Herbert ersetzt hat. Das ist wirklich eine Live-Band und unterscheidet sich in diesem Zusammenhang von Random/Control. Durch die vielen Instrumenten gibt es bei Random/Control so viele Möglichkeiten, die man zunächst ergründen muss. Da muss man eine gewisse Probenzeit investieren, um überhaupt auf die Bühne gehen zu können. Und bei dem anderen Trio ist es schon möglich, mal ein neues Stück zum Soundcheck mitzubringen, es kurz anzuspielen und das Stück dann abends beim Auftritt live zu spielen und es in dieser Situation weiterzuentwickeln. Das ist dann vom Ansatz her doch ein Unterschied.

Der Besetzungstypus des Pianotrios erlebt seit geraumer Zeit einen gewissen Aufschwung.  Was zeichnet – neben der aus dem Rahmen fallenden Besetzung mit Bass-Ukulele statt, wie gewöhnlich, mit Kontrabass – Ihr Trio musikalisch aus und hebt es von anderen Trios ab?

David Helbock: Was mir an der Bass-Ukulele gut gefällt, ist der Klang der Saiten, die durch ihre verhältnismäßig kurzen Abmessungen weniger nachschwingen und somit etwas perkussiver klingen – fast schon so ähnlich wie ein gedämpfter Kontrabass. Und da ich bei einem Flügel auch gerne mit meiner linken Hand die Saiten abdämpfe, hat das eine ähnliche Qualität. Dieser perkussive Charakter zwischen E-Bass und Kontrabass hat mich sehr angesprochen und passt mit diesem eigenen Sound gut zu meinem teilweise auch sehr perkussiven Klavierspiel.

Wovon machen Sie die Repertoireauswahl für Ihre jeweiligen Ensembles abhängig? Gibt es da klare Kriterien oder auch Überschneidungen, welche Stücke sich für welche Besetzung eignen?

David Helbock: Ich denke eigentlich eher von CD zu CD, von Projekt zu Projekt. Und sehr oft haben die CDs einen roten Faden. Dieses Mal waren es die verschiedenen Pianisten und bei der vorhergehenden CD von Random/Control waren es Monk und Hermeto Pascoal. Solo habe ich mich mal mit der Musik von Prince auseinandergesetzt. Bei der letzten Trio-CD „Into the Mystic“ waren es eher philosophische Konzepte und mythologische Geschichten, die mich inspiriert haben. Es geht mir also weniger darum, welches Repertoire ich für welche Band vorsehe, sondern ich überlege zuerst, welchen roten Faden ich im Programm haben möchte. Und erst dann mache ich mir Gedanken, zu welcher Band das am besten passen könnte.

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Welche Überlegungen, Konzepte und Vorgehensweisen sind für Sie im Zusammenhang mit dem Beziehungsgefüge von Improvisation, Komposition und Arrangement von zentraler Bedeutung und wie verändert sich dies zum Beispiel in Abhängigkeit zur Ihren jeweiligen Ensembles? Wie bildet sich dieses Verhältnis in Ihren musikalischen Überlegungen und Konzepten ab?

David Helbock: Ich habe recht viel komponiert, nicht zuletzt im Rahmen eines Projekts, bei dem ich innerhalb eines Jahres jeden Tag ein neues Stück geschrieben habe. Eine Motivation für dieses Projekt war, dass ich damals, im Jahr 2009 und davor, ein sehr starkes Ego im Hinblick auf meine Kompositionen hatte. So war es mir sehr wichtig, dass meine mitgebrachten Kompositionen in der Probe und dann auch live gespielt werden. Und wenn es meine Mitmusiker mal nicht gut fanden, war ich sehr frustriert. Mein Ausweg war dann die Idee, so viel zu komponieren, dass man eh nicht alles spielen kann. Dadurch habe ich, glaube ich, einen gesünderen Zugang zu meinen Kompositionen bekommen. Und mittlerweile ist es für mich dieselbe kreative Arbeit, ob ich ein eigenes Stück für Random/Control schreibe oder ob ich beispielsweise ein Stück von Esbjörn Svensson für Random/Control arrangiere. Das ist für mich der gleiche kreative Prozess. So lange ich frei mit dem Material umgehen kann, fließt das für mich ineinander, egal ob Arrangement oder Komposition. Zur Frage, wie ich mit Improvisation umgehe bzw. wie wir das in die Konzerte einbauen: Zunächst hat jeder Musiker immer gewisse Improvisationskonzepte, an denen er im Moment gerade arbeitet. Deswegen ist es mir wichtig, dies auch live zu featuren, indem jeder seinen Spot bekommt. Reinhold bekommt zum Beispiel immer ein Schlagzeugintro, wo er machen kann, was er will. Also freie Intros oder Interluden, die mit den Stücken eigentlich nichts zu tun haben, sind Momente, in denen jeder das umsetzen kann, woran derjenige gerade arbeitet. Das ist mir ganz wichtig, dass so quasi jeder seinen Spot innerhalb der Setlist bekommt.

Ein Weihnachtsstück für Hermeto Pascoal

Sie haben soeben schon Ihr „Personal Realbook“ angesprochen: Ein Projekt, bei dem Sie im Laufe eines Jahres täglich eine Komposition zu Papier gebracht haben. Sind in diesem Zusammenhang auch Stücke entstanden, die Sie nach wie vor begleiten und mit denen Sie sich über die Jahre hinweg immer wieder auseinandergesetzt haben?

