Dass Friedrich Cerha seit Jahrzehnten als ein würdiger Erbe der Wiener Schule gilt und die musikalische Moderne in Österreich in der 2. Republik wesentlich mitgestaltete, mögen die bereits meisterlich gestalteten „Zwei Stücke für Violine und Klavier“ (1948/51/86) erst im Ansatz erahnen lassen. Sie gehören zu seinen frühesten gültigen Werken und sind nun neben anderen seiner Kompositionen im music austria Notenshop erhältlich. In der „Meditation“ wechseln einander im Charakter sehr verschiedene chromatische und modale Abschnitte ab, wobei der vollgriffige Klaviersatz deutlich schwieriger erscheint als der sanft fließende, vor allem auf eine breite dynamische Ausdruckspalette hin konzipierte Geigenpart. Ähnliches vermeint man zunächst auch über das slawisch gefärbte „Alte Lied“ sagen zu können, das zunächst dem Titel gemäß als sehnsuchtsvoller Gesang anhebt. Spätestens mit Eintritt eines Subito-furioso-Abschnitts mit seinen rasenden Sechzehntelläufen und Doppelgriffpassagen weiß man freilich, dass der Geiger Cerha hier schonungslos seinem eigenen virtuosen Können Rechnung trug.
Auf Strawinskys Spuren
Die „Sonate für Violine und Klavier Nr. 2“ (1953) zählt unter Cerhas frühen Werken zu jenen, die unter dem Einfluss der Auseinandersetzung mit dem Schaffen Igor Strawinskys stehen. In ihr besteht von Beginn an kein Zweifel an einem professionellen Konzertanspruch. Die ausdrucksstarke Einleitung des ersten Satzes mit ihren wuchtigen Akkorden und figuriert wirkenden Motiven erfordert präzise rhythmische Feinarbeit, während der als Sonatenform angelegte eigentliche Hauptteil (Allegro molto) von beiden Instrumenten – meist in paralleler Bewegung – ein nahezu pausenloses, stetiges motorisches Vorwärtsdrängen und groß angelegte Steigerungswellen verlangt.
In starkem Kontrast reiht der archaisch ruhige Mittelsatz (Fließend, sehr ebenmäßig) in Anlehnung an eine gregorianische Choralmelodie konsequent durchschnittlich jeweils elf bis zwölf Töne umfassende Phrasen aneinander, während das Finale (Vivace) in noch höherem Maß als zuvor die Virtuosität hervorhebt und mit seiner Rückkehr in die Motivik der Einleitung des Kopfsatzes zu einer markanten Rundung führt.
Synthese der Weisheit
Zum „Quintett für Oboe und Streichquartett“ (2007) ist es ein zeitlicher Sprung von mehr als einem halben Jahrhundert. Der Notentext, frei von allen experimentellen Zeichen und Anweisungen, wie sie Cerhas Arbeiten ab den späten 1950er Jahren kennzeichneten, weist auf eine Charakteristik seines späten Schaffens: In einer Art Synthese werden früher angewandte Element zusammengeführt, wobei man primär Alban Berg als spirituellen Paten herauszuhören vermeint. Durch den Verzicht auf spieltechnische Neuerungen erscheint alles auf den ersten Blick transparent, auch mit zeitgenössischer Musik weniger vertrauten, klassisch geschulten Musikerinnen und Musikern sollte sich auf Anhieb die Struktur und das gewünschte Klangergebnis erschließen. Ohne Zweifel hätte dieses Quintett nicht nur das Zeug zur Repertoiretauglichkeit in den internationalen Konzertsälen, es wäre auch eine dankbare Herausforderung für Amateure, die sich im Rahmen von Hausmusik einmal mit Gegenwärtigem auseinandersetzen wollen. Überzeugend hat Cerha ein kompaktes, einfallsreiches und durchgehend inspiriert wirkendes Stück geschaffen, in dem er sich – dem traditionellen Prinzip eines Instrumentalkonzerts bzw. analoger Kammermusik folgend – mit dem „Gegenüberstellen von Individuum und einem Kollektiv“ (Cerha) auseinandersetzt. Der Komponist humorvoll anlässlich der Uraufführung: „Ironie des Schicksals: Aus der Taufe hebt das Stück ausgerechnet Heinz Holliger, dem wir so viel Reizvolles an Spieltechniken und neuen Klängen auf der Oboe verdanken, von denen in diesem Stück absolut nichts vorkommt.“
Christian Heindl
Foto Friedrich Cerha: Universal Edition – Eric Marinitsch