„ICH WÜRDE NIE AUF EINE KICK VERZICHTEN“ – FARCE (VERONIKA KÖNIG) IM MICA-INTERVIEW

Mit „Not To Regress“ erscheint am 24. Mai 2022 das zweite Album von FARCE. Eines, das auf die FM4-Charts spechtelt und nach vorne blinzelt – mit Produktionen, die „direkt ins Bein und die Hand fließen“, wie VERONIKA KÖNIG sagt. Kein Wunder, schließlich geht um den Bounce! Und Pop als Erlebnis. Wie sich das anhört, lässt sich demnächst am Hyperreality Festival spüren. FARCE stellt die Platte mit einer neuen Live-Show vor. Davor hat VERONIKA KÖNIG mit Christoph Benkeser über Kontrollzwang, Heilwasser und Pop als Identifikation gesprochen.

Schön, dass du dir trotz bevorstehendem Release-Konzert und Albumveröffentlichung Zeit nimmst. Wie geht es dir?

Veronika König: Es ist urschnell urheiß geworden, damit komm ich nicht so gut klar. Außerdem ist grad high energy, aber ich bin happy!

In den Sommer reinkommen … Ich fühl das.

Veronika König: Bei mir ist es der Kreislauf, ich brauch deshalb eine Übergangsphase und zu jedem Zeitpunkt genügend Wasser, Koffein und einen Nap.

Am 24. Mai erscheint dein neues Album: „Not To Regress“. Kein Rückschritt, das ist erfreulich! Es geht nach vorne.

Veronika König: Aber nicht in einem futuristisch-spätkapitalistischen oder evolutionären Sinn! Es ist gemeint, nicht dem Regress als Reaktion auf Gefahr stattzugeben, sich also einzumummeln und regressiv zu verhalten.

Das heißt, es ist auch ein Schritt weg von der Melancholie?

Veronika König: Nicht unbedingt, das kommt auf dem Album auch durch. Es muss aber weitergehen, nicht zurück.

Gerade in der Melancholie darf auch Pathos passieren, die Elegie und schönen Melodien.

Veronika König: Ja, genau. In der Kürze des Albums wird klar, dass es kein Gegenentwurf oder eine Ablehnung zu meinen vergangenen Stücken ist. „Not To Regress“ ist ein weiterer Schritt. Schließlich ist das letzte Album 2018 erschienen. Es ist also eine längere Zeit her, dass ich mich dem Format gewidmet habe – auch wenn es mit zehn Songs und 30 Minuten genau um die Hälfte kürzer ausgefallen ist als mein Debüt. Ich hoff also, dass ich mich verdichten und konkretisieren konnte.

Kürzer, härter, schneller – das ist eine Tendenz, die sich aktuell in vielen Stilen wahrnehmen lässt.

Veronika König: Weil man das Gefühl hat, keine Zeit zu haben, oder? Außerdem ist es auch eine handwerkliche Disziplin, in kurzer Zeit viel erreichen zu können. Natürlich könnte man das dem Zeitgeist zuordnen. Wäre mir im Prozess zum fertigen Album aber ein Sieben-Minuten-Song über den Weg gelaufen, hätte ich ihn nicht aus Prinzip liegengelassen.

Hast du das Gefühl, dass dir die Zeit wegläuft?

Veronika König: Gar nicht! Ich bin gemütlich, hab mir auch vier Jahre Zeit für dieses Album gelassen. Gerade „Trophy Wife“ und „In Control“ sind Songs, die kurz nach dem letzten Album entstanden sind, sich aber über die Dauer weiter verändert haben. Inzwischen sind sie perfekt.

Das Schöne an Farce ist die Entwicklung, die man aus deinen Songs hören kann. Mittlerweile steht das Projekt für eine Stimmung, die mit deiner letzten EP „Trauma Bounce“ begann.