David Helbock: Auf jeden Fall. Es gibt einige Stücke, die wir auch immer wieder im Trio spielen. Ursprünglich wurden diese Stücke nur mit dem Entstehungsdatum bezeichnet, haben dann aber später Namen bekommen und wurden aufgenommen. So stammen zum Beispiel einige Stücke auf „Into the Mystic“ von diesem damaligen Kompositionsprojekt.

Welcher Titel aus Ihrem Realbook hätte Ihrer Meinung nach die größten Chancen, zum Standard zu avancieren und in 30 Jahren auch andere Real Books zu schmücken?

David Helbock: Zum Beispiel das Weihnachtsstück, das ich am 25. Dezember komponiert habe. Das hatte ich damals zu Ehren von Hermeto Pascoal geschrieben und ist dann unter dem Namen „Para Hermeto“ auf eine CD gekommen. Dabei handelt es sich um ein Stück, dass wir immer wieder spielen. Aber in dem Buch gibt es auch viele kleine Stücke, von denen manche eher als Ideen und manche als Art Improvisationsanleitungen fungieren, oder manchmal auch eben Stücke, die auch in anderen Realbooks stehen könnten.

Im Juni geben Sie im Wiener Konzerthaus ein Doppelkonzert – einerseits mit ihrem Bass-Ukulelen-Trio und andererseits im Duo mit dem Trompeter Lorenz Raab, mit dem Sie gemeinsam auch eine CD eingespielt haben. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit und worauf liegt Ihr künstlerischer Fokus bei diesem Duo-Projekt?

David Helbock: Die Initiative für dieses Projekt ging ursprünglich von Lorenz [Raab] aus. Er hat viele größere Projekte, wie zum Beispiel die :xy Band, wo man immer viel mitnehmen muss und teilweise auch viel Elektronik involviert ist. Ich war zu der Zeit auch sehr mit Random/Control beschäftigt, was durch die vielen Instrumente, die man mitnehmen, ein- und auspacken muss, immer mit einem großen Aufwand verbunden ist. Vor diesem Hintergrund hat es uns beide sehr gereizt, ein Duo zu haben, das komplett akustisch angelegt ist und bei dem man sofort drauflosspielen kann. Dazu kommen noch die verschiedenen Einflüsse. Lorenz hat einen starken Bezug zur Klassik und hat viele dementsprechende Stücke mitgebracht. So haben wir zum Beispiel auch Schubert gespielt. Andererseits habe ich dann auch mal Prince mitgebracht. Und so haben wir ganz unterschiedliche Einflüsse. Aber damit ist der Zugang auch eher so, dass jeder seine Einflüsse und Ideen mitbringt und wir dann gemeinsam etwas daraus entwickeln.

Sie haben in diesem Jahr das Staatsstipendium für Komposition des Bundes Österreich erhalten. Schwebt Ihnen in diesem Zusammenhang ein bestimmtes Projekt vor, das Sie gerne realisieren möchten?

David Helbock: Ich bin mit verschiedenen Einzelprojekten beschäftig. So komponiere ich gerade ein Stück für ein Vorarlberger Ensemble: ein kleines Streichorchester plus Chor und mir am Klavier inklusive der Random/Control-Jungs als Solisten. Da bin ich gerade dabei, dieses Stück zu schreiben. Für einen befreundeten Cellisten habe ich gerade ein Stück für Cello und Klavier komponiert. Aber das sind verschiedene Einzelprojekte. Was ich daneben gerne noch entwickeln möchte, sind verschiedene Kompositions- bzw. Notationstechniken, um zum Beispiel die Obertöne beim Klavier zu notieren. Da würde ich gerne ein Konzept entwickeln, um solche Aspekte auch anderen Leuten, für die ich etwas schreibe, nachvollziehbar zu machen.

Was sind darüber hinaus die weiteren Pläne für die nähere Zukunft? Ich nehme an, es wird im Rahmen der Veröffentlichung der neuen CD einige Konzerte geben.

David Helbock: Genau. Am 25. Mai wird die neue CD veröffentlicht und dann sind wir mehr oder weniger ein Jahr lang durchgehend unterwegs. Daneben arbeite ich an einem Solo-Programm, das ich bald für ACT aufnehmen werde.

Vielen Dank für das Gespräch.

Martin Schütz

David Helbock´s Random/Control CD Release Tour
20.05. Jazzvisions Festival Castello Malingri, Bagnolo (IT)
25.05. Fineart Galerie Traismauer, Traismauer (AT)
26.05. Jazzfestival Görlitz , Görlitz (DE)
27.05. Bijloke Festival Gent, Gent (BE)
28.05. Worldjazzfestival Grein, Grein (AT)
30.05. Nattjazz Festival Bergen, Bergen (NO)
06.06. Konzerthaus, Wien (AT)
08.06. Unterfahrt, München (DE)
09.06 Jazztage Düren, Düren (DE)
12.06. A-Trane, Berlin (DE)
22.06. Conventer Atrium, Börgerende-Rethwisch (DE)
23.06. Jazzbaltica, Timmendorfer Strand (DE)
24.06. Lagoa Jazzfestival, Lagoa (PT)

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ACT Music / Daviid Helbock