Veronika König: Ja, mit „Trauma Bounce“ hat sich eine gewisse Klarheit, aber auch ein Vertrauen zu den stärkeren Gesangsparts entwickelt. Es sind Kompositionen, Songs, eine Formübung, auf die ich mich mehr eingelassen habe als zuvor.

Du hast den Song „In Control“ angesprochen. Wer hat dabei die Kontrolle über wen?

Veronika König: Bin ich in Kontrolle oder ist der Kontrollzwang in Kontrolle über mich? Darum geht es in dem Song: immer die Kontrolle haben zu wollen über alles, was man tut, keine Hilfe zu brauchen und die Tatsache, dass dieses Bestreben eine Farce ist, weil es zum Scheitern verurteilt ist.

Willst du alles kontrollieren?

Veronika König: Unbedingt! Ich hab die Tendenz, auf einen gefühlten Kontrollverlust mit mehr Kontrollausübung zu reagieren – das ist nicht unbedingt gesund!

Wie zeigt sich das bei dir?

Veronika König: Indem ich über so viele Bereiche des Lebens wie möglich Kontrolle haben will – auf professioneller Ebene, aber auch persönlich und über den Körper. Eine typische Art der Kontrollausübung ist eine Essstörung, damit habe ich von meiner Kindheit bis in meine Teenagerjahre gekämpft. Inzwischen kann ich mich als geheilt ansehen, trotzdem: Es war ein Weg, Kontrolle auszuüben. Vor allem, wenn man anderwärtig einen Kontrollverlust über die körperliche Autonomie erlebt, sei es durch Krankheit oder Übergriff, lässt sich durch Nahrungsaufnahme Kontrolle gewinnen. Aber auch durch Disziplin oder Sport, Selbstverbesserung und -optimierung … Darum geht es im Song auch um das Glorifizieren des Alles-Selbst-Machens. Ich brauch keine Hilfe, übernehme jeden Bereich selbst. Die Sache ist: Das ist ein miserabler Weg zu arbeiten. So kann und soll niemand leben, weil das Leben eine Gruppenarbeit ist.

Trotzdem zwingt uns die Verwertungslogik in ein Denken, das selbstoptimierte Individuen überhöht.

Veronika König: Dass man sich in der Kontrolle valide fühlt – diese positive Wertigkeit – kommt nur aus dem kranken kapitalistischen Wertebild. Es gibt kein seelisch begründbaren Grund, warum ich es anstreben sollte, alles alleine und ohne Hilfe zu machen. Narzissmus und Egoismus, die Glorifizierung des Selbst stammen aus diesem Gedankengut. Davon will ich wegkommen. Trotzdem schätze ich mich glücklich, dass ich Kontrolle über Bereiche wie der Mischung geschaffen habe. Der Sound, den man auf dem Album hört, ist meine Produktion. Gerade dadurch habe ich gemerkt, dass ich nicht alles selber machen kann. Würde ich die Vocals selbst aufnehmen, käme ich nie zu der Leistung, die ich mir wünsche. Aus diesem Grund habe ich Wolfgang Möstl gefragt, ob er mit mir die Stimme als Vocal Producer aufnehmen will. Das hat wunderbar geklappt und einen großen Unterschied gemacht, weil ich klar und unverstellt in einen Dialog mit meiner Stimme treten konnte. Deshalb ist es wichtig zu realisieren, dass man sich selbst helfen lassen kann.

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Ich find schön, dass du das so ansprichst. Schließlich ist es ein Prozess, oder?

Veronika König: Klar, ein Prozess, der lange am Werden war und zu einer Heilung geführt hat. Dabei ist eine Perspektive und ein Input von außen auf die gleiche Arbeit – selbst wenn man sie nicht annimmt – wirklich wertvoll! Ich hab viele Menschen in meinem Leben, deren Perspektive ich schätze. Sie gestalten mit, das ist wichtig. Gleichzeitig geht man liebe- und respektvoll miteinander um. Diese positiven Erfahrungen muss man erst einmal machen, um sich dem öffnen zu können.

Die Heilung schließt auch ein, dass davor negative und verletzende Erfahrungen gemacht wurden.

Veronika König: Durchaus, ich habe gerade am Anfang viel Feedback von außen gebraucht, um zu verstehen, was ich mache, wohin es sich entwickelt und wie es klingt. Schließlich weiß ich zwar, wie es klingt, wenn es aus mir rauskommt. Ich hab aber keine Ahnung, wie es für andere klingt und was sie damit verbinden. Inzwischen nehme ich eine gelernte handwerkliche Perspektive ein, dass ich mit anderen, deren Kunst ich schätze, in Dialog treten kann.

Du sagst das schön. Die Wertschätzung, die man nicht ökonomisch messen kann, ist der wichtigste Teil der kreativen Zusammenarbeit.

Veronika König: Die Lust und Begeisterung, zusammen etwas Geiles zu machen, ja! Gerade Wolfgang. Er freut sich über Musik, über verschiedene Klänge oder den Aufbau von Synthesizern. Darin steckt ein ehrliches Interesse. Innerhalb dieses Rahmens kann Spaß einfach sein. Und deshalb funktioniert es. Von zehn angedachten Studiotagen haben wir nur drei gebraucht. Den Rest haben wir damit verbracht, Heilwasser zu trinken und Lakritze zu essen.

Heilwasser und Lakritze?

Veronika König: In Heilwasser ist Kalzium und Magnesium drin, meine Partnerin und ich führen einen vegetarischen Haushalt – Mineralien und Vitamine zusetzen kann also nie schaden. Außerdem hab ich das Gefühl, dass ich mehr Kalzium brauch, wenn ich es schwer hab. Wolfgang fand das direkt super, weil er eine bestimmte Sorte davon trinkt. Die hab ich am nächsten Tag mitgebracht und wir haben es flaschenweise getrunken.

Die Wertschätzung im Heilwasser.

Veronika König: Just heavling vibes!

Weil du es ansprichst: In den zehn Tracks steckt in ihrer Gesamtheit eine Art kathartisches Moment.

Veronika König: Das freut mich, weil ich das Gefühl habe, dass in 31 Minuten alles gesagt ist, was gesagt werden muss. All killer, no filler!

Es muss in deiner Musik bouncen, hast du vor zwei Jahren gesagt.

Veronika König: Es muss stark stimulierende Musik sein, das ist die höchste Maxime. Der Körper soll sich regen und stimulieren lassen. Funktioniert das, merkt man es sofort, weil Menschen ähnlich reagieren. Sie beginnen ihre Hände und Füße zu bewegen. Die Impulse kommen an.

Bild Farce
Farce (c) Apollonia T. Bitzan

Das verstehen alle, die das Grundprinzip von elektronischer Musik erlebt haben. Man kann es nicht erklären, nur spüren.

Veronika König: Der Zappel! Die Stimulation geht in den Körper und muss wieder raus, das bringt uns zum Tanzen. Ich hab schon versucht, diesem Drang zu widerstehen, bekomm aber richtigen Kopfschmerz. Wenn sich der Kopf bewegen will – einfach zulassen!

Das geht in die Richtung von Tracks, die nach einem Beat lechzen, aber nie einen bekommen.

Veronika König: Ich würd nie auf eine Kick verzichten. Niemals! Tatsächlich sind die Kicks und Snares auf dem aktuellen Album eine große Stärke, weil jede einzelne sitzt, wo sie sitzen muss.

Das hört man. Wie lernt man, so gut zu produzieren?

Veronika König: Ich hab alles von YouTube und anderen Leuten gelernt. Außerdem hab ich viel ausprobiert. Musikalische Bildung ist nie schlecht. Songwriting lernt man aber, indem man es macht. Bewertungskriterien interessieren mich in der Hinsicht gar nicht. Es gibt kein gut oder schlecht, sonst hätte ich nie angefangen. Was mich interessiert, ist der Sound, den eine Person hat und welche Geschichte sie damit erzählen möchte. Deshalb sage ich auch: Mein Album ist nicht so gut, dass es allgemeingültig ist und die Weltgeschichte von allen erzählt. Mein Album ist gut, weil ich mich und mein Leben so erzählt habe, wie ich es empfinde. Dadurch habe ich Gefühle und Momente vertont, die jede:r nachvollziehen kann, weil sie zutiefst menschlich sind – normal und abartig zugleich.

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Das finde ich schön: das Normale und das Abartige. Dabei erfindest du das Rad nicht neu.

Veronika König: Ich würd es auch nie wollen!

Es ist scary, komplett was anderes zu machen, oder?

Veronika König: Die Frage ist: Was ist was anderes?

Wir haben beim letzten Gespräch über den Sound von PC Music gesprochen. Dort gibt es die Tendenz, alles auf den Kopf zu stellen.

Veronika König: Wobei eine Kenntnis über Form und Inhalt besteht. Es ist die Kunst in der Geste, weil es zutiefst referenziell ist und über alles, was Pop war und ist, Bescheid weiß. Diese künstlerische Praxis interessiert mich. Trotzdem kommt bei mir stärker die Punk-Prägung durch. Mit PC Music widerspricht sich das trotzdem nicht, weil sie immer alles als Pop bezeichnet haben, was andere Leute nicht als solches ansehen wollten.

Die Selbstironie, die einem den Spiegel vorhält.

Veronika König: Eine Position, hinter der ich nach wie vor stehe, ja! Pop soll eine komplexe Emotion so körperlich und sinnlich darstellen, dass es alle verstehen. Der Maßstab ist die Identifikation, nicht die Verkaufszahlen – auch wenn das immer noch eine Definition von Pop ist. Dass wir uns davon nicht weiterentwickeln können, glaube ich aber nicht.

Mit der definitorischen Auslegung bewegen wir uns zurück in die Nische. Der:die allgemeine Ö3-Hörer:in wird sich damit nicht auseinandersetzen.

Veronika König: Das ist ein Fehlschluss, weil die auch einen Song von LCD Soundsystem oder von SOPHIE oder von mir hören und dazu den Kopf nicken. In Rhythmus und Klang liegt eine Universalität, die ankommt. Das ist Pop.

Ich meinte eher den akademischen Zugang zum Pop, der einen Meta-Anspruch miteinbringt.

Veronika König: Ich bin auch in diesen Kontexten zu Hause und schulde ihnen Vertrauen in das, was ich mache. Einfach weil in ihnen verstanden wurde, in welche Richtung es geht, obwohl es damals noch fragmentarisch und experimentell war. Von daher will ich keine Unterscheidung zwischen doof und elitär machen. Meine Motivation für das Album ist die Transzendenz dessen, dass es von dem Ort auf jede Bühne und in jede Anlage gehen kann und alle diese Kick verstehen. Es geht um das Gefühl, das es vermittelt.

Das führt mich zum Club als Ort, in dem dieses Gefühl nahbar werden kann. Weil die Musik dort im Körper ankommt.

Veronika König: Es muss ein Erlebnis sein. Deshalb ist der Club als Erlebnisort für alle wichtig. Deshalb ist es wichtig, solche sicheren Räume zu schaffen, um Live-Musik und DJing erfahrbar zu machen.

Du spielst demnächst am Hyperreality Festival, stellst dein Album vor.

Veronika König: Genau, es gibt eine neue Live-Show dafür, es soll ein Erlebnis werden. Auch weil ich mich sicherer und glücklicher fühle, auf der Bühne zu stehen, als je zuvor. Deshalb – und weil das Line-up richtig gut kuratiert ist – darf man gern die Tanzschuhe einpacken!

Danke für deine Zeit, Veronika!

Christoph Benkeser

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